Orava20 Bilder

 

Mein Name ist Mailing. Zweites Kind und einzige Tochter der Familie Xing. Vermutlich ist Ihnen der Name ein Begriff. Immobilien auf der ganzen Welt gehören uns oder werden von unseren Angestellten verwaltet. Mit ein wenig Untertreibung könnte man meine Familie als reich bezeichnen. Ich selbst befinde mich in einer sehr angenehmen Position. Mein älterer Bruder trägt die Last der baldigen Firmenführung auf seinen Schultern. Ich genieße unglaubliche Privilegien und habe nur die Pflicht den Mann zu heiraten, welchen meine Familie für mich schon bald auswählen wird.

Heute ist mein zweiundzwanzigster Geburtstag. Es ist eigentlich nicht meine Art, aber die Planung für diesen besonderen Tag hatte ich meinen Freundinnen überlassen. Sie sollten mich in einer Stunde abholen und wer weiß wohin entführen. Schmunzelnd warf ich einen Blick in den Spiegel auf meinem Frisiertisch aus Ebenholz. Mein Haarkünstler war so eben gegangen und ich zupfte mir eine kleine verirrte Strähne wieder zu recht. Mein Make-Up erwies sich nach wie vor als absolut makellos. Etwas anderes hätte ich von Ming, meiner persönlichen Visagistin auch nicht erwartet. Schon seit meinem vierzehnten Lebensjahr begleitet sie mich. Doch genug von der Bestandsaufnahme. Ich musste mich langsam anziehen, wenn ich pünktlich fertig sein wollte. Glücklicherweise hatte ich mich schon vor einer Woche entschieden, welches Kleid ich anziehen wollte, sonst hätte es wohl Stunden gedauert mich durch meine Sammlung zu wühlen.

Als es schließlich klingelte fühlte ich mich schön und perfekt für diesen Tag vorbereitet. Ich öffnete und sofort umringten mich meine kichernden und kreischenden Freundinnen. Jede hatte eine kleine goldene Dose mit Champagner in der Hand und nötigten auch mir eine auf. Lachend stießen wir auf mich an. Aufgeteilt auf zwei weiße Limousinen fuhren wir durch die Stadt. Die kleinen Dosen mit Champagner, eine Entdeckung von meiner Freundin Ailin, machten fröhlich die Runde. Schließlich hielten die Wagen und die Mädchen scheuchten mich nach draußen. Erfreut sah ich, dass wir vor einem der größten Karaoke Tempel der Stadt standen. Als plappernde Menge bewegten wir uns hinein und wurden von dicken Teppichen, Kronleuchtern und professionell lächelnden Angestellten empfangen. Mit vielen Verbeugungen wurden wir in die gemietete Privatlounge geführt. Das Kreischen brandete wieder auf, als meine Begleiterinnen und ich die kalt gestellten Champagnerflaschen und das üppige Buffet sahen, welche bereits auf uns warteten. Wir feierten sehr ausgelassen. Ich sang drei mal hintereinander When Will You Return mit Siara, bis uns die anderen anfingen mit Popcorn zu bewerfen. Lachend ließ ich mich auf eines der dick gepolsterten Sofas fallen. Etwas hartes rutschte gegen mein Bein, als ich langsam in die Kissen sank. Ich sah nach unten und erkannte im bunten Discolicht ein IPhone X. Verwundert nahm ich es in die Hand und betrachtete es. Es hatte keine Hülle, was mich irritierte, da sich alle meine Freundinnen immer wieder mit der ausgefallensten Handyhülle zu übertreffen versuchten. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, ob vielleicht eine der anderen gerade suchend nach diesem Smartphone herum irrte. Aber alle waren lebhaft bei der Sache und hielten in den meisten Fällen schon ihre eigenen Handys in der Hand, um endlose Videos und Fotoreihen zu machen. Neugierig drückte ich auf den kleinen Knopf an der Seite des Geräts. Enttäuscht sah ich gleich, dass der Sperrbildschirm aktiviert war und auch nur das Standarthintergrundbild angezeigt wurde. Plötzlich veränderte sich das kleine Vorhängeschloss oben im Bildschirm und ging auf. Unten erschien eine weiße Schrift: ‘Zum öffnen nach oben wischen’. Bei dem Handy musste jemand die Face ID aktiviert und scheinbar schlecht eingerichtet haben, denn ich hatte sie offenbar ohne Mühe entsperrt. Grinsend strich ich mit meinem Finger über den Bildschirm. Auch das normale Hintergrundbild war langweiliger Standard. Es waren keine der normalen Apps installiert und ich wollte es schon enttäuscht auf einen der kleinen Tischchen legen, als ich aus einem Impuls heraus auf Fotos tippte. Erfreulicherweise sagte die kleine Ziffer, dass zwanzig Bilder auf dem Smartphone gespeichert waren und ich tippte auf das undeutliche Vorschaubild. Vor Schreck ließ ich fast das Handy fallen. Auf dem Bild starrte ich mir selbst entgegen. Es war ein Selfie. Selbstverständlich befanden sich auf den Handys meiner Freundinnen und Bekannten etliche Bilder von mir, aber nicht solche. Entgeistert blickte ich in meine vor Panik geweiteten Augen. Mein seidiges schwarzes Haar war zerzaust und ein kleines Blutrinnsal lief von meiner Schläfe herab. Ich wischte zur Seite. Mein erschrockenes Keuchen wurde von der Musik verschluckt. Wieder ich. Und wieder schien ich das Bild selbst gemacht zu haben. Am Boden liegend, den Mund verzerrt zu einem Schrei. Ich sah meine linke Hand, die sich auf dem nackten Betonboden abstützte. Meine wunderschön manikürten Fingernägel schmutzig und abgebrochen. Niemals im Leben hatte ich solche Bilder gemacht. Und es war doch zweifellos ich, die da scheinbar vor Angst schrie. Verstört sah ich auf. Das Bild ertrug ich nicht mehr. Meine Augen huschten wild im Raum herum.

Mailing du bist ganz blass. Zu viel getrunken?“, fragte mich plötzlich Ailin und ließ sich neben mich fallen. Mein Mund ging auf und wieder zu. Sie legte ihren Arm um mich und sah mich besorgt an. „Was ist denn? Ist dir schlecht? Möchtest du ein Glas Wasser?“ Ich schüttelte den Kopf. Öffnete erneut den Mund und schloss ihn wieder. Wie sollte ich ihr davon erzählen? Von was überhaupt? Unbewusst krampfte sich meine Hand um das schwere Smartphone, was sich unangenehm in meine Haut drückte.

Entschuldige Süße, ich geh kurz aufs Klo“, sagte ich und stand ruckartig auf.

Soll ich mitkommen?“, fragte Ailin noch schwach, doch ich hörte sie schon nicht mehr. Leicht schwankend stieß ich die Tür zum Klo auf und betrat eine der Kabinen. Meine Hände zitternden leicht als ich sie zuschloss. Ich fühlte mich ein wenig erleichtert, nun da ich allein war und atmete ein paar mal tief ein und aus. Mein Herz musste mir bis zum Hals geschlagen haben, denn ich war merkwürdig atemlos. Schließlich fühlte ich mich gefestigt genug um das Smartphone wieder anzusehen. Es hatte sich wieder gesperrt und der schwarze Bildschirm spiegelte nur mein normales Gesicht wieder. Das war doch total verrückt. Wahrscheinlich war das auf den Bildern gar nicht ich, sondern einfach eine andere Frau, die mir nur etwas ähnlich sah. Ich schüttelte den Kopf und lächelte halb über meine Panik. Ich hatte bereits 5 Dosen von dem langsam eklig werdenden Champagner getrunken. Der Raum war voller blinkender Lichter gewesen. Natürlich hatte ich mich verguckt. Trotzdem zögerte ich damit das Handy erneut zu entsperren. Warum hatte jemand solche Bilder im Speicher? Ich drückte auf den kleinen Knopf. Es entsperrte sich genauso unkompliziert wie beim ersten mal. Ich zwang mich erneut die Fotos anzuwählen. Ohne auf ein bestimmtes zu tippen überflog ich die kleinen Vorschaubilder. Zwanzig Stück, alle sehr dunkel, bis auf das Gesicht der Person, welches auf jedem einzelnen zu sehen war. Ich atmete kurz durch und tippte auf das Erste. ‘Das bin nicht ich! Das kann ich nicht sein!’, schrie es in meinem Kopf. Aber es war zweifelsfrei das selbe Gesicht, dass ich vor ein paar Stunden im Spiegel gesehen hatte. Nur waren ihre Augen… meine Augen, auf dem Bild weit aufgerissen. Ich wusste einfach nicht was ich davon halten sollte. Das war ich da. Ich konnte es einfach nicht leugnen. Verstört packte ich das Smartphone in meine Handtasche und verließ das Klo. Ich schaffte es noch einer der Angestellten zu sagen, dass sie mich bei meinen Freundinnen entschuldigen sollte und verließ den Karaoketempel. Draußen stieg ich in eines der bereit stehenden Taxis und ließ mich nach Hause fahren. Meine Gedanken schwirrten wild durcheinander und ich sehnte mich danach endlich allein und in Ruhe in meiner Wohnung zu sein. Die Fahrt dauerte ewig und ich warf dem Fahrer nur schnell einen Schein zu und stürzte in das Apartmenthaus. Als meine Tür ins Schloss fiel, atmete ich lange aus. Dann schälte ich mich aus meinem Kleid, schminkte mich sorgfältig ab, kämmte mir die Haare und zog mir etwas Bequemes an. Ich schaltete das Licht bis auf eine kleine Nachttischlampe aus und setzte mich auf mein Bett. Meine abendliche Routine und das kümmern um mich hatte meine innere Ruhe wieder halbwegs hergestellt. Ich fühlte mich bereit dazu dem ganzen auf den Grund zu gehen. Ich holte das Handy heraus und ignorierte mein eigenes, welches mir mehrere verpasste Anrufe und Appnachrichten präsentierte. Ich atmete tief durch und entsperrte den Bildschirm wie schon zuvor. Erneut schaute ich mir das erste Foto an. Ein Selfie. Mein Gesicht und ein dunkler Hintergrund. Vermutlich wegen dem Blitzlicht. Ich sah keine Wunde und auch meine Haare wirkten noch wie eine ordentliche Frisur. Ich wischte zum nächsten Bild. Natürlich wieder ein Selfie. Diesmal blickte ich jedoch nicht genau in die Kamera sondern schien Etwas schräg hinter mir anzusehen. Ich konnte etwas mehr vom Hintergrund erkennen. Eine Betonwand, mehr nicht. Das nächste Bild. Es schien mitten im Rennen aufgenommen worden zu sein und war etwas verschwommen. Trotzdem war sehr gut mein Gesicht zu erkennen. Den Mund leicht außer Atem geöffnet, die Augen aufgerissen. Weiter. Die Perspektive überraschte mich. Ich konnte nur meine Augen und die Stirn sehen. Scheinbar war das Selfie entstanden um zu sehen was hinter mir vorgeht. Wieder war durch den Blitz kaum etwas zu erkennen. Ich vergrößerte das Bild und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Eine Betonwand. Unverputzt. Und ich glaubte herum liegende Bretter und Kabel zu sehen. Vielleicht eine Baustelle? Ich wischte wieder zur Seite und erschrak leicht. Das inzwischen vertraute Selfie zeigte nun auch einen Teil meines Oberkörpers. Ich trug ein einfaches T-Shirt in schmutzigem grau und auf meiner Schulter war ein blutiger Handabdruck. Was hatte das nun zu bedeuten? Wieder wischte mein Finger über den Bildschirm. Auf dem Bild drückte ich mich scheinbar an eine der kargen Wände die ich schon gesehen hatte. Wieder blickte ich nicht in die Kamera, sondern irgendwo zur Seite. Die nächsten Bilder wischte ich in schneller Folge weiter, zeigten sie doch nur immer wieder meinen verängstigten Gesichtsausdruck. Dann ein anderes Bild. Mein Finger verharrte. Der Blitz hatte diesmal etwas im Hintergrund erleuchtet. Da standen eindeutig Holzpaletten. Ich zoomte näher heran und erkannte das Firmenlogo unserer Familie darauf eingebrannt. Dann musste das ganze in einem Gebäude, das wir renovierten oder ausbauten aufgenommen worden sein. Ich brachte auch noch den Rest hinter mich. Auf einem der letzten Bilder tauchte plötzlich eine blutige Wunde an meinem Kopf auf und deutliche Tränenspuren zogen sich über meine Wangen. Vollkommen erschöpft und mit wachsenden Kopfschmerzen ließ ich das Handy auf mein Bett gleiten und schloss die Augen. Was sollte das Alles? Es war ausgeschlossen, dass ich diese Selfies gemacht hatte. Es kam also nur in Frage, dass diese jemand gefälscht und mit Photoshop bearbeitet hatte. Aber wo hatte der Fälscher die Bilder von meinem ängstlichen Gesicht her? Und warum sollte sich jemand so eine Mühe machen? Ich stöhnte und rieb mir die Augen bis ich blinkende Punkte sah. So viele Fragen und nichts ergab einen Sinn. Sollte ich vielleicht meinem Bruder Tian davon erzählen? Er wachte noch mehr als mein Vater darüber, dass kein Schmutz oder dunkle Schatten auf die Familie geworfen wurden. Aber war das Schmutz? Ich sah noch einmal das Handy durch. Keine Nummern waren gespeichert, keine Nachrichten gesendet oder empfangen worden. Es gab kein Anzeichen für eine Erpressung. Tian würde mich auslachen und dann irgendwas Wichtiges unterschreiben. Seufzend ließ ich mich in die Kissen sinken. Vielleicht sollte ich erst mal darüber schlafen. Ich hatte viel getrunken und meine Augen schmerzten nicht weniger als mein Kopf. Der Geburtstag war gründlich ins Wasser gefallen, dachte ich noch bitter.

Ein verirrter Sonnenstrahl weckte mich am nächsten Tag. Ich hatte die Vorhänge nicht richtig zugezogen. Gähnend befreite ich mich aus der zerwühlten Decke und zuckte leicht zusammen, als ein lauter Knall erklang. Ich blickte über den Bettrand und sah auf dem Boden das mysteriöse Handy liegen. Ich hatte es gestern vergessen auf den Nachttisch zu legen. Es war also kein Traum gewesen. Ich beschloss zunächst keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, ging in die Küche und bereitete mir ein leichtes Frühstück. Beim essen beantwortete ich die besorgten Nachrichten meiner Freundinnen, las den neusten Klatsch und trank viel zu viel Kaffee. In meinem Kopf hatte sich so etwas wie ein Plan gebildet. Nach dem ich mich angezogen hatte, hob ich das Smartphone vom Boden auf, entsperrte es und studierte jedes Bild noch einmal genau. Besonders das mit den Paletten schien mir vielversprechend zu sein. Unser Name war zu sehen, außerdem der Name dieser Stadt. Gut damit hatte ich schon gerechnet. Was noch? Ich konnte eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben erkennen und schrieb sie auf einen kleinen Notizblock. Vielleicht würde das schon reichen. Dann rief ich eine der vielen rechten Hände meines Vaters an. Li Choi meldete sich sofort. Ich mochte ihn sehr, da er nie Erklärungen verlangte und mir versprach der Nummer gleich auf den Grund zu gehen und mich zu informieren sobald er etwas wüsste. Unruhig wartete ich auf seine Rückmeldung und wischte erneut die Bilder durch. Inzwischen hatten sie ihren Schrecken verloren. Bei Tageslicht und aufgeputscht vom Koffein kam mir meine Panik von gestern nur noch lächerlich vor. Jetzt interessierte mich nur noch wer sich diesen miesen Scherz erlaubt hatte. Da vibrierte mein eigenes Telefon. Li Choi hatte mir die Informationen der Baufirma per Mail gesendet und für mich noch ein paar Erläuterungen hinzu gefügt. Die Paletten waren in ein eigentlich schon abbruchreifes Lagerhaus geliefert worden, dass von uns billig aufgekauft worden war. Wie ich vermutet hatte wurde es gerade kernsaniert. Ich überprüfte die Adresse und sah, dass es nicht allzu weit entfernt war. Voller Tatendrang schnappte ich mir meine Handtasche und ließ mir vom Portiere ein Taxi rufen. Kurz überlegte ich Ailin oder eine er anderen Mädchen mitzunehmen, doch der Gedanke alles erklären und die Bilder zeigen zu müssen ermüdete mich viel zu sehr und ich verwarf ihn. Der Taxifahrer brachte mich in ein Industriegebiet und hielt schließlich vor einer Reihe einfacher Hallen mit hohen Dächern. Arbeiter waren nirgends zu sehen und nach dem ich das Gelände einmal umrundet hatte, drückte ich mich durch eine Lücke im Bauzaun. Ich wusste wie impulsiv und unklug meine Unternehmung war, doch allmählich hatte sich in meiner Brust eine brodelnde Wut entwickelt. Vielleicht würde ich da drin einen Hinweis finden wer für diese kranke Sache verantwortlich war oder sogar einen der Arbeiter auftreiben und ihn direkt fragen. Es musste schließlich auffallen wenn hier jemand schwachsinnige Selfies schießt, um sie später zu bearbeiten. Doch auch drinnen war es menschenleer. Etwas beklommen erkannte ich sofort die unverputzten Betonwände von den Fotos wieder. Ich hatte den richtigen Ort gefunden. Langsam lief ich tiefer in das Gebäude hinein, bis kaum noch Licht von draußen herein fiel. Ich schaltete die Taschenlampe an meinem Handy an und ging weiter. Da standen die Paletten. Eine Kabeltrommel lag daneben. Im Dreck am Boden waren unzählige Fußspuren zu sehen. Warum war dann hier jetzt keiner? Ich ließ den starken Lichtstrahl hin und her gleiten auf der Suche nach irgendetwas was hier nicht her gehörte. Geräusche von schnellen Schritten hinter mir ließen mich herum fahren.

Beweg dich nicht!“, wurde ich angefahren. Ich runzelte irritiert die Stirn, denn es war eine weibliche Stimme und sie kam mir bekannt vor. Ganz langsam hob ich den Kopf. Eine Frau stand da, eine Pistole in der Hand, welche auf mich gerichtet war. Ich schnappte nach Luft als ich in ihr Gesicht sah. Mein Gesicht. Die Knie wurden mir weich.

Wer… wer sind Sie?“, würgte ich mühsam hervor. Mein Herz schlug so schnell, dass ich nach Luft schnappen musste. Die Frau mir gegenüber lächelte bösartig.

Oh das weißt du.“ Ihre Stimme klang hart.

Nein, ich habe keine Ahnung! Was wollen Sie?“ Mir ging durch den Kopf wie oft mir eingebläut wurden war mich genau in so eine Situation nicht zu begeben. „Wollen Sie Geld? Geht es darum? Meine Familie wird alles tun, a-aber Sie müssen mich am Leben lassen!“, sprudelten die Worte aus mir heraus. Das gemeine Lächeln wurde breiter.

Das weiß ich. Ich weiß alles. Über dich. Deine Familie. Eigentlich ja unsere Familie.“ Sie kicherte leise, was so überhaupt nicht zu dieser Situation passte. Meine Gedanken rasten. Eine Verrückte, ganz ohne Zweifel. Und mit einer Waffe. Tränen stiegen mir in die Augen.

Oh nein, hab ich die Prinzessin zum weinen gebracht? Das tut mir leid.“ Ihre Stimme triefte vor Hohn und plötzlich erkannte ich, dass es meine eigene war. Diese Wahnsinnige hatte nicht nur mein Gesicht sondern auch meine Stimme. Etwas in meinem Kopf machte laut klack.

Yin?“, fragte ich kaum hörbar.

Ihr Lächeln verschwand. „Du erinnerst dich ja doch.“

Aber Yin… wie? Du bist doch…“, flüsterte ich.

Tot? Ja ich hab von der Hebamme und den Krankenschwestern gehört, dass sie das erzählt haben. Wie du siehst haben sie gelogen.“ Wieder kicherte sie. Ich musste mich an der Wand abstützen, um nicht hinzu fallen.

Ich versteh das alles nicht“, keuchte ich. Yin seufzte genervt.

Die haben dir zu oft das denken abgenommen, oder? Ich bin Yin, deine Zwillingsschwester. Und wie du siehst am Leben. Und du kommst jetzt mit mir mit.“ Mit der Pistole deutete sie auf eine der leeren Türöffnungen. Verständnislos starrte ich sie an.

Was?“

Na los! Ich hab lange genug gewartet!“, schrie sie mich plötzlich an und ich zuckte zusammen. Gehorsam richtete ich mich wieder auf und wandte mich eiligst um. Wir gingen durch das Gebäude hindurch, meine Schwester hinter mir die Waffe auf mich gerichtet. Es wurde wieder heller und plötzlich standen wir draußen auf einem einsamen Hinterhof. Vor meinen Füßen gähnte eine Grube und ich blieb stehen.

Jetzt leg dein Handy zur Seite und deine Tasche daneben.“, kam der Befehl von hinten. Mit zitternden Händen tat ich was sie befahl und wandte mich dann zu ihr um.

Yin, bitte. Erklär mir was hier passiert“, flehte ich schluchzend. Ein weiches Lächeln zeigte sich.

Mailing die Erklärung ist ganz einfach. Ein Thronerbe war bereits geboren. Und dann bekam Mutter Zwillinge. Es wäre kein Problem gewesen uns beide zu behalten. Doch Vater beharrte auf der Vorbildfunktion und dem bewahren der Ehre. Nur ein Kind pro Familie! Ausnahmsweise zwei, weil Mutter ein Einzelkind ist. Aber nicht drei. Sie hätten und beide behalten können! Wozu hat man denn so viel Geld, wenn nicht genau dafür!?“ Ihre Stimme wurde erregter. Scheinbar trug sie all das schon sehr lange in sich. „Wenn es nach unserem lieben Vater gegangen wäre hätten sie mich schon im Krankenhaus getötet. Doch Mutter… Mutter sagte nein. So landete ich im Waisenhaus.“

Und was machst du dann hier? Was willst du von mir?“, fragte ich erschüttert.

Ist dir das noch nicht klar? Ich nehme meinen Platz im Leben ein. Es hat eine Weile gedauert bis ich heraus fand wer ich bin und noch länger, um alles über meine vom Glück geküsste Schwester heraus zu finden.“

Langsam dämmerte mir worauf sie hinaus wollte und kalter Schweiß brach aus meiner Stirn.

Nein! Yin wir finden bestimmt eine Lösung!“, stammelte ich und hob meine Hände beschwörend.

Yin lächelte. „Das habe ich schon. Mein kleiner Plan hat so perfekt geklappt. Du hast gar nicht bemerkt, dass ich eine der Kellnerinnen gestern war, stimmts? Die Bilder haben dich hergelockt. Und die Bauarbeiter sind brav gegangen, als ich es ihnen als Mailing befohlen habe. Doch genug jetzt davon. Los spring hinein“, sagte sie plötzlich und deutete mit der Waffe auf die Grube.

Was? Nein!“, stieß ich hervor.

Dann halt so.“ Und sie schoss. Die Wucht der Kugel warf mich nach hinten und ich fiel in das Loch. Unten war flüssiger Beton eingegossen, der meinen Sturz abfing und mich sofort umschloss. Das letzte was ich sah bevor mich die kalte Masse komplett verschluckte und meine Lungen zerquetschte war ich selbst, die zu mir herunter winkte.

Mein Name ist Mailing. Einzige Tochter der Familie Xing. Und das ist jetzt mein Leben.

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