Saskia HeleenDas Freibad

> Und deshalb bin ich der Meinung dass wir von Vision Interior Design das richtige  Team sind um vom „Namasté“ das neue Hotelhighlight in Köln zu machen,< schloss Amy ihren Pitch ab. Sie blickte in die Runde: lauter beeindruckte Gesichter. Hier war sie in ihrem Element, das hier war ihre Berufung. Sie konnte innerhalb von wenigen Minuten eine Verbindung zu Menschen aufbauen, wodurch sie nicht lieber wollten als mit ihr zusammenzuarbeiten. Amy wusste dass die Firma durch ihrem Verkaufstalent schon mehrere große Projekte bekommen hatte wofür sie nicht einmal das beste Angebot abgegeben hatten. Sie war stolz auf ihren Erfolgen, schließlich war sie nicht mal gelernte Innenarchitektin, sondern nicht ganz zu Ende studierte Juristin. Bei der Firma für Innenarchitektur hatte sie in der Administration angefangen, und sie hatte das Glück gehabt dass Karin Weber, die Inhaberin der Firma, ihr die Chance gegeben hatte sich zu entwickeln. Mittlerweile trat sie immer mehr als Gesicht der Firma auf, während anderen sich um das tatsächliche Entwurf kümmerten.

Zufrieden setze sich Amy eine halbe Stunde später neben ihrer Chefin ins Auto.

>Das war super!< sagte Karin. >Ich glaube das Projekt ist in the Pocket. Lust auf einen alkoholfreien Cocktail heute Abend um es zu feiern?<

Amy schüttelte ihren Kopf. >Ein anderes Mal, heute Date Night.<

>Schon wieder? Hattet ihr nicht Anfang der Woche schon Date Night? So lange zusammen und ihr benimmt euch wie verliebten Teenies.< Karin zwinkerte sie zu. >Ich bin schon froh wenn Joachim und ich einmal im Jahr ins Kino gehen. Was habt ihr diesmal vor?<

>Essen im Taormina. Sebastian hatte Sushi vorgeschlagen, aber ich wäre zu neidisch wenn ich nur das vegetarische Zeug essen könnte.< Amy strich sich über ihren immer dicker werdenden Bauch. Es würde nicht allzu lange mehr dauern bis sie und Sebastian nicht mehr nur zu zweit sein würden, und je näher der Geburtstermin heranrückte, umso mehr Zeit nahmen sie sich füreinander.

Als sie das Büro betraten kam Junior, der Office Manager, auf sie zu. >Es ist was für dich gekommen,< sagte er, und drückte sie einen gepolsterten Umschlag in die Hand.

>Amy, wie oft muss ich noch sagen, keine private Post ins Büro,< kommentierte Karin gespielt böse bevor sie in den Kaffeeraum verschwand. Amy lächelte. Karin war dafür bekannt dass sie fast täglich Pakete mit Schuhen, Kleidung, und allerhand anderes Privatzeug ins Büro liefern ließ. Sie riss den Umschlag auf und holte ein Handy und einen Ladekabel raus. Komisch, dachte sie, sie hatte nichts bestellt. Sie drehte dem Umschlag um, es war wirklich ihr Name der darauf gedruckt war. Vision Interior Design, c/o Amy Beck. Das machte sowieso keinen Sinn, sie hatte ihren Mädchenname schon seit ihrer Hochzeit vor drei Jahren nicht mehr benutzt. Alle nannten sie nur noch bei Sebastians Nachnahme, Hausmann. >Du hast nicht zufällig ein Handy bestellt?< fragte sie Junior, der neugierig hängen geblieben war. Er schüttelte seinen Kopf. >Kein Geschenk von Herrn Hausmann?< informierte er. Sie hob einen Augebrau. >Kann ich mir kaum vorstellen.< Sie ging durch das Büro und fragte alle ihrer Arbeitskollegen ob das Handy ihnen gehören könnte, alle verneinten. Vielleicht handelte es sich um eine Verwechslung und hätte das Handy eigentlich an eine andere Amy Beck gehen sollen? Leider gab es auf und in dem Umschlag keinen Hinweis auf einen Absender den sie kontaktieren könnte. >Komisch, komisch, komisch,< sagte sie leide in sich selbst, dann schob sie das Handy in einer Schublade ihres Schreibtisches. Vielleicht würde die richtige Amy Beck sich von selbst melden.

Das Essen im Taormina war hervorragend. Nachdem sie ihre Pasta Vongole aufgegessen hatte, stibitzte sie noch etwas von Sebastians Gnocchi. Als Dessert gab es einen meisterlichen Schokoladensoufflé.

>Du hast die Frauenärztin gehört als sie sagte dass man nicht buchstäblich für zwei essen soll wenn man schwanger ist, oder?< fragte Sebastian als sie rausgingen, und zog spielerisch an ihren Haaren.

Sie steckte ihre Zunge raus und gab ihn einen Schubser zur Seite. Dann blieb sie plötzlich mitten auf dem Parkplatz stehen. Sebastian guckte sie erschrocken an.

>Ist was los?<

>Ich hab eine Idee!< rief sie. >Wenn wir jetzt losfahren schaffen wir es noch bis zum Sonnenuntergang zum Fluss, was hältst du davon? Holen wir uns unterwegs was zu trinken?<

Sebastian lächelte und zog sie an sich. >Super Idee, Powerfrau. Übrigens, ich bekam so eine komische Karte heute, weißt du was das sein könnte?< Er holte eine Karte aus seiner Innentasche und ließ Amy lesen.

Lieber Sebastian, wie gut kennst du deine Frau?

1809

Sie runzelte die Stirn. >Was ist das für eine komische Karte? Wer schickt sowas?<

>Keine Ahnung, es gab keinen Absender. Es muss wohl einen misslungenen Witz sein. Oder vielleicht Werbung für irgendetwas was ich nicht verstehe?< Sebastian versuchte heiter zu klingen, aber Amy spürte dass der Botschaft auf der Karte ihn beunruhigte. Er drehte die Karte um und zeigte ihr das Foto. >So ein komisches Foto auch, ein leeres Freibad.<

Amy wurde ganz heiß und sie drehte sich schnell um damit er ihren Blick nicht sehen konnte. >Ein leeres Freibad, wie traurig. Jetzt lass uns gehen, sonst verpassen wir den Sonnenuntergang.<

Mitten in der Nacht erwachte Amy von einem Geräusch. Sie drehte sich um und sah dass Sebastian gerade auf im Bett saß, in seinen Händen sein Mobiltelefon und die Ansichtskarte.

>Sag mir bitte nicht dass du immer noch über diese blöde Karte grübelst,< sagte sie mit schlaftrunkener Stimme.

>Nein. Nicht wirklich. Es ist nur…< Er brauchte einen Moment bevor er die richtigen Worten fand. >Ich glaube auch dass die Karte nichts zu bedeuten hat. Aber hat sie mich zum Denken gebracht. Wie gut kenne ich dich wirklich?< Bei den letzten Worten sah er sie ernst an.

>Bitte, nicht wieder das,< flehte Amy ihn an. >Wir sind seid drei Jahren verheiratet, glücklich verheiratet sogar. Es gibt niemand auf der Welt der mich besser kennt als du. Jetzt schlaf doch einfach wieder.< Sie drehte sich wieder um und zog die Decke bis zu ihrem Kinn hoch. Sie hatten dieses Gespräch schon oft geführt. Am Anfang hatte Sebastian es anziehend gefunden dass sie auf eine gewisse Art mysteriös war, und vielleicht fand er das manchmal immer noch. Doch immer öfter meinte er, er würde gern mehr über sie wissen, über ihrer Jugend und über ihren Freunden von früher. >Es kommt mir fast so vor, als hättest du erst angefangen zu leben als wir uns kennengelernt haben, als würdest du gar keine Vergangenheit haben,< hatte er ihr mal vorgeworfen, worauf sie erwidert hatte dass er doch ihre Eltern kannte. Aber er beharrte darauf dass es Lücken in ihrer Geschichte gab. Sebastian war ganz anders als sie. Sie wohnten in der Kleinstadt wo er aufgewachsen war und die er nur ein paar Jahre verlassen hatte um zu studieren. Er pflegte zu all seinen Jugendfreunden einen guten Kontakt und war Vorsitzender im Aluminiverein seines ehemaligen Gymnasiums. Sie würde es ihn nie sagen, aber manchmal fand sie es sogar ein bisschen kindlich wie er sich an seiner Jugend fest hielt. Am liebsten wäre sie mit ihm nach Köln gezogen, aber das fand er zu weit weg von seinen Eltern. Ihr Argument dass sie sich fünf Tage die Woche den Stau in die Stadt um zur Arbeit zu kommen sparen könnten, und stattdessen nur einmal die Woche raus fahren müssten um seine Familie zu besuchen hatte er regelrecht verhöhnt. Kam nicht in Frage. Also hatte sie sich zufrieden gegeben mit einem Leben in einem Ort wo alle ihre Nachbarn schon Wochen vor Ostern ihren Vorgärten mit bunten Eiern und Häschen schmückten, es war zum kotzen. Aber das konnte sie ihn natürlich nicht sagen.

Dieser verdammte Spaßvogel mit der Karte. Wer konnte das gewesen sein? War es ein Witz von seinen Freunden? Doch dass konnte sie sich bei Sebastians Klicke von Hausvätern nicht vorstellen. An seinem Junggesellenabschied waren sie wandern gegangen und hatten im Wald übernachtet, während sie von ihren Freundinnen auf ein Wochenende Prag, inklusive Männlichen Strippern und mehr Cocktails als ein Leber in einem Jahr verarbeiten sollte, entführt worden war. Wer konnte noch so etwas machen? Und was hatte dieses Foto von einem Freibad damit zu tun? Ein leeres Freibad. Ihr Mund wurde trocken. Der Gedanke den sie schon den ganzen Abend zu verdrängen versuchte, kam jetzt doch. Nein, es konnte nicht sein. Sie rieb sich über ihren Stirn, als könnte sie so den Gedanken auswischen. Es war einfach ein blöder Zufall, nichts mehr.

Amys Handy summte. „Mama,“ stand auf dem Display.

>Ja?< sie unterdrückte ein Gähnen. Sie war schon seit einer Stunde auf der Arbeit aber bisher hatte sie kaum etwas geschafft. Sie sehnte sich zurück ins Bett. Die ganze Nacht hatte sie nicht mehr aufhören können zu denken und zu drehen. Als die Vögel angefangen hatten zu zwitschern und sie sich entschieden hatte dass die Sache mit der Karte echt nichts auf sich hatte, war es schon Zeit um aufzustehen.

>Guten morgen, Tochter. Wie geht es? Alles okay mit dir und Baby?<

>Mir und meinem ungeborenen Kind geht es blendend. Rufst du deswegen an? Ich bin auf der Arbeit.<

Ihre Mutter räusperte sich. >Nein, das ist nicht der Grund. Es hat gerade eine Frau angerufen die gefragt hat wieso du nicht ans Telefon gehst. Es war ein… komisches Gespräch.<

>Okay… Mich hat aber niemand angerufen.<

>Sie meinte etwas von deinem neuen Handy? Ich wusste gar nicht dass du ein neues Handy hast. Vielleicht meinte sie dein Handy von der Arbeit?<

Amy spürte wie ihr Gesicht rot wurde. Auf ihr Arbeitstelefon hatte auch niemand angerufen, da war sie sich sicher.

>Wie hieß sie?<

>Das hat sie gar nicht gesagt. Als ich es fragte, sagte sie nur, sie würde heute Abend um zwanzig Uhr nochmal anrufen und du solltest bis dahin das Handy an machen. Dann hing sie auf.<

Amy zog die Schublade ihres Schreibtisches auf und holte zögerlich das Handy raus das sie gestern dort reingelegt hatte. Ihre Hände zitterten leicht.

>Liebes?< Ihre Mutter klang besorgt. >Du hast doch keine Schulden, oder?<

>Schulden? Nein, Mama, mach dir keinen Kopf. Ich werde heute Abend ans Telefon gehen, und dann schaue ich mal wer das ist.<

Als sie aufgelegt hatten drehte Amy das Handy in ihren Händen. Dieses Handy und die Karte die Sebastian bekommen hatte waren von der gleichen Person verschickt worden, da war sich Amy nun sicher. Und diese Person hatte auch ihre Mutter angerufen. Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Mit immer noch zitternden Händen machte sie das Handy an. Sie zweifelte nicht dass sie die PIN kannte, sie hat ja auf die Karte gestanden: 1809. Das Handy zeigte zehn ungelesene WhatsApp Nachrichten, alle von dem gleichen Kontakt, die Initialen waren Amy nur zu bekannt: CD. Am liebsten hätte sie das Handy zurück in die Schublade gesteckt oder sogar weggeschmissen. Mit einen großen Bogen in den Rhein wo es nie wieder gefunden werden würde. Aber sie wusste dass sie damit das Problem nur größer machen würde. Diese Person hatte Sebastian kontaktiert, und ihre Mutter. Wie war sie sie überhaupt auf die Spur gekommen? Vor drei Jahren, als sie und Sebastian heirateten, war sie so glücklich gewesen endlich nicht mehr Amy Beck sein zu müssen. Sie stand darauf nur noch Amy Hausmann genannt zu werden, kein Doppelnamen. Ihre E-Mail Adressen, ihre Pässe, alles hat sie sofort ändern lassen. Sie hatte alles richtig gemacht, dachte sie. Ein neuer Wohnort, hunderte Kilometer entfernt, eine neue Karriere, ein neuer Namen. Wie viele Albträume hatte sie in den letzten Jahren nicht gehabt? Wie oft hatte sie gefürchtet, war sich sogar sicher gewesen, dass ihr Geheimnis an die Oberfläche würde? Und immer wieder war sie aufgewacht und war alles wie sonst gewesen. Stets hatte sich ihre Angst als unbegründet erwiesen. Bis jetzt.

Sie öffnete das WhatsApp Gespräch und wischte durch die Fotos. Es war genau was sie gedacht hatte. Ein leeres Freibad. Nicht das gleiche wie auf der Ansichtskarte, es war das leere Freibad. Auf dem Boden vom Becken standen Menschen in Schutzanzügen um einen schwarzen Fleck. Auf ein anderes Foto war zu sehen dass der schwarze Fleck ein Körper war, gehüllt in einer schwarzen Lederjacke. Ein Arm lag komisch verdreht, eine blutige Hand stach auf dem Ärmel raus. Von seinem Kopf war nur die nicht-zerstörte Seite zu sehen. Amy brauchte kein Foto zu sehen um sich zu erinnern wie der Rest ausgesehen hatte. Die grauen Haare, festgeklebt an dem Blut auf der Stirn. Die weit aufgesperrten Auge. Die untere Gesichtshälfte die verformt war wie eine zusammengeknüllte leere Bierdose. Auf das vorletzte Foto war Amy selbst zu sehen. Ein paar Jahre jünger, aber unverkennbar Amy. Die hellbraune Haar in einen Pferdeschwanz, einen engen blauen Top worin ihren Brüsten gut zur Geltung kamen. Ihr Arm hatte sie um den Schultern eines Mannes geschlagen, der Mann aus dem Freibad. Er umklemmte ihre Taille. Beide lachten offen in die Kamera, ein älterer Mann und seine viel jüngere Freundin. Sie wischte zum letzten Foto, ein anderer Top, die gleichen Menschen, sie küssten sich. Beim Anblick drehte sich ihr Magen um. Sie schob das Handy zur Seite, öffnete das Fenster und sog tief Luft ein. Ihr war schwindelig.

Der Rest des Tages dauerte zu lange und zu kurz zugleich. Sie tat als ob sie arbeitete, schaffte es aber kaum eine Handvoll Mails zu beantworten. Nach dem Teammeeting fragten mehrere ihrer Kollegen ob es ihr wohl gut ging, denn sie war so blass und ruhig? Sie schob es auf die Schwangerschaft. Zuhause ließ sie die Kartoffeln anbrennen, aber Sebastian gab keinen Kommentar. Auch er schien geistesabwesend. Als es endlich zehn Minuten vor neun war sagte sie, sie wolle eine Runde spazieren gehen.

>Im dunkeln? Es regnet,< sagte Sebastian verwundert.

Amy zuckte die Schultern und meinte, sie habe doch eine gute Regenjacke und brauche etwas Bewegung nach einem ganzen Tag im Büro.

>Dann komme ich mit,< bot Sebastian an. Sie lehnte, etwas zu brüsk, ab und ging bevor ein noch mehr sagen konnte.

Es dauerte weniger als eine Minute bis ihre Jeans und Schuhe durchnässt waren. An der Kreuzung überlegte sie wohin sie laufen würde, und entschied sich für den schmalen Sandweg der Dorfauswärts in Richtung Wald führte. Normalerweise würde sie sich nie abends auf so einer stillen Weg trauen, aber diesmal war es ihr wichtig dass sie niemand begegnen würde der sie überhören konnte. Sie musste die Taschenlampe ihres Handys anmachen um zu sehen wie der Weg lief. Als sie sicher war dass sie von der Straße nicht mehr gesehen werden konnte machte sie das Licht aus und blieb sie stehen. Sie lauschte, hörte aber nichts außer den Wind und den Regen der auf ihre Kapuze prasselte. Dann fing das Handy an zu vibrieren. Wie man sich doch erschrecken kann, selbst wenn man etwas erwartet. Sie holte tief Luft, dann ging sie rann, sagte aber nichts. Eine Weile blieb es auch auf der anderen Seite still, dann sprach endlich die andere Person.

>Lange her, Amy.< Die Stimme war so vertraut dass die Erinnerungen sofort hoch kamen. ABCD hatte man sie früher genannt: Amy Beck und Carolin Dietrich.

>Hi.<

>Schöne Überraschung, oder?<

Stark bleiben, dachte Amy. Keine Angst und keine Emotionen zeigen. >Ja, schöne Karte.< Verdammt, ihr Vorhaben keine Angst zu zeigen konnte sie vergessen wenn ihre Stimme so bebte.

>Verstehst du wieso ich dich kontaktiert habe?<

>Wahrscheinlich willst du über damals reden,< versuchte sie.

Carolin schnauzte. >Du denkst dass reden hilft? Du versaust mir mein Leben aber wir haben ein gutes Gespräch, und alles ist wieder in Ordnung?<

>Nein,< gab Amy kleinlaut zu. >Das denke ich nicht.<

>Ich frage dich nochmal: wieso denkst du dass ich dich kontaktiert habe?<

>Ich weiß es nicht.< Der Wind nahm zu und sie musste mit ihrer freien Hand die Kapuze festhalten, wodurch Regen in ihr Ärmel lief. Ihr nasses, kaltes Gesicht schmerzte.

>Wieso denkst du dass ich dich, deine Mutter und deinen Mann kontaktiert habe?!< brüllte Carolin unerwartet laut durch das Telefon.

Es war, als blieb Amys Herz still stehen. >Du willst dich rächen.< Es war kaum mehr als ein Flüstern. >Du denkst ich bin Schuld an allem.< Dann legte sie auf. Die Nummer rief wieder an, aber Amy drückte weg. Als sofort wieder angerufen wurde schaltete sie das Handy aus. Sie rannte nach Hause, kam pitschnass rein, zog all ihre Kleidung aus und blieb nackt im Flur stehen bis Sebastian aus dem Wohnzimmer kam, sie sah und wortlos ins Badezimmer ging. Als er zurückkam und sie in einem Strandhandtuch einwickelte guckte er sie fragend an. >Ist alles okay?<

>Ich liebe dich,< sagte sie. >Wirklich.<

>Gut. Ich dich auch.< Seine Antwort klang leise und zweifelnd.

Sie drehte sich von ihm weg und ging ins Schlafzimmer. Carolin würde alles was sie aufgebaut hatte zerstören.

Sebastians schnarchte leise. Am liebsten hätte Amy sich an ihm geschmiegt so wie so oft, aber sie konnte nicht. Die ganze Nacht schon spielte sich den Film von damals vor ihr inneres Auge ab. Das kennenlernen mit Carolin am ihrem ersten Tag an der Uni. Wie sie sich auf Anhieb verstanden hatten, sofort verliebt, auf eine Freundschaftliche Weise. Der Umzug in die gemeinsame Wohnung, beide ein eigenes Schlafzimmer und eine kleine Küche die sie sich teilten. Amys Überraschung als Carolin sie ein paar Monate später in ihr Geheimnis eingeweiht hatte.

>Willst du es nicht auch mal probieren?< hatte sie ein paar Wochen später beiläufig gefragt, als Amy wieder kein Geld hatte um Tickets zu kaufen für ein Konzert. >Ich bin mir sicher dass die Männer Schlange stehen würden für dich. Ich hätte sogar schon einen, der fragt immer ob ich nicht eine Freundin habe die auch mitmachen will.<

So war Manfred in ihr Leben gekommen. Am Anfang war es ungewohnt, jemandem zu küssen den sie nicht attraktiv fand. Aber er nahm sie mit zu besonderen Orten, kaufte Kleidung für sie und gab sie obendrauf noch mehrmals im Monat größere Summen Geld. Der Trick war, nicht zu viel nachzudenken. Wenn sie ihre Augen schloss und sich vorstellte dass er jemand anderes war, war es nicht mal wirklich schlimm. Carolin schlug vor es auch mal mit anderen zu probieren um noch viel mehr zu verdienen, aber das wollte sie nicht. Eine Zeit lang war alles gut. Sie trafen sich ein, zwei mal die Woche, immer zu dritt. Bis Manfred siene Aufmerksamkeit immer mehr auf Amy gelenkt hatte.

>Wieso schläfst du nicht?< Sebastian drehte sich zu Amy um. Sie hatte gar nicht gemerkt dass er aufgewacht war.

>Das Baby hält mich wach,< log sie, und rieb über ihren Bauch.

>Okay,< sagte er, drehte sich um, und schlief sofort wieder ein.

Was würde er denken wenn er die Wahrheit über sie wusste? Würde er sie verlassen? Natürlich würde er das. Sebastian war ein durch und durch guter Mensch, solche Menschen wollten nichts zu tun haben mit Menschen wie sie. Er würde sich von sie trennen, und er würde ihr Kind mitnehmen. Und das schlimmste von allem, er würde Recht haben. Sie konnte nicht zulassen dass er die Wahrheit erfahren würde. Sie musste Carolin stoppen.

In dem Moment dass sie das dachte vibrierte ihr Handy: eine SMS.

Dachtest du dass ich deine Nummer nicht habe? Du kannst mir nicht entkommen.

Es überraschte Amy wie wenig die Nachricht sie berührte. Irgendetwas hatte sich in ihr verändert, obwohl sie nicht genau sagen konnte was. Sie schlich aus dem Bett, zog ihr Morgenmantel an, und ging so leise wie möglich ins Schlafzimmer. Dann rief sie die Nummer an.

>Was willst du von mir?< flüsterte sie, als Carolin ran ging.

>Ganz einfach.< Carolin klang überraschend wach für die Uhrzeit. >Ich will dass es dir genauso geht wie mir.<

>Und wie geht es dir?<

>Beschissen. Ich habe alles verloren. Jetzt bist du dran.<

>Ich bin nicht schuld daran dass du alles verloren hast, das weißt du. <

>Du warst genauso daran beteiligt wie ich.<

>Wieso jetzt? Wieso nicht sofort als du entlassen wurdest?<

Amy konnte fast hören wie Carolin grinste. >Ich habe dich jahrelang beobachtet, Amy Beck. Ich hatte ja alle Zeit, niemand wollte mich anstellen mit meiner Vergangenheit. Soll ich dir gleich mal ein paar Fotos von deiner Hochzeit schicken? Ich war da. Das wird dich überraschen, oder? Jetzt war der richtige Moment da. Du hast jetzt alles was du willst und das macht dich verletzlicher denn je. Nicht wahr? Oder denkst du dass dein braver Ehemann ein Kind großziehen will mit einer Mörderin?<

Bei den letzten Worten spürte Amy einen Stich in ihrer Brust.

>Ich habe die Adressen und Telefonnummern von allen die dir was bedeuten,< fuhr Carolin fort. >Ich könnte sie anrufen und die Wahrheit erzählen. Aber wäre es nicht noch schöner wenn du es sie selbst erzählst?<

>Das werde ich nie tun,< sagte Amy.

>Du hast keine Wahl.<

Amy beendete das Gespräch ohne noch etwas zu sagen, blieb aber auf der Couch sitzen. Sie wusste jetzt wieso sie so ruhig war. Ohne es sich bewusst zu sein hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie würde tun was nötig war damit alles gut wurde, egal wie weit sie dafür gehen müsste.

Morgens rief sie bei der Arbeit an und nahm den Tag frei. Nachdem Sebastian zur Arbeit war verließ sie das Haus. Ihr eigenes Handy ließ sie zuhause zurück und sie nahm nur das mit dass Carolin geschickt hatte. Es war nicht schwierig gewesen herauszufinden wo Carolin wohnte, und zu Amys Überraschung fand sie heraus dass Carolin nur zwanzig Kilometer weiter wohnte. Sie fühlte sich fast geschmeichelt bei dem Gedanken, dass sie das getan hatte um sie besser beobachten zu können. Das war jetzt eh alles egal.

Sie parkte ein paar Straßen vor ihr eigentliches Ziel, und ging zu Fuß weiter. Carolin wohnte am Ende einer Sackgasse, in einem alten, schlecht erhaltenen Einfamilienhaus. Statt an der Vortür zu klingeln lief sie um das Haus herum, und war erfreut zu sehen dass die Gartentür offen war.

>Hallo Carolin,< sagte sie, als sie ins Wohnzimmer ging. Ihre ehemalige beste Freundin starrte sie regungslos an.

Amy sah den Tag wieder vor sich, vor zehn Jahren. Es war das erste Septemberwochenende, ein heißer Sommer ging zu Ende. Die Beziehung zu Manfred war schwierig geworden, er wollte zu viel von sie. Er hatte sich verliebt, sagte er, er wollte eine richtige Beziehung. Er behauptete sogar, er hatte sie in sein Testament aufgenommen. Daraufhin hatten sie sich beide von ihm distanziert. Er war sauer geworden und drohte sie zu outen. Er hatte sogar die Adressen ihrer Eltern ausfindig gemacht und wollte die erzählen wie ihre Tochter ihr Geld verdiente. Es war Carolins Idee ihn einen Schrecken einzujagen. Sie riefen ihn an und sagten, sie wollten noch einen letzten Abend mit ihn verbringen, um es gut abzuschließen.Dankbar sagte er zu. Sie gingen in eine Bar und tranken viel. Zuviel. Als die Bar zu machte schlug Carolin vor, zum Freibad zu gehen. Sie hatten viele Nachmittage dort verbracht und Carolin wusste wo man rein schlüpfen konnte. Das Freibad lag komplett im dunkeln.

>Komm, lass uns hochklettern,< sagte Carolin, als sie vor dem Leiter zum Sprungbrett standen. Kichernd gingen sie den Leiter hoch, bis sie auf dem zehn Meter hohen Brett standen.

>Jetzt springen wir alle runter, okay?< sagte Amy. So hatten sie es abgesprochen. Sie würden Manfred springen lassen, dann selbst schnell den Leiter wieder runter klettern und ihn nass und alleine zurücklassen. Amy hatte höllische Höhenangst und versuchte nicht runter zu gucken. Sie schob den alten Mann sanft nach vorne. >Du zuerst.< Gewillig torkelte er ein paar Schritte auf den Rand zu. Gerade bevor er sprang guckte Amy einen kurzen Moment runter. Das Wasser glitzerte nicht. Etwas stimmte nicht. Sie versuchte zu schreien, aber ihre Stimme versagte. Dann sprang Manfred. Sie verstand erst richtig was passiert war als sie den dumpfen knall hörte.  Es stand kein Wasser im Becken. Plötzlich kam ihre Stimme zurück und sie schrie, während Carolin ruhig über den Rand schaute.

Mit einem mal war Amy wieder nüchtern. >Du hast es gewusst,< stammelte sie. >Du wusstest dass das Becken leer war. Oder? Oder??<

>Jetzt kann er uns nichts mehr tun,< sagte Carolin kühl. >Verschwinde, und überlasse mir den Rest. Alles wird gut.< Und das hatte Amy getan. Sie war aus dem Freibad verschwunden und aus München, hatte ihr Studium abgebrochen und ein neues Leben aufgebaut. Und fast wäre alles nach Carolins Plan gelaufen, wenn sie nicht auch noch versucht hatte Amys Name in Manfreds Testament durch ihre zu ersetzen. Eine Verbindung zu Manfreds Tod konnte nicht nachgewiesen werden, aber sie landete wegen Betrug ins Gefängnis, musste ihr Studium abbrechen und ihre Eltern wollten sie nicht mehr kennen.

>Was ich getan habe war unverzeihbar, aber alles was dir passiert ist hast du selbst verdient,< sagte Amy nun. Dann lief sie auf Carolin zu, die immer noch wie erstarrt da saß.

Als Sebastian nach Hause kam war er kreideweiß.

>Ist alles okay mit dir?< fragte Amy, während sie Bohnen schnippelte.

>Bitte, setz dich.< Er deutete auf die Couch und blickte sie ernst an. >Es hat mich heute morgen eine Frau angerufen, und gesagt dass du ein Geheimnis für mich hast wovon ich unbedingt erfahren soll. Ich sollte dich heute Abend danach fragen. Was ist das mit dieser verdammten Heimlichtuerei Amy, ich halte das nicht mehr aus!< Er sah aus als könnten ihn jeden Moment die Tränen kommen.

Amy lachte. >Du Arme.< Sie küsste ihn und setzte sich auf seinen Schoß. >Das muss die Dame von der Reiseagentur gewesen sein, tut mir leid dass es so komisch rüber kam. Ich habe ein verlängertes Wochenende Barcelona für uns gebucht, nächste Woche. Ein letzter kleiner Ausflug bevor das Baby kommt.<

Langsam veränderte sich Sebastians Ausdruck. >Ist das dein Ernst? Das war das Geheimnis?<

Sie nickte. >Erinnerst du dich noch an der Karte? Die Zahl die darauf stand? 1809, 18. September. Das Abflugdatum.<

Nun strahlte Sebastian sie an. >Du bist die allerbeste.<

Amy kehrte zurück zu den Bohnen und machte schnell eine Notiz in ihr Handy. Sie musste unbedingt morgen früh eine Reise nach Barcelona buchen.

One thought on “Das Freibad

  1. Hi Saskia,
    erstmal ein großes Lob zu Deiner Geschichte. Sie hat mir sehr gefallen.
    Die Grundidee, die Personen, das Szenenbild hast du wirklich super hinbekommen.
    Ein paar Dinge sind mir allerdings aufgefallen, die den Lesefluss doch etwas gestört haben.
    Deine Grammatik und Zeichensetzung müssten dringend überarbeitet werden. Da ließe sich schon einiges rausfiltern, wenn Du Deine Geschichte vorher von ein paar Leuten gegenlesen lassen hättest. Hier ein kleines Beispiel, von denen wirklich recht viele in Deiner Geschichte zu finden sind : “…, er wollte zu viel von sie. …” – es müsste hier richtig heißen “…, er wollte zu viel von ihr. ..” .
    Ich denke, wenn Du die Geschichte auf solche Dinge nochmal untersuchen und überarbeiten würdest, würde da eine wirkliche Top-Geschichte bei rum kommen.

    Aber ich will nicht nur kritisieren.
    Vor allem der Schluss ist Dir richtig gut gelungen. Da offene Ende, bei dem man spekulieren kann, was Amy letztlich mit Carolin angestellt hat ( ich gehe mal von Mord aus … ) und wie sie die Wahrheit letztlich zu ihren Gunsten verändert hat, hat mir richtig gut gefallen.

    LG,
    der schweenie

    P.S. vielleicht hast Du ja Zeit und Lust, auch meine Geschichte zu lesen und ein Feedback da zu lassen.
    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/glasauge

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