NathalieDas Handy

 

Kapitel 1

 

Als Michael Neuberg an diesem Morgen aufwacht ist es als würde ihn jemand mit dem Kopf gegen die Wand hauen, so sehr schmerzt sein Kopf. Wie benommen setzt er sich in seinem Bett auf und blickt gedankenverloren durch sein Schlafzimmer welches auch gleichzeitig sein Wohnzimmer und seine Küche ist. Seine Kopfschmerzen häufen sich in letzter Zeit doch er schiebt es auf den Stress bei der Arbeit. Der erste Blick in den Spiegel lässt ihn erschrecken. So schlimm sah er noch nie aus. Hätte er nicht gewusst das er 34 ist hätte er selbst gedacht er sei bereits viel älter. Seine Wangen sind eingefallen und dicke Schatten zeichnen sich unter seinen Augen ab. Auch rasieren könnte er sich mal wieder. Doch er fühlt sich einfach zu kraftlos dazu. In letzter Zeit kommt es ihm vor, als würde etwas seine komplette Energie aussaugen. Dabei schläft er ausreichend. Denkt er zumindest.

 

Mühsam macht er sich fertig und überlegt dabei ob er heute überhaupt zur Arbeit gehen soll. So wie er aussieht und vor allem so wie er sich fühlt wäre er wohl im Bett besser aufgehoben. Doch sein Chef hat in letzter Zeit schon Theater gemacht.

 

„Das wird ein richtig mieser Tag“ denkt er sich als er seine Wohnung verlässt. Nichtsahnend was an diesem und den darauffolgenden Tag noch auf ihn zukommen wird.

 

 

 

„Bist du bescheuert?!“ zetert Henry Thösen lautstark als Michael in den Laden kommt. So laut das es in seinen Ohren nur so schallt.

 

„Du rufst mich gestern Morgen an, sagst mir das du keinen Bock mehr auf diesen „minderwertigen“ Scheiß hast und sagst mir das du kündigst. Brüllst mich dabei noch an und jetzt kommst du hier her, als wäre nie was gewesen?!“

 

Michael versteht die Welt nicht mehr. Was soll er getan haben? Gekündigt?

 

„Henry ich weiß nicht was du meinst, ehrlich. Ich habe dich nicht angerufen und schon gar nicht habe ich gekündigt. Du weißt doch wie dankbar ich dir bin das du mir vor 4 Monaten den Job hier ermöglicht hast“

 

„Ach nein?! Und wer war das dann? Etwa der Heilige Geist? Micha, du weißt genau ich mag dich und wenn du kündigen willst und es hier nicht aushältst dann ist das Ok, aber bitte, bitte verkauf mich nicht für dumm, ok?!“

 

„ich habe dir doch gerade gesagt…“

 

„Nein! Ich will nichts mehr hören. Verlass einfach meinen Laden und geh. Bitte, geh einfach!“

 

 

 

Als Michael den Laden verlässt ist er zutiefst verwirrt.  Er kann sich beim besten Willen nicht an das Telefongespräch und seine Aussage erinnern. Niemals hätte er bei Henry gekündigt und schon gar nicht so. Er mag seinen Job. Erst vor 4 Monaten hatte Henry ihm den Job in seinem Kiosk besorgt. Auch wenn er Michael nur flüchtig vom Sehen kannte, als er dringend einen Job brauchte, nachdem sein ehemaliger Chef Insolvenz angemeldet hatte und alle Mitarbeiter entlassen musste war er sofort mit dem Angebot da das er ihm 3-mal die Woche zur Seite stehen konnte. Auch wenn es nur 4 Stunden am Tag waren. Es war besser als nichts.

 

Und jetzt? Jetzt war er wieder arbeitslos, ohne Erinnerung an seine Kündigung mit rasenden Kopfschmerzen und natürlich fängt es jetzt auch an zu regnen.

 

Auf dem Weg nach Hause kommt es ihm vor als würden die Menschen auf der Straße wie in Zeitlupe an ihm vorbeilaufen. Alles wirkt so unwirklich.  Der Weg nach Hause der nicht mal 10 Minuten zu Fuß dauert kommt ihm vor wie eine Ewigkeit. Er fühlt sich plötzlich hundeelend. Als hätte er den Tag schon hinter sich gebracht. Mit zittrigen Händen steckt er den Schlüssel ins Schloss und bemerkt erst dann, dass seine Tür offen ist.

 

Mit klopfendem Herzen schiebt er die Tür ein Stück weiter auf. Niemand zu sehen.  Vielleicht hat er auch nur vergessen die Türe richtig zu schließen? „Hallo?!“ Niemand antwortet. „Hallo ist jemand hier?“. Stille.

 

Vorsichtig schaut er sich um. Es ist niemand zu sehen und viele Versteckmöglichkeiten gibt es in seiner 1 Zimmer Wohnung nicht. Auch im Bad ist niemand.  Erleichtert lässt er sich auf die Couch fallen und möchte einfach nur noch seine Augen schließen als ihm plötzlich etwas auffällt. Erst hat er es gar nicht bemerkt, es ist so unscheinbar doch es ist definitiv nicht seins. Das Handy, das auf seinem Couchtisch liegt.

 

 

 

Kapitel 2

 

 

 

Seit 5 Minuten starrt er auf das Handy, ohne es berührt zu haben. Er hat das Gefühl sein Gehirn habe ausgesetzt. Erst nach weiteren Minuten traut er sich das Handy in die Hand zu nehmen. Es sieht neu aus. Jedenfalls hat es keinerlei Gebrauchsspuren oder Kratzer.  Als er das Handy anschalten will bemerkt er das es bereits an ist. Zu seiner Verwunderung muss er auch keinen Pin eingeben, sondern kann direkt durch ein wischen des Daumens das Handy benutzen. Die Bildschirmoberfläche ist fast leer. Es gibt nur das Kamera Symbol, Kontakte und Galerie. Er drückt auf Galerie, irgendwie muss er ja herausfinden wem das Handy gehört. Ihm ist klar das jemand hier gewesen sein muss und allein der Gedanke daran lässt es ihm eiskalt den Rücken runterlaufen.  Als er die Galerie öffnet stößt er einen lautlosen Schrei aus. Er hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit sich selbst auf den Bildern wiederzusehen. Das ist eindeutig er da. Er mit dieser ihm unbekannten Frau im Arm. Sie sehen glücklich aus. Mit zittrigen Fingern durchsucht er die Bilder, noch mehr Fotos von ihm und der Frau. Am Strand, auf dem Sofa, im Bett. Verliebt, mit lustigen Krimassen, sich küssend. Michaels Hirn droht zu platzen, er versteht die Welt nicht mehr. Er kennt diese Frau nicht, kann sich zumindest nicht erinnern sie zu kennen. Seine letzte Beziehung ist schon 6 Jahre her. Michael war schon immer einer der ruhigen gewesen. Schüchtern, sehr gut erzogen und zuvorkommend. Das war wahrscheinlich auch der Grund warum in der Schule die Mädels nie mit ihm ausgehen wollten, sondern eher mit Jungs die wilder und rebellischer waren als er. Die sich auch mal trauten Nein zu sagen. Doch an seine Ex Freundin kann Michael sich noch gut erinnern, an Tina. Und Tina ist das auf den Fotos sicher nicht. Tina hatte lange blonde Haare und ein rundliches Gesicht. Sie war wunderschön. Die Frau auf dem Foto hat braune Haare, ein dünnes Gesicht und ihre Art wirkt wie die einer sehr selbstbewussten Frau, was Tina ebenfalls nicht war. Er und Tina waren 3 Jahre ein Paar bis sie ihn verlassen hat.

 

„Was geht hier vor?“ flüstert er sich selbst zu obwohl er sich die Frage nicht beantworten kann. Plötzlich erschrickt er. Auf einem Bild ist noch etwas zu sehen. Ein Kind. Ein kleines Mädchen, vielleicht 5 Jahre alt mit einem wunderschönen Gesicht und langen welligen braunen Locken. Auch das Kind hat er noch nie in seinem Leben gesehen, doch hier hat er es in Arm, glücklich, vertrauensvoll.  Tränen steigen ihm in die Augen, er weiß nicht wieso doch er fühlt plötzlich eine unglaubliche Traurigkeit in sich aufsteigen. So als hätte er plötzlich einen Bezug zu diesem Kind. Er bekommt fast einen Herzinfarkt als das Handy plötzlich einen Ton von sich gibt und er eine Textnachricht empfängt:

 

 

 

„Endlich habe ich dich gefunden du Drecksack! Ich werde dein Leben zerstören so wie du meins zerstört hast.“

 

 

 

Michael wird schwindelig. Wessen Leben soll er zerstört haben? Tausend Fragezeichen schwirren in seinem Kopf rum. Diese entsetzlichen Kopfschmerzen die einfach nicht aufhören wollen. Im Gegenteil sie werden immer schlimmer. Plötzlich ist da wieder diese Stimme in seinem Kopf. Er tippt noch die Worte „Hallo, wer sind Sie und wie kommt das Handy in meine Wohnung?!“ und dann alles wird dunkel um ihn herum….

 

 

 

Kapitel 3

 

 

 

Schreckhaft wird Michael wach. Der Blick aus dem Fenster sagt ihm das es Nacht sein muss. Jedenfalls ist es dunkel und die Straßenlaternen leuchten. Wie lange war er bewusstlos? Oder hat er nur geschlafen? Was ist passiert? Seine Kopfschmerzen sind erträglicher geworden und er erinnert sich plötzlich wieder an das Handy, die Bilder und die Nachricht.

 

Panisch schnappt er sich das Handy. 1 neue Nachricht.

 

Er atmet laut ein als er sie liest.

 

„Ich habe es dort platziert! Habe dich vor 3 Tagen zufällig gesehen und bin dir gefolgt. In deine Bude einzubrechen ist ein Kinderspiel! Du hast mir das wichtigste genommen was ich hatte! Stell dich!“

 

Michael würde gerne laut loslachen, doch er kann nicht. Das ist doch ein Witz.

 

„Was? Wem stellen? Wer sind Sie?“

 

 

 

Erschöpft lässt er sich auf das Sofa sinken und ihm fällt plötzlich auf das seine eigene Wohnung ihm fremd vorkommt. Die Bücher in seinem Regal stehen anders als sie noch gestern standen, dabei hat er sie seit Monaten nicht mehr angerührt. Die Fernbedienung liegt auf dem Sideboard und nicht auf dem Couchtisch wie sonst.

 

„Ich glaube ich werde verrückt“ denkt er sich und spürt wieder diese enorme Müdigkeit in sich aufsteigen. Dabei hat er gerade eben erst geschlafen.

 

Immer noch keine Nachricht von dem Unbekannten. Ist das alles einfach nur ein schlechter Witz? Oder wird Michael wirklich bedroht? Seine Gedanken wirren.  Er muss plötzlich an seine Vergangenheit denken. An das an das er sich erinnern kann. Denn immer, wenn er an seine Kindheit denkt gibt es so viele Lücken, so viel ist wie ausradiert. Er erinnert sich oft an diesen schönen Tag, er muss 5 gewesen sein als er mit seinem Vater und seiner Mutter in den Freizeitpark ging. Wie er lachend Hand in Hand mit seinem Vater durch den Park lief. Seine schönste und eine der wenigen Erinnerungen an seinen Vater. Er starb als Michael 9 Jahre alt war. Er lag einfach tot im Bett morgens. Er weiß das seit diesem Tag alles anders war. Seit diesem Tag fühlt er sich anders, seitdem hört er diese Stimme in seinem Kopf, hat Kopfschmerzen und ist müde. Natürlich war seine Mutter mit ihm beim Arzt, doch dieser konnte nie etwas finden.

 

 

 

 

 

 

 

Der Ton des Handys weckt ihn aus seiner Erinnerung. Er hatte es schon ganz vergessen.

 

„Hör auf mich zu verarschen Adrian!“

 

Wer ist Adrian?

 

„Jetzt weiß ich das sie mich verwechseln. Mein Name ist Michael.“

 

Plötzlich klingelt das Telefon. Michael schreckt auf.

 

„H..Hallo?“

 

„Hör auf mich für dumm zu verkaufen! Du warst es der mir das angetan hat! und dann bist du einfach abgehauen! Steh wenigstens zu dem was du getan hast!

 

„Hören Sie, ich habe Ihnen doch schon gesagt das ich nicht weiß von was sie sprechen. Ich kenne keinen Adrian. Ich bin Michael. Michael Neuberg.“

 

Die Frau am anderen Ende der Leitung atmet tief ein.

 

„Du hast doch nicht etwa einen Zwillingsbruder oder?“

 

„Nein, nicht das ich wüsste“

 

„Dann hast du einen Doppelgänger! Oder du bist es Adrian und verarschst mich, andererseits hörst du dich nicht an wie er, also ihr habt die gleiche Stimme aber… seine ist…

 

„Sagen sie mir doch erstmal ihren Namen, damit ich weiß mit wem ich hier spreche“

 

„Okay das ist verrückt. Ich bin Lisa, Lisa Rüter und Adrian Neuberg hat vor 4  Jahren unsere gemeinsame Tochter umgebracht.“

 

 

 

Kapitel 4

 

 

 

Es ist 3:00 Uhr als Michael an dem zuvor vereinbarten Treffpunkt in der Nähe der Tankstelle ankommt. Er hatte ihr den Treffpunkt vorgeschlagen nachdem sie darauf bestand ihn zu treffen, aber nur im „öffentlichen Raum“ denn sie traut ihm nicht.

 

Als er aus seinem Auto steigt steht dort schon eine Frau, doch sie sieht nicht aus wie die Lisa auf den Fotos. Diese Frau sieht rund 20 Jahre älter aus, verlebt.

 

„Lisa?“

 

„Adrian! Ich wusste du bist es!“

 

Der Schlag ihrer Faust trifft sein Gesicht wie ein Erdbeben. Mit Tränen in den Augen hockt er am Boden und versucht sich zu sammeln. Man kann die zuschlagen. Er spürt wie das Blut aus seiner Nase tropft. Ihm wird schlecht.

 

„Du meine Güte was ist mit dir los? Du kannst ja gar nichts mehr ab. Früher warst du nicht so ein Weichei!“ Seine Kopfschmerzen setzen ein.

 

„Ich kenne sie nicht verdammt nochmal!“ presst er hervor und schreit auf als sie mit ihrer Hand sein Gesicht zusammendrückt und ihn zwingt sie anzusehen.

 

„Halt dein Maul! Hör auf mich zu verarschen Adrian, ich meine es ernst! Was du mir angetan hast ist schlimm genug, aber dass du so tust als wüsstest du nichts mehr davon geht zu weit! Sieh mich an Adrian! Sieh mich an und sieh was aus mir geworden ist. Wie ich aussehe. Ich bin neunundzwanzig und sehe aus wie Ende vierzig. Vom Kummer, vor Wut und vor Verzweiflung.“

 

Ihre zuvor laute und aggressive Stimme wandelt sich bei dem letzten Satz in eine erstickendes krächzen. Michael spürt ihren Schmerz förmlich und obwohl sie ihm gerade wahrscheinlich die Nase gebrochen hat fühlt er das er Mitleid mit ihr hat.

 

„Bitte, Lisa ich bin nicht derjenige. Hier sehen Sie.“

 

Mit zittrigen Händen hält er ihr seinen Personalausweis vor die Nase, wobei man vor lauter Blut an seiner Hand und unter dem schwammen Licht der Straßenlaterne schon gute Augen haben muss um etwas lesen zu können. Doch auch wenn dort deutlich „Michael Neuberg“ steht reicht es nicht um Lisa zu überzeugen. „Die Dinger kann jeder Idiot fälschen! Was soll das beweisen?“

 

Kraftlos lässt sie sich neben ihn auf den Boden sinken. Angelehnt an seinen Wagen. Eine Zeitlang schweigen beide, dann macht Michael Anstalten sich noch einmal zu erklären, doch sie lässt ihn nicht weiterreden. Stattessessen gibt sie ihm endlich Antworten auf seine Fragen. Seine Kopfschmerzen werden stärker.

 

„Es ist sieben Jahre her. Adrian und ich lernten uns vor 7 Jahren kennen.  Wir kamen sehr schnell zusammen, hatten eine wunderschöne Zeit. Er war sehr zuvorkommend, aber auch sehr einschüchternd. In seinen Augen war immer etwas… böses… komisch zu beschreiben. Aber er war toll. Er war oft beruflich unterwegs, manchmal Monate weg, und meist nur ein paar Wochen am Stück bei mir. Ich kannte ihn eigentlich kaum als ich von ihm schwanger wurde. Es war nicht geplant, ich meine ich war 21 und hatte nicht vor Mutter zu werden. Auch er war nicht begeistert, doch wir entschieden uns für das Kind. Wir nannten sie Emma. Sie war das Glück meines Lebens.“

 

„Wir waren glücklich, haben viel gelacht und eine wunderschöne Zeit gehabt. Das siehst du auf den Fotos auf dem Handy.“

 

Sie unterbricht ihre Erzählung und blickt in die Ferne in die sie schon seit Beginn ihrer Erzählung blickt. So als suche sie in den Sternen die Erinnerung die ihr so viele Schmerzen bereitet hat. Michael möchte etwas sagen, doch er spürt das es unpassend wäre. Er merkt ihr an wie viel Kraft sie sammeln muss um weiter zu sprechen und er ahnt, dass ihre Geschichte nicht so positiv weitergeht wie bisher erzählt. Nach einigen Minuten findet sie die Kraft.

 

„Dieses Glück hielt 4 Jahre. Es war Sonntag und einer der wärmsten Tage des Jahres. Ich war in der Küche während Adrian mit Emma im Pool spielte. Plötzlich hörte ich den Schrei. Ich rannte raus und Emma war tot. Er hielt sie weinend in seinen Armen. Er hat behauptet es sei ein Unfall gewesen, dass er wohl kurz nur für einige Sekunden das Bewusstsein verlor. Wohl die Hitze meinte er“

 

Michaels Frage beantwortete sie bereits bevor er sie ihr stellen konnte.

 

„Ich glaube ihm kein Wort davon. Er hat einfach nicht aufgepasst, dabei wusste er das Emma noch nicht schwimmen kann und immer unter Aufsicht bleiben musste! Aber er hat seine Aufsichtspflicht verletzt und meine kleine ist ertrunken.“

 

Ihr lautes Schluchzen weckt Michael aus seinen Gedanken.  Ihm ist als könne er das Erzählte direkt vor seinen Augen sehen so als… als würde er Emmas leblosen Körper im Wasser halten. Aber das ist unmöglich. Er versucht den Schmerz in seinem Kopf weg zu atmen.

 

Er reicht ihr ein Taschentuch was sie dankend annimmt und sich die Tränen aus dem Gesicht wischt.

 

„Das was Ihnen passiert ist tut mir unglaublich leid Lisa, Also… glauben sie nicht mehr das ich… Adrian bin?“

 

„Nein“ schluchzt sie. „Es ist verrückt aber du bist ganz anders als er“

 

„Wann haben Sie das bemerkt?“

 

„Als ich dich geschlagen habe. Wie du zu Boden gegangen bist und geweint hast. So war Adrian nicht.“

 

Wow- Was ein Kompliment. Nicht die erste Frau die ihn ein Weichei nennt.

 

„Wie ging es danach weiter?“ Sein Kopf droht zu platzen.

 

„Naja das übliche. Wir stritten uns heftig, Schuldvorwürfe, Gerichtsverhandlung, unschuldig es sei ein tragischer Unfall gewesen, noch mehr Streit und dann war er weg. Über Nacht sozusagen. Seine Sachen waren weg und es lag nur ein Zettel neben mir auf seiner Seite des Bettes. 9 lächerliche Worte. Ich kann nicht mehr, es tut mir so leid. Ich habe ihn seitdem nie mehr wiedergesehen und konnte ihn auch nie erreichen.“

 

„ich konnte nicht mehr“

 

Lisa schreckt auf und blickt Michael an.  Neben ihr sitzt Michael doch er wirkt verändert.  Während sich Michael eben noch die Nase vor Schmerzen gehalten hat sitzt er nun locker da als wäre seine Nase nicht gebrochen.

 

Noch bevor Lisa etwas sagen kann hat er sie bereits gepackt.

 

 

 

Kapitel 5

 

 

 

Michael fühlt sich wie in Trance. Er bekommt nichts mit, merkt aber das er wach ist, dass er sich bewegt. Sein Körper bewegt sich, doch sein Verstand schläft. Er hört Stimmen, ganz leise und kaum hörbar doch er kann sie hören. Es ist seine eigene Stimme die spricht und die von… Lisa!

 

„Michael?! Was? Ich verstehe das nicht!“

 

„Ich bin nicht…. Ich bin…, er und… sind… Person…“

 

Die Worte verschwimmen und er versteht sie kaum noch. Er fühlt sich wie in einer Blase. Eingeschlossen, abgeschottet. Die beiden streiten sich weiter, schreien einander an, Lisa weint und schlägt die Hände vor ihr Gesicht. Dann ein Knall und alles wird verschwommen.

 

 

 

Als Michael zu sich kommt kann er sich nicht bewegen. Er glaubt schon immer noch zu schlafen doch dann spürt er den Kabelbinder an seinen Handgelenken und Knöcheln die langsam ins Fleisch schneiden. Er blickt sich um. Er ist in einer fremden Wohnung. Genauer gesagt in einem Wohnzimmer. Es wirkt verlassen hat kaum persönliche Gegenstände, abgesehen von den Fotos an der Wand. Sie zeigen ein kleines Mädchen „Emma“. Es muss Lisas Wohnung sein. Kaum gedacht kommt sie schon um die Ecke, mit einer Waffe in der Hand.

 

 

 

„Lisa!“ schreit er verängstigt und versucht sich von seinen Fesseln zu befreien, vergeblich. Lisa hält die Waffe auf ihn gerichtet, beobachtet ihn scharf und setzt sich vor ihn auf einen Hocker.

 

„Herrgott nochmal, was ist denn passiert? Wie bin ich hierhergekommen?! Eben saß ich noch auf dem kalten Boden vor meinem Auto!“ Michael windet sich, versucht eine Erklärung für all das zu finden.

 

„Bist du Michael?!“

 

„Was?“

 

„Bist du es! Antworte!!!“

 

„Ja! Ja ich bin Michael! Ich bin seit 34 Jahren Michael! Wer sollte ich denn sonst sein?! Bitte was passiert hier?! Wieso haben Sie mich gefesselt!

 

„Bitte hör doch mal auf mich zu siezen! Also hör zu. Du hast echt ein Problem. Du musst wissen das ein paar Stunden vergangen sind seit wir uns auf dem Parkplatz unterhalten haben. Inzwischen ist einiges passiert“

 

Lisa wirkt mitgenommen und er spürt das dieser Tag kein guter wird.

 

„Es wird Zeit das dir einiges erklärt wird. Glaub mir ich wusste es selbst nicht und ich bin noch immer total schockiert darüber. Vorhin war ich kurz in deiner Wohnung nachdem ich erfahren habe was mit dir los ist und habe deine Mutter angerufen. Die hattest du mir ja in der ganzen Zeit nie vorgestellt und behauptet ihr hättet keinen Kontakt. Sie wusste nicht mal etwas von Emma! Deine Mutter ist auch hier und sie wird dir nun etwas sagen müssen.“

 

Eher er sich versieht kommt seine Mutter ins Wohnzimmer. Obwohl er sie mindestens 1-mal pro Woche besucht hat er das Gefühl als hätte er sie monatelang nicht mehr gesehen. Er erkennt sie kaum wieder. Tränen stehen Renate Neuberg in den müde wirkenden Augen und sie blickt betroffen zu Boden so als könne oder wolle sie ihm nicht in die Augen sehen.

 

„Mama?!“

 

„Es tut mir leid Michael. Hätte ich gewusst was du getan hast, hätte ich gewusst das er wieder da ist, dann hätte ich es dir schon viel früher erzählt“

 

„Was? Was erzählt?! Sag es mir endlich!“

 

Renate atmet tief ein und aus und lässt sich angespannt neben Lisa aufs Sofa fallen. Lisa hält ihre Hand und ermutigt sie.

 

„Michael, sag mir was weißt du über deinen Vater? Woran erinnerst du dich?“

 

Sein Vater? Seit Jahren haben Sie nicht mehr über Rolf Neuberg gesprochen, der als Michael 9 Jahre alt war morgens tot in seinem Bett lag. Michael erwähnt den Tag im Freizeitpark, als er Hand in Hand mit ihm lief, an sein Lächeln und wie glücklich Michael damals war.

 

„Sonst erinnerst du dich an nichts? Bist du sicher?“

 

Michael nickt. Was will sie denn wissen?

 

„Schatz, dein Vater hat dich seit deinem 5 Lebensjahr misshandelt. Deine einzige Erinnerung an ihn befindet sich 3 Wochen bevor er es das erste Mal tat.“

 

 

 

Ein großer Kloß hat sich in seiner Luftröhre gebildet den er versuchte runterzuschlucken. Er kann nichts sagen, starrt nur zwischen seiner Mutter und Lisa umher.

 

„Was redest du da?! Hör auf sowas zu sagen! Papa war ein guter Mann!“

 

„Papa war ein Schwein! Er hat dich und mich misshandelt! Und das 4 Jahre lang! Ich war nur zu ängstlich etwas zu tun und das tut mir so leid. Es tut mir leid was er dir angetan hat!“

 

Tränen rinnen ihm aus den Augen. Er kann das alles nicht glauben. Er will es nicht glauben.

 

„Das ist nicht wahr! Wenn es wahr wäre müsste ich mich daran erinnern können!“

 

„Du hast es verdrängt. Und du hast vergessen das du eine gespaltene Persönlichkeit entwickelt hast als du 6 Jahre alt warst. Du hast Adrian vergessen.“

 

 

 

Kapitel 6

 

 

 

Adrian. Wie oft er diesen Namen in den letzten Stunden schon gehört hat. Es kommt ihm vor wie ein Alptraum. Er sitzt da in diesem Wohnzimmer, gefesselt, vor ihm seine Mutter und diese Frau. Erzählen ihm all das und er ist mittendrin, kann nicht weg, hat das Gefühl er müsste schreien um aus diesem schrecklichen Traum erwachen zu können. Doch es ist real. Seine Schmerzen in Nase und Handgelenk sind real, die Worte die seine Mutter gerade in diesem Moment zu ihm spricht sind real und seine Kopfschmerzen sind real, die nun so stark sind wie noch nie zuvor.

 

 

 

„Du hast diese Krankheit seit du sechs Jahre alt bist. Die Ärzte und Psychologen haben gesagt es ist durch die Misshandlung passiert. Du brauchtest jemanden der das mit dir durchsteht. Adrian war stärker als du, er war mutiger und konnte das alles durchstehen. Du warst noch zu klein. Wenn Papa abends in dein Zimmer kam war Adrian es der im bewussten zustand war. Du Michael warst in dem Moment nicht präsent.  Es war ein Schutzmechanismus deines Verstandes.“

 

 

 

„Wie kann das sein? Die Ärzte haben nie was gefunden! Meine Kopfschmerzen, meine Müdigkeit… sie sagten das wäre normal!“

 

 

 

„Ich habe dir das erzählt, aber es war eine Lüge. Nach Papas Tod kam Adrian nicht mehr hervor, er war weg. Und du hast ihn nach einiger Zeit vergessen. Ich beschloss das es besser so wäre und habe dafür gesorgt das du dich nicht an ihn erinnerst. Mit Erfolg. Die Ärzte wollten weitere Untersuchungen durchführen, Tests machen und mit dir sprechen, doch ich habe alles abgelehnt. Ich dachte es sei das Beste, das richtige. Ich wusste ja nicht das er wieder vorgekommen ist, dass er ein Kind hatte das… du ein Kind hattest.“

 

 

 

„Das ist doch verrückt! Das ist vollkommen irre! Soll das bedeuten das meine Müdigkeit, meine Kopfschmerzen und meine Gedächtnislücken daherkommen? Das heißt nicht ich habe meinen Job gekündigt, sondern Adrian? Deshalb verändern sich Dinge in meiner Wohnung. Jetzt ergibt alles Sinn, aber das kann doch nicht wahr sein. Ich habe das nicht gewollt, ich wusste nichts von Lisa und Emma. Ich habe nie jemandem wehtun wollen, schon gar nicht töten. Es tut mir so leid!“

 

 

 

Tränen laufen ihm über die Wangen und er schmeckt den salzigen Geschmack. Sein ganzer Körper ist krampfhaft verspannt was nicht nur an der Haltung liegt in der er sich seit Stunden befindet. Er spürt, dass das ganze nicht nur seelisch, sondern körperlich an ihm haftet.

 

Seine Mutter beugt sich zu ihm runter und streicht liebevoll mit ihrer Hand über seine glühende Wange. Ihm ist als hätte er seit Ewigkeiten keine menschliche Nähe mehr gespürt und als hätte er diese liebevolle Geste gar nicht verdient. Und obwohl er weiß das es ein Unfall war fühlt er sich als hätte er das Mädchen mit bloßen Händen ertränkt.  So viele Fragen schwirren in seinem Kopf. Wut steigt in ihm auf.

 

 

 

„Bitte sei nicht böse auf mich. Ich wollte nur dein bestes. Ich wollte dich schützen“

 

„Mich schützen?“ Michael lacht auf und blickt seiner Mutter in die Augen. Ihr ist sofort klar dass es Adrian ist der nun zu ihr spricht.

 

„Du willst mich schützen? Du hättest nicht zulassen dürfen das er mich anfasst! Du hättest mit mir gehen müssen! Ihn verlassen und anzeigen! Du hast mich nicht beschützt, sondern an dieses Monster verfüttert! Abend für Abend! Es kommt so viel wieder hoch! Ich erinnere mich wieder wie es war. Es tut so weh! Es tut so weh mich daran zu erinnern. Ich habe das alles durchstehen müssen, wir haben das durchstehen müssen. Michael und ich! Nicht nur er hat es verdrängt, sondern auch ich! Meine Tochter zu verlieren war jedoch noch schlimmer. Lisa es tut mir leid was geschehen ist. Ich wollte nie das etwas passiert das musst du mir glauben.“

 

Seine Stimme bricht und er muss tief Luft holen um nicht völlig auszuflippen. Seine Fesseln sind ihm mittlerweile egal, er spürt nur noch Hass und Verzweiflung.

 

„Es tut mir leid!“ flüstert Renate während sie sich wieder auf die Couch zurückzieht.

 

„Wie geht es jetzt weiter? Was tun wir jetzt?“ fragt Lisa die mittlerweile die Pistole zur Seite gelegt hat.

 

„Ich will zu einem Arzt. Ich brauche Hilfe.“ flüstert er während er Renate einen bösen Blick zuwirft.

 

 

 

 

 

Kapitel 7

 

 

 

3 Wochen später sitzt Michael bereits in einer Psychologischen Praxis. Vor ihm eine Frau mittleren Alters die interessiert durch ihre Brille blickt und ihn Mustert. Es ist seine erste Sitzung bei Frau Dr. Klein. Erfahrene Psychotherapeutin für Traumata und Dissoziative Identitätsstörung

 

Er fühlt sich gut, den Umständen entsprechend. Nach einigen Ärztlichen Untersuchungen möchte er jetzt lernen wie er mit seinem Trauma umgeht und wie er mit seiner Krankheit umgehen und besser leben kann. Arbeiten kann er noch nicht, aber Henry hat ihm, nachdem er erfahren hat was mit ihm los ist zugesichert das er wieder bei ihm anfangen kann sobald es sein Zustand zulässt.

 

 

 

„Wie würden Sie nun die Beziehung zu Ihrer Ex Freundin beschreiben Herr Neuberg? Nachdem was sie mir erzählt haben“

 

„Naja im Grunde ist sie ja nicht meine. ich meine .. ich war nicht mit ihr zusammen aber, Emma ist von mir… wir verstehen uns ganz gut. Nachdem sie alles erfahren hat, hat sie mir verziehen. Naja sie Arbeitet daran.“

 

 

 

 

 

Zur gleichen Zeit sitzt Lisa bei Renate am Küchentisch. Die beiden haben sich trotz der Umstände angefreundet. Lisa hat Verständnis für Renates Verhalten, denn Emmas Tot war ein Unfall, da ist sie sich mittlerweile sicher. 

 

„Wie geht es ihm?“

 

„Gut. Naja glaube ich zumindest. Er hat eine Therapeutin gefunden. Er meldet sich kaum bei mir. Meistens rufe ich ihn an. Unser Verhältnis ist angespannt, er meint er braucht Zeit- Die gebe ich ihm“

 

„Er wird seinen Weg machen da bin ich sicher. Es ist das Beste für ihn und ich denke es ist gut, wenn er es schafft das Adrian sich im Hintergrund aufhält“

 

Renate schweigt betreten und atmet tief ein und aus

 

„Er ist jetzt schon sauer auf mich, dabei habe ich ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt.“

 

„Was meinst du damit?“

 

„Wenn Michael die Wahrheit erfährt, ich meine die ganze Wahrheit dann…“

 

Ihre Stimme bricht und sie hält sich den Tränen nahe die Hände vor ihr Gesicht.

 

„Was ist den passiert? Von was redest du?

 

„Ich musste ihn schützen, vor sich selbst. Ich konnte ihn nicht vor seinem Vater schützen aber musste ihn vor sich selbst schützen. Er darf es nicht erfahren“

 

Energisch nimmt Lisa Renates Hände in ihre: „Bitte sag mir was passiert ist? Was darf er nicht erfahren?!“

 

„Er darf nicht erfahren das er seinen Vater in dieser Nacht ermordet hat“

 

 

 

Kapitel 8

 

 

 

 

 

Lisa hört schockiert zu wie Renate ihr erzählt was damals in der Nacht geschehen ist. Wie Michael in der Nacht ins Schlafzimmer kam mit dem Kissen in der Hand. Sie wurde erst wach als es schon zu spät war. Rolf wurde im Schlaf erstickt, von seinem eigenen Sohn der in dem Moment wie in Trance gewesen sein muss um diese Kraft aufbringen zu können. Sie erinnert sich noch an sein Gesicht als er es tat. eine Mischung aus Verzweiflung, Wut und Trauer. Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen. Eine Tat aus Verzweiflung. Die Verzweiflung eines Kindes. Nach seiner Tat fiel er in einen tiefen und langen Schlaf, so als wüsste sein Körper nun das es vorbei ist. Renate hat ihm nie gesagt was geschehen ist und da Rolf schon seit Jahren Herzprobleme hatte hielt man es sowieso für einen natürlichen Tod. Im Grunde war sie ganz froh das er tot war. So konnte auch ihr Schmerz endlich aufhören. Sie ist sich sicher das Michael einen guten Weg gehen wird und dass er nun eine gute Chance hat ein normales Leben zu führen.

 

 

 

One thought on “Das Handy

  1. Hallo Nathalie. Deine Grundidee hat mir gut gefallen, auch das Rache Motiv fand ich gut. 👍🏻
    Hast dir ein schweres und komplexes Thema für eine Kurzgeschichte ausgesucht – Respekt!
    Gruß, Katrin

    Vielleicht magst du ja meine Geschichte “… Und raus bist du!” auch lesen. Würde mich freuen 😊

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