GBHöllenfahrt

 

17:04

 

„Ihres?“

Helge deutete auf das scheinbar herrenlose Smartphone das auf der Theke lag, als die Dame dahinter ihm seinen Kaffee gab.

Nein“ antwortet diese, kurz und prägnant wie man es von den typischen osteuropäischen Rasthof-Angestellten gewohnt war. „Wissen sie wem das gehört?“

Die Dame zuckte mit den Schultern, hob die Hände und schob die Unterlippe nach vorne. Helge lies den Blick durch die Raststätte gleiten, wirklich niemand war in der Nähe dem das Gerät gehören könnte. Er nahm es in die Hand, es war eingeschaltet. Er zögerte eine Sekunde, aber dann berührte er das Display, welches ihn aufforderte nach oben zu wischen. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen sein eigenes Smartphone ohne PIN oder Fingerabdruckscan zu betreiben, was seine Neugier an dem Gerät noch verstärkte, also tat er wie vom Display befohlen und wischte nach oben.

Es waren keine Apps installiert, er sah nur die Icons für Kontakte und Bilder. Helge runzelte die Stirn.

Wer betreibt den sein Handy so abgespeckt?

Er tippte auf das grüne Kontakte Icon, es war kein einziger Kontakt gespeichert.  Also tippte er erst auf das kleine graue Dreieck, dann auf Bilder, ein fingernagelgroßes blau-weißes JPEG Logo erschien. Helge tippte mit dem Daumen darauf.

Es dauerte ein paar Sekunden, doch als sich das Bild öffnete, fühlte er wie wenn er einen elektrischen Schlag bekommen hätte.

Er starrte regungslos auf das kleine schwarze Gerät in seiner Hand, sein Herzschlag beschleunigte sich und er spürte wie sich Schweiß auf seinem Rücken bildete. Das Foto zeigte ein Polaroid Sofortbild das auf einem Tisch lag. Auf dem Polaroid war Helge der an einem Tisch saß zu sehen. Am unteren weißen Rand des Polaroids hatte jemand „Südklinikum, 1993“ mit Kugelschreiber geschrieben.

Panik machte sich in ihm breit, der Schweiß rann ihm nun überall am Körper herunter. Niemanden hatte er erzählt das er damals in Behandlung gewesen war, noch nicht einmal seiner Frau. Er sah sich hektisch um.

Wer hatte das Smartphone auf der Theke liegenlassen?

Helge spürte ein vibrieren in seiner Hand, kurz danach begann das Handy zu klingeln. Der Schweiß seiner Hand bildete mittlerweile kleine Tropfen auf dem Display, erst nach mehrmaligen Versuchen gelang es ihm den kleinen Kreis in Richtung des grünen Hörers zu wischen.

„Hallo Helge“ meldete sich am anderen Ende eine ruhige Männerstimme.

„Wer…wer sind sie?“, schoss es aus Helge heraus, die Worte überschlugen sich fast in seinem Mund.

„Paul Krämer, sag bloß du kennst mich nicht mehr?“ ein weiterer Adrenalinschub schoss durch Helges Körper.

Paul Krämer war 1993 zur gleichen Zeit, wie er, in der Tagespsychiatrie wegen einer schizoiden Persönlichkeitsstörung in Behandlung. Niemand wusste zu dem Zeitpunkt, dass die Medien ihn 7 Jahre später als Aassammler von Nürnberg als einen der bestialischsten Serienmörder Deutschlands beschreiben würden.

„Doch, Paul, ich kenne dich natürlich noch…“, Helges Gedanken rasten während er das aussprach,

Woher kam das Handy, wie hatte er mich ausfindig gemacht und was will Paul nach all der Zeit? 

Sie waren damals in derselben Klinik, Paul wegen seinem schizoiden Problem, Helge wegen einer rezidivierenden Depression. Helge hatte nach seiner Entlassung alle Kontakte zu ehemaligen Patienten in der Klinik abgebrochen und ein neues, aus seiner Sicht, erfolgreiches Leben in einer Kleinstadt im Nürnberger Speckgürtel begonnen. Nie wieder wollte er etwas mit diesen Menschen zu tun haben. In seiner jetzigen Welt waren alle Menschen gutaussehende, gutverdienende Gewinnertypen, jedes Anzeichen von psychischen Krankheiten würde als schwäche Interpretiert werden.

„Warum hast du mich denn nie in der Haft besucht Helge? Wir hätten da noch etwas zu besprechen….“

Helge wusste aus den Medien das Paul Krämer 16 Frauen getötet hatte, die Überreste hatte er an verschiedenen Orten aufbewahrt um sie immer wieder in seine brutalen und destruktiven sexuellen Fantasien mit einbauen zu können.

Schlussendlich hatte man ihn überführt weil ein Hochwasser seine Garage überschwemmte und 2 Plastikfässer von den Fluten mitgerissen wurden. In einem war der Torso, in dem anderen die Beine einer jungen Frau, beide im stark fortgeschrittenem Verwesungsstadium. Helge wusste das Paul verurteilt war und er nun in Sicherungsverwahrung saß. Da er, wenn man den Boulevard Medien glauben wollte, seit seiner Verurteilung mit keinem Menschen mehr gesprochen hatte, noch nicht einmal mit seinem Anwalt, saß er nicht im Gefängnis sondern im Maßregelvollzug einer Forensischen Klinik.

„Paul, wieso kannst du telefonieren? Ich dachte du bist im Hochsicherheitstrakt?“

„Das bin ich auch, lass das mal meine Sorge sein woher ich ein Telefon habe“, Helge spürte durch das Telefon wie Paul grinste, nach einer kurzen Pause die eine Ewigkeit zu dauern schien, sagte Paul: „Helge, wo ist sie?“

„Wo ist wer?“

„Viola“

„Ich kenne keine Viola!“ ,eine Sekunde nachdem Helge das aussprach realisierte er das er beinahe ins Telefon schrie, er schaute sich hektisch um.

Hat das jemand gehört? Scheiße, beobachtet mich irgendjemand?!

„Natürlich kennst du Viola, Helge, du hast mich damals auf den Geschmack gebracht, und du weißt wo sie ist…“

„Ich kenne keine Viola, und weiß auch nicht wo sie ist!“

Helges Herz raste, er befürchtete ohnmächtig zu werden. Am anderen Ende erklang ein gespieltes Lachen

„ Ha, Ha, Ha, Helge. 17 Vögelchen habe ich vernichtet. Von 16 weiß ich wo ihre Überreste sind und von einer weißt nur du es. Ich schlage dir einen Deal vor, du führst mich zu ihr und ich erzähle niemanden von dem etwas… ….etwas aus dem Ruder gelaufenem Drogenkauf damals bei Viola. Wenn du mich zu ihr führst, bleibt das weiterhin unser beider Geheimnis, niemand wird je erfahren das wir damals etwas……überreagiert haben. Falls nicht, werde ich deiner Frau sowohl die Fotos aus der Klinik als auch deine gesamte Krankenakte schicken. Schwere rezidivierende Depression, teilweise Suizidgedanken, Einweisung auf dringendem Anraten des Hausarztes“

Jedes Wort fühlte sich an wie ein Schlag in Helges Magengrube.

“Wäre doch schade, wenn deine Frau erfahren würde das du gar nicht so ein toller Hecht bist wie du vorgibst? Mittleres Management, 90.000€ im Jahr plus Firmenwagen, Ex-Models wie deine Laura stehen nicht auf Looser-Psychos, oder etwa doch?

Tolle Welt die ihr euch da aufgebaut habt, das Geld bringt scheinbar nur das Beste in dir zum Vorschein…. Es geht mir auch gar nicht darum der Polizei zu erzählen was du mit Viola gemacht hast, nein, das kann Laura dann tun wenn sie möchte. Ich will deine Existenz zerstören falls du mich nicht zu ihr führst.“

„Ich kenne keine Viola!“ schrie Helge, jetzt schauten sich doch einige der Raststätten Besucher nach ihm um.

„Schau Helge, ich weiß das sie irgendwo in der Nähe von dem Südklinikum sein muss, du hast bis dahin jetzt noch eine Stunde Fahrtzeit vor dir, setze dich ins Auto und fahr los. Wenn du dort angekommen bist werde ich dich wieder anrufen.“ Paul legte auf. Helge starrte auf das Handy in seiner Hand, sein Herz schlug immer noch viel zu schnell, sein Blickfeld begann sich an den Rändern zu schwärzen. Der Gedanke das Laura erfahren könnte, dass er in psychiatrischer Behandlung war, löste einen Schmerz in der Magengegend in ihm aus, als wollte er sich übergeben.

„Hallo, ist alles okay bei ihnen?“ die Worte des kleinen Südländischen Mannes der ihn am Arm Packte und ins Gesicht schaute riss ihn aus seinen Gedanken. Er war auf ein Knie gegangen, jetzt stand er wieder auf, bedankte sich bei dem Südländer und lief zu seinem Wagen. Helge stieg ins Auto und fuhr mit quietschenden Reifen Richtung Nürnberg von der Raststätte. Sein Gesichtsfeld hatte sich zu einem Tunnel verengt.

Er nahm nicht wahr, dass die Person hinter dem Steuer des Seat Leon, der auf dem Parkplatz schräg gegenüber parkte seine Schritte verfolgt hatte.

Der Seat setzte sich kurz nach Helge auch in Bewegung Richtung Nürnberg.

17:19

„Ist er auf dem Weg?“

„Ja Paul, deine Worte haben ihn ganz schön durcheinander gebracht“, Jennifer kicherte. Sie saß am Steuer des Seat Leon, der Pauls Wagen auf der A9 Richtung Nürnberg folgte.

„Das ist gut, so soll es auch sein“ antwortete Paul“ folge ihm wie besprochen, sobald er in Nürnberg ankommt, bekommt er weitere Anweisungen von mir.“

Wenn das alles hier vorbei war würden sie beide sich ein neues Leben aufbauen, als Krankenpflegerin in der Forensik wusste sie was die Gutachter hören wollen um Paul aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen.

Sicherlich, es würde Jahre dauern bis Paul als resozialisiert gelten würde, aber ihre Beziehung dauerte nun auch schon fast 4 Jahre. In der Ausbildung zur Krankenpflegerin wurden sie darauf aufmerksam gemacht das es Hybristophilie gab, damit wurde die Neigung von Frauen zu Straftätern bezeichnet. Ihnen wurde eingeschärft das sich die betroffenen Frauen ihre Liebe oft nach dem Aber Meiner Ist Ganz Anders – Syndrom schönreden würden, aber Jennifer war wirklich der Meinung das Paul sie genauso liebte wie sie ihn. Er schenkte ihr die Aufmerksamkeit die sie sich ein Leben lang gewünscht hat. Außerdem empfand sie es als großes Privileg das Paul mit ihr sprach, nur mit ihr.

Paul hatte schließlich vorher 8 Jahre lang mit niemanden überhaupt gesprochen.

17:26

Scheiße Mann, SCHEIßE, SCHEIßE, SCHEIßE!

Helges Gedanken drehten sich wie ein Wirbelsturm in seinem Kopf.

Wie hatte der Irre das Telefon auf der Theke platzieren können? Wie konnte er überhaupt telefonieren, er war doch im Hochsicherheitstrakt der Forensik fest eingebuchtet?

„Was mache ich jetzt?“ sprach Helge zu sich selbst. Er raste mit 180 KM/H die A9 entlang.

Erstmal musst du dich beruhigen

Was wollte Paul von ihm? Sicher, sie waren gemeinsam in der Psychiatrie, damals, sie hatten sich auch etwas angefreundet auch gemeinsam Gras geraucht, aber Helge kannte keine Viola!

Auf jeden Fall musste Helge verhindern das Laura das Foto und seine Krankenakte bekam.

Seit 27 Jahren hatte er mit niemanden über seine psychischen Probleme gesprochen, jetzt war er 47, und auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Sein ganzes soziales Umfeld bestand aus Menschen die in ihrem Leben kaum negative Erlebnisse machen mussten. Für sie war der Aufenthalt in einer Psychiatrischen Klinik ein NO-GO. Die meisten würden den Kontakt zu ihm abbrechen, denn genauso war es dem kleinen Timon ergangen.

Er war ein Kollege von Helge gewesen, als Gruppenleiter einer kleinen Abteilung in etwa auf gleicher Hierarchiestufe. Timon outete sich, auch auf Anraten seiner Therapeutin, als ein an Depressionen Erkrankter. Er nahm Medikamente, Sertralin, Helge googelte den Namen des Medikamentes, es stellte sich heraus, dass das Sertralin eine verbesserte Version des von ihm 1993 eingenommen Paroxetin ist. Beide gehörten der Gruppe der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern an.

Diese Medikamente halfen den Patienten im Alltag zu funktionieren. Nachteil der Präparate war aber das sie eben auch die Suizidalität des Patienten erhöhten. Und genau das wurde dem kleinen Timon zum Verhängnis. Nach einer ersten Welle der Solidaritätsbekundungen wurde er mit der für Kleinstädter so typischen Grausamkeit als Außenseiter behandelt.

Keiner wollte oder konnte mit einem psychisch erkrankten umgehen. Ein halbes Jahr später etwa fand man Timon erhängt auf seinem Dachboden.

Helge spürte Hitze in ihm aufsteigen als er an Timon dachte.

Wenn Paul seine Erkrankung bekanntmachen würde, würde ihm in etwa das Gleiche bevorstehen. Seine Beziehung zu Laura bestand aus Oberflächlichkeiten, er wusste, dass kaum Gefühle im Spiel waren, ihrerseits wahrscheinlich auch nicht, aber sie beide brauchten eben einen festen Partner um den Schein eines ordentlichen Lebens aufrechtzuhalten.

Laura, er würde Laura anrufen und ihr erklären das es später werden würde heute. Egal was der Irre von ihm wollte, er würde es tun, auch wenn Helge nicht verstand was Paul mit dieser Viola meinte, aber er würde alles tun um zu verhindern das Laura von seiner Vergangenheit erfuhr.

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17:29

„Laura?“

„Ja, Helge, bist du schon auf dem Rückweg?“

Helge atmete bewusst langsam ein und aus, sowie man ihm das in der Klinik damals beigebracht hatte, Entspannungstechniken nach Jakobson hatten die Therapeuten das genannt. Es gelang ihm nur schwer Ruhe zu bewahren, er spürte wie ihm die Hitze den Rücken den Nacken hinauf kroch.

„Ja bin ich. Du, ich wollte dir nur kurz Bescheid sagen, Rudi aus dem Angelverein hat mich angerufen, er hat wohl einen Wasserrohrbruch, er hat mich gefragt ob ich ihm dabei aushelfen könnte das Rohr im Garten freizulegen. Deswegen wird es wohl etwas später werden heute“

„Ohje das ist ja schrecklich, ihm ist aber nichts passiert?“

“Nein was soll ihm auch passieren bei einem Wasserrohrbruch?“, Helge spürte den Zorn in ihm aufkommen wegen dieser typischen Laura-Frage. Sie kannten sich nun 17 Jahre, waren 15 davon verheiratet. Sie war ein Ex-Model, hatte es immerhin geschafft mal ein Bild-Girl zu werden, mit einer Frau wie ihr konnte man sich schon sehen lassen, aber zwischenmenschlich hatte die beiden nichts verbunden. Keine gemeinsamen Hobbys, Freunde oder sonstige Interessen.

„Ich weiß nicht wie lange es dauern wird, aber stell dich bitte darauf ein das es spät wird, okay?“

„Ok, soll ich bei Rudi mal vorbei..“

„NEIN!“, aus Helge platzte schlagartig die ganze Anspannung heraus.

“Nein, sorry das….das ist nicht nötig, du kennst Rudi doch, er ist da immer schnell sehr angespannt, ich glaube nicht das da eine reizende Blondine wie du beruhigend auf ihn einwirkt“

Hoffentlich hat das die Situation jetzt gerettet.

„Okay“, kicherte Laura, „ dann warte ich im Schlafzimmer auf dich, ich habe was tolles bei Amorelie bestellt“

Immerhin, Helge konnte mit seiner Frau zwar kaum ein tiefergehendes Gespräch führen, aber für die Fleischeslust war sie allzeit bereit.

Die beiden verabschiedeten sich und Helge legte auf. Er atmete tief aus und sank in seinem Fahrersitz zusammen, während er weiterhin mit 180km/h über die A9 fegte.

……Viola ………

der Name kreiste in seinem Kopf.

Nun erinnerte er sich doch an sie, sie hing damals 1993 öfters in dem an der Klinik angrenzenden Park herum, den die Patienten zum Rauchen oder frische Luft schnappen aufsuchten. Sie war ein Hippie-girl, Rasta Zöpfe, oft mit einem bunten Stirnband und sie hatte quasi immer ihre lilafarbene Kord-Schlaghose an. Sie war unter den Patienten bekannt, junge Männer zerrissen sich natürlich über jedwede weibliche Erscheinungsform den Mund und da war eine wie Viola eben oft Opfer ihrer Sprüche geworden. Aber mit ihr hatte Helge nie wirklichen Kontakt, einige seiner Mitpatienten hatten hin und wieder etwas Gras bei ihr gekauft, aber weder wusste Helge wo sie war geschweige denn was überhaupt aus ihr geworden ist.

Was also wollte der Irre von ihm?

********************************************************************************17:40

„Okay, er ist kurz vor dem Dreieck Feucht, ruf ihn an“, sagte Jennifer in die Freisprecheinrichtung ihres Seats.

„Sehr gut, folge ihm weiterhin, wenn er anhält und aussteigt, führst du den Plan wie besprochen aus.“

„Auf jeden Fall Paul“, antwortete Jennifer.

Sie hatte schon so viel getan für Paul, wochenlanges observieren von Helge um sein Fahrtrouten als Außendienstler halbwegs vorhersagen zu können, ein Handy mit nichtregistrierter Sim-Karte organisiert (was heutzutage echt schwierig ist) und natürlich das Archiv des Südklinikums nach Helges Akte durchsucht. Sie hatte sich selbst gewundert wie einfach die Schreibkraft im Büro des Südklinikums das gefälschte Mail ihres Vorgesetzten, einem Oberarzt aus der Forensik Lohr, akzeptierte, in dem Stand das eine Krankenschwester vorbeikäme um eine alte Akte zu suchen.

17:42

Das Telefon auf dem Beifahrersitz begann zu vibrieren kurz darauf ertönte der Klingelton, ein Ringen wie bei einem Wählscheiben Telefon.

Okay, dann geht es also weiter.

Helge zitterte wieder als er das Telefon aufnahm, unbekannter Anrufer, wie beim ersten Gespräch. Die Linke Hand ließ er am Lenkrad, mit der Rechten wischte er auf den grünen Hörer und hielt sich das Handy ans Ohr.

„Helge, hier bin ich wieder“

„Und jetzt?“ blaffte Helge in den Hörer.

Bis vor einer halben Stunde war sein Leben in geregelten Bahnen verlaufen. Die Dämonen seiner Vergangenheit hatte er endgültig besiegt.

Alles was ich besitze habe ich mit meinem Schweiß und meinem Verstand selbst erarbeitet. Und das gibt mir das Recht mein Leben so zu Leben wie ich es für richtig halte!

Zumindest glaubte er das, bis er den Irren am Hörer hatte.

„Und Jetzt führst du mich zu ihr“, wieder spürte Helge Pauls Lächeln durch das Telefon.

„Ich hatte mit Viola damals nur ganz kurzen Kontakt, ich kannte sie kaum. Ich weiß weder wo sie ist, noch was sie nun macht“

„Nun, machen wird sie wohl eher nichts, da sie tot ist“, Paul lachte so laut das es in der Verbindung kratzte.

„Ach Helge nun komm schon, ist verdrängen immer noch deine Bewältigungsstrategie? Wie bei einem kleinen Kind? Einfach immer wieder einreden ich war es nicht, solange bis du es selber glaubst?“

Helge spürte wie die Magensäure seine Speiseröhre hinaufdrang.

„Helge, Helge, Helge, dir haben doch damals die Pfleger schon lang und breit erklärt, dass du nicht einfach alles immer verdrängen sollst. Irgendwann kommt das alles wieder. Jetzt zum Beispiel.“, wieder lachte Paul.

„Ich…ich weiß wirklich nicht wovon du sprichst Paul“, Helge sprach mit gepresster Stimme, jedes Wort kam nur mit größter Anstrengung über seine Lippen.

In Helges Kopf schlugen die Erinnerungen ein wie Napalm Bomben.

1993 in der Klinik, Paul fragte Helge woher sie Gras bekämen, sie gingen in den Klinik Park, dort sprachen sie mit Viola. Sie sagte sie könnte etwas verkaufen, das wäre aber bei ihr zuhause.

Vor Helges innerem Auge verfestigte sich das Bild wie einladend und neugierig die junge Viola die beiden angelächelt hat, kein Anzeichen von Furcht oder zögern in ihrem Gesicht.

„Wo bist du jetzt genau?“, Pauls stimme riss Helge aus seinen Gedanken.

„Kurz vor dem Autobahnkreuz A6“ sagt Helge leise, tränen liefen ihm die Wange herab.

„Ah, langsam erinnerst du dich also?“, Pauls süffisanter ton war kaum zu überhören.

„Okay dann fahr auf den Parkplatz Fischbach. Und halte dort an. Wenn du angehalten hast, werde ich dich wieder anrufen“.

Paul legte auf.

Helge dämmerte das sein Leben in Trümmern lag.

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17:51

Helge hatte den Blinker gesetzt, das 300m Abstandschild zum Parkplatz Fischbach war gerade an seinem Beifahrerfenster vorbeigezogen. Er starrte stur geradeaus, scherte dann in den Verzögerungsstreifen ein und fuhr auf den Parkplatz. Auf dem Parkplatz war wie üblich alles mit LKW zugeparkt, tausendmal schon hatte er diese verflucht, weil es für normale Reisende kaum noch Parkgelegenheiten gab. Helge steuerte den Wagen auf den rechten Rand des Parkplatzes zwischen 2 LKW und wartete ab. Links neben ihm kam der schwarze Seat hinter einem parkenden LKW zum Stehen.

Wieder klingelte das Handy, Helge nahm ab und sagte nichts.

„Okay Helge, here we go“, meldete sich Paul wie erwartet am anderen Ende.

„Siehst du den schwarzen Seat Leon, Links neben dir?“

Helge blickte sich um, tatsächlich, links neben ihm stand ein schwarzer Leon mit Würzburger Kennzeichen.

„Hm…“, antwortete Helge, er war immer noch zu aufgewühlt um klare Worte zu fassen.

„Du gehst nun zu dem Auto und steigst auf den Beifahrersitz ein. Am Steuer sitzt eine gute Freundin von mir. Du wirst ihr den Weg zu Viola zeigen, sie muss im Laufamholzer Forst sein, du sagtest damals du bringst sie dorthin. Keine Sorge, Jennifer hat alles dabei was du brauchst.“

„Ich weiß wirklich nicht wo Viola ist….“schluchzte Helge, sein Kinn sank ihm auf die Brust.

„Ach Helge, komm schon, wir haben es fast geschafft. Du zeigst Jennifer wo Viola ist, danach ist alles wieder wie früher, ich werde dich nie mehr belästigen.“

„Wir haben damals das Gras bei ihr gekauft und sind wieder gegangen, woher soll ich wissen wo Viola ist, beziehungsweise ob sie noch Lebt?“

„Sie lebt ganz sicher nicht mehr. Mensch Helge, deine Verdrängungstaktik ist echt der Wahnsinn. Mir haben viele Psycho Docs hier in der Forensik ja erklärt, dass das mit der Verdrängung so gar nicht funktioniert, auch wegen Freud und BLABLABLA, aber du hast es echt erfolgreich geschafft. Ich helfe dir mal auf die Sprünge: Wir waren damals bei ihr, haben 2 Gramm für 20DM gekauft, soweit erinnerst du dich?“

„hm…“ Wieder war Helge kaum in der Lage ein Wort auszusprechen.

„Danach war Viola kurz auf der Toilette, wir saßen in ihrem Hippie Wohnzimmer, du weißt doch, die ganzen Batiktücher, Räucherstäbchen, der ganze Balkon voll mit Pflanzen und ihren Gartenwerkzeugen, die war schon bisschen durch den Wind, die Viola, oder?“

Helge warf den Kopf in den Nacken und kniff die Augen so fest zusammen das es schmerzte. Er sah die Szenerie bildlich vor sich, wie Paul neben ihm auf der Couch saß und ihn fragte ob das nicht die Gelegenheit für einen dreier war, jetzt da Viola sie in ihre Wohnung mitgenommen hatte. Helge hatte der Gedanke sichtlich gefallen, Viola war schließlich nett und offen zu den beiden halbstarken Jungen gewesen, immerhin hat sie sie ja mit zu sich genommen. Sie beschlossen das ganze mal zu versuchen sobald Viola wiederkam.

„Ah Helge du erinnerst dich nun also doch“, feixte Paul am Telefon. “also geh hinüber zu dem schwarzen Leon, und zeige meiner Freundin wo sie ist.“ Paul legte auf.

Helge ließ das Telefon fallen. Wieder sank ihm das Kinn auf die Brust.

Dann sah er zu dem Leon hinüber, niemand war ausgestiegen.

Sein Kopf sank wieder auf die Brust.

Wenn ich hier rauskommen will, muss ich machen was er sagt

Er spürte Wut und Verzweiflung, aber er hatte keine andere Wahl. Mit der Linken Griff er nach dem Türöffner, er brauchte 4 Versuche um die Wagentür zu öffnen.

Wortlos und mit gesenktem Blick ging er zu dem Leon hinüber. Er öffnete die Beifahrertür und lies sich auf den Sitz fallen. Helge vernahm den typischen Neuwagen-Plastik Geruch.

Er schaute zum Fahrersitz hinüber, ihm gegenüber saß eine Junge Blondine, Ende 20 mit einer schwarzen Strickmütze, die ihn fragend ansah.

********************************************************************************17:59

„Du bist Helge?“

Er nickte kurz und starrte regungslos durch die Frontscheibe. Die Frau am Telefon drückte Verschiedene Knöpfe an ihrem Multifunktionslenkrad, Helge bemerkte im Augenwinkel das sich auf dem Display in der Mitte des Wagens etwas änderte, aber er starrte weiterhin Regungslos durch die Frontscheibe.

Die blonde Frau hatte Paul angerufen, nach 2 Pieptönen ging er ran.

„Okay, Paul. Er ist bei mir im Wagen, wir telefonieren via Freisprechvorrichtung.“

„Sehr gut Jennifer“, gluckste Paul.

„Nun Helge, zeige der Jennifer den Weg zu ihr…..“

Helge war erstarrt. Sollte alles was er sich die letzten 27 Jahre aufgebaut hatte nun vorbei sein? War er wirklich ein psychopathischer Mörder?

Nein, er war keine Mörder. Er konnte keiner sein. Und er war auch kein Schwächling, der an einer psychischen Störung erkrankt war. Er würde Pauls Wunsch nachkommen und danach würde alles wieder wie früher sein.

„Ok“ sagte Helge, „fahr los. Fahr dort an dem Rastplatz in den Wald, dort auf den kleinen Weg wo „nur für Straßendienstfahrzeuge steht“

„Na also Helge, geht doch“ sagte Paul durch die Freisprecheinrichtung.

Helge lotste das Auto kreuz und quer durch den Laufamholzer Forst, Paul der die ganze Zeit am Handy zuhörte schien ungeduldig zu werden.

„Findest du es nicht mehr? Kann ich verstehen, warst ja damals ganz aufgeregt, immerhin hattest du sie ja noch lebend“, Paul kicherte.

In Helges Erinnerung lief es ab wie in einem Film. Viola kam in das Wohnzimmer zurück. Sie setzte sich auf die gegenüberliegende Couch und lächelte die beiden freundlich an. Helge fragte ob sie nicht herüber auf ihre Seite kommen wolle, was sie zu Paul und Helges Verwunderung auch tat. Sie setzte sich genau zwischen die beiden, lächelte immer noch und sah zum Boden. Dann blickte sie zu Helge herüber, nach wie vor lächelnd fragte sie“ was habt ihr denn jetzt vor mit mir?“

„Wir hatten ein bisschen rumgemacht, das war alles du Irrer!“, schrie Helge unvermittelt in die Freisprecheinrichtung.

Jennifer erschrak sich und verriss fast das Lenkrad, während sie weiterhin durch den Forst fuhren, Helge sagte an jeder Kreuzung wahlweise links oder rechts, aber Jennifer kam es so vor als wüsste Helge selbst nicht wohin. Sie hatte jedenfalls schon länger die Orientierung komplett verloren.

„mehr oder minder….ja“, Paul lachte wieder, dann setzte er ohne einen Hauch von Humor nach: „Paul Schluss jetzt mit dem sinnlosen hin und her Gefahre. Du bringst Jennifer auf der Stelle zu ihr!“

Helge sank im Sitz zusammen. Das Auto wurde langsamer, als es an eine Weggabelung kam. Da Helge keine Richtung vorgab hielt Jennifer an und sah fragend zu Helge.

Ich muss es beenden. Wenn ich meine Leben retten will muss ich tun was er will.

In Helges Kopf tobte ein Wirbelsturm aus Gedanken. Er Kämpfte gegen die Erinnerung an diesen verhängnisvollen Abend bei Viola an. Helge beugte sich ruckartig nach vorne, kniff wieder die Augen zusammen, dann ließ er seinen Rücken zurück auf die Lehne fallen, er schaute mit gesenktem Kopf zu Jennifer, die schaute ihn weiter fragend an. Er sah ihr direkt ins Gesicht, seine Blicke gingen aber durch Jennifer hindurch.

…Es gibt nur eine Möglichkeit hier herauszukommen…

Nach einer gefühlten Ewigkeit schaltete er das Display in der Fahrzeugmitte auf Navigationsgerät um und drehte das linke Rädchen etwas nach links um heraus zu zoomen, er erkannte nun wo sie in etwa waren. Ohne Jennifer anzusehen deutete Helge auf einen Punkt auf der Landkarte und sagte mit leiser trockener Stimme:

„Fahr zu der Einfahrt dort am Autobahnkreuz, von dort aus kenne ich mich aus“

********************************************************************************18:11

Nach dem sie an dem von Helge angezeigtem Punkt angekommen waren sah sich Helge genauer um, er dirigierte den Wagen nun zielgerichtet. Jennifer schien es so als ob er nun wirklich wüsste wo er hinfahren wollte. Paul hörte die ganze Zeit mit, jede Anweisung Helges kommentierte er mit dämlichen Kommentaren.

„okay, stopp, hier…… hier ist es.“, Helge deutete auf eine Weggabelung. Jennifer stellte das Auto ab.

„AHHHHH, der Helge, jetzt hat er es ja doch gefunden!“ Pauls Erregung war kaum zu überhören.

„Okay, wir steigen jetzt aus, ich melde mich sobald wir was haben“ gab Jennifer Paul zu verstehen.

„Gut, und Helge, nicht vergessen: Zeige der Jennifer wo sie ist und du kannst dein Leben wieder weiterleben wie zuvor als ob nichts geschehen wäre.“

Jennifer stoppte den Motor, öffnete die Tür und stieg aus. Dadurch war die Zündung ausgeschaltet worden und Paul war nicht mehr bei ihnen. Helge hielt sich am Griff über der Tür fest und starrte wieder durch die Frontscheibe. Vor seinem Geistigen Auge erschienen die Szenen von damals wie ein Blitzlichtgewitter.

Helge legte seinen Arm um Viola, Paul stöhnte „oh Man“.

Viola und Helge fingen an sich zu küssen, Paul hüpfte auf dem Sofa auf und ab wie ein 13 jähriger der seinen ersten Porno sah.

„Und jetzt?“ Jennifers Stimme riss Helge aus seinen Gedanken. Paul stieg langsam aus und starrte in das Dickicht vor ihm. „irgendwo dort muss ein alter Traktorreifen liegen“, murmelte Paul ohne Jennifer einen Blick zu würdigen, sein Blick ging direkt in das Dickicht. Jennifer ging um den Wagen herum, öffnete den Kofferraum und nahm eine schwarze Sporttasche heraus. Sie ging zu Helge und sah ihn an. Er starrte weiter auf das Stück Wald vor ihm.

Jennifer nickte mit dem Kopf in die Richtung in die Helge starrte und sagte leise: “na dann los“

Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche und begann zu filmen wie sich die beiden einen Weg durch das Gebüsch bahnten.

18:23

Helge blieb stehen und schaute auf den Boden. Dort direkt vor ihm schaute halb mit Moosbedeckt ein alter Traktorvorderreifen aus dem Boden. Er spürte wie sich sein Blickfeld verengte, er war kurz davor ohnmächtig zu werden.

Wortlos legte Jennifer die Sporttasche neben ihn und öffnete den Reisverschluss. Darin befand sich ein Klappspaten, mehrere Müllsäcke und eine Spitzhacke.

Helge taumelte und sank mit dem Hintern zu Boden, er hyperventilierte.

„Hey, jetzt bloß nicht Schlappmachen, Großer“, sagte Jennifer, das Handy hielt sie nach wie vor in der Hand. Paul wird ausrasten, wenn er das Video sieht.

Jennifer wühlte mit der Linken aus der Sporttasche den Klappspaten, fummelte ihn irgendwie auf während sie mit der Rechten das Handy weiterhin auf den dahockenden Helge richtete.

Helge stand auf, nahm den Spaten und begann zu graben. Jedes Mal wenn die Schaufel auf die feuchte schwarze Erde traf blitzte eine neue Erinnerung aus Violas Wohnzimmer in ihm auf.

Helge begann ihr das Oberteil auszuziehen, das ließ sie sich gefallen.

Danach zog er ihr auch die Hose aus, auch das ließ sie ohne wiederstand mit sich machen. Die beiden Jungs saßen wie gebannt auf ihrem Sofa während das Blut in ihnen wild pulsierte.

Als Helge ihr den Slip ausziehen wollte, nahm sie seine Hände und sagte“ Nee, nee, Jungs ihr habt mehr gesehen als es euch gut tun würde“ Nach wie vor lächelte sie ihn freundlich an. Aber Helge und Paul waren nun ganz aufgeregt, sie versuchten auf Viola einzureden das man doch jetzt nicht stoppen könnte. Irgendwann kippte die Stimmung und sie begann sich aus Helges Umarmung zu befreien. Helge wollte nicht aufgeben, es konnte doch nicht wahr sein, sie war doch quasi schon nackt, wieso wollte sie nun aufhören? In ihm stieg eine unbändige Wut herauf, wie konnte sie nun aufhören wollen? Sie versuchte aufzustehen, Helge hielt seinen Arm weiterhin um ihre Schultern und versuchte sie zu Küssen. Paul war fassungslos daneben gesessen und begann nun Viola zu beschimpfen. Wieder versuchte Viola aufzustehen, Helge versuchte weiterhin sie festzuhalten, aber sie windete sich und entkam seinen Armen. Er nahm ihren Gürtel der am Boden lag. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und sagte energisch, dass die beiden jetzt gehen müssen. Er musste sie nun wieder unter seine Kontrolle bringen, blitzschnell sprang er auf und schlang ihr den Gürtel um den Hals und zog zu.

„Hier ist was!“ schoss es aus Jennifer heraus, die neben der von Helge ausgehobenen Grube stand als sie merkte das der von Helge geführte Spaten auf etwas festes im Erdreich stieß.

Helge starrte auf das was vor ihm lag, zwischen der rußschwarzen Erde schaute etwas Plastik hervor. Er war auf einen Plastiksack gestoßen. Helge legte den Plastiksack frei und lies den Spaten fallen. Nun kamen die Restlichen Erinnerungen an Viola in ihm zum Vorschein:

Er hatte sie mit ihrem Gürtel gewürgt bis sie bewusstlos war. Dann überkam ihn die Panik, während er hektisch in ihrer Wohnung umherrannte, lachte Paul hysterisch und schrie die ganze Zeit“ Der „Schlampe hast du`s aber gezeigt!“ Paul musterte den toten Körper eindringlich, dann nahm er eine Blaue 3 Zackige Gardena Hacke von Violas Balkon, er begann ihr die 3 Spitzen in den Oberkörper zu rammen, er war fasziniert wie das Werkzeug in ihren Körper eindrang. Erst zögerlich, dann immer schneller, bei jedem Schlag rief er „Vernichtet!“

Über all die Jahre hatte Helge sich eingeredet, dass das alles gar nicht passiert war solange bis er es selber glaubte. Aber nun lag sie vor ihm, Viola, von ihm erwürgt, verpackt in einem braunen Plastiksack.

„Öffnen!“ Befahl Jennifer und riss Helge damit aus seinen Gedanken.

Er griff das braune Plastik mit beiden Händen und riss es auf. Es ging ganz einfach, 27 Jahre im Waldboden ließ auch Plastik porös werden. Im inneren befanden sich die knöchernen Überreste eines Menschen.

„Okay das reicht, geh aus der Grube!“

Helge ließ sich an den Rand der Grube niedersinken.

Jennifer hüpfte in das ausgehobene Grab und dokumentierte die Überreste mit dem Handy. Sie filmte die Knochen in Nahaufnahme und beschrieb was sie sah.

„Okay Paul, wir haben wohl keine Kleidung außer Slip und BH.“ Sie verweilte mit dem Handy an den genannten stellen etwas länger und versuchte ein möglichst aussagekräftiges Video zu produzieren. „Außerdem trägt sie eine Halskette mit so einem Haifischzahn, so ein typisches Hippie-Teil. An ihrem Kopf sind Überreste von Rasta Zöpfchen zu sehen“. Wieder versuchte sie das beschriebene bestmöglich mit dem Handy einzufangen.

Danach stoppte sie das Video und sah zu Helge. Er saß weiterhin zusammengesunken am Rande der Grube.

Von dem ist wohl keine Hilfe mehr zu erwarten, dachte sie und entschied, entgegen dem ursprünglichen Plan, das Grab selbst wieder zu verschließen, da Helge auf mehrere Aufforderungen seine Beine aus dem Grab zu entfernen nahm sie kurzerhand seine Füße und warf sie über den Rand der Grube. Während Jennifer mit dem Klappspaten das Grab wieder verschloss lag Helge regungslos am Rande der Grube und blickte mit rot geschwollenen Augen zu dem blauen wolkenlosen Herbsthimmel zwischen den Baumwipfeln.

 

19:58

„Paul?“

„Natürlich, wer denn sonst?“

„Ich denke wir haben es geschafft, ich habe alles auf Video, lädt bereits auf WhatsApp, ist riesengroß, ca. halbe Stunde lang.

„Das ist perfekt“, Jennifer hörte wie er von seinem Stuhl aufsprang und anfing im Zimmer umherzulaufen.

„Ich habe ihn gerade zu seinem Auto zurückgebracht, er heult Rotz und Wasser“, Jennifer lauschte und erwartete von Paul ein Lobendes Wort für ihre Dienste.

„Er ist mir egal, ich warte auf das Video.“

Paul legte auf.

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20:02

Paul rannte wie unter Strom in seiner 21Qm Zelle hin und her, er starrte gebannt wie sich der grüne Kreis beim Laden des Videos immer weiter vervollständigte. Über 20 Jahre hatte er darauf gewartet, endlich zu sehen wo Viola war. Er hatte alle seinen anderen Vögelchen immer wieder besucht und sie war die einzige die ihm fehlte. Er verspürte dabei das ultimative Gefühl von Macht.

Seine Nackenhaare stellten sich auf als sich der grüne Kreis erst vervollständigte und dann verschwand, das Video war hier. Er atmete tief ein und schloss die Augen. Dann atmete er lange aus, öffnete die Augen wieder und klickte auf das graue Dreieck im Kreis. Das Video wurde abgespielt.

Als es zu Ende war, ließ er sich auf sein Bett fallen.

Nun war sein Werk vollständig, er wusste wo alle Vögelchen waren.

Mögen Romantiker über die Existenz der Liebe debattieren, Paul wusste das es sie gibt und nutzte sie für seine Zwecke. Von nun an wäre Jennifer nicht mehr von Bedeutung für ihn.

Er nahm das Handy, warf es auf den Boden, nach mehreren Fußtritten war es nahezu vollständig zerstört.

Paul ließ sich wieder auf sein Bett fallen. Bis an sein Lebensende würde er nie wieder mit irgendeiner anderen Person sprechen.

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20:59

Helge war schließlich zuhause angekommen. Er drehte den Schlüssel ganz behutsam im Schloss um Laura nicht zu wecken.

Danach streifte er seine mit Erde verdreckte Kleidung ab, sie würde kaum Fragen stellen, hatte er ihr doch erklärt er würde bei Rudi im Garten ein Rohr ausgraben. Er duschte und schlich sich schließlich zu Laura ins Bett.

Sie lag unter ihrer Decke und hatte tatsächlich ein neues Negligee an. Als er sich neben sie legte, drehte sie sich um und sah ihn mit verschlafenen Augen an.

„Alles gut?“

„Ja, wir haben es hinter uns gebracht“ antwortete Helge knapp.

„Das ist doch schön“ antwortete Laura, drehte sich wieder auf die andere Seite und schmiegte ihren Rücken an Helge an.

Helge dachte darüber nach, was er die letzten 4 Stunden getan hatte. 20 Jahre lang hatte er aktive Verdrängungsarbeit in seinem Gehirn leisten müssen um zu vergessen, innerhalb von nur 4 Stunden wurde alles zerstört. Er wiederholte die Worte „Das ist alles nicht geschehen“ wie ein Mantra vor seinem inneren Auge. Es würde Jahre dauern bis es aus seinem Kopf verschwunden war, aber es hatte ja schließlich schon mal funktioniert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    

 

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