KarinoDer Standhafte

 

Der Standhafte

 

 

 

Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. In dem Moment, als er ihre glockenhelle, kindliche Stimme zum ersten Mal hörte, war es um ihn geschehen. Das fröhliche Plappern kam ganz aus der Nähe und er reckte sich, um sie besser sehen zu können. Die vielen Bäume im Park nahmen ihm die Sicht und so wuchs seine Aufregung von Sekunde zu Sekunde. Er wusste, das war sie, die Frau seines Lebens. Ihre Stimme klang warm, sie wurde bei jedem Schritt, den sie sich auf ihn zubewegte, noch sinnlicher, umhüllte ihn wie ein duftender, leichter Stoff. Es schien heller zu werden, je näher sie kam. Die Spannung, wie sie wohl aussehen würde, war unerträglich, aber er konnte sich nicht bewegen, kaum atmen. Wohl spürte er die leichte Brise des Sommerlüftchens, nahm die summenden Bienen wahr, die auf der Suche nach Nahrung um ihn herumschwirrten, aber all diese Geschehnisse waren nur Dekoration für den wichtigsten Moment seines bisherigen Lebens.

 

Und dann, endlich, sah er sie. Und wie genau er sie ansehen konnte, ohne von ihr entdeckt zu werden! Sie war wunderschön, sah genauso aus, wie er sich eine Elfe vorstellte.

 

„Das hier ist der schönste Park auf der ganzen Welt“, sagte sie zu ihrer Begleiterin. Seine Aufregung wuchs. Sie konnte die Magie dieses Ortes also ebenfalls spüren. Wie gut sie zusammenpassten. So achtlos gingen die meisten Menschen an diesem herrlichen Ort vorbei, den Blick fest auf ihr Smartphone gerichtet. Er schüttelte sich bei diesem Gedanken.

 

„Hast du das gehört?“ Suchend sah sich seine Angebetete um. Die andere Frau schüttelte den Kopf.

 

„Komisch, ich dachte, hier wäre jemand“, flüsterte die Elfe.

 

Er beschloss, sich völlig ruhig zu verhalten, um sie nicht zu erschrecken. Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann lachte sie perlend und ihm wurde so heiß, dass er sich einen kleinen Windhauch zur Abkühlung wünschte, doch vergeblich.

 

„Hier ist es so schön! Das ist ab jetzt mein Lieblingsplatz“, sagte sie und er hätte schreien können vor Glück, denn auch für ihn bedeutete diese Stelle sein Leben und er wusste nun, dass sie sich häufig sehen würden.

 

Ein Sonnenstrahl fiel auf ihre Gestalt und beleuchtete sie wie ein Scheinwerfer. Staubkörnchen, die wie Gold glänzten, hüllten sie ein.  Er würde hier auf sie warten, notfalls sein ganzes Leben lang, beschloss er, denn sie war noch sehr jung. Wenn er sich jetzt bemerkbar machen würde, nähme sie nur sein Alter wahr, nicht aber seine Seele. Er würde sie also noch eine ganze Weile ausschließlich beobachten. Auf keinen Fall allerdings durfte er ihr erlauben, wieder aus seinem Leben zu verschwinden, nun, wo er sie gefunden hatte.

 

 

 

Fünf Jahre später

 

Seit einiger Zeit vertraute sie ihm ihre Geheimnisse an. Sie teilte die schönen Stunden mit ihm und machte ihn damit glücklich. Noch befriedigender allerdings war es für ihn, wenn sie traurig war und weinen musste. Dann lehnte sie sich an ihn und er konnte sie trösten, ihr leise zuflüstern, dass alles wieder gut werden würde. „Wenn ich dich nicht hätte!“ sagte sie oft und sah zu ihm hoch wie zu einem Helden. Er liebte sie jeden Tag mehr und wenn sie ihn mal nicht besuchen kam, war er unleidlich und konnte sich auf nichts konzentrieren. Manchmal schlug er sogar um sich, nur um sich abzureagieren. Sie war ein sensibles Geschöpft, spürte, wenn es ihm nicht gut ging. „Was ist mit dir?“ fragte sie dann, doch auf diese Frage gab er ihr nie eine Antwort.

 

Schleichend und ohne, dass er es sofort bemerkte, schien sie das Interesse an ihm zu verlieren. Er gab sich Mühe, sich unentbehrlich zu machen, war nett zu ihr, doch sie entglitt ihm von Tag zu Tag mehr, bis sie ihre auf ewig angedachte Beziehung mit ihm einfach abbrach. Sie verabschiedete sich nicht einmal. Manchmal ging sie an ihm vorbei, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Das konnte er nicht zulassen, aber was sollte er tun?

 

Und dann, eines Nachmittags, sah er sie, Arm in Arm mit einem jungen Mann. Die beiden waren so darin vertieft, sich liebestoll in die Augen zu schauen, dass sie ihn nicht einmal bemerkte. Er hatte das Gefühl, in Frischhaltefolie verpackt worden zu sein. Frischhaltefolie, die ihm zwar erlaubte, alles zu beobachten, ihm aber  vollständig das Atmen verwehrte.

 

Er spürte, wie seine Lebenskraft schwand. Doch kurz bevor er aufgeben konnte, richtete ihn ein plötzlich aufgetauchter, mächtiger Lebenswille wieder auf und ließ ihn zornig werden, sehr zornig. Sie würde ihr Verhalten büßen müssen.

 

Auch ohne sein Eingreifen hielt die unselige Liebesgeschichte nicht lange. Und als er die Möglichkeit hatte, ihrem Verflossenen einen ungestörten, romantischen Platz für ein Tete-a-tete mit seiner neuen Freundin zu bieten, tat er es voller Schadenfreude.

 

In den folgenden Wochen litten sie beide. Sein schlechtes Gewissen wuchs, als er sah, wie sie immer dünner wurde.

 

Dann fand er plötzlich ein glänzendes, schwarzes Handy direkt vor seinen Füßen. Während er noch überlegte, ob dies ein Zufall sein konnte, wurde das Telefon schon von einem jungen Mann aufgehoben und eingeschaltet.

 

Glücklicherweise, oder eher unglücklicherweise, erhaschte er einen Blick auf das Foto, das als Hintergrundbild zu sehen war. Es handelte sich um einen Fotomontage und zeigte eindeutig ihn selbst. Lodernde Flammen umgaben ihn auf dem Bild und er meinte fast, die Hitze zu spüren.

 

Der Finder zuckte die Schultern, steckte das Smartphone ein und ging weiter. Er selbst blieb ratlos zurück. In der nächsten Zeit stieg seine Furcht vor Feuer und auch seine Angebetete mit ihrem heißen Blick ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Sie kannte seine panische Angst, zu verbrennen, aber hatte sie wirklich etwas mit dieser Sache zu tun? Er konnte es sich nicht vorstellen. Andererseits, was hatte er ihr angetan!

 

Die Zeit verging und seine Anspannung ließ nach. Deshalb bemerkte er nicht einmal, dass sie sich anschlich. Den Schmerz, den sie ihm zufügte, als sie ihn mit einem Stabfeuerwerk anzündete, spürte er umso schrecklicher. Er war unfähig, sich effektiv gegen die höllische Hitze zu wehren.

 

Der Regen kam ihm zu Hilfe und löschte das Feuer, bevor er darin starb.

 

Es dauerte lange, bis er sich von seinen Wunden, den äußerlichen, viel mehr aber der innerlichen, erholte. Er hatte jetzt große Angst vor ihr, aber er hoffte, dass ihre Rachegelüste mit dem Anschlag erloschen waren. Dennoch blieb er wachsam.

 

Er fühlte sich krank, schwach und schutzlos. Zum ersten Mal empfand er es als Nachteil, obdachlos zu sein. Die Anderen hatten genug damit zu tun, ihr eigenes Leben zu verteidigen.

 

Daher gab es auch keinen Aufschrei, als sie eines Nachts erneut vor ihm stand. Sie trug Arbeitshandschuhe und eine Drahtbürste, dazu einen Reißhaken und ein Zielmesser. Mit diesem schabte sie mit einer gezielten Bewegung  einen gut zehn Zentimeter breiten Streifen aus seinem Körper. Der Reißhaken, den sie zusätzlich benutzte, verstärkte seine schwere Verletzung noch. Mit der Drahtbürste schrubbte sie fest über die Wunde und sorgte so dafür, dass die Schnittverletzungen nicht mehr heilen würden. Er schrie laut auf, doch niemand reagierte.

 

Es dauerte lange, bis er starb. Käfer bevölkerten seinen Leib noch bei vollem Bewusstsein. Sein Lebenssaft verrann in Zeitlupe. Sie besuchte ihn häufig und sah ihm beim Sterben zu. Das Letzte, was er hörte, war ihre Stimme. „Leb wohl, meine Linde! Du Baum der Liebenden“      

 

          

 

3 thoughts on “Der Standhafte

  1. Guten Abend

    Du hast eine sehr gute Geschichte geschrieben.
    Mit interessanten Wendungen, Überraschungen und tollen Personen.
    Und geschrieben wurde sie von dir auch sehr gut.
    Insgesamt bin ich von deiner Geschichte überrascht worden und sie hat mir sehr gut gefallen.
    Viel Glück für den Wettbewerb.
    Gerne lasse ich dir meine Stimme hier.

    Mit freundlichen Grüßen, Jerome

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