JendraDie gerupfte Narzisse

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Kälte. Das war das erste was Martin wahrnahm. Diese Wahnsinnskälte. Und dann dieser modrige Geruch. Jeder Knochen seines Körpers schmerzte. Er zwang sich dazu, seine brennenden Augen zu öffnen und blickte sich um. Martin hatte vorher schon Angst, aber jetzt ergriff die pure Panik in ihm die Oberhand. Sie schnürte ihm die Kehle zu und sein Herz schlug bis zum Hals. Er war mit den Händen an einer Eisenstange angekettet. Bis auf seine Socken war er nackt. Sein Mund war durch ein Tape verklebt und er hatte Mühe weiterhin auf den Zehenspitzen zu stehen, um seine ausgekugelten Schultern wenigstens etwas zu entlasten.

Verdammt, diesmal hast Du es echt verkackt!

Noch während er versuchte, zu rekonstruieren, wie er in diese Lage geraten war, hörte er näherkommende Schritte und die Tür zu seinem Raum öffnete sich. Und genau in diesem Moment fiel ihm alles wieder ein.

                                                                        *

Martin Kaiser hatte sich extra ein Auto leihen müssen. Er selbst besaß keines, denn in Kiel, wo er schon seit sehr langer Zeit lebte, kam er bequem mit dem Bus überall hin. Aber hier in dem Kaff in Dithmarschen, da ist man ohne ein eigenes Fahrzeug aufgeschmissen. Schon allein dafür hatte er sie verflucht.

Nun hatte Martin sie aufgespürt. Endlich. Nach all den Jahren. Wie lange hatte er gebraucht, um ihren derzeitigen Wohnort ausfindig zu machen? Martin wusste es nicht genau. Sicher war, dass es sich um Jahre handelte.

Er parkte das Auto in einer Nebenstraße und richtete seine Schritte in Richtung ihres Hauses. Währenddessen setzte er sein Basecap auf, denn trotz der vielen Jahre, die ins Land gegangen waren, fürchtete er, von ihr erkannt zu werden. Und das, obgleich seine Haare inzwischen kurz und gänzlich ergraut waren und er ein paar Kilos zugenommen hatte. Mc Donalds und Co sei Dank.

Sie lebt nicht schlecht, die Schlampe, dachte Martin verbittert, als er das Haus von Näherem betrachtete. Das muss ich ihr lassen, sie fällt wie eine Katze immer wieder auf die Füße zurück.

Ihr Haus lag etwas zurückgesetzt von der Hauptstraße. Es war weiß und hatte bestimmt so an die zehn Zimmer, schätzte er.  Rund ums Haus waren zahlreiche Koniferen, Hortensien und eine Klematis gepflanzt worden. Zur Straße hin sollte ein Kirschlorbeer die Blicke der neugierigen Spaziergänger fernhalten. Momentan wuchs dieser jedoch noch zu niedrig, so dass man durchaus einen Blick auf das Haus und gegebenenfalls sogar auf seine Bewohner werfen konnte. Die Terrasse lag zur Straße hinaus und da es bereits jetzt schon sehr warm war, standen die Türen offen. Die davorhängenden Gardinen bewegten sich sanft im leichten Wind. 

Martin zog sein Basecap tiefer ins Gesicht. Sicher ist sicher dachte er bei sich, nicht, dass sie mich nachher doch noch sieht. Manchmal hatte sie einen siebten Sinn – wie eine Hexe! Bei dem Gedanken verzog er verächtlich den Mund. Der kleine, drahtige Mann ging näher auf das Haus zu. Trotz seiner 44 Jahre war er noch gut in Form. Es drang leise Musik aus dem Haus.

Dann sah er sie. Nur für einen kurzen Augenblick. Sie telefonierte und lief dabei mit ihrem Mobiltelefon herum. Für einen Moment starrte er sie aus der Ferne an. Ihm lief dabei ein kalter Schauer über den Rücken und sein Atem beschleunigte sich. Sie hatte sich gut gehalten, hatte sogar etwas abgenommen und trug jetzt ihre Haare länger. Er hörte sie lachen und er merkte wie seine Wut hochkam. Dieses falsche Gelächter. Am liebsten würde er sie sofort…

Noch bevor er den Gedanken weiterdenken konnte kam ein laut kläffender Hund direkt auf ihn zu gerannt. Martin erschrak, stolperte und sein Herz pochte wie wild. Schnell raffte er sich auf und zwang sich, in normaler Geschwindigkeit zu seinem Auto zu gehen, ohne sich noch einmal umzusehen.

„Bandit“, rief Sandra Martens, das Telefon immer noch am Ohr. „Warte mal bitte kurz, ich muss mal eben die Töle zurückpfeifen“, sagte sie zu ihrem Gesprächspartner am anderen Ende der Verbindung. „Bandit! Aus! Ihre Stimme wurde rabiater. Schließlich ging sie zu dem Tier, welches immer noch aufgeregt am Zaun stand. Was ist denn nur los? dachte sie bei sich und runzelte ihre Stirn. Sandra blickte auf den Gehweg und die Straße hinab, konnte aber nur weit hinten jemanden spazieren gehen sehen. Sie wollte gerade mit dem Hund schimpfen, als ihr Blick auf einen kleinen schwarzen Gegenstand direkt vor ihr auf dem Gehweg fiel. Sie beugte sich vorn über, um es näher zu betrachten. Es handelte sich um ein Smartphone. So eins, wie ihre Stieftochter es schon lange haben wollte. Sie nahm es an sich und schaute sich nochmals um. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Der Hund schien beruhigt zu sein und verzog sich wieder zu seinem schattigen Platz auf der Terrasse. Sandra fiel ihr Telefonat ein und ging schnell wieder an den Apparat. „Du glaubst gar nicht, was Bandit gefunden hat: Ein Smartphone!“

„Wie aufregend“ antwortete Melanie, ihre Freundin am anderen Ende der Leitung. „Vielleicht ist es von einem heimlichen Verehrer!“ phantasierte sie. „Ach, Du nun wieder!“ lachte Sandra.

„Mach es doch mal an. Vielleicht ist es ja gar nicht gesperrt“, schlug die Freundin vor und Sandra drückte auf den rechten Knopf des Gerätes und das Handy erhellte sich. BITTE ZUM ENTSPERREN DAS MUSTER EINGEBEN zeigte das Display nun fordernd an. „Das kann ja alles sein“, sagte sie zu Melanie und gab ein X ein. Nichts tat sich. Anschließend malte sie einen Pfeil. Wieder tat sich nichts. „Versuch doch mal ein Haus“, schlug Melanie vor. „Das ist mein Entsperrmuster und ich fürchte, es ist nicht sehr einfallsreich. Du weißt schon erst das Dach und dann die Umrisse“. Sandra seufzte erneut und malte ein Haus. Das Smartphone entsperrte sich. Sie es fallen, als sie den Bildschirmhintergrund sah: da war sie zu sehen – vor etwa 20 Jahren.

                                                                         *

Schlagartig wurde Sandra schlecht. Ihr Herz schlug bis zum Hals und ihre Beine wurden weich. Ihre Gedanken überschlugen sich: Wessen Smartphone ist es? Warum trägt jemand ein Bild von mir auf seinem Handy herum?

„Sandra? Alles in Ordnung?“, riß Melanie sie aus ihren Gedanken. Die hatte sie völlig vergessen. „Ja es ist alles okay“, erwiderte sie hastig und versuchte dabei so normal wie möglich zu klingen, „das war auch nichts. Melli, es hat gerade an der Tür geklingelt. Ich muss dann mal weiter machen. Tschüss“.

Schnell beendete Sandra das Telefonat, bevor die Freundin weitere Fragen stellen konnte.

Sie hob das Fundstück vom Boden auf und entsperrte es abermals. Tatsächlich! Da lächelte sie noch immer eine jüngere Ausgabe ihrer selbst an. „Mama, ich habe ´ne zwei in Mathe cool, oder? Sandra fuhr zusammen. Sie hatte gar nicht gehört, wie Josie, ihre Stieftochter auf die Terrasse gekommen war. Jetzt erst fiel ihr auf, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Schnell drückte sie den rechten Knopf, um das Smartphone zu versperren und ließ es dann in ihrer Jeans verschwinden. „Gut gemacht Süße!“ sagte sie zu ihr und küsste sie auf den Kopf. „Was möchtest Du essen?“ „Hab noch keinen Hunger“ erwiderte der Teenager und ging wieder ins Haus. Hastig fischte Sandra das Handy aus ihrer Hosentasche und verstaute es in ihrem Nähschrank. Hier schaute außer ihr garantiert niemand hinein.

                        

                                                                    *

Martin hatte vorsorglich ein Hotelzimmer gebucht, etwa 20 Kilometer entfernt von seinem Ausflugsziel liegend. Als er gegen Abend ankam und seine Nachrichten checken wollte, konnte er sein Smartphone nicht finden. Er mahnte sich zur Ruhe, doch egal wo er nachsah- nichts. Sein Puls beschleunigte sich. Wo ist es? Was ist, wenn jemand die Fotos sieht? Rastlos ging er im Hotelzimmer umher. Das geht nicht, versuchte er sich zu beruhigen, das Handy sperrt sich doch selbst – mit einem blöden Haus. Vielleicht war das nicht die kreativste Wahl, dachte er bei sich selbst. Jedes Kind kann das knacken. Verdammt ich wollte mir noch etwas Besseres einfallen lassen. Er versuchte sich zu beruhigen. Vermutlich ist es mir im Auto aus der Tasche gefallen. Aber so oft er auch die Sitze vor und zurückschob, er konnte nichts finden. Erneut fühlte er die Panik in sich hochsteigen, Seine Gedanken rasten: Ich habe es verloren, als dieser dämliche Köter auf mich zugerast kann. So muss es gewesen sein. Sie hat es gefunden. Bestimmt. Ich bin geliefert. Schließlich rief er sich zur Räson: Es liegt bestimmt noch unter den Büschen. Ich schaue nach, wenn es dunkel ist und hole es einfach wieder. So richtig wohl war ihm bei dem Gedanken jedoch nicht.

                          *

Als die Kinder schließlich schliefen und auch ihr Ehegatte Befriedigung erfahren hatte, schlich sich Sandra aus dem Bett und ging in ihren Handarbeitsraum am Ende des Ganges.

Sie öffnete den Nähschrank und nahm das Handy heraus.

Nochmals entsperrte das Smartphone, öffnete die Galerie und sah darin ganz viele Fotos von sich. Diesmal war sie vorbereitet und es nahm ihr nicht mehr die Luft zum Atmen. Es befanden sich keine Dokumente, keine Musik und keine Videos auf dem Smartphone. Da fiel ihr die App für E-Mails auf. 2 NEUE NACHRICHTEN zeigte die Anzeige in fetten Ziffern an, alle anderen hatte er gelöscht. Neugierig öffnete sie die erste. Eine Werbemail, welche mit „Werter Kunde“ begann. So ein Mist dachte sie bei sich und öffnete schnell die zweite. Es handelte sich um eine Vertragsbestätigung über einen – sie schluckte – Mobilfunkvertrag. Martin Kaiser stand da als Vertragspartner.

Sandra schluckte abermals. Die Beiden waren sich vor vielen Jahren begegnet und hatten einen One-Night–Stand. Sie dachte nach: es war ein mittelprächtiges Unterfangen gewesen. Für beide Seiten. Wie sie annahm. Danach war er allerdings sehr anhänglich gewesen. Fast schon lästig. Er versuchte es sogar über die Kinder, die damals noch recht klein waren. Regelmäßig schaute er vorbei, meistens mit allerlei Geschenken, was ihm den Stand eines „netten Onkels“ bei den Kindern einbrachte. Irgendwann reichte es ihr und sie gab ihm dann klar zu verstehen, dass sie nichts von ihm wollte. Kurz darauf lernte sie Peter kennen und verzog nach Hannover.

Nachdem dieser jedoch unerwartet verstarb, nahm sie den Erlös seiner Lebensversicherung und zog zurück nach Schleswig-Holstein. Ihr Versicherungsgeld öffnete ihr nun Türen, die ihr vorher verschlossen waren. Und dann lernte sie Bengt Martens kennen, den Chef einer Investmentfirma und millionenschwer. Er verliebte sich sofort in Sandra und sie heirateten bereits nach kurzer Zeit. Gemeinsam bauten sie sich dieses schöne Domizil auf. Gerade als Sandra dachte, es laufe jetzt endlich mal gut für sie, taucht dieser Martin auf. Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie und merkte, wie sie langsam wütend wurde. Wie lange beobachtet er mich schon? Warum? Was will er von mir? Was weiß er?

                                                                       *

Gegen vier Uhr morgens wähnte er sich in Sicherheit. Nachdem er im Dunkeln den ganzen Weg zweimal abgegangen war, suchte er jetzt verzweifelt neben und unter der Hecke. „Verdammt irgendwo hier musste das Scheißteil doch sein!“ grummelte er vor sich hin und mahnte sich selbst immer wieder doch leise zu sein. Nicht das der Hund wieder bellte. Das fehlte gerade noch!

                                                                      *

Mitten in ihrem Grübeln dachte sie etwas bemerkt zu haben. Nur ganz flüchtig. So etwas wie ein Lichtstrahl. Was war das? Sie ließ das Smartphone in den Morgenmantel gleiten, schnappte sich eine Taschenlampe, sowie ihre Schlüssel und ging mit pochendem Herzen zum Seiteneingang. Da! Schon wieder! jetzt erkannte sie es. Es war der Schein einer Taschenlampe. Sie hatte es sich also doch nicht eingebildet. Sandra schlich sich durch den Seiteneingang und spähte um die Hausecke. Plötzlich sah sie ihn. Martin. Alt war er geworden. Er schien etwas zu suchen und durchforstete ihren Kirschlorbeer. 

Sie schaltete die Taschenlampe an und leuchtete ihm direkt in das Gesicht. „Martin, suchst du das hier?“ fragte sie und hielt sein Smartphone hoch. „Lass dir erklären“, setzte er schnell an, ohne eine Ahnung zu haben, was er ihr überhaupt erklären wollte. „Lass und erst einmal hier weg gehen, sonst wecken wir noch meine ganze Familie. Nach dir!“ Er ging voran, während sich seine Gedanken überschlugen: Gott, er war sowas von am Arsch! Was sagte er ihr nur, keine Erklärung erschien ihm sinnvoll zu sein. Sie lotste ihn nicht wie erwartet ins Haus, sondern zu einem kleinen Gebäude am Ende des Grundstücks. Gerade als er sich dachte, dass hier irgendetwas nicht stimmte, sackte er in sich zusammen und verlor das Bewusstsein.  

                                                                         *

 

Gebannt starrte er auf die knarrende Tür. Da stand sie. Und sie hatte einen Baseballschläger in der Hand. Er versuchte zu schreien unter seinem Klebeband, aber hier würde ihn sowieso niemand hören. Sie kam näher und er versuchte panisch einen Weg zu finden, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Dann stand sie direkt vor ihm und betrachtete ihn, „Wie jämmerlich!“ entfuhr es ihr, „aber das warst Du ja schon immer.“ Dann zog sie ihm in mit einem Ruck das Klebeband runter. Sein Mund brannte und er wusste weder wie lange er hier schon hing noch wie lange er noch auf Zehenspitzen stehen konnte. „Was willst Du von mir? Keine Lügen!“ Ihre Stimme wurde immer strenger. „Du hast mir alles genommen. Mein Geld, meinen besten Freund, meine Kind!“ Ich will dich leiden sehen, du alte Hure!“ Er bereute es in dem Moment, in dem er es aussprach. Sie lachte hell auf.

„Du warst schon immer ein Idiot. Denkst Du wirklich, ich hätte mich von einem wie Dir wirklich schwängern lassen?“ sie lachte künstlich, grell und zu laut auf, du solltest netter sein zu Mami!“ sagte sie verärgert und ihr Blick veränderte sich zu einer Maske. Dann schlug sie zu. Einmal. Zweimal. Dreimal. Er krümmte sich. Sein ganzer Körper bestand nur aus Schmerz. Der letzte Schlag in den Magen raubte ihm fast den Verstand. Er keuchte und als er nach einer gefühlten Ewigkeit die Augen wieder öffnen konnte – war er allein. Er fragte sich, was sie als nächstes mit ihm vorhatte. Dann fiel sein Blick auf den Tisch, auf dem sie allerlei angsteinflößendes Gerät aufgebaut hatte: ein Messer, ein Stilett, eine Säge, einen Bohrer… und schließlich sah er es – eine Trittleiter. Er mobilisierte seine letzten Reserven und zwang sich dazu Schwung zu holen, um mit den Füßen nach der Trittleiter zu fassen. Es gelang ihm nicht. Er versuchte es nochmal und trat mit seiner Fußspitze gegen das kalte Metall, was allerdings zur Folge hatte, dass durch den Schwung die Leiter umfiel. Die letzte Hoffnung in ihm zerbrach. Er konnte sich nicht mehr auf den Zehenspitzen halten und sackte hinunter. Er merkte, wie sein Gewicht an den ausgekugelten Schultern hing. Der Schmerz machte ihn fast bewusstlos. 

 

                                                                              *

 

Nach kurzer Zeit oder waren gar Stunden vergangen hörte er wie Sandra im Raum umher ging. Sie kappte das Seil, an welchem er hing und welches mit einer Seilwinde befestigt war.  Er fiel wie ein nasser Sack zu Boden auf seine beiden Knie. Vergeblich versuchte er sich zu bewegen, aber alles an seinem Körper schrie vor Schmerz auf.

„Was hast du jetzt vor?“ Es war mehr ein Krächzen, was da aus seinem Hals kam. „Ich werde nicht zulassen, dass du mir mein Leben wegnimmst! Ich habe einen hohen Preis dafür bezahlt“, keifte sie ihn an. „Als ob Du jemals etwas allein bezahlt hättest!“, lachte er gequält. „Du Schwein!“, schrie sie und stürzte sich mit dem Messer auf den am Boden liegenden. Das Adrenalin schoss in seine Adern und er schaffte es gerade noch rechtzeitig sich auf die Seite zu rollen.

Sie rappelte sich auf und holte erneut aus. Martin schloss die Augen.

                          *

Ein Schuss und gleich darauf zuckte er Martin vor Schmerz zusammen. Etwas war auf seine sowieso schon geschundenen Beine gefallen. Martin öffnete langsam die Augen, nicht fassend, dass er noch lebte. Verwundert schaute er sich um. Da lag sie: zur Hälfte auf seinen Unterschenkeln, zur Hälfte auf dem kalten Boden, mit dem Kopf nach unten. Blut strömte aus ihrem Oberkörper.

Er blickte zum Ausgang. Da stand ein Mann mit einer Pistole in der Hand. „Ich hatte sie gewarnt“, sagte er, drehte sich um und verschwand, noch ehe Martin fragen konnte, wer er war und wovor er Sandra gewarnt hatte. Fieberhaft versuchte er sich von dem Leichnam zu befreien, um sich dann von hier weg zu begeben. Dabei wurde er jedoch von seinem Schmerz übermannt und erneut ohnmächtig.

                                                                     *

 

Er erwachte in einem Krankenhaus. Seine Beine waren geschient, die Schultern ruhiggestellt und die Wunden versorgt. Er hatte keine Ahnung, wie er hierhergekommen war. Die Ärzte diagnostizierten eine Amnesie. Sie vermuteten er hätte einen schrecklichen Autounfall gehabt und der Täter hätte Fahrerflucht begangen, denn schließlich hatte man ihn in einem Straßengraben gefunden. Martin konnte sein Gehirn zermartern so viel er wollte, er erinnerte sich nicht, wie er dorthin gekommen war.

Nach einigen Tagen warf er einen Blick auf den Fernseher im Krankenzimmer, den sein neuer Bettnachbar rund um die Uhr im Betrieb hatte.

Dann sah er auf dem Nachrichtensender Bilder von dem ihm sehr wohlbekannten Haus. „Wie wir bereits berichteten ereignete sich letzte Woche ein rätselhaftes Verbrechen in einem kleinen Dorf in Dithmarschen/Schleswig- Holstein.“, erklärte eine etwas überschminkte Nachrichtensprecherin. „Nach wie vor kann der Mord an der 40-jährigen Sandra Martens nicht aufgeklärt werden. Ihr Ehegatte, der Chef einer bekannten Investment Firma, Bengt Martens, fand seine Gattin erschossen in einem nahegelegenen Gartenhaus vor. Die Polizei tappt jedoch nach wie vor im Dunkeln.“

Ungläubig starrte er auf den Bildschirm. Bengt Martens war also sein geheimnisvoller Retter.

„Sah gar nicht schlecht aus, die Schnecke, wa? Irgendwie tragisch“, kommentierte sein Bettnachbar den Bericht. Martin grummelte etwas in seinen Bart und schloss die Augen. Seine Gedanken kreisten um das Smartphone: Wo war es? Hatte die Polizei es sichergestellt? Wenn ja, würden sie ihn bald ausfindig machen. Oh Gott, er würde für diesen Mord sitzen!

 

                                                                         *

Nach ein paar Wochen war Martins Gesundheitszustand wieder insoweit hergestellt, dass er nach Hause durfte. Er erhielt von der diensthabenden Schwester einen Beutel mit den Sachen, die sie bei ihm gefunden hatten. Er spähte hinein und sah- sein Smartphone! Wie kam es dorthin? Ein Gefühl von Erleichterung gepaart mit Angst ergriff ihn. Bengt! Er musste es gewesen sein. Er hatte ihn, als er bewusstlos war, am Straßenrand abgeladen und ihm das Handy irgendwie zugesteckt.

 

Martin nahm nach einiger Zeit seine Arbeit wieder auf und versuchte die Ereignisse zu verdrängen. Es gelang ihm auch soweit ganz gut, wenn er nicht fast jede Nacht aus seinen Träumen hochschrak, in denen er in Bengsts stahlblaue Augen blickte, bevor dieser sagte: „Ich habe dich gewarnt!“

One thought on “Die gerupfte Narzisse

  1. Guten Abend

    Du hast eine sehr gute Geschichte geschrieben.
    Mit interessanten Wendungen, Überraschungen und tollen Personen.
    Und geschrieben wurde sie von dir auch sehr gut.
    Insgesamt bin ich von deiner Geschichte überrascht worden und sie hat mir sehr gut gefallen.
    Viel Glück für den Wettbewerb.
    Gerne lasse ich dir meine Stimme hier.

    Mit freundlichen Grüßen, Jerome

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