rumgetipselEr weiß, was du getan hast

In wenigen Minuten würde Nils Keztif aufwachen. Um acht Uhr morgens, wie jeden Dienstag eben. Dann würde er zur Arbeit gehen, bis mittags den Papierkram erledigen und mit seinen Kollegen eine Stunde ins „La Corona“ gehen. Danach stünden noch einige Telefonkonferenzen an, bevor er sich wieder auf sein Rad schwingen würde, um den Abend zu Hause ausklingen zu lassen. Lea wäre dann schon wieder da. Sie muss dienstags immer nur bis zum Mittag arbeiten. Lehrer müsste man sein. 

Doch Nils` Tag würde in wenigen Minuten ganz anders ablaufen, als er es sich gedacht hatte. Zwar würde er aufstehen und sich auf den Weg zur Arbeit machen, aber schon nach wenigen Metern verdutzt fragen, von wem das Päckchen sei, das in seinem Briefkasten am Eingang des Gartens lag …

 

Der Wecker klingelte, Nils drückte ihn aus und stand auf. Er war es gewohnt, im Dunkeln aufzustehen und sich dann schnell fertig zu machen. Er hatte keine Ahnung, warum Lea immer gefühlt eine Stunde im Bad brauchte, aber es störte ihn auch nicht. Nils zog sich seine Jeans an, sein Hemd, putzte sich in aller Ruhe die Zähne und ging in die Küche. Dort hatte er wie jeden Tag den Schlüssel gerichtet, der ihm den Zugang in „die wunderbare Welt des Tüftelns“ ermöglichte, wie sein Chef Alex gerne das Bürogebäude bezeichnete. Nils machte sich auf den Weg, Lea war bereits schon aus dem Haus. Eigentlich wollte sie ja mit ihm seinen dreißigsten Geburtstag schon vor der Arbeit kurz feiern, aber sie hatte heute mit ihrer achten Klasse eine Klausur zu schreiben, weshalb sie überpünktlich im „Bunker“ sein musste, wie sie den kargen, im Schulkeller liegenden Raum bezeichnete, der für die meisten Klassenarbeiten herhalten musste.

Nils schloss die Haustür ab, ging um die Veranda herum und schob sein Rad zum Gartentor. Ein schneller Blick in den Briefkasten offenbarte ihm die Tageszeitung und – ein Päckchen. Nils sah kurz auf seine Uhr, er hatte noch ein paar Minuten Zeit und Alex würde es ihm wohl verzeihen, wenn er am heutigen Tag etwas später im Büro sein würde. Eilig griff Nils nach dem Päckchen. Der typische braune Umschlag fühlte sich klamm und weich an. Es war wohl ein Polster im Päckchen, das den Gegenstand darin schützen sollte. Und der Umschlag musste schon einige Stunden im Briefkasten gelegen haben, anders konnte er sich das leicht feuchte Papier nicht erklären.

Rasch riss Alex die Lasche auf und griff in das Päckchen, während er auf der Oberseite nach dem Absender suchte. Doch weder seine Adresse noch einen Absender konnte er entdecken. Da hatte sich wohl jemand einen Scherz erlaubt und ihm ein Geburtstagspäckchen gestern Abend eingeschmissen. Nils zog den flachen Gegenstand aus dem Umschlag und staunte nicht schlecht, als er das Handy sah, das in seiner Hand lag. Das war nun wirklich zu viel des Guten. Ein Handy zum Geburtstag? Ohne Verpackung? Nils war klar, dass sich hier irgendjemand seiner Freunde einen schlechten Scherz erlaubte. War es Patrick? Inge? Caro sicher nicht, die wusste eh niemandes Geburtstag.

Er tippte auf das Display, das überraschenderweise direkt zu leuchten begann. Das Handy war nicht gesperrt. Nils warf einen Blick auf die nun vor ihm liegende Startseite und musste staunend erkennen, dass bis auf eine am rechten unteren Eck liegende App nichts, aber auch gar nichts zu sehen war. Er versuchte nach rechts oder links zu wischen, aber auch dort fand er keine Apps. Schnell suchte er nach den Einstellungen, um herauszufinden, wem das Handy gehörte. Es musste doch einfach Patrick sein. Nur er würde sich so einen Spaß ausdenken. Auch im Einstellungsmenü fand Nils nichts, das ihn weiterbrachte. Er steckte das Handy in seine Jackentasche und sprang auf sein Rad. Das Smartphone musste bis heute Abend warten, jetzt hatte er dann doch zu viel Zeit verschwendet. Alex hatte sicher schon wieder einen frechen Spruch auf den Lippen, wenn er das Büro betreten würde. Erneut grübelte Nils, wer ihm das Handy wohl in den Briefkasten gelegt hatte und dachte dabei schon nicht mehr daran, dass nur eine einzelne App auf dem Mobilgerät installiert war. Ein Messenger-Dienst. Und die Nachricht, die dort auf ihn wartete, würde Nils heute Abend den Schlaf rauben. 

 

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Ich schaue auf die Uhr. Ja, bestimmt hat er es schon entdeckt. Er war immer zielstrebig und entdeckte sofort neue Dinge. Das Päckchen konnte er also nicht übersehen. Die Frage ist nur: Hat er es auch schon geöffnet? Hat er meine Nachricht schon gesehen? 

Jeden einzelnen Tag muss ich an ihn denken. Was er getan hat, werde ich ihm nicht verzeihen. Und heute ist der Tag gekommen, den er bisher immer verdrängt hat. Er wird sich erinnern. Und wenn er sich erinnert, dann bin ich da. Ich weiß, was er getan hat.

 

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Alex hatte Nils bereits nach der Mittagspause nach Hause geschickt. „Genieß den Tag, es wird immerhin dein letzter sein, an dem du dreißig bist“, sagte Alex schmunzelnd, während Nils seine Sachen zusammengepackt und das Büro abgeschlossen hatte. 

Zu Hause angekommen widmete sich Nils seinem unfreiwilligen Geschenk. Das Handy war zwar kein nagelneues Modell, aber wer von seinen Freunden sollte ihm das denn einfach so in den Briefkasten gelegt haben? Still betrachtete er das schwarze Gerät, in der Hoffnung, dass es ihm offenbarte, woher es denn kam. Nils berührte wie am Morgen das Display, das daraufhin aufleuchtete, und sah auf die App. Die einzige App, die auf dem Gerät installiert war. Natürlich war das komisch, es musste aber zu dem Scherz gehören, den seine Freunde für ihn ausgedacht hatten. Also klickte er auf das Symbol, das eine rote Sprechblase darstellte, und öffnete damit eine Art Messenger-Dienst. Nils konnte sofort erkennen, dass dort nur ein Kontakt hinterlegt war. Wie hätte es auch anders sein können, immerhin hatte er ja nicht einmal die App zum Telefonieren, geschweige denn ein Telefonbuch auf dem Handy zur Verfügung. Der Avatar des Kontakts war ausgegraut, zeigte ein schwarzes Strichmännchen auf grauer Fläche. Daneben las Nils den Namen des Kontakts: Ein Freund. Er schüttelte den Kopf. So etwas war eigentlich nur Patricks Schema. Würde er gleich den Chat öffnen, würde er sicherlich irgendwelche lustigen GIFs und Geburtstagsgrüße von Patrick sehen. Der erlaubte sich schließlich immer mal wieder derart aufwendige Scherze für seine Freunde. 

Nils klickte auf den Kontakt, woraufhin sich das Chatfenster öffnete. Statt GIFs oder Geburtstagsgrüße fand Nils jedoch nur ein Bild. Es war ein Foto von ihm selbst. Er öffnete es, um es größer zu betrachten. Nils erkannte, wie er selbst am Küchentisch saß. Die Aufnahme musste von der Veranda aus gemacht sein, das dunkle Bild und die Lampen, die an der Decke über ihm leuchteten, ließen darauf schließen, dass das Foto irgendwann abends geschossen sein musste. Lea sah er nicht auf dem Bild, es konnte also sein, dass sie an dem Tag mit Freundinnen unterwegs oder einfach irgendwo anders in der Wohnung gewesen war. Aber wieso sollte Patrick einfach ein Bild von ihm schießen? Und das auch noch heimlich, im Dunkeln? Und das dann an seinem Geburtstag kommentarlos schicken? Das war definitiv eine seltsame Aktion. Nils schnappte sich sein eigenes Handy und suchte die Telefonnummer von Patrick raus. Er wollte ihn darauf ansprechen und fragen, was das sollte. Nils war zwar nicht böse deswegen, aber er verstand diesen Scherz einfach nicht. Während das Handy wählte, stellte er es auf Lautsprecher und legte es neben sich auf den Tisch. Dann nahm er das Geschenk wieder in die Hand und versuchte, irgendetwas über das Smartphone, die App und den Chat herauszufinden. 

„Ja?“, ertönte daraufhin die blecherne Stimme.

Kurz zuckte Nils zusammen, dann war ihm klar, dass die Stimme aus seinem eigenen Handy erklang und nicht aus dem, das er heute Morgen gefunden hatte.

„Hey Patrick!“, rief Nils. „Freut mich, dass du an meinen Geburtstag gedacht hast. Aber die Sache mit dem Smartphone verstehe ich nicht. Ich stehe da ein bisschen auf dem Schlauch.“

            „Oh. Mist!“

„Äh, was meinst du?“

            „Na sorry, Kumpel. Ich hab’s total verpennt. Aber dann sage ich es dir einfach hier schnell: Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag! Es ist dein runder, oder?“

Nils war verdutzt. „Ja, ich bin dreißig geworden. Aber sag mal, das Handy … das hast du mir doch in den Briefkasten gelegt?“

            „Ein Handy? Es ist mir schon ein bisschen peinlich, Nils, aber bis vor wenigen Sekunden habe ich nicht mal dran gedacht, dass du heute Geburtstag hast.“

„Aber ich habe heute morgen ein Handy in meinem Briefkasten gefunden. In einem Umschlag. So eine Aktion kommt doch immer von dir!“

            „Nils, ich sage es dir. Es tut mir echt leid, dass ich es verschwitzt habe. Lass uns heute Abend darüber quatschen. Ich bringe was Kühles mit. Sagen wir, so gegen zwanzig Uhr?“

Patrick hatte Nils auf dem falschen Fuß erwischt, eindeutig. „Klar. Zwanzig Uhr. Ja, das passt. Bringst du Meike mit?“

            „Klar, sie kommt mit. Bis später, Mann, ja?“

Irritiert legte Nils auf. Dass Patrick seinen Geburtstag vergessen hatte, war ihm in diesem Moment egal. Denn gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er damit keine Ahnung hatte, von wem das Handy in seinem Briefkasten stammte. Und genau dieses Handy gab in der Sekunde ein leises pling von sich.

 

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Er hat meine Nachricht gelesen. Das ist gut, das ist sehr gut. Bisher läuft damit alles nach Plan. Nils musste scheinbar früher von der Arbeit nach Hause gekommen sein. Wieso hätte er sonst auf einmal mitten in der zweiten Schicht den Chat öffnen sollen? Es ist egal, alles läuft nach Plan. So wie ich es wollte.

Ich öffne am unteren Bildschirmrand die Chatfunktion. Hallo Nils, schreibe ich. Happy Birthday, alter Kumpel! Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Dann wähle ich das Bild aus der Galerie aus, das ich vor einigen Tagen, als ich alles geplant hatte, schon auf meinem Handy abgespeichert hatte. Während ich es in den Chat sende, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es tut so gut. Nils, ich weiß, was du getan hast, denke ich. Aber ich schreibe es nicht. Noch nicht. Denn der Spaß fängt ja gerade erst an.

 

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Hallo Nils.

Wer auch immer ihm das Handy in den Briefkasten gelegt hatte, hatte ihm gerade geschrieben. Das wurde Nils bewusst, als die zweite Nachricht einging: Happy Birthday, alter Kumpel! Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Von wem kam diese Nachricht? Wer hatte ihm das Handy geschenkt? Zumindest wusste der- oder diejenige über seinen Geburtstag Bescheid, anders als Patrick. Inge und Caro konnten es nicht sein, die sah Nils ja immerhin regelmäßig. Und Meike? Nein, die Frau von Patrick sicherlich auch nicht. War das irgendeine bescheuerte Aktion von Alex? Hatte sich sein Chef gedacht, dass er ihn an seinem dreißigsten Geburtstag mal so richtig schön aufs Kreuz legen wollte? Aber auch das passte einfach nicht.

            Nils war ratlos. Gerade, als er dem unbekannten Absender antworten wollte, kam die nächste Nachricht rein. Ein weiteres Foto. Nils öffnete es. Die Qualität des Bildes war deutlich schlechter als das Foto zuvor. Es sah aus … als ob es schon vor vielen Jahren geschossen wurde. Dann erkannte Nils sich selbst auf dem Bild. Und er hatte Recht, es war nicht der dreißigjährige Nils, sondern der Nils im Alter von sechzehn Jahren. Der Nils, der gerade seinen Arm um Linda gelegt hatte. Er musste schmunzeln, als er an den Moment zurückdachte. Linda war seine erste Freundin gewesen. Sie hatten sich im Sommer kennengelernt und in den warmen Wochen fast jeden Tag zusammen verbracht. Mal waren sie am Baggersee gewesen, mal waren sie in den Wäldern wandern. Es war ein schöner Sommer gewesen, daran erinnerte sich Nils. Linda und er hatten die langen Sommertage genossen. Es war damals der beste Sommer seines Lebens. Doch dann musste Lindas Familie umziehen. Sie zogen aus dem Dorf weg, um in eine größere Stadt in den Süden zu ziehen. Ihr Vater hatte dort einen besserbezahlten Job gefunden. 

            Die Erinnerungen an Linda verblassten. Nils sah wieder auf das Handy. Wer hatte denn noch Bilder von damals? Die meisten seiner aktuellen Freunde hatte er erst vor ein paar Jahren kennengelernt, als er hier mit seinem Job anfing. Von ihnen konnte es also eigentlich niemand sein. Er überlegte, versuchte sich an seine Jugend zu erinnern. Doch die meisten Erinnerungen an damals waren verblasst. Nils konnte sich an fast gar nichts mehr aus jenem Sommer erinnern, so sehr er es versuchte. Sie waren damals zwar eine kleine Clique gewesen. Linda und er und… Nils erinnerte sich nicht mehr an die Namen. 

            Es war ja schließlich auch egal. Er befand sich im Hier und Jetzt. Wenn der unbekannte Schreiber ihm sagen wollte, wer er war, würde er das sicher noch tun. 

Danke für die Glückwünsche und die schöne Erinnerung 😉, schrieb Nils zurück. Dann legte er das Handy auf die Seite. In wenigen Minuten musste auch Lea wieder nach Hause kommen. Dann würden sie seinen Geburtstag vermutlich noch gemütlich auf der Veranda ausklingen lassen, bis Patrick und Meike am Abend kämen. Doch Nils irrte sich. Heute würde nichts mehr gemütlich werden. Es sollte sogar sehr ungemütlich werden.

 

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Danke für die Glückwünsche und die schöne Erinnerung 😉

Er hat es nicht verstanden. Er hat es wirklich nicht verstanden! Oder stellt sich Nils einfach dumm? Will er es nicht verstehen? Will er mich provozieren? Nach alldem, was er getan hat? Aber darauf bin ich ja schließlich vorbereitet. Ich durchsuche meine Bildergalerie nach dem richtigen Foto. Ja, das hier sollte seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen! Nils würde sich langsam aber sicher an den Sommer erinnern. Damals. Und an das, was er getan hat. Mir angetan hat!

 

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Mit einem plingkündigte sich die nächste Nachricht auf Nils` neuem Handy an. Fieberhaft überlegte er, ob er es nicht einfach in einem Fundbüro abgeben könnte. Dann wäre er diesen ganzen Scherz los, egal, von wem er stammte.

            Nils öffnete den Chat und sah, dass er ein weiteres Foto geschickt bekommen hatte. Er vergrößerte es und bemerkte sofort, dass es auch aus seiner Vergangenheit stammen musste. Nils erkannte darauf ein Schaufenster.KLASSIKER UND NEUHEITEN! FÜR JUNG UND ALT! 20% LEIHGEBÜHR. FILMMAX.Es war ein Filmverleih. Im Schaufenster standen DVD-Boxen und Filmplakate. Er erkannte die Plakate von James Bond 007: Casino Royale und The Da Vinci Code. Das konnte zeitlich stimmen, dachte Nils. Doch warum schickte ihm jemand ein Bild von einem Schaufenster? 

Nils war zwiegespalten. Einerseits wollte er wissen, von wem die Nachrichten stammten, andererseits wollte er aber auch dieses blöde Handy entsorgen. 

Wer bist du?, schrieb Nils in den Chat.

Er musste nicht lange warten, bis er eine Antwort erhielt: Das weißt du.

            Nils war ratlos. Erst das Bild von Linda, dann das Schaufenster von einem Laden namens Filmmax. Klar, beides musste mit seiner Vergangenheit zu tun haben. Wollte jemand ihm seine schönsten Erinnerungen, welche auch immer das sein sollten, zeigen? Als Geburtstagsgeschenk?

            Es tut mir leid, aber ich komme nicht drauf. Schön, dass du an meinen Geburtstag gedacht hast. Aber leider weiß ich nicht mehr, wer du bist.

Statt einer weiteren Nachricht poppte ein neues Bild auf dem Display auf. Es zeigte erneut das Schaufenster von Filmmax, dieses Mal war der Fotograf jedoch deutlich näher an der Scheibe.

Nils konzentrierte sich. Er kniff die Augen zusammen. Ja, da stand jemand. Hinter der Scheibe. Die Umrisse, die Kontur, all das erinnerte Nils an … sich selbst. Hatte er dort mal Filme ausgeliehen? Oder … In diesem Moment hatte Nils das Gefühl, dass ihm plötzlich Bilder durch den Kopf schossen, die er lange verdrängt hatte. Ja, er hatte bei Filmmax früher gejobbt. Er erinnerte sich. Es gab zwar nicht viel Geld, aber immerhin hatte er in dem kleinen Dorf einen Ferienjob! 

Der Absender hatte Nils also wieder eine Erinnerung an früher geschickt. Doch was wollte er damit bezwecken? Nils grübelte, versuchte, sich in die Vergangenheit zu versetzen. Linda, Filmmax, sein Ferienjob. Der Sommer vor gut fünfzehn Jahren. Warum hatte er nur noch so wenige Erinnerungen an diese Zeit? 

Während Nils nachdachte, ertönte das nächste plingaus dem Handy, dicht gefolgt von einem weiteren Ton. Und noch einem. Nils sah, dass drei weitere Bilder im Chat aufgetaucht waren. Er öffnete sie. Das erste Foto zeigte vier Jugendliche. Da waren er und Linda, sie saßen auf einem Feld, im Schatten eines Baumes. Wieder so eine Erinnerung. Nils hatte das Gefühl, dass durch die Fotos mehr und mehr Bilder in seinem Kopf animiert wurden. 

            Auf dem Foto standen noch zwei weitere Personen, zwei Jungs, an deren Gesichter er sich jedoch nicht genau erinnern konnte. Er betrachtete die beiden eingehend. Einer hatte lange Haare, nach hinten gekämmt, und wirkte recht schlaksig. Der andere sah dem jungen Nils sehr ähnlich. Auch er war recht groß, sportlich und machte einen normalen Eindruck. 

Nils kam nicht auf die Namen. Er wischte mit dem Finger nach links, das nächste Foto zeigte sich ihm. Im Gegensatz zum letzten Bild waren hier nur zwei Personen zu sehen. Beide jedoch sehr nah abgebildet, so als hätte der Fotograf nah an die Gesichter der beiden Jungs gezoomt. Links erkannte Nils sein Gesicht von damals. Und rechts… auch! Wie konnte das sein? Weshalb war er auf diesem Foto zwei Mal zu sehen? Er betrachtete es eingehend, bis er merkte, dass es zwischen den beiden Gesichtern leichte, aber erkennbare Unterschiede gab. Das war nicht zweimal er. Neben ihm musste jemand gestanden haben, der eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihm aufgewiesen hatte. Und da die Wahrscheinlichkeit, dass es damals im Dorf einen Jungen gegeben, der genauso wie Nils ausgesehen hatte, so gering war, konnte das nur bedeuten, dass Nils einen Bruder hatte.

 

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Ich bin mir sicher, dass Nils nun auf dem richtigen Weg ist. Spätestens jetzt muss er doch erkennen, was ich ihm mitteilen will. Spätestens jetzt weiß er, wer ich bin. Falls er es wirklich verdrängt haben sollte. Amnesie sagen manche Leute dazu. Ich sage, dass er ein Feigling ist. Er hat mir alles genommen, alles angetan und dann versteckt er sich und glaubt, dass er einfach so weiterleben kann. Heute wird sich das ändern. Ab heute wird er nicht mehr gut schlafen können, weil er sich jeden Tag an das erinnern wird, was er getan hat.

 

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Verdutzt sah Nils immer noch auf das Foto. Ein Bruder? Wieso erinnerte er sich nicht an ihn? Konnte das möglich sein? 

            Nils öffnete das dritte Foto, das er eben bekommen hatte. Darauf erkannte er mehrere junge Menschen in Abendkleidern. Es wirkte wie auf einem Ball. Der Abschlussball, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Es war eine weitere Erinnerung, die wie ein Puzzlestück ihren Platz an der richtigen Stelle seines Gehirns fand. Langsam, aber sicher schlossen sich die Lücken jenes Sommers. Linda, Filmmax, sein Bruder, an den er sich fast gar nicht erinnern konnte, und nun der Abschlussball.

            Für ihn war es ein guter Sommer gewesen. Er hatte Linda kennengelernt, vormittags immer ein bisschen Geld im Filmverleih verdient, das warme Wetter genossen. Und dennoch hatte Nils das Gefühl, dass es da noch etwas gab. Irgendetwas in seinem Unterbewusstsein, dass ans Tageslicht gelangen wollte. Es war wie ein Schatten, der sich über seine Erinnerungen gelegt hatte. So, dass etwas nicht zum Vorschein kam. Etwas, das lieber verborgen geblieben wäre.

            „Was schaust du so entsetzt auf dein Handy?“

Nils schrak hoch. Vor ihm stand Lea. Sie war also wieder von der Schule zurück. 

„Tut mir leid, ich habe hier nur gerade etwas gelesen.“ Nils legte das Smartphone auf die Seite und blickte zu seiner Frau. „Alles klar?“

            „Alles Gute zum Geburtstag, Nils!“

 

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Er weiß es. Er weiß es nur noch nicht, dass er es weiß. Aber er weiß es. Da bin ich mir sicher. Ich scrolle durch meine Bildergalerie. Ja, das könnte ich ihm noch schicken. Das wäre ein letzter, entscheidender Hinweis. Dann wird er es wissen. Dann wird er sich erinnern. Und dann bin ich gespannt, wie er reagieren wird. 

 

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Nils hatte das Handy für den Abend weggelegt. Er wollte sich nicht mehr darauf einlassen. Wer auch immer ihm die Nachrichten geschickt hatte, würde sich schon wieder melden. Da war er sich sicher.

Wie erwartet hatten Lea und er den frühen Abend auf der Veranda ausklingen lassen. Um kurz vor zwanzig Uhr standen dann auch schon Patrick und Meike vor der Tür. Sie hatten einen Kuchen und wie versprochen etwas Kühles mitgebracht. Patrick war es noch ein bisschen peinlich, dass er Nils` Geburtstag vergessen hatte, das hatte Nils gemerkt. Nach ein, zwei Flaschen Bier konnten sie alle darüber lachen. Zu viert saßen sie noch einige Stunden zusammen, irgendwann hatten dann Patrick und Meike ihre Sachen gepackt und sich auf den Heimweg gemacht. Nils und Lea hatten noch ein Glas Wein getrunken, bevor sie sich schlafen gelegt hatten. Das Handy hatte Nils dabei vollkommen verdrängt. So hatte er auch nicht mitbekommen, dass eine neue Nachricht im Chat eingegangen war. Das Bild, das der Absender geschickt hatte, sollte Nils dann am nächsten Morgen entdecken. Und damit würde auch das entspannte Frühstück ins Wasser fallen. Nils würde dann nämlich so gar nicht mehr danach sein. Doch das wusste er noch nicht. 

 

Die ersten Sonnenstrahlen glitzerten durch das Fenster und weckten Nils auf. Lea war wohl schon aufgestanden, ihre Bettseite war leer. Stattdessen roch es im Flur nach Kaffee. Leicht verschlafen stand Nils auf, zog sich an und marschierte Richtung Küche. Die Küchentür zur Veranda war angelehnt und Nils sah, wie Lea schon auf einem Gartenstuhl saß und die Sonnenstrahlen genoss.

            Er holte sich ebenfalls eine Tasse aus dem Schrank. Als Nils sich den Kaffee einschenken wollte, fiel sein Blick jedoch auf das Smartphone, das gestern im Briefkasten gelegen hatte. Er tippte auf das Display und sah, dass eine weitere Nachricht eingegangen war. 

Nils öffnete den Chat. Was er dort vor sich sah, brachte ihn aus der Fassung. Der Geschmack des Kaffees suchte sich wieder den Weg nach oben und Nils musste sich zusammenreißen, sich nicht zu übergeben. 

            Ein weiteres Foto war eingegangen. Dieses Mal jedoch zeigte es kein Gebäude und keine Personen. Dieses Mal war dort ein Hund zu sehen. Das Tier, das mal ein buschiges graues Fell gehabt haben musste, lag ausgestreckt auf der Erde. Schmutz und Blut hatten das Fell verkrustet. Nur noch wenige graue Stellen konnte Nils erkennen. Vielmehr tauchten das Rot, das Braun und das Schwarz, die nun fast das gesamte Fell überzogen, das Foto in eine unheimliche Stimmung. Jemand musste den Hund bestialisch aufgeschlitzt haben. Neben dem toten Tier lag ein Messer, das wie der Hund blutverschmiert war. Wer tat so etwas? Wer war dazu fähig? Und wieso schickte jemand Nils ein derart krankes Bild? Er verstand nicht. 

            Und dennoch zwang er sich dazu, das Foto genauer anzusehen. Er vergrößerte das tote Tier und erkannte ein blaues Halsband, das fast gänzlich unter dem blutverschmierten Fell verschwunden war. Wie gestern Abend zuckten ihm Gedankenfetzen durch den Kopf. So, als ob diese Bilder etwas in ihm aktivieren würden. Und von Mal zu Mal wurden die Erinnerungen konkreter. Linda, Filmmax, ein Zwillingsbruder, der Abschlussball und … Mozart!

            Nils erinnerte sich. Ja, das war ihr Hund gewesen. Der Familienhund Mozart. Die Verbindung aller Erinnerungen. Seine Eltern hatten den Hund gekauft, damit er und … Jakob! Da war es wieder. Vor seinem inneren Auge rekonstruierte Nils jenen Sommer. Linda, Filmmax, JAKOB, der Abschlussball und Mozart! Seine Eltern hatten den wuscheligen Mittelschnauzer gekauft, um Nils und Jakob rauszubringen. Sie saßen im Sommer meistens bei Jakob im Zimmer und hatten auf seiner Konsole gezockt. Es war, als wären alle Erinnerungen wieder da. 

Und damit auch alles, was Nils jahrelang versucht hatte, zu verdrängen. Es war, als hätte der unbekannte Absender in seiner Vergangenheit gewühlt und die dunkelsten Stunden hervorgezaubert, die er so tief zu vergraben versucht hatte. 

 

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Wie gerne ich sein Gesicht sehen würde. Wie er dumm gucken muss gerade! Ich habe ihm alles aufgezeigt, es ist alles wieder da! Er hat es zwar versucht, zu verdrängen und zu vergessen, aber ich habe es ihm erneut in Erinnerung gerufen. Es ist so passend! Der dreißigste Geburtstag! Er wird ihn nie mehr vergessen. Denn er war bestimmt ganz anders, als er es sich erhofft hatte. Das ist gut. Das gefällt mir. Ich bin gespannt, wie Nils reagieren wird.

 

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Das konnte einfach nicht sein, das durfte nicht sein! Nils sah sich schnell um, aber Lea saß immer noch entspannt auf der Veranda. Sie hatte also nichts mitbekommen. Das war gut so. Er musste verhindern, dass der unbekannte Absender noch weiter in seiner Vergangenheit wühlte. 

Was willst du von mir?

Nils wartete ab. Schreib schon! Schreib schon!!

            Du weißt es, oder? Du hast es immer gewusst! Und ich weiß es auch. Ich weiß, was du getan hast.

Blankes Entsetzen machte sich in Nils breit. Der Sommer damals war zwar sein schönster Sommer jemals gewesen, aber nur in seiner Vorstellung. Und irgendjemand wusste das. Irgendjemand wusste, was Nils damals getan hatte. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! 

            Nils überlegte. Was sollte er tun? Wer schrieb ihm da? Wer hatte die ganzen Bilder gemacht?

Nils konnte nicht mehr nachdenken. Während er grübelte, blitzte ein Flashback nach dem anderen in ihm auf. Und dann wusste er. Er wusste, von wem das Handy stammte. Und er wusste, wer ihm geschrieben hatte.

 

Nils wollte sich nicht erinnern, aber die Erinnerungen widersetzen sich ihm. Sie spulten sich vor seinen Augen ab wie in einem schlechten Kinofilm. Da war Linda. Seine Linda. Die Linda, mit der er auf dem Abschlussball getanzt hatte. Die Linda, mit der eigentlich Jakob zusammen gewesen war. Und der Ferienjob bei Filmmax. Der Job, den er sich von Jakob erschlichen hatte. Der Sommer, der der perfekte Sommer für Nils war. Perfekt, weil er alles von Jakob übernommen hatte. Er hatte ihm alles weggenommen. Er hatte ihm alles zerstört. Seinem Bruder. Und er hatte Mozart getötet. Ihn bestialisch aufgeschlitzt und Jakob die Schuld gegeben. Er hatte ihn vor seinen Eltern und seiner Freundin vorgeführt. Jakob der Versager. Jakob der Mörder. Er hatte alles. Jakob hatte nichts mehr. Weil Nils ihm alles genommen hatte. 

 

Nils keuchte auf. Da waren sie. Die Erinnerungen, die er verdrängt hatte. Die er nie mehr sehen wollte. Die er so gut in seinem Gedächtnis weggesperrt hatte, dass er geglaubt hatte, dass sie gar nicht mehr existieren würden. Und da waren sie wieder. Und es gab nur eine Person, die das wissen konnte. Jakob.

 

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Er hat nichts mehr geschrieben. Seit ich ihm alles offenbart habe, habe ich nichts mehr von ihm gelesen. Ich glaube, dass er ganz schön daran zu knabbern hat. Ich hoffe es. Ich wünsche es ihm so sehr! Du bist still geworden, schreibe ich ihm. Jetzt kann es losgehen. Darauf habe ich hingearbeitet. Jetzt bekomme ich ihn dran, jetzt werde ich ihn kleinkriegen! 

 

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Du bist still geworden.

Nils blickte auf das Handy. Jakob. Er hatte nichts vergessen. Er wusste noch alles.

Was willst du von mir?Nils war bewusst, dass die Situation ihn überforderte. Jakob hatte aktuell alles in der Hand. Er konnte ihn ausspielen. Er konnte ihm alles wegnehmen, alles zerstören, was Nils sich aufgebaut hatte. Lea, seine Freunde, seine Arbeit. All das konnte nun spielend leicht verschwinden. 

Jakob? Es war eigentlich eine dumme Frage. Schließlich war es so offensichtlich. Es konnte niemand anderes sein.

            Ja.

Was willst du von mir?

            Der Spaß hat doch gerade erst begonnen.

Es tut mir leid. Alles tut mir leid.

            Das ist reichlich spät, findest du nicht?

Das wusste Nils. Natürlich! Er hatte Jakobs Leben zerstört, innerhalb eines Sommers! Aber er war auch noch jung gewesen. Er hatte doch quasi gar nicht gewusst, was er da tat!

Es tut mir leid. Das von damals. Und ich weiß nicht, wie ich es wiedergutmachen soll.

Das ist doch schon mal ein Anfang, Bruder.

Was willst du? Das ständige Hin- und Herschreiben nervte Nils. Jakob sollte ihm einfach sagen, was das sollte und gut würde es sein. Immerhin war das ein Fehler, den er vor knapp fünfzehn Jahren begangen hatte. Und jetzt auf einmal interessierte es Jakob wieder. Davor hatte er nichts mehr von seinem Bruder gehört!

 

In jenem Sommer hatte sich die Familie zerstritten. Was Nils getan hatte, war unverzeihlich. Er hatte nicht nur Jakobs Freundin ausgespannt, sondern ihm auch noch seinen Ferienjob weggenommen und anschließend Mozart getötet, nur um das Jakob in die Schuhe zu schieben. Der Brüderstreit war zu viel für die Ruhe in der Familie. Nils und sein Vater zogen weg, während Jakob mit seiner Mutter im Dorf blieb. Alles trennte sich. Erst war Linda gegangen, dann artete dieser Streit aus und Nils musste gehen. Natürlich war es seine Schuld. Natürlich hatte er Fehler begangen und er akzeptierte die Konsequenzen, auch wenn sie für Jakob schlimmer waren. Nicht nur seine Freundin war weg, sein Job verloren, auch Mozart war tot. Der schönste Sommer, den Nils sich vorgestellt hatte, war der Albtraum-Sommer der Familie gewesen. Und wer hatte daran Schuld? Nils. Und er wusste es. Und begann zu verdrängen.

 

            Du wirst es sehen, Bruder. Lass dich überraschen.

WAS WILLST DU VON MIR? Zu Nils` Angst gesellte sich nun Wut hinzu. Sein Bruder versuchte ihn psychisch zu brechen, das war ganz klar.

            Du wirst niemals glücklich sein. Niemals!

Nils schleuderte das Handy über den Küchentisch. Es schlitterte über die Platte und fiel mit einem Scheppern auf den Boden. 

            „Du bist ja endlich wach!“ Lea blickte von draußen rein, das Geräusch musste sie gehört haben. „Alles klar bei dir?“

Nein, dachte Nils. Nichts ist klar. Alles andere als klar. Aber das konnte er seiner Frau schlecht sagen. „Ja, alles gut. Ich bin nur noch nicht richtig wach.“

            „Komm doch raus und wir setzen uns ein bisschen in die Sonne.“

Das klang zumindest mal nach einem Plan, mit dem Nils Abstand zu seinem Bruder und den Gedanken an jenen Sommer gewinnen konnte. Und gleichzeitig musste er überlegen, was er tun konnte. Denn auf Dauer würde er diesen Psychoterror von Jakob nicht ertragen. War das seine Strategie? Wollte er ihn einfach tagelang, wochenlang, monatelang fertigmachen? Ihn an seine Vergangenheit erinnern? Nils dachte darüber nach, das Handy einfach wegzuwerfen. Aber Jakob würde sicherlich nach einigen Tagen, wenn er nicht reagieren würde, wieder ein neues Gerät in den Briefkasten legen. War Jakob mittlerweile so? War das seine neue Art? War das die Art, Rache zu nehmen und Nils fertigzumachen? 

            Nils wusste, dass er diese Fragen nicht beantworten konnte, ohne mit Jakob zu sprechen. Ein Gespräch zwischen zwei Brüdern, um die Vergangenheit zu begraben. Um den eigenen Fehler auszumerzen. 

Er dachte an den Sommer zurück. An die Erinnerungen, die Jakob ihm beschert hatte. Die er nun nicht mehr so schnell aus seinem Gedächtnis verbannen konnte. Und während Nils darüber nachdachte, wusste er auch, dass da noch etwas verborgen war. Etwas, das noch nicht ans Tageslicht gekommen war. Etwas, das so viel schlimmer als alles andere war, dass es tief, ganz tief in ihm drin schlummerte.

 

+++

 

Es funktioniert. Er hat jetzt schon Panik. Ich kann es fühlen, riechen, schmecken. Es tut so gut. Ich weiß, dass er leidet. Dass er sich Gedanken macht. Die hat er sich auch schon damals gemacht, aber heute ist es viel besser. Nils wird schon sehen, was mit Leuten wie ihm geschieht. Ich werde ihn fertigmachen, bis er um Gnade bettelt. Gegen mich hat er nichts auszusetzen. Hatte er nie!

 

+++

 

Draußen konnte er tatsächlich ein bisschen abschalten und herunterfahren. Lea erzählte ihm, wie die Klausur am Vortag gewesen war. Die Klasse war pünktlich im „Bunker“ erschienen und während der Klassenarbeit hatten nur wenige versucht, unfaire Methoden einzusetzen. Lea war mittlerweile aber so erfahren, dass sie das ganz entspannt regeln konnte. 

            Es tat Nils gut, mal etwas anderes zu hören und über andere Dinge nachzudenken. Die letzten 24 Stunden waren aufreibend genug gewesen. Und dennoch schweiften seine Gedanken immer wieder ab. Zu Jakob. Zu Linda. Zu Mozart. Zu dem Handy-Geschenk. Und zu jenem verhängnisvollen Sommer.

Die Gedanken schwirrten umher. Er konnte es nicht verhindern. Es brachte aber nichts, sich verrückt zu machen. Er hatte diesen einen großen Fehler begangen, hatte seinen Bruder hintergangen und ihm alles genommen, was ihm wichtig war. Ja, vielleicht war Nils selbstsüchtig gewesen. Aber konnte man so etwas überhaupt über einen Sechzehnjährigen sagen? 

            Pling.

Da war es wieder. Das Geräusch, das so viel Angst in Nils auslöste. Gestern Abend dachte er noch an ein kreatives, wenn auch skurriles Geburtstagsgeschenk, heute Morgen löste der Ton, der eine neue Nachricht ankündigte, blankes Entsetzen in ihm aus. 

            Hatte Jakob etwa Beweisbilder gefunden? Irgendetwas aus der Vergangenheit, das zeigte, wie hinterlistig Nils gewesen war? Etwas, weswegen man ihn wirklich verurteilen konnte?

Nils dachte nach, versuchte, sich in jenen Sommer zurückzuversetzen. Klar, die Nummer mit Jakob und Linda war was zwischen den dreien gewesen. Dass er die Freundin seines Bruders weggenommen hatte, hatten die meisten damals gar nicht so wirklich mitbekommen. Immerhin hatten Jakob und Linda ihre Liebe nie wirklich öffentlich gezeigt, oder? Und Linda hatte ja schließlich freiwillig mit Jakob Schluss gemacht. Oder? Nils war sich nicht sicher, wie konnte er auch?

Die Situation um den Ferienjob bei Filmmax dagegen war eine andere gewesen. Nils erinnerte sich, dass Jakob den Job jede Ferien gemacht hatte. Und dass er, Nils, deshalb dort nie eine Chance hatte. Klar, der Laden war klein, aber wieso sollte immer nur Jakob dort arbeiten. Also hatte er Maximilian Engerer überzeugt. Ja, Jakob hätte jetzt einen anderen Job. Etwas Besseres. Nein, er wolle nicht mehr dort arbeiten. Und immerhin, wussten Sie, Jakob hatte auch ab und zu mal einen Film mitgehen lassen. Nils` Erinnerung erschreckte ihn. Ja, auch da hatte er Jakob reingeritten. Und so war er an den Job gekommen. Engerer hatte selbstverständlich wenig Lust, als Jakob dann doch am nächsten Tag kam, mit ihm zu diskutieren. Er wurde entlassen. 

            Nils wurde bewusst, wie sehr er seinen Bruder hintergangen hatte. Was er ihm alles zerstört hatte.

Die Bilder vor seinen Augen verpufften. Er konzentrierte sich wieder auf das Handy, dort war schließlich vorhin eine Nachricht eingegangen. 

            Bevor er das Display zum Leuchten brachte, wusste Nils, dass es sich wieder um ein Foto handeln würde. Natürlich hatte Jakob etwas gefunden, mit dem er ihn unter Druck setzen konnte. Nils betrachtete den Bildschirm und staunte nicht schlecht, als er sah, dass Jakob ihm eine ganze Bildergalerie geschickt hatte. Alle Fotos mussten von damals stammen. Aus dem Sommer vor fünfzehn Jahren. Wo hatte Jakob nur die ganzen Bilder her?

Nils klickte sich durch, betrachtete ein Bild nach dem anderen. Gott sei Dank fand er kein weiteres Foto von Mozart. Er hätte sich, neben Lea sitzend, ganz schön beherrschen müssen, wenn er erneut den toten Hund gesehen hätte.

            Die Bilder zeigten ihre Clique. Linda, Jakob, ihn und den anderen Jungen. Nils erinnerte sich nicht, kam erneut nicht auf den Namen. Ansgar? Aaron? Irgendwie so. Er war immer der stille Begleiter gewesen. Er war für alles zu haben, sagte aber nie was. Wenn die anderen etwas unternahmen, war er dabei. Entscheidungen überließ er jedoch eigentlich immer den anderen. Zumindest gaukelten Nils` Erinnerungen ihm das vor.

Er sah weitere Bilder, von Wiesen und Wäldern, von dem kleinen Dorf. Sie waren im Sommer oft unterwegs gewesen. Da waren auch Fotos, auf denen nur Linda und er zu sehen waren. Waren sie da schon zusammen? Und er erkannte auf manchen Bildern auch Mozart, wie er mit den vieren auf den Feldern spielte. Es waren quasi die schönen Erinnerungen, die er all die Jahre hatte. Die Vorstellungen, wie gut jener Sommer gewesen war. 

            Er wischte ein Bild weiter. Und da waren die schönen Bilder auch schon wieder aus seinem Kopf verschwunden. Nils sah ein Foto von Jakob. Er erinnerte sich an den gemeinsamen Ausflug. Auch da waren sie mit Linda und Ansgar oder Aaron unterwegs. Sie sind in den Wald gegangen, wollten ein Baumhaus aufbauen. Jakob schnitzte gerade an Stöcken. Jakob.

            Nils schloss die Bildergalerie.

Warum schickst du mir die?

Es dauerte nicht lange, bis Nils sah, dass Jakob antwortete.

            Es sind doch deine Erinnerungen, oder?

Jakob, was willst du von mir?

            So war doch der Sommer für dich, oder? Schön, friedlich. Aber nicht für mich. 

Nils klickte durch die App, suchte eine Möglichkeit, herauszufinden, welche Nummer mit dem Kontakt verknüpft war. Er fand jedoch nichts. Nils wollte Jakob anrufen, ihn um ein Gespräch bitten, um die Sache aus der Welt zu schaffen.

Lass uns reden, Jakob! Bitte.

            Das tun wir doch gerade.

Persönlich, meine ich.

            Was hast du denn auf dem Herzen?

Nils musste sich beherrschen. Dieses ekelhafte, schleimerische Getue. Jakob wusste ganz genau, dass er ihn in der Hand hatte.

Es tut mir leid, tippte Nils. Er wusste nicht, was er sonst schreiben sollte. Was zum Teufel wollte Jakob denn noch von ihm.

            Ich weiß. Aber du wirst es nicht ändern können. Du konntest nie etwas ändern. Und das wirst du auch jetzt nicht können.

Nils verstand nicht. Es war zum Verrücktwerden.

            „Was starrst du denn die ganze Zeit auf dein Handy?“

Lea. Sie hatte ja keine Ahnung. „Nichts“, entgegnete Nils ihr daher schnell. „Ich musste nur noch was klären.“

 

+++

 

Langsam, aber sicher bekomme ich Nils dahin, wo ich ihn haben will. Er ist kurz vor dem Aufgeben. Er will sein Geheimnis um jeden Preis schützen. Er würde dafür alles tun, da bin ich mir sicher. Sein Geheimnis. Bald wird es nicht mehr geheim sein. Dann sollen alle wissen, was ich für einen hinterfotzigen Bruder habe!

 

+++

 

Sie stand mit einem Messer vor ihm. Hinter ihr lag der blutige Körper von Mozart. „Wir rächen uns!“ Dann schmiss sich Linda auf ihn und stieß das Messer in seinen Körper. 

            Nils schreckte hoch. Er war draußen eingeschlafen. 

            „Hattest du geträumt?“, fragte Lea.

„Scheinbar… Ein ziemlich schlechter Traum“, erhielt sie die leise gemurmelte Antwort von Nils. „Ich muss mal kurz in Ruhe telefonieren.“ Damit stand ihr Mann auf, schnappt sich das Handy, das neben ihm auf dem Tisch lag, und ging in die Wohnung. 

 

Nils ging ins Schlafzimmer und schloss hinter sich die Tür. Jakob hatte offensichtlich erreicht, was er wollte. Der Psychoterror machte ihn fertig. Erst die ganzen Flashbacks, die seine dunkelsten Stunden offenbarten, jetzt auch noch schlechte Albträume. Das wurde ihm zu viel. Er musste handeln. Er musste das Gespräch mit Jakob suchen. Egal, was der von ihm wollte.

Bist du da?, schrieb Nils in den Chatverlauf.

            Er wartete auf eine Antwort, doch scheinbar war Jakob gerade nicht online. Verständlich, immerhin konnte sein Bruder ja nicht die ganze Zeit an diesem Chat hängen. Gerade als Nils das Smartphone weglegen wollte, erklang das pling.

            Nils warf einen Blick auf den Bildschirm.

            

            Das war eine klare Antwort.

Können wir das nicht einfach beenden?

            Wir könnten.

Was soll ich tun?

            Darüber muss ich mir noch Gedanken machen.

Jakob war also noch nicht fertig mit ihm. Er hatte einen Plan und er würde ihn durchziehen, da war sich Nils sicher. 

Wirst du weitere Fotos schicken?

            Das weiß ich noch nicht. Immerhin hast du dich ja schon erinnert, oder nicht?

Das hatte er und genau das war das Problem. Die Erinnerungen, die er verdrängt und ganz weit weg gespeichert hatte, waren nun wie Post-its ganz vorne in seinem Gedächtnis verankert. 

Bitte lass mich in Ruhe, Jakob.

Nils erhielt keine Antwort. Frustriert schmiss er das Handy auf sein Bett. Er wusste, dass er sich gegen Jakob nicht durchsetzen konnte. Das konnte er schon mal nicht. Und als ihm dieser Gedanke in den Sinn kam, griff er wieder eilig nach dem Smartphone. Da war etwas. Etwas, das gar nicht passte. Und er war kurz davor, den letzten dunklen Schleier, der seine Erinnerungen verdeckte, wegzupusten.

 

+++

 

Dafür liebe ich meinen Bruder. Es ist so einfach, ihn in Panik zu versetzen. Er kann nicht anders. Er folgt mir. Er lebt nach mir. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich es zu Ende gebracht habe. Und wieder wird er sich nicht wehren können.

 

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Hektisch klickte Nils durch die Bilder, die ihm Jakob geschickt hatte. Wo war es? Wo war es? Er hatte da doch etwas bemerkt. Da! Er vergrößerte das Foto, auf dem die Clique zu sehen war. Da war Linda. Da war er. Da war Jakob. Und da war Ansgar. Oder eben Aaaron. Oder wie er auch hieß. Nils sah, wie er und die drei anderen stolz vor dem Baumhaus standen, das sie gebaut hatten.

Er scrollte weiter. Und da sah er es.

Das Foto, auf dem Jakob die Äste für das Baumhaus schnitzte. 

Nils prägte sich das Foto genau ein, um einige Bilder wieder zurückzugehen. Zu Mozart. Da lag er, der tote Mittelschnauzer. Doch so weh es Nils im Herzen tat, der Hund war auf diesem Foto nur zweitrangig. Denn Nils nahm seinen rechten Daumen und Zeigefinger und vergrößerte damit das Foto nochmal. Und zwar auf den Bildausschnitt, in dem das Messer zu sehen war. Ohne Zweifel! Dass ihm das nicht vorher aufgefallen war!

            Nils erkannte, dass das Messer, das neben Mozart lag, blutbesudelt war. Und er erkannte, dass der Handabdruck, der sich durch das getrocknete Blut gebildet hatte, eine linke Hand darstellte. Es musste eine linke Hand sein. Der Abdruck passte nicht zu einer rechten Hand. Und das konnte nur eines bedeuten. Nicht ein Rechtshänder hatte Mozart aufgeschlitzt, sondern jemand, der mit der linken Hand agierte. Jemand, der mit einem Messer in der linken Hand gut umgehen konnte. Jemand, der als Linkshänder schon mehrere Äste für ein Baumhaus geschnitzt hatte. Jemand wie Jakob.

            Nils war elektrisiert. Jakob hatte damals Mozart getötet. Es war nicht so, wie es sich in seinen Erinnerungen abgespielt hatte. Nicht Nils hatte den Familienhund abgeschlachtet, sondern Jakob! Es traf ihn wie ein Blitz. Jakob war derjenige, der Mozart getötet hatte! 

            Aber wieso hatte er jenen Sommer so gänzlich anders in Erinnerung?

Schnell tippte er auf dem Display des Handys: Du! Du hast Mozart aufgeschlitzt! Wie konntest du nur? 

Es war unglaublich! Jakob versuchte, ihn psychisch in die Knie zu zwingen. Ihn fertigzumachen. Und dann wusste Nils, dass er diese Situation schon einmal erlebt hatte.

 

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Du! Du hast Mozart aufgeschlitzt! Wie konntest du nur? Diese Nachricht kam überraschend. Selbst für mich. Hatte Nils etwas herausgefunden? Das kann nicht sein, immerhin habe ich doch alles bis ins kleine Detail geplant.

Hektisch schaue ich mich um, sehe den Laptop und klappe ihn auf. Ich durchsuche alle Bilder, die ich gespeichert habe und die ich für Nils vorbereitet habe. Ist mir ein Fehler unterlaufen? Nils hat irgendetwas entdeckt. Etwas, das ich übersehen habe. Etwas, das die ganze Sache aus dem Gleichgewicht bringt. So war das nicht geplant! Wütend schleudere ich den Laptop vom Tisch.

            Das ist durchaus möglich,tippe ich in mein Handy und lege es zur Seite. Ich muss nachdenken.

 

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Das ist durchaus möglich.

Das ist durchaus möglich? Jakob hatte gerade zugegeben, dass er für den Tod von Mozart verantwortlich war? 

            Weitere Puzzleteile fügten sich Stück für Stück zusammen. Nils hatte das Gefühl, dass er drauf und dran war, das Geheimnis jenes Sommers zu lüften. Schnell scrollte er durch den Chatverlauf. 

            Aber du wirst es nicht ändern können. Du konntest nie etwas ändern. Und das wirst du auch jetzt nicht können. Nils blieb bei der Nachricht hängen. 

Du konntest nie etwas ändern. 

Und das wirst du auch jetzt nicht können.

Du konntest nie etwas ändern. 

Und das wirst du auch jetzt nicht können.

Du konntest nie etwas ändern. 

Und das wirst du auch jetzt nicht können.

Jakob hatte es geändert. Jakob war derjenige, der die Entscheidungen traf! Und damit war Jakob auch derjenige, der Nils` Erinnerungen beeinflusst hatte! Der Schleier, der über ihnen lag, war gelüftet. Jakob hatte ihm damals eingeredet, ihm Linda weggenommen zu haben. Er hatte ihm eingeredet, seinen Job gestohlen und Mozart getötet zu haben! Dabei war es gerade andersherum. 

Nils erinnerte sich an seinen Gedanken, der ihm zuvor gekommen war: Jakob versuchte die ganze Zeit, ihn psychisch in die Knie zu zwingen. Ihn fertigzumachen. Und diese Situation hatte er schon einmal erlebt. 

            Es war ganz anders gewesen.

 

+++

 

Damals

 

„Du bist ein Weichei! Ein Versager! Und der wirst du immer bleiben!“

Jakob stand über Nils, beugte sich zu ihm runter und spuckte in sein Gesicht.

„Dieser Sommer wird die Hölle für dich sein. Dich mache ich fertig!“

Nils hatte die Augen geschlossen und betete, dass es enden möge. Sein Bruder Jakob war schon immer der Anführer gewesen, alle tanzten nach seiner Pfeife. Doch diesen Sommer war es besonders schlimm. Täglich setzte Jakob Nils zu. Und seit wenigen Tagen nahm der Psychoterror nun auch noch körperlichen Umfang ein. Nils musste Schläge einstecken und sich Gemeinheiten seines Bruders anhören. Er habe ihm Linda ausgespannt. Und die blöde Kuh hing weiterhin mit Jakob zusammen rum! Jakob machte Nils klein. Und Nils hatte keine Chance, sich zu wehren. Jakob war er nicht gewachsen. Er konnte nur hoffen, dass er den Sommer überstehen würde. Egal, was es kostete.

 

+++

 

Nils erinnerte sich. Jakob hatte ihn in jenem Sommer alles genommen. Jakob wusste schon immer, wie er seinen Bruder schlagen konnte. Und das vor allem im psychologischen Sinne! Jakob hatte Nils eingeredet, dass er ihm seine Freundin Linda weggenommen hätte. Und nicht nur das, auch aus dem Ferienjob hätte Nils ihn verdrängt. Und schließlich habe Nils Mozart umgebracht und Jakob das in die Schuhe geschoben.

Und es stimmte nicht. 

            Nils erinnerte sich. 

Damals war es ganz anders gewesen.

 

+++

 

Damals

 

Jakob fand Linda schon immer süß. Er konnte gar nicht verstehen, weshalb die mit seinem Bruder abhing. Aber er konnte es ändern. Und das tat er auch. Die heißen Wochen des Spätsommers hatte er genutzt, um die Welt seines Bruders Nils zu zerstören. Im ersten Schritt schob er Nils Filme unter und schwärzte ihn dann bei Filmmaxan. So verlor Nils seinen heißgeliebten Ferienjob. Dass das Linda nicht ganz so cool fand, kam Jakob gelegen. Und so war es nicht schwer, Linda rumzukriegen. In wenigen Tagen hatte er es geschafft, Nils` Leben in eine Hölle zu verwandeln. Dazu kam die tägliche Dosis Psychoterror. Jakob konnte es selbst kaum glauben, aber er hatte es geschafft, seinen dämlichen Bruder davon zu überzeugen, dass dieser ihm Linda ausgespannt und seinen Job weggeschnappt hatte. 

            Dabei war es doch genau andersrum!

Jakob klopfte sich in diesem Sommer mehrmals selbst auf die Schulter. Das war schon eine Meisterleistung. 

            Die Krönung war dann schließlich Mozart. Den Köter hatte er regelrecht hingerichtet. Als er fertig mit ihm war, sah er Nils hinter sich stehen. Er musste mitbekommen haben, was Jakob da getan hatte. Doch Nils war bereits so beeinflusst, dass es für Jakob ein Leichtes war, ihm zu suggerieren, Nils hätte ihn getötet.

            Dumm nur, dass der Blödmann das Ganze wohl nicht so verarbeitet hatte, wie er es sich vorstellte. Da verpetzte sein Bruder ihn doch wahrhaftig bei seinen Eltern. Glück für Jakob, dass die aber mitbekommen hatten, wie Nils doch Jakob alles kaputt gemacht habe. Jakob musste bei dem Gedanken grinsen. Die Konsequenz hätte sein sollen, dass Nils einfach dieses Kaff hätte verlassen sollen und Jakob selbst mit Linda hätte glücklich werden können. 

 

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Der Plan ist damals nicht richtig aufgegangen. Linda ist plötzlich weggezogen. Und damit war alles, was ich arrangiert hatte, ohne Bedeutung. Was kam da Besseres als ein runder Geburtstag, um den Psychoterror erneut zu starten? Nils muss jedoch etwas herausgefunden haben. Irgendetwas hat er auf den Bildern gesehen. Damit ist mein Plan zum zweiten Mal nicht gänzlich aufgegangen. Ich muss zusehen, dass ich alles zu Ende bringe, bevor Nils einschreiten kann. Er weiß, was ich getan habe …

 

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Jakob hatte ihn damals schon beeinflusst und heute wollte er alles zu Ende führen. Er hatte es geschafft, bei Nils falsche Erinnerungen abzuspeichern. Das Schreckliche, was er angeblich getan hätte, hatte er ganz tief unten abgespeichert. Mit der Zeit kam dann eine Amnesie hinzu, die ihr übriges getan hatte. 

            Nils wurde bewusst, dass Jakob ihm ein dunkles Geheimnis suggeriert hatte, das es gar nicht gab. Zumindest nicht bei ihm. Jakob hatte das getan, um sein eigenes dunkles Geheimnis zu verstecken. Und jetzt hätte Nils daran zugrunde gehen sollen. 

Er nahm das Smartphone in die Hände und öffnete den Chat. Jakob hatte Recht: Es war noch nichts vergessen. Der Spaß hatte gerade erst angefangen. Und so tippte Nils eine einzige, letzte Nachricht ein, die mit einem pling bei Jakob auf dem Handy in wenigen Sekunden erscheinen würde.

 

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Ich habe eine neue Nachricht auf meinem Handy bekommen. Ich weiß, dass sie von Nils stammt. Und bevor ich den Text lese, weiß ich auch schon, was Nils mir geschickt hat.

            Ich weiß, was du getan hast.

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