Michaela Beerlupus est homo homini

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Leichte Vibrationen summten an ihrem Ohr vorbei. Um Haaresbreite hatte das Messer Sara verfehlt. Erst nach einigen Momenten konnte sich Sara wieder vom Fleck bewegen. Sie rutschte beiseite. In der Größe von 10×15 Zentimetern flatterte das Foto leicht hin und her. Sie zog es von der Wand und betrachtete es. Schnell drehte sie es um, als die Übelkeit aufstieg und die Säure Richtung Ausgang beförderte. Geschockt sah sie vom Bild zum Rand der Grube.

Heute 29 Stunden zuvor

Dröhnende Kopfschmerzen. Sara versuchte sich aufzurichten, ließ sich aber mit einem Stöhnen wieder sinken. Jedes Mal wenn sie versuchte sich zu erinnern, pochte es so deutlich durch ihre Hirnwindungen, dass ihr halb schwarz vor Augen wurde. Ein muffiger, feuchter Geruch drang durch ihre Nase. Das letzte woran sie sich erinnern konnte war, das sie sich auf dem Weg zum Klassentreffen befand. Dann wurde alles schwarz. Wenn sie versuchte sich weiter zurück zu erinnern, pochte ihr Kopf so stark dass die schwärez versuchte sie zu übermannen.

>>Hey Dornröschen. Wieder aufgewacht? << Sie kannte die Stimme, konnte sie im Moment aber noch nicht zuordnen. >>Gerade habe ich mich gefragt, ob sie dich vermissen werden. Was denkst du? Und nein, ich bin nicht eifersüchtig, weil ich nicht eingeladen wurde zum Klassentreffen. Mit der Zeit habe ich gelernt mit Enttäuschungen umzugehen. <<  Sie nahm nur die Stimme und Geräusche um sie herum wahr. Sie hörte Meisen, Tauben, Raben, etwas rauschte, aber übermächtig war dieses unerträgliche wiederkehrende Pochen in ihrem Schädel. Ihre Sicht wurde durch die Schmerzen komplett getrübt. Sara hörte etwas rascheln und klirren. Schritte. Soweit Sara das Beurteilen konnte eilten die Schritte in ihre Nähe. Wer auch immer das war, schien aber nicht besonders unter Zeitdruck zu leiden. Zum ersten Mal, seit langem, überkam Sara eine fürchterliche Angst, vor allem da sie immer noch nicht wusste wo genau sie sich befand. Warum war sie hier? Wieder dieses Pochen, Sara fasste sich an den Kopf und als sie die Hand weg nahm, fühlte sie etwas Flüssiges, klebriges an ihren Fingern. Blut. Anscheinend Blutete sie leicht am Kopf.

Dann quietschte etwas bestialisch. Dann konnte sie wieder diese Stimme hören. Weiblich. >>Hier in dem Korb ist eine Kleinigkeit zu Essen und Wasser für dich. Nicht das du mir dehydrierst oder umkippst.  Ich bin ja kein Unmensch. Ich muss nochmal weg und was besorgen. Bis später. << Auch wenn jede Bewegung unglaubliche Anstrengung für sie bedeutete und der Schwindel drohte sie zu übermannen, so schaffte sie es dann doch bis zum Korb. Nach und nach klärte sich das Gemisch aus Farben vor ihr und nahm immer mehr konkrete Formen an. Und endlich konnte sie deutlich erkennen, dass sie in einem Erdloch festsaß, das irgendwo in irgendeiner Halle gegraben worden war. Sie sah sich um. Das Wellblach über ihr strahlte in verschmutztem Gelb, durch ein paar wenige Löcher drang Sonnenlicht hindurch. Also musste es Tag sein, schlußfolgerte Sara. Sie steckte in einer Grube. Die wände waren, von ihr aus gesehen, rund fünf Meter hoch. Viel zu hoch für sie, um die Wände hoch zu kommen. Gefangen. Wie ein Tier im Käfig der Freiheit beraubt.

 Da fiel das Seil in ihr Blickfeld. Saras Selbsterhaltungstrieb übernahm die Kontrolle und ließ sie überstürzt handeln. Sie dachte nicht nach, sondern packte das Seil und zog sich hoch. Ein Meter, zwei Meter und mit einem Mal begann das Seil sich so zu bewegen, dass Sara sich nur mit Mühe und Not festhalten konnte, dann klirrte etwas, im letzten Moment beobachtete sie noch wie die Seilwinde über ihr Nachgab.  Bevor sie das Bewusstsein erneut verlor, verspürte sie noch einen deutlichen Schmerz an ihrem Rücken. Dann erneut  schwärze.

17 Jahre zuvor

>>Pummelchen. Ich wette bei euch Zuhause gibt es jeden Morgen Speck. Oder ist etwa Cindy aus Marzahn dein Vorbild, dann musste aber echt mal langsam machen, sonst übertriffst du sie am Ende noch. << Sara versuchte verbissen ihre Tränen runter zu kämpfen. Lass sie bloß nicht sehen dass du verletzlich bist. Wenn es etwas gibt das sie gelernt hatte, dann ist es keine Gefühle nach außen hin zu zeigen, weder vor ihren Eltern und schon gar nicht vor Rafaela und ihrem scheiß Anhängsel. Immer versuchte diese Blöde Kuh ihr das Leben schwer zu machen. An diesem Morgen wachte sie wieder mit Bauchschmerzen auf, aber sie konnte nicht zuhause bleiben, schließlich wurde heute die Matheklausur geschrieben. Also quälte sie sich zur Schule und versuchte, weitestgehend bestimmte Ecken und vor allem Personen zu meiden. Doch auch das war nicht so leicht. Im Pausenhof suchte sie sich, wie jeden Schultag, eine Ecke weit weg von den anderen. Auf den Weg dorthin hatte sie stets darauf geachtet von niemanden gesehen zu werden. Die Schultern gehoben, den Kopf gesenkt. So versuchte sie sich davon zu schleichen. Weg von den Stimmen, dem Gewisper und gemurmel. Weg von den Fingern und blicken. Wie ein Schatten verfolgte Rafaela sie. Im Schlepptau ihre Clique die ihr überall hin folgten. Sara hoffte Inständig sich die Schritte hinter ihr nur eingebildet zu haben. >>Ups. << Sie hörte noch die Stimme, aber schon landete sie mit den Knien voran in einer Dreckpfütze. >>Riecht ihr das auch? << Bestätigend nickten die Mädchen die sich um Sara gescharrt hatten. Dann beugte sich Rafaela weiter zu ihr runter. >>Du stinkst. <<

Karo, eine von Raffaelas Freundinnen zupfte Rafaela am Ärmel und deutete in Richtung des großen Pausenplatz. Rafaela folgte ihrem Blick und sah die hochgewachsene Frau mit schüterem braunem Haar. Frau Schrottner kam genau in ihre Richtung.  Rafaela lief um die Pfütze herum und reichte Sara die Hand, irritiert nahm Sara diese an und richtete sich mit Hilfe von Rafaela auf. Schon war die Lehrerin bei ihnen. >>Was macht ihr hier hinten? << Frau Schrotter verschränkte die Arme und blickte die Mädchen durchdringend an. >>Nichts. Wir wollten nur ein bisschen Ruhe haben. << Frau Schrotter nickte und wollte schon gehen, da fiel ihr Blick auf die triefnasse Hose von Sara. Rafaela bemerkte den Blick und antwortete, bevor die Lehrerin fragen konnte. >>Sara ist ja so ein Tollpatsch. Wir wollten sie noch auffangen aber waren leider zu spät. Ich würde ihr ja eine Sporthose von mir geben, doch leider würde die ihr nicht so ganz passen. << Rafaela knuffte Sara am Arm, diese nickte nur und sah betreten zu Boden. >>Sara hast du deine Sportsachen dabei?<<  Fragte Frau Schrotter. Sara schüttelte den Kopf und sah weiterhin auf den Boden runter. Die Lehrerin atmete tief ein und aus. >>Na gut. Komm wir sehen mal nach ob bei den Fundsachen was Passendes dabei ist, so kannst du schon mal nicht rumlaufen. << Von Saras Schüchternheit wusste die ganze Schule. So war es nicht verwunderlich das die Lehrerin Saras Antwort einfach mit einem Kopfschütteln abtat und sie Zusammen zum Kleiderfundus gingen.

 

Heute 9 Stunden zuvor

Ein Wasserstrahl, der sie recht hart traf, holte sie zurück aus der Bewustlosigkeit. Sara keuchte und musste tief einatmen, wie ein Ertrinkender, der sich gerade zurück an die Oberfläche gekämpft hatte >>Du Stinkst. << Schon wieder diese Stimme und dieses Mal konnte sie auch ausmachen von wem sie kam. >> Steffanie? << Die Überraschung in Saras Stimme war kaum zu überhören. Auch wenn aus Saras Kehle nur ein heißeres Krächzen drang, doch ihre ehemalige Klassenkameradin schien es trotzdem gehört zu haben. >>Hey, du erinnerst dich an mich? Soll ich mich geehrt fühlen? << Steffanie verzog das Gesicht, tauchte kurz aus Saras Blickfeld und dann nach wenigen Sekunden, mit der Seilwinde in der Hand wieder auf.  Sie hatte sich seit der Schulzeit kaum verändert. Immer noch trug sie ihr Schulterlanges Haselnussbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Dadurch wirkte ihr langes Gesicht noch schmaler und die Augen stachen hervor. >>Du hast meine Konstruktion kaputt gemacht, was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun? Mir persönlich ist es ja egal ob die was zu Essen bekommst oder nicht. Und so schnell wird dich hier auch niemand finden. Wir sind außerhalb der Stadt in den Verlassenen Lagerhallen.<<

Einige Sekunden herrschte schweigen zwischen ihnen. Dann murmelte Steffanie etwas vor sich hin das Sara nicht verstehen konnte und war mit einem Mal verschwunden. Sara war wieder alleine. Sie zitterte, obgleich der Sommertemperaturen die in dieser Halle verstärkt herschten. Verwirrung gepaart mit Angst, kroch durch ihre Knochen. Warum war sie hier? Hatte Steffanie sie hierher verschleppt? Aber weshalb? Klar sie war früher nie nett zu ihr gewesen, aber das ist schon echt lange her. Was veranlasste einen Menschen auch  nach so vielen Jahren immernoch in der Vergangenheit zu leben?

13 Jahre zuvor

>>Du bist die Neue, oder? << Steffanie drehte sich um und blickte in zwei leuchtend blaue Augen. >>Äh, ja. Hi, ich bin Steffanie. << Das andere Mädchen ignorierte Steffanies ausgestreckte Hand. >>Ja ich weiß, oder sollte ich vielleicht lieber Korkenzieher sagen? << Ein eiskalter Schauer durchlief Steffanie. Nein, das konnte nicht sein. Bitte nicht auch hier. Woher wusste sie von dem Spitznamen aus ihrer alten Schule?>>Oh mein Gott. Guckt mal ihr doofes Gesicht. << Steffie nahm die Lichtblitze der Handykammeras um sie herumnur am Rande war, der Schock saß ihr noch immer in den Knochen. Sie hatte doch alles versucht. Sie hatte versucht die Videos zu löschen, sie hatte Anzeigen erstattet. Gegen alle. Es hatte sie Zeit und Nerven gekostet und unendlich viele Tränen, aber sie hatte endlich auf eine andere Schule wechseln können und nun würde es hier also weitergehen? In diesem Moment hatte sie das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen und war schon kurz versucht ihr Korsett zu öffnen, doch das durfte sie Aufgrund ihrer gekrümmten Wirbelsäule nicht. Scheiß Internet dachte sie nur. Es vergisst tatsächlich nie.

Heute 5 Stunden zuvor

>>Du stinkst. << Diese zwei Worte hallten in ihrem Kopf nach, wie ein Echo. Mit klatschnasser Kleidung kroch Sara zur Wand der Grube und starrte vor sich hin. Dann schüttelte sie vehement mehrmals den Kopf um die Erinnerungen abzuschütteln. Sie unterdrückte die aufkommenden Tränen. Zeige ihnen nicht was du fühlst. Wer Gefühle zeigt macht sich verletzlich. In all den Jahren auf der Grundschule baute Sara mehr und mehr eine Schutzmauer um sich auf.  Verfiel dadurch aber  in ein Verhalten das sie selbst für ungerecht verurteilt hatte. Der falsche Weg. Andere klein machen um sich groß zu fühlen.  Und wieder stellte Sara sich die Frage, wer bin ich und wer will ich sein. Erneut traf sie ein Wasserstrahl und spühlte den dreck der jetzt an ihr haftete hinweg. >>Hier. Ich will nicht, dass du krank wirst. << Rief Steffanie und schon flatterte ein Handtuch zu ihr hinab. >>Das dürfte dir ungefähr passen. << Es folgten eine Hose, ein T-Shirt und Unterwäsche. Verdutzt starrte Sara zu ihrer ehemaligen Klassenkameradin hinauf. Welches Ziel erfolgte Steffanie damit? Erst sperrte sie, sie hier ein und dann gab sie ihr wechsel Kleidung? Steffanie bemerkte den Blick und antwortet mit einem süffisanten Lächeln. >>Keine Angst, ich habe die Klamotten nicht präpariert, falls du das jetzt denkst. << Sara schwieg noch immer und bäugte die Kleidung vor sich auf dem Boden. Plötzlich fing Steffanie an zu lachen, als hätte sie den besten Witz aller Zeiten gehört. >>Was denn? Genierst du dich etwa vor mir? << Dann wurde sie wieder ernst. >>Jetzt weißt du wenigstens wie ich mich gefühlt habe. <<

14 Jahre zuvor

Die Umkleidekabine der Sporthalle war brechend voll. Steffanie versuchte sich im hintersten Winkel des Raumes zu verstecken, was ihr jedoch heute nur mäßig gelang. Doch selbst hier zogen sich Mädchen um. Der Sportunterricht fand heute, aufgrund der Erkrankung eines Lehrers, Klassenübergreifend statt. Nach dem Sportunterricht gestaltete sich die Sache etwas normalerweise anders, dann konnte sie warten, bis alle den Raum verlassen hatten. Sie war wie ein Magnet, der all die Blicke magisch anzog. Dieses Mal sogar noch mehr.  Zwar konnten ihre Mitschülerinnen schon oft ihr Korsett betrachten, aber heute schien es besonders interessant zu sein. Die Mädchen der anderen Klasse bekamen zum ersten Mal die Gelegenheit sie in ihrem Korsett zu sehen. Eigentlich sollte sie, laut ihrem Arzt keinen Sport machen, doch Steffanie wollte unbedingt ein Normales Leben führen, wie die anderen Mädchen auch.

 Auch während des Sportunterrichts hörte keiner ihrer Mitschüler damit auf. Steffanie konnte dieses Getuschel hinter ihrem Rücken kaum mehr ertragen. Natürlich bekam sie mit DAS über sie geredet wurde! Und WAS über sie geredet wurde. Sie war nicht taub, auch wenn sie es sich selbst von Zeit zurzeit einredete. Normalerweise konnte sich Steffanie beim umziehen alle Zeit der Welt lassen. Der Sportunterricht fand immer in ihrer letzten Stunde statt, jedoch musste sie sich heute beeilen. Heute hatte sie einen Arzttermin. Ein Kontolltermin ihrer Wirbelsäule fand statt. Also folgte sie, wenn auch recht widerwillig, den anderen in die Dusche.  

Sara bemerkte auf dem Weg zur Dusche Steffanies Korsett und ein Grinsen breitete sich auf ihren Lippen aus. Sie nahm es in die Hand und befühlte das Material. Wie musste es sich anfühlen so etwas jeden Tag tragen zu müssen. Hey Prinzessin hofft wohl dadurch ihren Traumprinzen beeindrucken zu können. Das Teil machte bestimmt einen schönen Oberkörper. Dachte sie und betrachtete das Korsett von allen Seiten. Zwar wusste sie das dass nicht der wirkliche Grund war weshalb Steffanie das Korsett trug, doch das war ihr egal. Es wurde endlich Zeit ihr genau solche Schmerzen zuzufügen wie Steffanie sie ihr einst zugefügt hatte. Lars war alles was Sara jemals wollte, doch jetzt Sprach er kein Wort mehr mit ihr und das alles wegen Steffanie. Klar Sara war nun mal nicht voll Schlank. Aber lieber ein paar Kilo zu viel als eine Verkrüppelte Wirbelsäule. Hass. Sollte diese Blöde Kuh endlich wissen wie es ihr damit ging. Wenn sie Lars auf dem Korridor begegnete würdigte er sie keines Blickes. Schmerz. Im Unterricht saß er nur noch neben Steffanie. Eifersucht. Dann kam ihr die zündende Idee. In Windeseile war sie angezogen und schlüpfte zur Tür hinaus. Zurück, zog sie sich aus und schlüpfte unbemerkt in die Dusche.

 Nach rund zehn Minuten kam Steffanie zurück zu ihrem Platz. >>Scheiße. Das Korsett<< Entfuhr es ihre so laut, dass sich mehrere Mädchen nach ihr umdrehten. Sie hatte es hier auf die Bank gelegt, da war sie sich ganz sicher und jetzt ist es verschwunden. Dann fing sie an wie eine Wilde zu suchen. Überall. Jeden Schrank. Auf den Bänken. Darunter. Sogar die Mülleimer durchwühlten. Ihre Mitschüler amüsierten sich natürlich köstlich. Doch nirgends eine Spur von ihrem Korsett. Steffanie war so überfordert in dem Moment das sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Tausend Gedanken rasten Gleichzeitig durch ihren Kopf. Hat es jemand versteckt? Verhält sich jemand auffällig? Wieso half ihr keiner oder fragte was los ist? Was würde mit ihrer Wirbelsäule passieren wenn sie ihr Korsett nicht bald wiederfand? Würde sie viel Ärger mit ihren Eltern bekommen? Was würden diese sagen?  Wahrscheinlich würden sie zum Schuldirektor gehen und dadurch würde sie mit Sara noch mehr Probleme bekommen. Sie atmete schwer. Außerdem begann ihr Rücken zu schmerzen. Sie musste es finden und zwar bald, sonst würde sie nicht nur Probleme mit ihren Eltern bekommen. Noch dazu saß ihr die Zeit im Nacken. Auch wenn es ihr Übelkeit bereitete, denn sie wollte um keinen Preis der Welt Aufmerksamkeit erwecken, musste ihre Mitschülerinnen fragen. Das war ein Notfall, was konnte schon passieren? Doch die Angst wuchs stetig an. Würden sie ihr ehrlich antworten oder nur wieder ihre Dummen Scherze mit ihr treiben. Da die meisten Schülerinnen schon auf dem Weg nach Hause waren gab es nur noch eine Handvoll die sie fragen konnte. Jedoch fielen die Antworten der Mädchen allesamt ernüchternd aus, keiner hatte etwas gesehen. Oder sie wollten es nicht sehen. Hier war doch einer wie der andere. Alle hielten zu Sara und am Ende stand sie alleine da. Nackt und den Tränen nahe stand sie in der Umkleide. 

In diesem Moment trat Sara aus der Dusche und wurde prompt von Steffanie überfallen. >>Bitte. Bitte sag du mir dass du mein Korsett gesehen hast. Bit..<< Das letzte Bitte ging in einem Schluchzer unter. In Sara überschlugen sich Schuldgefühle und Mitleid. Unwillkürlich wurde sie an ihre Grundschulzeit erinnert. Die Emotionen von damals versuchten die Oberhand zu gewinnen und das wollte, nein, das konnte Sara nicht zulassen. Außerdem hatte Steffanie es nicht anders verdient. Die Wut gewann. Sara besann sich eines Besseren und schluckte alle anderen aufkeimenden Emotionen runter. >>Nein, tut mir Leid. Ich hab es nicht gesehen. << Hinzu kam die Angst die sich ihren Weg von unten nach oben bahnte. Angst vor den Konsequenzen die das Ganze nach sich ziehen würde. Angst ihre gute Stellung an der Schule zu verlieren. Sie war beliebt ohne jeden Zweifel. Die Aufmerksamkeit hatte sich Sara erarbeitet und das würde sie sich nicht wieder kaputt machen lassen, von so einem daher gelaufenen Korkenzieher. Zwar überkam sie das Gefühl nun zu weit gegangen zu sein, doch zurück bildete keine Option. Angriff war schließlich die beste Verteidigung.   >> Sag doch einfach, dass es kaputt gegangen ist. Ich hab jetzt eine AG, aber morgen helfe ich dir suchen. << So schnell sie konnte verließ Sara die Umkleidekabine und ließ die in sich zusammen gesunkene Steffanie zurück. Im Gang musste Sara erstmals tief durchatmen.

Heute 5 Stunden zuvor

Sara atmete tief durch, auch wenn ihr Steffanies Blicke unangenehm waren, hatte sie sich dennoch umgezogen und fühlte sich inzwischen um einiges Leichter. Kaum zu glauben wie schwer Kleidung werden konnte wenn sie Nass wurde. Permanent kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Das tat sie immer wenn sie nervös war. Schon als kleines Kind hatte sie diese Gewohnheit. Manche Menschen kauen Fingernägel, sie knabberte an ihrer Lippe. Bekam sie jetzt endgültig die Quittung für ihr Handeln? Für die Sache mit dem Korsett. Man hatte ihr nie was nachweisen können. Steffanie hatte sie aber am Tag darauf mit ihrer Vermutung Konfrontiert. Aber da sie selbst schon Opfer gewesen ist, besaß sie dann nicht auch das Recht den Kelch weiterreichen zu dürfen?  Und außerdem Schwamm darüber, das Ganze ist nun mal  14 Jahre her, doch Steffanie konnte es anscheinend nicht vergessen.

>>Steffie, kann ich mal kurz mit dir reden? << Saras Stimme klang immer noch heißer, aber nicht mehr ganz so schlimm. Dann tauchte Stefanies Gesicht am Rande der Grube auf. >>Wir können auch gerne lange reden. Wir haben doch alle Zeit der Welt? Also was gibt´s? <<

Sara räusperte sich und versuchte ihre Worte mit Bedacht zu wählen. Aber nun wollte sie unbedingt heraus finden was Steffanie genau vor hat. Diese ganze Situation saß ihr tief in den Knochen. Das Ungewisse hatte sie schon in der Grundschule gehasst. Nie zu wissen was Passieren würde. Was die anderen schon wieder geplant haben um ihr das Leben zur Hölle zu machen. Vielleicht konnte sie ihre Schulkameradin irgendwie beschwichtigen. >>Es tut mir leid was ich dir damals angetan habe, auch das mit deinem Korsett. Ich weiß das war scheiße aber, ich…ich hatte…<< Für Sekunden trafen sich ihre Blicke. Sie konnte es nicht sagen. Sara besaß keinen Mut, wer andere fertig macht, um sich groß zu fühlen ist feige. Eigentlich hatte sie diese Erkenntnis schon früh gewonnen, aber es gab genug in der Schule die nur darauf warteten das Sara einmal Schwäche zeigen würde. Dann könnten sie sich wie Aasgeier auf sie stürzen und in Null Komma Nichts würde sie wieder auf der anderen Seite stehen. Jede Art von Schulgefühlen, von Schwäche musste ausgemerzt werden. Doch die Situation hier war eine ganz andere, noch dazu wurde sie von einer Person festgehalten von dir sie relativ wenig wusste. Nie hatte sie sich damit Beschäftigt was in Steffanie vor sich ging. Immer schön an der Oberfläche kratzen. Sie konnte das Wort Angst nicht aussprechen. Wollte es nicht wahr haben. Auch jetzt überrollten sie die Emotionen, wie eine Welle. >>Willst du mich verarschen? << Tränen rannen Steffanie die Wangen runter, als sie schrie. >>Du hast dich, seit der Schulzeit, kein bisschen verändert. Und weißt du was? Das ist es was mir stinkt. << Dann kam das erste Ei geflogen. Es zerplatzte direkt vor Sara und setzte einen Übelkeit erregenden Duft frei. >>Ich habe übrigens keine Ahnung wie alt die Dinger sind. Dein Abendessen. Ich wünsche guten Appetit. Es folgten weitere Eier und Sara hob schützend die Arme über ihren Kopf. Genau wie damals.  Was war passiert? In diesem Moment war sie doch so stolz auf sich gewesen und es war wohl auch dieser, der sie zu Fall gebracht hatte.

Vor 15 Jahren

Der Vorhang flatterte leicht. Hinter ihr schlenderten, stampften, schlichen oder schlurften hunderte von Füßen quer über die Bühne. Spannung lag in der Luft. Das letzte Theaterstück das sie  in der Grundschule spielen würde.  Saras Lampenfieber stieg immer weiter und das zum allerersten Mal in ihrem Leben. Bühnenbildteile wurden von A nach B geschoben und Sara musste tief durchatmen um nicht durchzudrehen. Endlich würde sie die Hauptrolle spielen. Die Sonnengötting passte genau zu ihr, hatte die Leiterin der Theater AG gesagt. All die Jahre nur immer Nebenrollen, doch heute würde sie alleine im Rampenlicht stehen. Frau Sportler, die Leiterin der Theater AG, legte ihr eine Hand auf die Schulter. Leicht wippte Sara mit den Füßen vor und zurück und zog somit die Aufmerksamkeit der Lehrerin auf sich.  >>Alles okay Sara? << Mit einem Strahlen nickte sie, das hinterließ auch ein Lächeln auf dem Gesicht der Lehrerin. Sie ging auf die Knie und umarmte Sara. >>Du bist ein großartiges Mädchen. Du schaffst das, ich weiß es und du weißt es auch. << Damit hatte die Lehrerin recht, auch wenn Sara sonst schüchtern war, aber auf der Bühne blühte sie reglrecht auf. Dann drehte sich Frau Sportner um. >>Okay, die Vorstellung beginnt gleich. Es wird für ein paar von euch leider das letzte Mal, hier auf dieser Bühne sein. Ich bitte euch macht weiter. Und vor allem genießt die Vorstellung heute. Ihr habt so lange geprobt, über viele Wochen hinweg. Es wird nichts passieren. Denkt immer daran, keiner der hier sitzt kennt das Stück. Und jetzt bitte alle auf ihre Positionen. Und Toi Toi Toi.<< Die Kinder kamen alle zusammen legten die Hände übereinander und schrien im Chor >>Toi. Toi. Toi. <<

Die Aula war brechend voll. Das Saallicht ging aus. Musik erfüllte den Raum. Der Vorhang öffnete sich und der Spott brachte Saras feenhafte Gestallt zum Glänzen. In dieser Sekunde verflog der letzte Rest Aufregung. >>Der Morgen rötet sich und strahlt, voll von Wärme. Der Wald erwacht und mit ihm der Zauber, den er in sich birgt. Sternenhaft flog die Magie durch…. << Im ersten Augenblick hörte sie nur wie ihre Mitschüler schrien und fluchtartig die Bühne verließen. Zuerst verstand sie nicht warum, bis sie das erste Ei traf, die anderen Eier waren an ihr vorbei geflogen. Dann das zweite, gefolgt von dem dritten. Wie angewurzelt blieb Sara stehen, nicht mehr in der Lage sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Sie hörte noch Rafaelas Lachen. Dann war der Vorhang komplett geschlossen. Obwohl die Übeltäterin nach kurzer Zeit auf der Ballustrade Dingfest gemacht werden konnte, wurde die Vorstellung abgesagt. Sara wollte, nein, konnte nicht mehr spielen und würde es auch später nie wieder. Kurz nach der Vorstellung begannen die Sommerferien. Nach diesem Tag schwor sich Sara, das ab sofort alles anders werden würde, das sie alles dafür tat das niemand mehr, ihr Leid zufügen würde.

Eigentlich wollte sie Schauspielerin werden. Auf der Bühne fühlte sie sich wohl. Auch die Aufmunterungen der AG Mitglieder konnten sie nicht mehr dazu bewegen auch nur einen Fuß auf die Bühne zu setzen. Es würde wieder passieren. Dieser Gedanke begleitete sie lange Zeit. Saras Eltern saßen am Tag nach dem Aufführungsdebakel im Zimmer des Direktors. Natürlich zog ein solches Verhalten Konsequenzen nach sich, doch die einzige Strafe die Raffaela erhielt, waren zwei Wochen Ausschluss von der Schule. Sara sah sie nie wieder, nach den Sommerferien wechselte sie auf das Gymnasium und Raffaela würde ab sofort die Realschule besuchen.

Sara haßte sich dafür das sie schwach war. Und sie schwor sich diese mit dem Eintritt ins Gymnasium abzulegen. In den Ferien achtete sie auf ihre Ernährung, trieb viel Sport und las Ratgeber über Selbstbewuustsein.

Heute

>>Sag mir bitte einfach was du von mir willst. << Jetzt konnte Sara sich nicht mehr beherrschen und die Angst gewann die Oberhand. Sie ließ die Tränen laufen. Sara hatte genug von diesen Psychospielchen. Auch wenn sie Harmlos erscheinen. Doch der Gedanke daran wozu ein unberechenbarer Mensch, wie Steffanie, in der Lage war, ließ sie frösteln.   >>Hör bitte einfach mit den kindischen Spielchen auf. << Schrie Sara sie an. Steffanies Augen blitzten eiskalt auf. >>Stimmt. Wir sollten uns verhalten wie Erwachsene. Denn im Gegensatz zu dir kann ich aufhören. Du hast mein Flehen und Betteln damals einfach ignoriert und trotzdem weiter gemacht. << Auch ihre Stimme bekam einen anderen Klang. >>Du willst wissen was ich vorhabe? << Sekunden der Stille, nur erschienen sie Sara wie Stunden. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf und ihre innere Stimme pickte sich die unwahrscheinlichsten davon heraus. Anscheinend wollte ihre Psyche sie nur beruhigen. Pass auf, gleich kommt sie zurück mit einem Kamerateam und es heißt herzlich willkommen bei verstehen sie Spaß. Wär doch lustig oder? Mal Hand aufs Herz, du hast es doch auch verdient. Doch Sara war im Augenblick nicht nach Lachen zumute. >>Sieh dir nochmal das Bild an. << Einfach alles in Sara sträubte sich dagegen. Was würde sie darauf sehen? Nur sehr widerwillig hob sie den Arm. >>Das ist Caroline. Sie ging, nach dem Schulwechsel, mit mir in die Klasse. << Das Bild zeigte ein junges Mädchen mit roten Striemen am Hals und hervorquellenden Augen. Ein bisschen Erde bedeckte ihre Brust. >>Ich wollte es nicht. Ich wollte es wirklich nicht. Aber irgendwann kam dieser Tropfen der das Fass zum überlaufen gebracht hat. <<

 Sara fing an zu verstehen und wie eine Welle schwappte die Erkenntnis in ihr Gehirn. >>Steffanie hatte diese Caroline ermordet und wer einmal zu einem Mord fähig war, der würde es auch wieder tun. Sara erbrach Gallenflüssigkeit über das Erdreich. Steffanie ließ eine Leiter in die Grube gleiten und stieg hinab. Fast hysterisch schrie sie. >>Das ist alles deine Schuld. Hättest du mich damals nicht gemobbt wäre das alles nicht passiert und Caroline würde noch leben. <<   Sara wich zurück, als Steffanie direkt auf sie zukam und das Messer aufhob.

>>Ich werde dir verzeihen…aber du musst etwas tun. << Steffanie hatte sich vor ihr hingekniet und hielt das Messer erhoben. >>Doch dafür hätte ich eine Bitte. Töte mich, bring zu Ende was du getan hast. Ich habe nicht den Mumm. Jedes Mal wenn ich es versucht habe, fing meine Hand so an zu zittern, dass das Messer vibrierte. Bitte. << Sie meinte es Ernst und das Begriff Sara nun, denn Steffanie hielt ihr das Heft des Messers entgegen, sah ihr in die Augen. In dem Moment fühlte sie sich zum ersten Mal im Leben einem Menschen wirklich verbunden. Sie sah in den Augen ihrer Peinigerin Schmerz, Wut, Verzweiflung und den tiefen Wunsch, das alles hinter sich zu lassen. All das hatte Sara auch einst Gefühlt. Aus diesem Grund nahm sie auch das Messer in die Hand. Dann schloss sie die Augen. Atmete tief ein und…dann spürte sie den Gegendruck. Sara öffnete ihre Augen und sah dass Steffie die Klinge umklammert hielt und die spitze Bereits ein kleines Loch in ihrer Brust hinterlassen hatte, aus dem schon Blut Tropfte. Sara geschockt von sich selbst, dass sie so etwas auch nur in Erwägung ziehen konnte, ließ das Messer los. >>Nein. <<

>>Was? << Steffanie sah irritiert zu ihr auf. Dann sagte Sara erneut>> Ich werde es nicht tun. <<

>>Früher warst auch nicht so zimperlich. Also was soll´s. << Steffanies Stimme bekam einen Giftigen Beiklang.

>>Mord?! Nicht mit mir. Du hast es schon selbst getan. Also los mach es selbst. <<

>>Ok. << Das Wort kam so leise, fast tonlos aus Steffanies Mund. Wie ein Windhauch. Dann ging alles unglaublich schnell. Doch für Sara fühlte es sich wie Zeitlupe an. Steffanie setzte an, holte mit dem Messer aus und kurz bevor sie ihr Herz Touchieren konnte packte Sara das Messer. Sie würde es nicht zulassen das sich Steffanie umbringt. Steffanie brauchte Hilfe und zwar dringend. Ein Kampf begann. Beide versuchten das Messer an sich zu reißen. Sara bekam es zu fassen und schleuderte das Mordinstrument außer Reichweite. Steffanie stürzte sich auf sie und  rang sie nieder. Selbstsüchtiges Biest, dachte Sara, die nur an sich und ihr Ende denkt. Sara versuchte den Spieß umzudrehen und so überschlugen sie sich und rollten eineige Meter weit. Immer wieder versuchte Steffanie  an das Messer zu kommen. Sie rollten weiter über den Boden. Bis Steffie schließlich erneut die Oberhand gewann, Sara am Boden festnagelte und ihr eine saftige Ohrfeige verpasste. Das klatschen wurde von den Wänden der Halle, welche die Grube umgab, widergehallt und dröhnte, kurz aber intensiv in ihren Köpfen wieder. Endlich bekam Steffanie das Messer zu packen. Das nächste was Sara hörte, war ein überraschter Laut und dann spürte sie eine warme Flüssigkeit. Ein dumpfer Aufprall, gefolgt von Stille.

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