MichaelMutigTag der Rache

 

Denn ich habe einen Tag der Rache mir vorgenommen;

das Jahr, die Meinen zu erlösen, ist gekommen.
(Jes 63,4)

Das Orgelspiel war seit einigen Minuten beendet und die wenigen Besucher haben die Kirche direkt nach dem Sonntagsgottesdienst wieder verlassen. Auch diesmal zog sich Arthur, der seit drei Jahren Pfarrer der Gemeinde war, nach der Messe in seine Sakristei zurück, wo er eine seiner selbst gedrehten Zigaretten rauchte, um anschließend wieder zurück an den Altar zu treten um aufzuräumen. Für Gewöhnlich war das schnell erledigt, denn er musste nur die Kerzen ausblasen, das Altartuch glatt streichen und die übrig gebliebenen Hostien entsorgen. Doch diesmal erregte ein Gegenstand auf dem Altar seine Aufmerksamkeit, der da eigentlich nicht hingehörte. Direkt neben dem kleinen Kreuz aus Holz, um das ein Rosenkranz gewickelt war, spiegelte das Display eines Smartphones die bunten Lichtstrahlen wieder, die durch die farbigen Fenster in die Kirche fielen. Auf den ersten Blick sah das Telefon aus wie sein eigenes, doch sah nicht jedes Smartphone irgendwie gleich aus? Außerdem wusste Arthur, dass sein Handy im kleinen Schrank in der Sakristei lag und er es sicher nicht mit in den Gottesdienst gebracht hat, denn das hatte er noch nie getan. Er blickte erst über seine linke, dann über die rechte Schulter, doch in dem großen Raum war niemand zu sehen, dem das Telefon gehören hätte können. Er vermutete, dass das Gerät von einem Besucher gefunden wurde und dieser es am Altar abgelegt hatte, damit es sich der eigentliche Eigentümer später bei ihm abholen konnte. Kurz darauf lag das Handy in seiner rechten Hand. Er drehte das Gerät in seiner Handfläche auf die Rückseite, um festzustellen ob jemand seine Kontaktdaten auf die Hinterseite geklebt hatte. Gerade ältere Menschen, die solche Geräte schon öfter irgendwo vergessen haben, machen das gerne um als Besitzer ermittelt werden zu können. Fehlanzeige. Arthur blickte wieder auf das Display und betätigte mit dem Daumen den kleinen Knopf an der Seite, der den Bildschirm zum Leuchten brachte. Er strich mit seinem Finger nach oben über das Display und stellte fest, dass zum Entsperren keinerlei Pin erforderlich war. Die Anzeige wechselte vom Startbildschirm direkt in die Fotogalerie, was darauf hindeutete, dass der Besitzer vielleicht ein Foto gemacht hat, kurz bevor er das Gerät verlor. Sollte Arthur recht behalten und es sich bei so einem Schnappschuss vielleicht sogar um ein Selfie handeln, wäre der Eigentümer vielleicht schnell gefunden. Er klickte auf die Vorschaukachel des ersten Bildes und das Foto vergrößerte sich sofort auf die gesamte Fläche des Bildschirms. Die Qualität war nicht perfekt, weshalb sich Arthur das Smartphone näher an seine Augen hielt.

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde bis sein Gehirn das Zittern in seinen Händen auslöste. In seinem Brustkorb konnte Arthur spüren, wie sein Herz einfach einen kompletten Schlag ausließ, um anschließend krampfhaft zu versuchen diesen nachzuholen. Sein Herz schlug auf einmal so schnell wie nie zuvor in seinem Leben, was zur Folge hatte, dass er innerhalb kürzester Zeit spürte, wie Schweißtropfen vom Nacken über die Wirbelsäule seinen Rücken hinunterlief. Er konnte keinen Gedanken fassen und fühlte sich, als würde er im freien Fall in die Tiefe eines schwarzen Loches stürzen. Mit seiner freien Hand hielt er sich am Altartisch fest.

Das Display des Smartphones zeigte ihm ein Bild, dass er noch nie gesehen hatte. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, war es ihm so schrecklich vertraut. Das Foto zeigte Arthur in einem Waldstück. Er kann sich noch genau an dieses Tag erinnern, denn es war derjenige, der sein gesamtes Leben verändern sollte. Es war eine Nacht Mitte Oktober, es war kalt und es war der Tag, an dem Arthur 18 Jahre alt wurde. Er weiß noch, wie er in der Früh aufstand und seine Eltern ihm sein Geburtstagsgeschenk überreichten. Es war eine kleine blaue Schachtel mit einer goldenen Geschenkschleife. Als er die Schachtel in seinen Händen hielt, fühlte es sich an wie eine Schmuckbox, die man meist beim Juwelier dazubekommt, wenn man einen Ring oder eine Kette kauft. Allerdings war die Schachtel etwas größer, weshalb er vermutete, dass darin eine Uhr versteckt sein könnte, und er stellte sich schon darauf ein gleich seinen Eltern große Freude vorspielen zu müssen. Er hätte keine Uhr gebrauchen können. Er war jung, hatte keine Freundin und er war jetzt volljährig. Er konnte sich sein Leben ab sofort komplett selbst einteilen, da spielte Zeit eine untergeordnete Rolle. Arthur öffnete das Geschenkband und klappte die Schachtel auf, hielt aber die Augen geschlossen, nicht um den Überraschungsmoment zu steigern sondern um in Gedanken zu hoffen, dass es sich bei dem Geschenk nicht um eine Uhr handelt. Und seine Gedanken wurden erhört. Er blickte auf das kleine blaue Samtkissen in der Box, auf der ein Schlüssel lag. Arthur schoss sofort ein breites Lächeln ins Gesicht, und das VW-Logo an der Oberseite des Schlüssels bestätigte seine Vermutung. Er bekam zum seinem 18. Geburtstag ein eigenes Auto.

>>Komm Junge, er steht in der Garage.<<

Arthur konnte seinem Vater nicht einmal antworten, so begeistert war er von dieser Überraschung. Er setzte sich in Bewegung Richtung Garage und seine Eltern tapsten ihm wie kleine Hundewelpen freudig hinterher. Sie waren glücklich, dass die Überraschung gelungen ist. Arthur war vom ersten Moment an stolz auf seinen Wagen. Ein gebrauchter, grüner VW Golf der zweiten Serie. Ein Auto, wo man in heutigen Tagen nicht sicher wäre ob es sich schon um einen Oldtimer handelt oder um einen Schrotthaufen. Zugegeben, schon damals war das Auto zweiterem näher. Seine Eltern hatten nicht viel Geld und haben den Wagen gebraucht von einem Landwirt aus dem Nachbardorf erstanden, der damit kleinere Besorgungen in der Stadt gemacht hat oder auch mal aufs Feld gefahren ist, wenn es gerade nötig war. Der Fahrersitz war durchgesessen, es fehlte eine Radkappe und vorne rechts war der Kotflügel leicht zerkratzt, was aber kaum auffiel, denn die herunterhängende Stoßstange die nur notdürftig wieder befestigt wurde, lenkte davon ab. So sah sie aus, Arthurs erste große Liebe.

Daraufhin folgte der übliche Geburtstagsablauf. Es gab Mittagessen, dann kamen Oma und Opa zum Kuchen vorbei und überreichtem ihm als Geburtstagsgeschenk noch Geld, da es der achtzehnte Geburtstag war, war es dieses Jahr doppelt so viel. Arthur rechnete es sofort in Tankfüllungen um, und war sicher es würde für zwei Monate reichen.

Erst am späten Nachmittag, als die Sonne schon unterging und die Großeltern nach Hause gegangen waren, hatte Arthur die Möglichkeit sein Geschenk auszuprobieren. Er schnappte sich den Schlüssel, hörte sich noch die Predigt der Mutter an, dass er stets vorsichtig fahren soll und stieg anschließend in den Wagen. Er fuhr durch jede Straße in seinem Ort. Er war so stolz und hoffte an jeder Kreuzung, dass er einen Freund oder Bekannten sehen würde, dem er das Auto präsentieren könnte. Doch die Dunkelheit und die Kälte an diesem Sonntag sorgte dafür, dass es sich die Leute lieber vor dem Fernseher in der warmen Stube gemütlich machten. Arthur entschloss sich, die Ortschaft mit seinem für ihn neuen VW Golf zu verlassen um auch mal schneller als nur 50 km/h fahren zu können. Er bog in die Verbindungsstraße die durch ein größeres Waldstück in den Nachbarort führte. Arthur war der Meinung, dass es die perfekte strecke für ihn und das Auto sei, war es doch immerhin die Richtung in die alte Heimat des Fahrzeugs. Arthur beschleunigte auf bis zu 80 km/h, was zwar erlaubt war, aber nicht unbedingt ratsam. Links und rechts ging es eine kleine Böschung hinab, daneben standen Bäume. Doch er hatte keine Angst. Es war sein Ehrentag, was sollte da schon groß passieren? Er griff zum Radio um die passende Musik für seine erste Spritztour aufzulegen. Er war mit dem Empfangsgerät nicht vertraut, und musste immer wieder seinen Blick von der Straße auf das Radio lenken. Und dann, als er endlich seinen Lieblingssender gefunden hatte, hörte er einen Knall. Nicht besonders laut, aber die dazu einsetzende Erschütterung ließ Arthur ängstlich werden. Bestimmt ein geplatzter Reifen. Er fuhr an den rechten Fahrbahnrand und stieg aus dem Wagen. Weit und breit war niemand zu sehen und sollte der Reifen wirklich geplatzt sein, war es wohl eher unwahrscheinlich dass ein weiteres Auto zufällig vorbei kam, was ihm hätte helfen können. Er ging zur rechten Vorderseite des Wagens. Der Reifen war in Ordnung, nicht aber das Mädchen, dass ein Stück weiter hinter seinem Auto im Graben lag. Ihr Fahrrad lag umgedreht vor einer Baumformation, der Hinterreifen verbogen, das Vorderrad drehte sich noch leicht, was an den orangen Katzenaugen zwischen den Speichen zu erkennen war. Er lief zu dem Mädchen. Das erste was er feststellte war, dass eines ihrer Beine unnatürlich von ihrem Körper ab stand, ähnlich wie bei einer Spielzeugpuppe, die unachtsam nach dem spielen in ein Zimmereck geworfen wurde. Ihre rosafarbene Daunenjacke war über die komplette rechte Körperseite aufgerissen. Sie war 16, vielleicht 17 Jahre alt. Arthur hatte sie noch nie gesehen, wusste aber schon jetzt, dass er sie nie vergessen können wird. Sie lag vor ihm, die Augen geöffnet, der Mund leicht geöffnet. Das Blut, dass ihren Mundwinkel hinunterfloss war durch die Dunkelheit der Nacht fast schwarz. Dunkler war nur der Boden unter ihrem Kopf, der sich wie ein Schwamm ebenfalls mit dem Blut des Mädchens voll saugte. Arthur bückte sich zu ihr um ihren Puls zu fühlen, so wie er es im Ersten Hilfe Kurs gelernt hatte, der für die Führerscheinprüfung einige Wochen zuvor notwendig war. Er fühlte nichts. Weder an ihrem Handgelenk, noch an der Hauptschlagader am Hals, an dem inzwischen auch schon ihr junges Blut herunterrann. Artuhr wusste, dass er sich sofort auf den Weg machen musste um Hilfe zu holen. Wie ferngesteuert ging er zurück auf die kleine Straße. Er blickte zu beiden Seiten, doch es war niemand in der Nähe, der hätte helfen können. Was hatte er nur getan? Warum hat er sich vom Radio ablenken lassen und somit nicht nur das Leben des Mädchens riskiert, sondern auch sein eigenes? Sobald die Polizei hier sein wird, wird auch sein Leben auf eine gewisse Art beendet sein, dass wurde Arthur in diesem Moment klar. Er drehte sich wieder zu dem leblosen Körper, der sich immer noch über den Waldboden erstreckte. Der Vorderreifen des Fahrrads hatte aufgehört sich zu drehen. Er wurde panisch und rannte zu seinem Auto. Er zitterte am ganzen Körper und flehte um Hilfe, doch da war niemand, der ihm hätte helfen können. Er startete den Wagen um Hilfe zu holen, doch er kam weder bei der örtlichen Polizeistation noch beim Feuerwehrhaus in der Nachbargemeinde an.

Er fuhr wie in Trance. Er wollte nicht, dass sein Leben diese Wendung nahm. Er wollte nicht wegen fahrlässiger Tötung ins Gefängnis und anschließend ein Leben führen, in dem er weder einen Job bekommen noch Freunde haben würde. Niemand will einen, wenn man einen Menschen auf dem Gewissen hat. Nichtmal seine Eltern könnten damit umgehen und würden im ganzen Ort unter den Geschehnissen leiden, da alle anderen Bewohner sie meiden würden. Sie könnten weder mit ihm, noch mit den Selbstvorwürfen leben, die sich sich machen würden, weil sie ihm das Auto, die Tatwaffe, geschenkt haben.

Er parkte sein Geburtstagsgeschenk in der Garage. Er betrachtete die vordere rechte Seite des Autos. Zu den bereits vorhandenen Kratzern am Kotflügel sind einer, vielleicht zwei dazugekommen. Die Stoßstange hing weiter herab als vorher, doch Arthur zog sie mit aller Kraft nach oben, als würde er das ganze Auto anheben wollen. Danach war sie zwar immer noch schief, doch der Halter der Stoßstange war wieder etwas in die andere Richtung gebogen und das Gesamtbild war ungefähr so wie vor Arthurs Jungfernfahrt. Er ging ins Bad um sich das unschuldige Blut des Mädchens von seinen Händen zu waschen und legte sich ins Bett. Das Zittern hatte die ganze Zeit nicht aufgehört.

Wenige Monate später trat er sein Theologiestudium an, mit dem niemand gerechnet hatte. Weder seine Freunde noch seine Familie waren in irgend einer Art gläubig. Auch er nicht. Sein Ziel war es nie, Gott auf eine gewisse Art und Weise näher zu sein, er wollte nur ein anderes Leben. Ein Leben ohne die Schuld und die Last, die er mit sich herumtrug. Dafür war seiner Meinung nach eine extreme Veränderung notwendig. In Wahrheit glaubte er nicht an Gott. Gäbe es ihn wirklich, wäre der Unfall damals nicht passiert und er hätte nicht flüchten müssen in eine Ortschaft, die gut 300 Kilometer von seiner eigentlichen Heimat entfernt ist, nur um den Erinnerungen und der Angst aus der Nacht seines achtzehnten Geburtstages zu entfliehen. Doch auch wenn er nicht an Gott glaubt, so kann er als Pfarrer zumindest den Menschen etwas gutes tun, die noch am Glauben festhalten. Ein Dienst an der Gesellschaft und zumindest eine kleine Entschädigung für das was er getan hat.

Doch jetzt war es wieder da, das Zittern in seinen Händen, hervorgerufen durch das Bild auf einem Smartphone, dass ihn an der Unfallstelle im Wald zeigt. Wie er auf das Mädchen herabblickt, das verbogene Fahrrad im Hintergrund, unweit von seinem Auto, dass auf dem Foto ebenfalls zur Hälfte zu sehen ist, und auf dem man sicherlich das Nummernschild erkenntlich machen könnte, wenn man über die richtige Bildsoftware verfügt. Sein altes Leben hatte ihn eingeholt, obwohl er so weit geflüchtet war und alles dafür getan hatte, seine Spuren zu verwischen. Arthur stand am Altar, und wusste nicht, was er tun soll, und er wusste auch, dass er sicherlich keinerlei Hilfe von Jesus zu erwarten hatte. Jemand hat das Telefon bewusst für ihn dort am Tisch abgelegt. Jemand wollte, dass er das Bild sieht. Jemand wollte, dass Arthur wieder die Angst verspürt. Doch wer war dieser Jemand und woher hat er dieses Bild?

Er wurde aus seinem Gedankenkarussell gerissen, als er hörte wie die Eingangstüre der Kirche beim zufallen ins Schloss schnappte. Er nahm ein Geräusch wahr, das sich anhörte als würde jemand ein Stück Gummi über den alten Steinboden der Kirche ziehen. Er drehte sich um, und sah eine Frau auf sich zukommen, die das quietschende Geräusch mit den Rädern ihres Rollstuhls verursachte. Er legte das Smartphone auf dem Altar ab und stieg die drei kleinen Stufen der Erhöhung hinunter, während die Frau im Rollstuhl weiter auf ihn zurollte. Sie war etwa vier Meter von ihr entfernt, als er ihr Gesicht deutlich erkennen konnte. Sie war schön. Ihre braunen Haare trug sie etwa Schulterlang und sie hatte eine durchaus sportliche Figur. Arthur war sich nicht sicher, ob sie trotz ihrer Behinderung trainierte, oder ob sie gerade deswegen so fit war, weil sie das Anschieben des Stuhls täglich zu körperlicher Anstrengung zwang. Ihre Gesichtsform, die Augenfarbe sowie die markanten Wangenknochen kamen ihm bekannt vor. Er schloss für einen kleinen Moment die Augen und stellte sich das Gesicht viele Jahre jünger vor. Verschmiert mit Blut und Walderde. In Anbetracht dessen, was er gerade auf dem Handy gesehen hatte, wusste er dass das alles kein Zufall sein kann. Vor ihm saß die Frau, die er schon seit vielen Jahren tot geglaubt hatte und für deren Tod er sich seit seinem achtzehnten Geburtstag verantwortlich fühlt. Doch sie war nicht tot. Sie lebt. Sicherlich nicht so, wie sie sich das wünschte, doch immerhin lebt sie. Ein Umstand, von dem Arthur nicht wusste ob es besser oder schlechter war. Für sie, aber vor allem für ihn selbst.

>> Guten Tag, Herr Pfarrer. Ich gehe davon aus, dass sie mein Handy gefunden haben?<<

So leicht diese Frage auch war, Arthur konnte sie nicht beantworten. Er stand vor ihr und schwieg.

>> Entschuldigen Sie, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Jasmin. Wie darf ich Sie nennen? Arthur? Oder doch lieber bei ihrem richtigen Namen Paul? <<

Seit Jahren hatte ihn keiner mehr Paul genannt. Noch vor dem Studienbeginn hat er seine neue Persönlichkeit angelegt und aufgebaut. Sogar Dokumente und seinen Ausweis hatte er sich für viel Geld fälschen lassen. Doch diese Frau kannte nicht nur ihn, sondern auch seine dunkle Geschichte. Arthur blieb Jasmin auch auf diese Antwort eine Frage schuldig.

>> Hören Sie, ich weiß, dass sie das Bild auf dem Smartphone vielleicht ein bisschen… sagen wir „überrascht“ hat. <<

Sie malte mit ihren Fingern die Anführungszeichen des Wortes in die Luft. Arthur konnte sich zum ersten Mal dazu bewegen etwas zu sagen.

>> Woher haben Sie das Bild? Wer hat es gemacht und wie haben sie mich gefunden? <<

Die Fragen sprudelten nur so aus ihm heraus, doch Jasmin schien gut vorbereitet zu sein.

>> Mhh… sagen wir mal so, Herr Pfarrer: Gottes Wege sind unergründlich. Wie ich an das Bild gekommen bin ist nicht von Bedeutung. Ich kann ihnen allerdings verraten, dass es nicht leicht war daran zu kommen. Es war sogar noch schwerer als Sie zu finden. <<

Arthur spürte wie sich der Schweiß auf seiner Stirn sammelte. Seine zitternden Hände wurden immer kälter, was durch die allgemein kühle Innentemperatur des Gotteshauses noch verstärkt wurde. Er konnte seine körperlichen Anzeichen der Angst und der Verunsicherung nicht vor der Frau im Rollstuhl verbergen. Sie blickte auf seine Hände, die in etwa auf ihrer Augenhöhe an seinem Körper hinabhingen.

>> Wie gesagt, ich glaube Sind gerade sehr überrascht. Aber wissen sie was? Ich hab noch eine Überraschung für Sie! <<

Er blickte in Jasmins Augen, immer noch überrascht davon, dass sie den Unfall überlebt hat. Ihre Augen standen offen, ihr Puls war nicht zu fühlen. Das sie heute hier vor ihm saß, konnte nur einen Grund haben. Gott, an den er nicht glaubte, verbrachte ein Wunder. Er blickte in ihre Augen, als sie die nächste Überraschung unter ihrem Sitzkissen des Rollstuhls hervorzog. Eine Sekunde später blickte er in den Lauf einer Waffe.

>> Wollen Sie noch irgendetwas beichten, Herr Pfarrer? <<

Er wollte gerade eine leise Entschuldigung flüstern, ließ sich aber einen kleinen Augenblick zu viel Zeit. Der Schuss hallte durch die Kirche und die hohe Decke verstärkte den Knall um ein vielfaches. Noch bevor sein Hinterkopf auf dem Steinboden der Kirche aufschlug, wusste er, dass es zu spät war für die heilige Beichte. In diesem Moment erfuhr er Rache durch die zarte, weibliche Hand eines von Gott gesandten Erzengels. Das Projektil der Waffe traf ihn direkt zwischen die Augen. Während sein Geist aus seinem leblosen Körper empor stiegt, konnte er Erleichterung fühlen. Es war nicht seine eigene, den er wusste, dass ihm das Fegefeuer bevorstand, denn er würde nicht als Heiliger im Himmel aufgenommen werden. Was zu spüren war, war die Erleichterung von Jasmin, denn nach all den Jahren war der Zeitpunkt der Vergeltung gekommen. Obwohl der Pfarrer schon tot am Boden seiner Kirche lag, hielt Jasmin die Waffe immer noch mit gestreckter Hand nach oben. Am liebsten hätte sie auch auf das große Kreuz gefeuert, dass über dem Altar hing. Doch sie hatte in all den Jahren gelernt ihre Wut zu unterdrücken und nicht unüberlegt zu handeln. Außerdem war Jasmin der Meinung, dass es jetzt unentschieden stand zwischen ihr und Jesus Christus. Ein Leben gegen das andere.

Sie erhob sich aus dem Rollstuhl der ihr als Tarnung diente, ging zu der Leiche des Pfarrers und blickte auf sie herab.

Nach all den Jahren der Trauer, Wut und Vorbereitung war der Zeitpunkt der Vergeltung gekommen. Sie war sich sicher, Julia, ihre Zwillingsschwester, hätte das selbe für sie getan.

One thought on “Tag der Rache

Schreibe einen Kommentar