JuleFreyUnter uns

Heute, 9:12

Ungläubig starre ich auf das Smartphone in meiner Hand. Ich spüre wie sich mein Puls beschleunigt. Wie ein verschrecktes Reh sehe ich mich zu allen Seiten um. Ist es wirklich möglich, dass… Nein. Unmöglich. Ganz und gar unmöglich. Aber wie..? Meine Finger beginnen zu zittern. Beinahe gleitet mir das furchtbare Ding aus den Händen. Schaue mich erneut zu allen Seiten um. Ich muss weg von hier. Weg von der Straße. Weg von den um mich herum wimmelnden Menschenmassen. Ich verliere das Gefühl. Erst in den Fingern, den Händen… meine Augenlider beginnen zu flimmern. Muss hier weg. Da spüre ich die Berührung einer Hand auf meiner rechten Schulter. Ob ich mich nicht wohl fühle? Oh und ob ich mich wohl fühle. Ich stehe täglich schweißgebadet mitten in der Fußgängerzone, ein Smartphone in der Hand, welches nicht meines ist und doch so viel -viel zu viel- über mich zu wissen scheint. Es geht mir ganz fantastisch! Ich zwinge mich zu einem Lächeln, „Der Kreislauf. Ich bin nicht gemacht für diese elende Hitze. Alles in Ordnung.“ Die junge Frau lächelt verständnisvoll. Nachdem sie sich versichert, dass ich allein in meine Wohnung zurückfinde, nickt sie mir zu und verabschiedet sich. Eine schöne Frau war das. Vielleicht ungefähr in meinem Alter, eher jünger. Denke ich. Vermute ich. Bin mir nicht sicher. Meine Gedanken liegen auf dem Ding in meinen Händen. Konnte die Dinger nie leiden. Die Fotos geistern durch meinen Kopf. Werde sie nicht los. Fotos von mir. Fotos von Simeon. Fotos von uns. Auf einem gänzlich fremden Smartphone. Mitten auf den Straßen einer fremden Stadt.

 

24 Stunden zuvor.

Ich trinke aus, hebe unauffällig die Hand. Die Bedienung bemerkt mich trotzdem. Die Menschen bemerken mich. Grundsätzlich. Ich zahle, gebe wie immer kein Trinkgeld. Ich erhebe mich aus dem gepolsterten Sessel nur mühsam. Abwesend. Mit den Gedanken überall nur nicht hier. Exakt 15:32. Ich verlasse das Café und trete hinaus in die Menschenmenge. Mit großen Schritten mache ich mich auf den Weg zur Haltestelle. Zielstrebig und selbstsicher, die Menschen gehen mir wie üblich aus dem Weg. Wenige Minuten vergehen, ich warte auf die nächste Bahn. Ich denke an Luisa. 15:38. Ich habe es eilig. Die Bahn wie üblich nicht. Ich denke an unser Wochenende. Denke an ihre Stimme, die mir rundum die Uhr in den Ohren zu liegen scheint. Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen trifft die Bahn ein. Menschen, viele Menschen. Die Bahn ist rammelvoll. Ein furchtbarer Anblick, ein furchtbarer Geruch. Ich steige ein, bleibe an der Tür stehen. Nur zwei Stationen. Ich blicke mich um. In dem Vierer zu meiner Linken eine Gruppe Jugendlicher. Höchstens 15, vielleicht 16. In den Gesichtern der Umstehenden ist nur abzulesen was auch ich denke. Am liebsten würde ich jeden einzelnen an der nächsten Haltestelle am Kragen packen und mit einem gewaltigen Tritt durch die Türen nach draußen befördern. Dieser Lärm. Musik wie sie es nennen. Eine Gruppe Asozialer wie ich sie nenne. Ich weiß, dass das oberflächlich ist, aber es ist mir schlichtweg egal. Grundsätzlich. Meine Gedanken streifen weiter, hinweg über Luisa. Denke an meine bevorstehende Verabredung. Nicht mit Luisa. Die Bahn hält, die Türen öffnen sich. Ich steige aus. Ich bin der einzige, der hier aussteigt. Freue mich darüber und mache mich auf den Weg nach Hause. Ich genieße die Ruhe, die frische Luft. Naja so frisch wie die Luft hier eben sein kann. Ich bevorzuge den Geruch von Autoabgasen gegenüber dem nach Schweiß müffelnder Teenager.                                                                                                    „Hey John, was geht Alter?“. Ich zucke zusammen, schaue mich um. Ich entdecke Linus, der mir mit schlurfenden Schritten hinterhereilt. Der hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Mein Fettsack von Nachbar -ich weiß, dass das oberflächlich ist, das ist mir egal- mit seinem „Hey was geht Alter?“. In meinen Augen nichts als lächerlich. Wir sind doch keine pubertierenden Teenies. Zudem heiße ich Johannes und das weiß der Dicke ganz genau. „Alles prima.“, antworte ich gelangweilt und beschleunige meinen Schritt. Mein Blick stur nach vorn gerichtet. Ich höre Linus hinter mir keuchen. „Alter, kannste vielleicht mal bisschen langsamer laufen?“  Nichtmehr lange und der Typ kollabiert. Mir solls recht sein, ich hab es eilig. Ich denke ja gar nicht dran langsamer zu gehen. Er ruft mir noch irgendetwas hinterher. Ich verstehe nicht was er sagt, bin mir aber ziemlich sicher, dass der Satz mit „Alter“ beginnt. Vielleicht auch endet. Vielleicht auch beides. Es ist mir egal.

Endlich erreiche ich die Haustür. Stecke meinen Schlüssel ins Schloss und trete in das kühle Treppenhaus. Ein Geruch nach kaltem Rauch und Schimmel steigt mir in die Nase. Ich eile die Treppen hinauf. Nehme immer zwei Stufen auf einmal. Der Fettsack ist lang nichtmehr in Sichtweite. Wann gibt es der Idiot endlich auf? Ich sehe mich in meiner mickrigen Wohnung um. Alles wie immer. Ziemlich erbärmlich. Aber könnte schlimmer sein. In dieser Stadt nimmt man eben was man kriegen kann. 16:10. Ich gehe zum Schreibtisch und lasse mich in meinen Bürostuhl fallen. Werfe eilig einen Blick auf die Uhr. Öffne meinen Laptop. 12 neue Mails. Werfe erneut einen Blick auf die Uhr. Ich muss pünktlich sein. Kann es mir nicht leisten schon wieder zu spät zu kommen. Es ist nicht genügend Zeit alle Mails zu beantworten. Zudem will ich es nicht. Ohne die Hälfte davon gelesen zu haben, verschiebe ich die Nachrichten allesamt in den Papierkorb. Seufzend klappe ich den Computer wieder zu und beschließe mir eine Pizza in den Ofen zu schieben. Sie schmeckt nach Schuhsohle und Geschmacksverstärkern. Ich schlinge sie mit großen Bissen und kaum kauend hinunter. Satt bin ich nicht, aber fürs Erste auch nichtmehr hungrig. Inzwischen ist es 17:00. Ich stelle das Geschirr in die Spüle. Zu dem Geschirr von gestern. Ich schnüre erneut meine Sneaker und verlasse das Haus.                      Es ist exakt 17:06.

 

17:43. Mitte Mai, ein Schauer jagt mir über den Rücken. Ich weiß genau, dass das nicht an den überraschend kühlen 22° liegt. Trotz meines schnellen Schrittes habe ich das Gefühl etwas in mir kämpft dagegen an weiterzugehen. Die kupferfarbene Kellertür ist nun in Sichtweite, nur wenige Meter entfernt. Ich spiele mit dem Gedanken direkt auf dem Absatz kehrt zu machen und mich in meinem Loch von Wohnung zu verschanzen. Ich stehe nun direkt davor. Versuche meinen unregelmäßigen Atem unter Kontrolle zu halten. Ich habe keine andere Wahl, ich muss es tun. Für Simeon. Mit meiner flachen Hand klopfe ich zweimal gegen die Tür. Warte. Ich versuche zu erahnen was sich hinter ihr abspielt. Versuche zu lauschen, es ist nichts zu hören. Klopfe erneut, etwas lauter diesmal. Plötzlich die vertraute Stimme: „Wird aber auch Zeit Kleiner. Herein in die gute Stube!“. Die erstaunlich moderne Freisprechanlage, die keineswegs zum Eingang zu passen scheint, surrt. Die Stahltür öffnet sich kreischend und ich trete ein.

Die Stufen sind glatt und feucht. Hier und da schon abgetreten. Ich achte genau auf meine Schritte. Langsam steige ich tiefer, in den Keller des Gebäudes. Mit jedem Schritt werden die Wände und meine Handflächen feuchter. Unten angekommen warte ich. Wie immer. Die Sekunden vergehen quälend langsam, fühlen sich an wie Stunden. Jedes Geräusch, jedes Tropfen lässt mich zusammenfahren. Ich erstarre. Ich erkenne erst seinen Schatten, seine zarte und doch so einschüchternde Gestalt. Sein dämliches Grinsen. Er scheint heute einen erschreckend guten Tag zu haben. „Schön dich zu sehen, mein Freund. Setzen wir uns!“ Valentin führt mich durch den schmalen Gang in die Lounge, wie er zu sagen pflegt. Ein kleiner Raum, kühl, feucht, wie alles hier unten. Zwei ziegelrote Sessel stehen einander gegenüber. Sie wirken protzig, schlichtweg unpassend für einen Ort wie diesen. Mit einer deutlichen Geste weist er mich an ihm gegenüber Platz zu nehmen. Valentin thront bereits in einem der Sessel und mustert mich mit gierigem Interesse. Seine stahlblauen Augen fixieren mich wie eine Katze ihr nächstes Opfer von Maus. Ich kann mich kaum rühren. Richte mich trotzdem auf um keinen allzu erbärmlichen Eindruck zu machen. „Ich bin pünktlich.“, sage ich. Mit mehr Unsicherheit in der Stimme als geplant. Meine Mundwinkel zucken, meine Unterlippe droht zu beben. Vielleicht merkt er es ja nicht. Schwachsinn. Natürlich merkt er es. Und ihm gefällt, was er sieht. Der Anflug eines Lächelns huscht über sein markantes Gesicht. Ein Gesicht beinahe engelsgleich, doch geprägt von teuflisch funkelnden Augen, die sich nun verengen. Seinen rechten Mundwinkel zieht er leicht nach oben. Er mustert mich, bleibt schließlich an meinen Augen hängen. „Du lernst. Das freut mich, mein Lieber. Warum sollen wir es uns auch unangenehmer machen als nötig.“, erwidert Valentin lächelnd. Seine Stimme strotzt nur so von Arroganz und gespielter Freundlichkeit. Es fasziniert mich. Er fasziniert mich. Das hat er immer. Ich blicke auf den kleinen Holztisch zwischen uns. Fixiere mich auf die Maserung und die hervorragende Verarbeitung des Holzes. Akazie, vermute ich. Valentins kalte Stimme reist mich aus meiner Trance. „Johannes.“, diese verfluchte Freundlichkeit, „Du weißt wie das hier läuft. Je schneller du redest, desto schneller entlasse ich dich in dein bedauernswertes Leben.“. Ich hebe meinen Blick, traue mich ihn anzusehen. Er lächelt. Seine Augen sind mittlerweile zu Schlitzen verengt. Weiterhin starr auf mich gerichtet. Sie lächeln nicht. Ich fühle mich gefangen in seinem Blick, wage es nicht zu widersprechen. Nichtmehr. Dann beginne ich zu erzählen.

Während sein Blick auf mir ruht, kalt und starr, berichte ich bis ins kleinste Detail. Bloß keine Lücken für Nachfragen lassen. Auch das habe ich gelernt. Ich verachte mich selbst für meine Feigheit. Jedes Gefühl der Selbstachtung scheint aus mir geschwunden zu sein. Ich fühle mich fremd. So furchtbar fremd. Ich erzähle von dem Café, erzähle von Martin Schoefer. Seinem Aufschrecken, als sein Telefon das Lied „Sugar, Sugar“ von den Archies spielt. Peinlich, wie ich finde. Aber das tut nichts zur Sache. Wie er mit zitternden Händen seinen Kaffee vor sich abzustellen versucht und dabei die Hälfte auf seine Hose verschüttet. Er scheint es nicht einmal zu bemerken. Sein erleichtertes Aufschnaufen als er den Anruf annimmt. Sein Blick, als am anderen Ende der Leitung der vielsagende Schuss fällt. Dieser Blick ist Gold wert. Wortwörtlich.

Auf Valentins Gesicht ruht ein zufriedenes Grinsen, als ich ihm das Smartphone entgegenhalte, welches genau diesen Moment einzufangen vermochte. Er nickt mir anerkennend zu. „Gut gemacht, Junge. Damit lässt sich arbeiten.“, er zwinkert mir zu und betrachtet das Foto erneut, genauer diesmal. Seine Worte erfüllen mich auf eine kranke Weise mit Stolz. Gleichzeitig ekle ich mich vor mir selbst. Der Person zu der ich geworden bin. Zu der er mich gemacht hat. Er lässt das Handy in die Innentasche seiner schwarzen Jeansjacke gleiten und richtet seine Augen nun wieder auf mich. „Ich bitte dich, zieh doch nicht so ein Gesicht. Wir beide wissen, dass es richtig ist, was wir tun. Was du tust, Johannes.“, er sieht mich an. Auffordernd. Wartet auf eine Antwort. Eine Zustimmung. Einen Widerspruch? „Ja.“, entgegne ich leise und doch mit einer Festigkeit in meiner Stimme, die mich selbst überrascht, „Es ist richtig.“.

Auf dem Heimweg geistern mir Valentins Worte unentwegt im Kopf herum. Eine Stimme, so sanft, so klar. Vor einem Jahr, als ich Valentin das erste Mal begegnete, zog sie mich direkt in ihren Bann. Nicht nur seine Stimme. Es war sein gesamtes Erscheinungsbild, das mich von der ersten Sekunde an beeindruckte. Er ist nicht sehr groß, etwas kleiner als ich. Seine Weise sich auszudrücken. Die hohen Wangenknochen, die kleine Narbe unter seinem rechten Auge, die fast weißen Locken, die ihm lässig in die Stirn fallen. Ein Gesicht dem man vertraut. Vertrauen möchte. Ein Gesicht dem Simeon vertraut. Vertraut hat.                    20:13. Ich fühle mich furchtbar. Ich streife meine Schuhe ab und platziere die Hausschlüssel auf dem Schuhschrank. Ohne nur daran zu denken mich zu waschen, lasse ich mich ins Bett fallen. Ich starre an die vom Rauch vergilbte Decke. Wie oft habe ich Simeon verboten in meiner Wohnung zu rauchen. Aber lässt sich ja nichts sagen der Kleine. Meine Lider werden schwer. Innerhalb weniger Minuten versinke ich in den Schlaf. Ohne auch nur noch einmal an Luisa zu denken.

 

 

Heute, 7:32

Ich blinzle in die grelle Sonne, die mir ins Gesicht scheint. Ein verschlafener Blick auf die Uhr. 7:32. Ich stöhne und richte mich auf. Versuche die Sonne zu genießen. Wenn auch nur für wenige Minuten. Es gelingt mir nicht. Ich muss Luisa anrufen, denke ich. Nein. Ich muss sie sehen.

Auf den Straßen ist es noch ruhig. Verhältnismäßig. Es ist Samstag. 8:10. Das Wetter ist herrlich, ich beschließe zu Fuß zu gehen. Mit jedem weiteren Schritt zweifle ich. An mir. An uns. Ich sehe ihr Gesicht vor mir, ihr Lächeln, die haselnussbraunen Augen. Es ist richtig. Je weiter ich mich der Innenstadt nähere, desto voller werden die Straßen. Ich trete in die Fußgängerzone. In wenigen Minuten bin ich bei dir Luisa. Dann erklär ich dir alles. Nicht alles. Nicht die Wahrheit. Nur das, was du hören willst. Hier ist das Menschentreiben schon um einiges belebter. Familien, die Wochenendeinkäufe erledigen, Paare, schlendernd auf der Suche nach einer passenden Frühstücksmöglichkeit und ich. Fühle mich wie ein Fremder, wie ein Aussätziger. Werde gemieden. Wie immer. Eine ältere Dame kreuzt meinen Weg. Sie scheut sich nicht wegzusehen. Betrachtet mich mit aufgerissenen Augen. Glotzt mich an. Die Narbe verläuft quer über mein Gesicht. Sie beginnt rechts an der Stirn und zieht sich hin bis zu meinem linken Ohr. Sie muss den Kopf in den Nacken legen, um mir im Vorbeigehen besser ins Gesicht zu glotzen. Ich versuche sie nicht zu beachten. Luisa hat nie geglotzt. „Narben zeigen nur, dass du stärker bist als das, was dich verletzen wollte.“, hat sie mir immer wieder gesagt. Mit einem ermutigenden Lächeln im Gesicht. Sie studiert im 4. Semester soziale Arbeit. Für Luisa gibt es für jedes Problem eine Lösung. Da ist sie sich sicher. Ich nicht. Ich kenne die Wahrheit. Aber Luisa, Luisa darf die Wahrheit nie erfahren.

In Gedanken versunken merke ich kaum, wie ich von einer vorbeihuschenden Gestalt angerempelt werde. Ich höre ein Scheppern. Schaue zu meinen Füßen. Entdecke ein Handy. „Hey, du hast dein Handy verloren!“, rufe ich der blauen Regenjacke nach. Es regnet nicht. Ich gehe in die Hocke und hebe es auf. So gut wie neu. Scheint außer den Kratzern vom Aufprall kaum Gebrauchsspuren zu haben. Ich will nochmal rufen, aber die Regenjacke ist aus meinem Sichtfeld verschwunden und in die Menschenmasse eingetaucht. Was mach ich denn jetzt mit dem Ding? Es vibriert in meiner Hand. Schrift erscheint auf dem Bildschirm, eine eingehende SMS. Ich lese die Nachricht. Ein Automatismus.             >Schön, dass du mich gefunden hast, Johannes.<                                                                         Ich verstehe nicht. Ein dummer Scherz, denke ich. Erneut spüre ich die Vibration zwischen meinen klammen Fingern. >0312. Viel Spaß, Johannes.<                                                  Was zur Hölle? Ich habe keine Zeit für Spielchen. 0312. Ich kenne diese Zahlen. Dieses Datum. Simeons Geburtstag. Ich entsperre das Display. 0312. Auf dem Startbildschirm befindet sich nur eine einzige App. Ungewöhnlich. Die Galerie. Ohne lang darüber nachzudenken tippe ich auf das leuchtende Symbol und eine Reihe Fotos öffnet sich.

 

 

 

9:15

Ich muss hier weg. Mit schnellen, flüchtigen Blicken sehe ich mich um. Beginne zu laufen. Nicht zu Luisa. Ich springe in die nächste Bahn. Die Augen starr auf das Foto von mir und Simeon gerichtet. In wenigen Minuten erreicht die Bahn meine Station. Kaum öffnen sich die Türen, stürme ich nach draußen. Bis zu meiner Wohnung ist es nun nichtmehr weit. Erst recht nicht in diesem Tempo. Linus kommt mir entgegen. Schon von weitem höre ich ihn rufen: „Alter, was hast es denn so eilig?“. Ich nähere mich ihm mit schnellen Schritten, beachte ihn nicht. Im Vorbeigehen fasst er nach meinem Arm. „Wasn los? Geht’s dir nicht gut, John?“ Ich stoße ihn zur Seite, befreie mich aus seinem Griff. Er stolpert, fällt über seine eigenen dicken Beinchen. Landet auf dem Rücken. Wie ein fetter Käfer liegt er da. Es ist mir egal. Er ist mir egal. „Was solln der Scheiß, Alter?“, ist das Letzte, was ich höre, bevor ich ins Treppenhaus stürme. In der Wohnung angekommen, schlage ich die Tür hinter mir zu. Meine Beine scheinen unter meinem Gewicht nachzugeben. Meine Hände umklammern das scheußliche Ding. Ich schließe die Augen. Versuche gleichmäßigen Atem zu finden. Ich entsperre das Smartphone erneut. Meine Hände sind schweiß nass, ich brauche mehrere Versuche. Schließlich habe ich das Foto wieder vor Augen. Ich starre auf den Bildschirm. Meine Augen fühlen sich trocken an. Habe kaum die Kraft sie offen zu halten. Es zeigt mich und Simeon. Ich weiß an welchem Tag das Bild aufgenommen wurde. Das weiß ich, auch ohne auf das Aufnahmedatum zu sehen. Trotzdem vergewissere ich mich. Es ist datiert auf den 13.01.2020. Der Tag, an dem Simeon starb.

Scheiße. Was soll denn jetzt diese Scheiße? Ich umklammere das Smartphone. Muss mich zwingen es nicht gegen die Wand zu schleudern. Wer weiß davon? Valentin. Aber warum sollte er das tun? Er hat mich ohnehin in der Hand. Das weiß ich. Er weiß das auch. Und ich weiß, dass ich es ihm sagen muss. Diese Sache betrifft nicht nur mich. Hektisch krame ich in meiner Jackentasche und ziehe mein Handy heraus. Ich durchsuche mein Adressbuch. Valentin. Kurzwahl. >Es gibt ein Problem. Wir müssen reden.<, tippe ich so schnell es meine zittrigen Finger zulassen. Keine zwei Minuten später trifft surrend eine Antwort ein. >10:00.< Mehr an Antwort verlangt es nicht. Schuhe und Jacke trage ich nach wie vor. Ich raffe mich auf und stürme die Treppen hinunter.

10:00. Valentin erwartet mich bereits. Wir gehen nicht in die Lounge. Dafür ist keine Zeit. Er wirkt erstaunlich gelassen. „Jemand weiß Bescheid. Über mich. Über Simeon. Darüber, was am 13. passiert ist.“ Vor Aufregung bin ich ganz außer Atem. Die Wörter überschlagen sich beinahe. Nur mit Mühe bringe ich vollständige Sätze heraus. Valentin scheint tatsächlich überrascht. Aber kein Anzeichen von Angst oder Panik macht sich in seinem Gesicht bemerkbar. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, wie ein dunkler Schatten. Ich hätte nicht herkommen sollen, denke ich. „Wieso, denkst du, sollte mich das interessieren?“, erwidert er gelassen, ein Lächeln umspielt seine Lippen. Wie kann ihn das so kalt lassen? „Diese Sache mit Simeon. Involviert mich keineswegs. Nichtmehr. Wir wissen, dass nur einer von uns beiden die Schuld an Simeons Tod trägt. Es ist deine Schuld Johannes. Nur deine.“ Da ist es wieder. Meine Schuld, nur meine. Nur meine? Ich spüre die Wut, die in mir hochkriecht. Und die Tränen. Ich presse meine Lider aufeinander. Nicht heulen. Bloß nicht heulen. Ich blinzle die Tränen weg. Ich sehe Valentin nun direkt in die Augen. Er mustert mich mit einer Mischung aus Arroganz und Abfälligkeit. Oder Neugier? „Du weißt, wenn mein Geheimnis in Gefahr ist, bist du es auch. Schluss. Mach´ die Drecksarbeit selber, Valentin.“, rutscht es mir heraus. Der dumpfe Schlag auf meine rechte Wange lässt mich das Gesagte sofort bereuen. Ich spüre die Wärme, die sich in meinem gesamten Gesicht auszubreiten scheint. „Na, na mein Freund. Werd´ mal nicht wieder übermütig. Wir hatten uns doch geeinigt Konflikte zu meiden, nicht wahr?“. Ich bringe keinen Ton heraus. Blicke stur zu Boden. Fühle mich paralysiert. Valentin kommt einen Schritt näher. Ich spüre seinen warmen Atem an meiner Stirn. Ruckartig packt er mich am Kinn und reißt meinen Kopf nach oben. Er sieht mir direkt in die Augen. Zwingt mich seinen Blick zu erwidern. Ich höre meinen Kiefer knirschen, schmecke Blut. Er grinst zufrieden. „Es ist zu Ende, wenn ich das sage. Und du tust, was ich dir sage. Und wenn ich wegen dir auffliege, dann mach dich auf Schmerzen gefasst, die kannst du dir in deinen dunkelsten Träumen nicht ausmalen. Verstehen wir uns?“ „Ja.“, presse ich zwischen meinen Zähnen hervor. Mit einem Tritt in die Magengrube schlage ich auf dem Boden zu Valentins Füßen auf. Er lächelt auf mich herab. Ergötzt sich an meinem Schmerz, seiner klar zur Schau gestellten Überlegenheit. Die Sohle seiner abgetretenen Sneaker sind das Letzte was ich zu sehen bekomme, dann wird alles schwarz.

Wie lange war ich wohl weg? Eine, vielleicht zwei Stunden? Ich komme zu mir, finde mich in einem der Keller Gewölbe wieder. Ein penetranter Geruch steigt mir in die Nase. Ich blicke nach rechts. Der Geruch passt zu dem Anblick der sich mir bietet. Dieser leere Blick, starr und kalt. Die Angst ist noch immer in ihrem Blick abzulesen. Das aufgedunsene Gesicht, die leicht geöffneten, vollen Lippen. Die Wunde an ihrem Kopf. Durch ihren Kopf. Glatter Durchschuss. Durch und durch Valentin. Mir wird übel. Der Geschmack von Galle. Brennt in meinem Hals wie Säure. Ich schließe die Augen, schlucke. Ich schleppe mich ein Stück weiter nach links. Weg von dem stinkenden Haufen etwas.                „Ah schön, du bist wach.“, strahlend betritt Valentin den Raum. „Wie ich sehe hast du Mara schon kennengelernt. Schade um das schöne Mädchen. Aber naja, du weißt ja wie das ist.“ Sein Blick schweift über Mara. Angeekelt blickt er auf sie herab. Ich sehe keine Reue in seinem Blick. Für Valentin ist Mara nur ein weiterer Kollateralschaden. Wie Simeon. Ich frage nicht, was Mara getan hat. Ich will es nicht wissen. Valentin nimmt schließlich wieder mich wieder ins Visier. „Folgendes: Du gehst jetzt nach Hause. Du regelst diese Sache mit den Fotos. Allein. Zu niemandem ein Wort. Und halt mich aus der Scheiße raus. Noch ein Auftrag Johannes und du bist frei. Versau es nicht.“

Ich schleppe mich die Kellertreppen nach oben. Öffne die schwere Tür. Mittagszeit, schätze ich. Die Sonne steht grell am Himmel und schmerzt in meinen Augen. Ich muss furchtbar aussehen. Mindestens so furchtbar, wie ich mich fühle. Der Heimweg erscheint mir unendlich weit. Die Menschen in der Bahn mustern mich. Manche mitleidig, die meisten ängstlich, abfällig. „Du regelst diese Sache.“ Hat Valentin gesagt. In wenigen Minuten erreiche ich die Wohnung. Ich muss unwillkürlich an Linus denken. Natürlich! Linus! Warum habe ich da nicht schon früher dran gedacht? Der Dicke ist doch son Computernerd. Nicht als hätten wir je wirklich darüber geredet. Aber regelmäßig muss ich mir sein Gequatsche anhören. Über seine neue App die er am Wochenende entwickelt hat. Jede Woche aufs Neue. „Endkrass, sag ich dir Alter! Ich schick dir mal ne Demo rüber.“ Sowas wie Nachrichten zum Absender zurückverfolgen sollte für den doch kein Problem sein. Kein sicheres Trittbrett, aber immerhin ein Hoffnungsschimmer. Ich trete ins Treppenhaus. Beschließe auf direktem Weg bei ihm vorbeizuschauen. Steige die Treppen nach oben. „Da bist du ja endlich!“ Scheiße. Bitte nicht. „Ich hab mir echt so langsam Sorgen gemacht.“, hallt Luisas Stimme durchs Treppenhaus. Verdammte Scheiße.

 

 

 

13.01.2020

„In ner Stunde bin ich wieder da, John!“ Simeon eilt zur Tür. „Wieder zu diesem Valentin?“, frage ich. „Hey, keine Panik. Alles cool. Ich vertrau ihm.“ Simeon ist sich der Sache sicher, dass dieser Valentin ausschließlich gute Absichten hat. Er hat ihn kurz nach unserem Umzug kennengelernt. Mag jetzt ungefähr ein Jahr her sein. Seltsamer Typ, wie ich finde. Bezeichnet sich selbst als modernen Robin Hood. Da war Simeon mit seinem Helferkomplex natürlich direkt mit von der Partie. Die reichen Geschäftsleute verarschen, arrogante Bänker hinters Licht führen und in den finanziellen Bankrott treiben. Im Idealfall gesellschaftlich ruinieren. „Ich nicht. Zudem brauchst du das Zeug nicht.“ Vor vier Jahren wurde bei Simeon eine bipolare Störung festgestellt. >Eine leichte Depression, die geht vorbei.<, hieß es zuerst. Dann drei Selbstmordversuche in 5 Monaten. Bipolar. Es gibt gute Tage, richtig gute Tage. Und schlechte. Suizidal schlechte. „Ich mach mir doch nur Sorgen. Das Zeug hilft dir nicht, es macht dich kaputt! Du brauchst Valentin nicht.“ „Hat dir das deine kleine Freundin von Sozialarbeiterin eingetrichtert?“ Er hört mir nicht zu. Für ihn ist das alles nur ein Scherz. Valentin bezahlt Simeon für seine kleinen Spionage Aktionen mit jeglicher Art von Pillen. Amphetamine. Hauptsächlich. Verstärken die Hochgefühle und die Dauer, sagt Valentin. Bullshit. Sage ich. Er macht ihn kaputt. „Ich komm mit.“ Ich binde meine Stiefel und ziehe meinen Mantel an. Simeon belächelt mich, scheint beinahe belustigt. „Wenn du darauf bestehst, Brüderchen.“ Wir verlassen das Haus und machen uns auf den Weg zu besagtem Valentin. Ich kenne ihn schon. Simeon hat mich ihm vorgestellt, kurz nachdem er der Überzeugung geworden ist, er sei diesem Mann alles schuldig. Wir treten durch die schwere kupferfarbene Tür und steigen hinab ins Dunkel.

Während Simeon mit Valentin plaudert und verhandelt stehe ich nur dumm rum. Ich fühle mich derart Fehl am Platz. „Ich glaube dein Aufpasser langweilt sich.“, ich schaue auf, mein Blick trifft auf Valentins. Er lächelt. Beinahe mitleidig. Mustert mich. „Was wollen Sie von Simeon? Konnten Sie sich keinen Anderen für Ihre Drecksarbeit suchen? Das ist sowas von illegal.“ Ich denke nicht darüber nach. Die Gedanken platzen nur so aus mir heraus.  „Wehrlose, verletzliche Jungs ausnutzen. Ziemlich feige. “ Valentin scheint wirklich überrascht. Es scheint nicht viele Menschen zu geben, die so mit ihm sprechen. Bedrohlich langsam erhebt er sich von seinem Sessel und geht ein paar Schritte auf mich zu. Simeon springt auf, stellt sich ihm in den Weg. „Hey er meint das nicht so. Er weiß nicht was er sagt.“ Grob stößt Valentin ihn zur Seite. Nun steht er mir direkt gegenüber. Was will er tun? Mir eine reinhauen? Mit dem kann ich´s aufnehmen. Sein arrogantes Lächeln ist verschwunden. „Na du bist mir aber tapfer. Ich glaube du weißt nicht, mit wem du sprichst, Junge.“ Die aufgesetzte Freundlichkeit in seiner Stimme ist verschwunden. „Ich habe keine Angst vor Ihnen. Einem Mann, scheinbar jegliches Selbstwertgefühl verloren. Mid-life crisis. Suchen sich 19-jährige, die Ihre Drecksarbeit erledigen und sie anhimmeln für Ihre ach so ehrenhaften Taten. Brauchen Sie das für Ihr Ego?“ Valentins Mundwinkel zucken. Ist er verunsichert? Wütend? Vielleicht beides. Er greift in die Innentasche seines Jacketts. Scheiße. Ein schwarz glänzender Gegenstand kommt zum Vorschein. Scheiße. Er presst mir den kalten Lauf seiner Desert Eagle an die Schläfe. Ich wage es nicht mich zu bewegen. Kalter Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Wage es kaum Luft zu holen. Scheiße, was ist das für´n Typ? „Ganz ruhig. Wir kommen jetzt alle mal runter. Komm schon, weg mit der Pistole.“ Simeon hebt beschwichtigend die Hände. Er versucht lässig zu klingen. Es gelingt ihm nicht. Valentins Blick ist noch immer starr auf mich gerichtet. Ihm gefällt was er sieht. Die Angst, die Panik in meinen Augen. Sein rechter Mundwinkel hebt sich, er grinst, seine Augen leuchten. Wie ein Geier, der nur darauf wartet sich endlich auf das sterbende Opfer zu stürzen. Ich schließe die Augen, presse meine Lider aufeinander bis es schmerzt. Scheiße. Ich will so nicht sterben. Plötzlich fällt der Schuss. Erschrocken öffne ich die Augen. Er hat nicht getroffen, denke ich. Der Idiot hat nicht getroffen. Simeons Blick trifft meinen. Er sackt zusammen. Valentin hat getroffen.

Ich renne zu meinem Bruder, knie mich neben ihn, versuche ihn zu schützen. Blut. So viel Blut. Scheiße. Ich versuche mit der Hand auf die Wunde zu pressen. Aber er verliert so viel Blut. Sein weißes Nirvana Shirt ist nichtmehr weiß. Ich sehe ihm in die Augen, streiche über sein schwarzes Haar. Er atmet. Nur noch schwach. Kaum noch. Seine Lider flimmern. Nichtmehr. Simeon ist tot. Mein kleiner Bruder ist tot. Und es ist meine Schuld. Nur meine. „Siehst du? Ich brauche Simeon nicht. Jeder ist ersetzbar. Willst du die Stelle?“ Der salzige Geschmack auf meiner Zunge. Ich kann meine Tränen nichtmehr zurückhalten. Es ist nur meine Schuld. „Du bist mir was schuldig. Hast mich um ne gute Arbeitskraft gebracht.“ „Sie sind verrückt. Komplett irre!“ Ich springe auf. Keine zwei Meter von mir entdecke ich ein altes Kupferrohr. Ziemlich verrostet. Für meine Zwecke solls reichen. Ich springe auf, stürme los. Ein gekonnter Tritt landet in meinem Gesicht, mit einer Leichtigkeit nimmt er mir meine einzige Waffe. Scheiße. Holt aus. Zieht sie mir quer übers Gesicht. Mir wird schwarz vor Augen. „Besser du lernst aus deinen Fehlern, Kleiner.“ Seine Stimme hallt in meinem Kopf nach, wie ein Flüstern. „Wir wollen doch nicht, dass noch jemand verletzt wird. Deine kleine Freundin zum Beispiel. Wie war doch gleich ihr Name? Luisa?“

 

Heute, 16:00

Sie sieht mich mit großen Augen an. Wartet darauf, dass ich etwas sage. „Hey! Lu, was tust du hier?“ Etwas besseres fällt mir für den Moment nicht ein. „Ich freu mich auch dich zu sehen, vielen Dank auch!“, erwidert sie. Ihr schiefes Grinsen verrät sie. Sie kann mir nie lange böse sein. Sie küsst mich auf die Wange. Ich versuche nicht allzu sehr zusammen zu zucken. Mein ganzes Gesicht scheint sich von Valentins Seitenhieb noch nicht wirklich erholt zu haben. Es fühlt sich heiß an, hinter meinen Stirnhöhlen verspüre ich ein dumpfes Pochen. Ich muss trotzdem lächeln, als ich in Luisas schöne Augen blicke. Ich drehe den Schlüssel im Schloss und wir setzen uns in der Wohnung angekommen auf mein abgewetztes Sofa. Sie legt eine Hand auf mein Bein. Wie gern sehe ich sie an. Die braunen Augen, in denen ich mich immer wieder zu verlieren scheine. Ihre blondgelockte Mähne, die in der Sonne golden schimmert. Luisa mustert mich mit besorgter Miene. „Sagst du mir jetzt was mit dir los ist?“ In ihrem Ton schwingt keinerlei Wut oder Enttäuschung mit. Ausschließlich Sorge und ehrliches Interesse. Ich würde ihr so gerne alles erzählen. Von Valentin, von Simeon, von den Fotos. Aber ich kann nicht. Ich will nicht, dass sie verletzt wird. „Ich muss nochmal kurz wo hin!“ „Ist das dein Ernst?“ Sie sieht mich verdutzt an. Da ist sie ja. Die Wut. Ich küsse sie auf die Stirn. „Bin gleich zurück! Kannst uns ja schonmal was leckeres Kochen.“ Ich schnappe meine Jacke mit dem fremden Smartphone und haste zur Tür ohne mich noch einmal nach Luisa umzusehen. Linus Wohnungstür liegt meiner direkt gegenüber. Ich klingle. Sturm. Verschlafen öffnet Linus die Tür. „Ich brauch deine Hilfe.“ Nach unserem letzten Aufeinandertreffen rechne ich beinahe damit, dass er mir die Tür direkt vor der Nase wieder zuknallt. Er muss lachen. Es ist ein ehrliches Lachen. Er freut sich. „Klar Alter, was brauchst denn?“

„Klar, mach ich. Und garantiert legal? Aus allem was mit den Bullen zu tun hat, halt ich mich raus, Alter. Bin schon mehr als nur einmal mit nem blauen Auge davon gekommen.“ Meine Augen weiten sich, Linus scheint mein Erstaunen zu bemerken und muss schmunzeln. „Langweile treibt einen schonmal in die Polizeiakten. Und wer kann der kann.“ Er zuckt mit den Schultern, zwinkert mir zu. „Ja klar! Alles ganz legal. Will nur sicher gehen, dass ich nicht verarscht werde.“ Meine Story von der Internet-Bekannten hat er mir direkt abgekauft. Denk ich. Er nickt mir zu und macht sich an seinem Computer zu schaffen. Keine Ahnung wie lange er braucht, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Linus starrt gespannt auf den Bildschirm. Wartet. Legt die Stirn in Falten. Schüttelt den Kopf. Hämmert erneut auf die Tastatur ein. Gleiches Ergebnis. „Also meiner Meinung nach ist die einzige Person die dir Nachrichten schickt du selbst. Das Signal führt in deine Wohnung, John.“

Luisa steht in der Küche. Es duftet bereits nach geschmortem Gemüse. Jeder Schritt fällt mir schwer. Ich starre sie an. Ich kann nicht anders. Bitte nicht. Über die Schulter wirft sie mir einen flüchtigen Blick zu. „Gleich fertig! Holst du schonmal zwei Teller?“ Ich gehe zum Geschirrschrank. Ich trage noch immer meine Straßenschuhe. Die tannengrüne Jacke, die ich trug, als ich das Smartphone fand. Ich stelle zwei Teller auf den kleinen Couchtisch. Aus der Schublade des Schrankes fische ich zwei Gabeln, drei Messer. Lasse eines davon in meine Jackentasche gleiten. Scheiße. Und jetzt? Fasse einen Entschluss. Still, leise. Nur für mich. Mit einigen Schritten Abstand beobachte ich, wie Luisa Nudeln in das kochende Wasser gibt. „Sag mal, wo warst du eigentlich heute Morgen? Wollte dich besuchen, aber niemand hat aufgemacht.“ Sie dreht sich ruckartig zu mir um. „Nur paar Erledigungen machen. War mit dem Auto weg.“ Sie wirkt nicht nervös. Warum wirkt sie nicht nervös? „Erledigungen machen, verstehe.“ Ich halte inne. „In blauer Regenjacke?“ Sie sieht mir jetzt direkt in die Augen. Ein Lächeln umspielt ihre Lippen. „John.“, sie geht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche zurück. Ich kann nicht anders. „Stelle keine Fragen auf die du die Antwort schon kennst. Stell dich nicht dümmer als du bist.“ Scheiße. „Warum tust du das?“ Sie lächelt. „Johannes, warum sollen wir es uns unangenehmer machen als nötig?“ Ihr Lächeln wirkt nun gekünstelt, die Ehrlichkeit aus ihrer Stimme ist verschwunden. Warum sollen wir es uns unangenehmer machen als nötig? Ich weiß, woher ich diese Frage kenne. Sie weiß es auch. „Du hast wirklich diesen Linus um Hilfe gebeten? Erbärmlich John. Selbst für dich. Das wird Papi nicht freuen. Er hat deine Loyalität von Anfang an in Frage gestellt.“ Das wird Papi nicht freuen. Papi. Die hohen Wangenknochen, die wachen Augen. Scheiße. Jetzt bloß keinen Fehler machen, Johannes. „Ich hatte nur solche Angst um dich! Luisa, es tut mir so unendlich leid!“ Ich greife nach ihrer Hand. Zwinge mich, mein Gesicht nicht allzu sehr zu verziehen. Sie vertraut mir. Diese Augen. Können sie mich wirklich so sehr täuschen? „Ich will mich bei ihm entschuldigen, Luisa. Das muss ich einfach.“ „Ich wusste du würdest die richtige Entscheidung treffen.“ Sie presst ihre Lippen auf meine. Ich bin überrascht. Das war leichter als gedacht. Wir machen uns auf den Weg zu Valentin. „Lass mich allein mit ihm sprechen, ja? Ich will nicht, dass du unter meiner Dummheit leiden musst.“ Ich sehe ihr nun direkt in die Augen. Küsse sie zum Abschied auf die Stirn. Sie lächelt. Vertraut mir. Wie naiv. Ich öffne die schwere Kellertür. Fasse in meine Jackentasche. Das alles war nichts als ein krankes Spiel. Klammere mich an den kalten Griff des Brotmessers. Vater und Tochter. Wirkt nun erbärmlich winzig. Wie konnte ich nur so blind sein? Luisa. Ich steige die Treppen hinab ins Dunkel. Vielleicht hat sie mich geliebt. Aber Papi liebt sie mehr. Ein letztes Mal. Aber Papi hat Komplexe. Papi ist nun mal nicht Robin Hood. Ein letztes Mal. Dann bin ich frei.        Nur noch ein letztes Mal. Dann bin ich frei.

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