MichaelSchmidtZukünftige Rache

Zukünftige Rache

„Vielen Dank. Mit Freude nehme ich den Nobelpreis für Medizin entgegen. Ich möchte mich bei dem Pharmakonzern EverCure bedanken, dessen Partnerschaft es möglich gemacht hat, mein Medikament gegen Leukämie auf den Markt zu bringen. Angefangen hat alles mit einem Koffer voller Testampullen, die ich der Firma zu Verfügung gestellt habe. Die Tests, die damit gemacht wurden, haben eine Heilungschance von 99% bestätigt. Der Rest ist, wie sie wissen…“ Phils Traum endete jäh, als ihm ein so starker Schmerz in den Rücken schoss, dass er davon aufwachte. „Verdammte Matratze.“, fluchte er. Sein Kopf dröhnte, was er ebenfalls auf die harte Unterlage schob. Er ärgerte sich, dass selbst in einem 5-Sterne-Hotel an so elementaren Dingen wie einem Bett gespart wurde. Sein Unmut verflog aber schnell wieder, als er an seinen Traum dachte. Doch war es das überhaupt, oder eher eine Vision? Er war weit gereist, hatte den Koffer mit seinem selbst entwickelten Medikament dabei und würde in wenigen Stunden einen Pitch präsentieren, der das Leben vieler Menschen für immer verändern und ihn reich und berühmt machen würde. Nein, es war kein Traum… es war die Zukunft!

Seine Klamotten lagen verstreut im Zimmer, was ihn daran erinnerte, wie fix und fertig er war, als er am Vorabend angekommen war. Hemd und Hose hatte er schnell gefunden und angezogen. Beides maßgeschneidert, wofür er viel Geld hingelegt hatte. Seine Lieblingskrawatte konnte er jedoch nicht finden. Dabei war das auf der schwarzen Seide aufgestickte Emblem, eine leuchtend gelbe Schlange, die sich um einen Stab wandte, so aufdringlich, dass sie kaum zu übersehen war. Verwundert sah er sich um, wobei sein Blick am Schreibtisch hängen blieb. Mit einem Mal erstarrte er. Sein Koffer lag nach wie vor mitten auf der großen Holzplatte. Darauf lag sein Notebook. Es war das einzige elektronische Gerät, das er mitgenommen hatte, denn sein Smartphone war ihm kurz vor der Reise heruntergefallen und dabei so unglücklich aufgeschlagen, dass das Display völlig gesplittert war und schwarz blieb. Ein neues hatte er schon bestellt, aber trotz Expresslieferung kam es nicht mehr rechtzeitig vor seiner Abreise an. Eine Sache, die ihn maßlos geärgert hatte. Doch wenn er im Augenblick keines besaß, warum lag dann eines auf dem Tisch?

Langsam und vorsichtig näherte er sich dem Schreibtisch in einer leicht gebückten Haltung, als hätte er es mit einem gefährlichen Raubtier zu tun. Es bestand kein Zweifel, es war ein Smartphone, auch wenn es auf den ersten Blick vollkommen fremd auf ihn wirkte. Vorsichtig griff er danach und schaute es sich von allen Seiten an, wobei ihm auffiel, dass es nicht einen einzigen Taster gab. Ebenso fehlten jegliche Anschlussstellen. Die Vorderseite war spiegelglatt und fast vollkommen Schwarz. Lediglich ein weißer Ring in der Mitte des Bildschirms, in dessen Zentrum ein schematischer Fingerabdruck zu sehen war, zeigte an, dass das Gerät lief und auf eine Eingabe wartete. Dass er seinen Finger darauflegte war ein Reflex und er verdammte sich in dem Moment, als er sich seiner Unbedachtheit gewahr wurde, doch da berührte seine Haut schon die kalte Oberfläche. Mit einem Mal erwachte das System zum Leben. Sein Fingerabdruck hatte das fremde Mobiltelefon entsperrt.

Sein Schock darüber, dass er mit seinen biometrischen Daten Zugang bekam, wich schnell der Faszination, mit der er den Bildschirm betrachtete. Das Betriebssystem war sehr puristisch eingerichtet. Anstatt eines Hintergrundbildes strahlte die Oberfläche in schlichtem Weiß. Es gab nur zwei Icons, die am unteren Rand positioniert waren. Eines, dessen Symbol aussah wie ein Bilderrahmen, diente wohl dem Zugriff auf Fotos. Das andere war offensichtlich eine Art Notizprogramm. Unsicher blickte sich Phil im Raum um. Warum sollte jemand unbemerkt eindringen, nur um ein Mobiltelefon zu deponieren? Und vor allem: Wie hatte, wer immer dahinterstecken mochte, das gemacht, denn es gab keinerlei Anzeichen eines Einbruchs. Das machte einfach keinen Sinn. Er überlegte und kam dann zu dem Schluss, dass die Lösung auf dem Gerät zu finden sein musste. Er entscheid erst einmal die Nachrichten durchzusehen. Als sein Daumen das entsprechende Icon berührte, baute sich der Bildschirm neu auf, wobei der Hintergrund ein dezentes Grau annahm. Drei längliche, weiße Kacheln bildeten dazu einen Kontrast, in dessen Inneren einzelne Worte standen. Offensichtlich der Anfang einer Notiz. So konnte er sehen, dass der erste Text mit den Worten: „Du bist ein…“ beginnen würde. Phil drückte darauf, woraufhin sich ihm die ganze Nachricht darbot. Es war zwar nur ein Wort hinzugekommen, doch er erstarrte, als die Bedeutung des Satzes in seinem Verstand angekommen war: „Du bist ein Mörder“!

Was sollte das? Waren die Daten auf dem Gerät wirklich für ihn gedacht? Natürlich würde sich nicht jeder sein Mittel leisten können. Doch da konnte er nichts dafür. So läuft es im Business nun mal. Große Unternehmen haben auch keine Skrupel, wenn es um ihre Profite geht. Aber das macht ihn nicht gleich zum Mörder. Diese Nachricht konnte sich unmöglich auf ihn beziehen. Phil wechselte zur zweiten Notiz, die ihn auf eine andere Weise schockierte: „Sehr geehrter Herr Forster, leider haben wir kein Interesse für ihr neuartiges Medikament. Sie sind ein Scharlatan. Mit freundlichen Grüßen, Jan-Singer-Institut.“ Phil starrte ungläubig auf die kurze Nachricht. Das konnte nicht sein. Diese Botschaft schien für ihn bestimmt zu sein. Denn Forster war sein Name. Aber er kannte kein Jan-Singer-Institut? Bisher hatte er nur mit einem einzigen Pharmakonzern Kontakt aufgenommen und geglaubt, dass sie sein Angebot diskret behandelt haben. Doch noch viel mehr ärgerte er sich über diese Beleidigung. Er war Arzt. Ja, das war er! Ganz egal was die Ärztekammer sagte! Sein Medikament würde ihnen schon noch die Augen öffnen, denn es würde unzählige Menschenleben retten, indem es Krankheiten besiegen würde, auf die die Schulmedizin keine Antworten hatte. Wütend öffnete er die letzte Nachricht, welche vollkommen absurd klang: „Zweieinhalb Jahre sind besser als lebenslänglich. Wir sollten auf eine Revision verzichten.“ Er schüttelte den Kopf. Was war hier los?

Nun hatte ihn das Smartphone in seinen Bann gezogen. Phil wollte mehr darüber wissen. Er wechselte zurück auf den Homescreen und drückte dort auf das Foto-Icon. Was er sah irritierte ihn noch mehr als die Nachrichten. Ein Gitter aus 3 Reihe und 3 Spalten baute. Die letzten beiden Plätze waren allerdings schwarz, so dass insgesamt nur 7 Bilder auf dem System waren. Phil ging sie nacheinander durch. Drei davon zeigten ein junges Mädchen, möglicherweise 13 oder 14 Jahre alt, welches er aber nicht kannte. Auf einem Bild war sie über einen Schreibtisch gebeugt und las ein Buch, auf einem anderen malte sie vor einer Staffelei. Das letzte war in einem Krankenhaus aufgenommen. Dem Mädchen schien es nicht gut zu gehen. „Seltsam…“, flüsterte er. Doch so sehr er auch nachdachte, er erkannte sie nicht. Auf dem nächsten Bild war ein Grabstein zu sehen. Phil schluckte. „Tiffany“ stand als Name auf einer dunklen, polierten Tafel eingraviert. Er subtrahierte die Jahreszahlen voneinander und kam auf 14 Jahre. „Dann war das also…“ er wechselte zu den vorherigen Bildern zurück. „Tiffany…“, flüsterte er. Doch auch mit dieser Information konnte er nichts anfangen, so dass er seinen Daumen wieder nach links über den Bildschirm wischte. Ein neues Bild tauchte auf und dieses Mal stockte ihm der Atem. Es war ein Foto von ihm selbst. Phil posierte darauf vor seiner Praxis. Es war sehr lange her, trotzdem erinnerte er sich noch gut daran, wie es aufgenommen wurde. Ein Detail stimmte dennoch nicht. Auf dem Bild konnte man deutlich sehen, dass er eine Sense in der Hand hielt. Zwangsläufig eine Fotomontage, wenn auch eine gut gemachte. Sogar der Schattenwurf war an der richtigen Stelle. Viel mehr noch als die Bildmanipulation schockierte ihn jedoch, dass es überhaupt auf dem Gerät war. Denn dieses Bild, hatte er zwar für seine Webseite aufnehmen lassen. Kurz vor der Veröffentlichung hatte er sich aber kurzfristig für ein anderes entschieden. Diese Aufnahme besaß nur er. Es musste bedeuten, dass jemand auf seine Daten in der Cloud zugreifen konnte. Er fluchte innerlich, widerstand jedoch dem Drang, sofort sein Notebook einzuschalten und seine Zugangsdaten zu ändern, sondern sah sich noch die nächsten zwei Bilder an. Beide zeigten ihn während einer Gerichtsverhandlung. Auf dem ersten saß er schweigend neben einem Mann, der klischeehaft nach einem Anwalt aussah. Auf dem anderen, welches kurz danach aufgenommen sein musste wurde er in Handschellen abgeführt. Verwirrt sah er sich die Bilder an, die auch täuschend echt bearbeitet waren. Denn vor Gericht war er nie gewesen, zumindest nicht auf der Anklagebank.

Phil dachte darüber nach, was das alles zu bedeuten hatte, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen. Doch dann geschah, womit er am wenigsten gerechnet hatte. Das Telefon begann zu vibrieren. Ein Ton gab es nicht von sich. Das Symbol, welches nun auf dem Bildschirm auftauchte, zeigte an, dass ein Videoanruf einging. Anstatt eines Namens prangten willkürliche Buchstaben, Sonderzeichen und Zahlen unter einem schematischen Personenbild. Phils Augen weiteten sich. Er erkannte die Kombination und war bisher der festen Überzeugung gewesen, dass nur er diese kannte, denn es war sein Passwort. Es war eine Botschaft! Also doch: Man hatte ihn gehackt! Es bedeutet, dass der Anrufer zwangsläufig Zugang zu den Daten für sein Medikament hatte. Seine Herstellungsprozedur war feinsäuberlich dokumentiert und aus Sicherheitsgründen passwortgeschützt bei einem vertrauenswürdigen Cloud-Dienst hinterlegt. Nun war sein Geheimnis keines mehr. Aber wenn man bereits seine Daten hatte und sich in sein Hotelzimmer schleichen konnte, wieso dann der Anruf? Phil dachte nach. Das machte doch alles keinen Sinn. Unterdessen vibrierte das Gerät weiter. Er überlegte, ob er das Gespräch annehmen oder das Smartphone wegwerfen und sofort verschwinden sollte. Am Ende gewann die Neugier. Er wollte wissen, wer hinter all dem steckten. Mit zitterndem Finger drückte auf ein grünes Symbol, das wie eine Videokamera aussah. Eine Person erschien im Zentrum des Bildschirms. Phil kannte sie nur zu gut, denn es war sein eigenes Gesicht, in das er schaute. „Hallo Phil…“, sagte der Mann mit seiner Stimme.

Sprachlos starrte er auf das Smartphone in seiner Hand. Es war wie ein Spiegelbild. Fast zumindest, denn das ergrauende Haar und die zusätzlichen Fältchen ließen keinen Zweifel daran, dass die Person, die er ansah, älter war als er. „Wer bist du?“, fragte er und wusste im selben Augenblick, wie dumm diese Frage klingen musste. Der Mann raunte: „Du enttäuscht mich. Ich war doch früher nicht so stupide…“ Gleich darauf fuhr er aggressiv fort: „Ich bin du in zehn Jahren. Und deswegen weiß ich auch was du vorhast! Heute ist der große Tag. Nicht wahr?“ Ein finsteres Lachen umspielte seine Lippen. Phil schüttelte den Kopf. Ein Bluff! Das konnte nichts anderes als eine Fälschung sein, dachte er sich. Ein Deep Fake oder wie immer man das nennt. Technisch war es möglich sein Gesicht in ein Video hineinzurechnen und sein Verstand erlaubte keine andere Erklärung. Er beschloss zu pokern. „Du bist nicht ich! Auch wenn du so aussiehst, ich durchschaue den Trick.“, antwortete er kühl und wartete die Reaktion seines Gesprächspartners ab. Wenn dieser überrascht wirkte, dann zeigte er es jedenfalls nicht. „Das lässt sich zum Glück schnell beweisen. Du bist Phil Forster. Unsere Eltern hießen Klaus und Margot und wir wohnten…“ Phil unterbrach ihn wütend: „Das kann jeder wissen!“ Der Mann schnaubte nur und führ dann fort: „Das war auch nur zum Warmwerden. Aber wenn du willst, kommen wir gleich zu den relevanten Details: Das erste Mal gestohlen, und ich betone ‚das erste Mal‘, haben wir in Michels Dorfladen eine Tafel weiße Schokolade für 89 Pfennig. Unsere Diplomnote haben wir für 5000 Euro um einen ganzen Punkt verbessert. Und dann gibt es auch noch das versteckte Verzeichnis auf unserem PC mit den verbotenen Bildern…“ Wieder unterbrach Phil ihn. „Stopp!“ Dieses Mal stand ihm aber der Schweiß auf der Stirn und jegliche Selbstsicherheit war verflogen. „Verdammt. Das ist nicht möglich…“, flüsterte er. Niemand außer ihm konnte das wissen. Er hatte keine Zweifel mehr, wen er da vor sich hatte und doch wollte sein Verstand es nicht wahrhaben. „Was…“, fing er an und brachte nach einigen Momenten die lapidare Frage „Was willst du?“ heraus. Sein Alter Ego begann zu lachen, was ihn noch mehr irritierte. Als er dann endlich die Antwort bekam, setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Eiskalt sagte der Mann auf dem Bildschirm: „Ich will mich an dir rächen.“

Phil blieb der Mund offen stehen. Er musste sich verhört haben. Hatte ihm seine angebliche, zukünftige Version gesagt, dass er Rache an ihm nehmen wollte? Er atmete durch und zwang sich zu Gelassenheit, was ihm nur mäßig gelang. „Was heißt hier Rache? Du behauptest wir sind ein und dieselbe Person. Du willst mich verarschen, nicht wahr? Worum geht es wirklich? Etwa um den Deal?“ „Du meinst die Medizin, mit dem du reich werden willst?“ Phil seufzte über diesen erneuten Beweis, dass dieser Irrsinn wahr sein musste. „Nein, es geht um etwas ganz anderes. Es geht um den Mord…“ „Welchen Mord?“, fragte Phil sofort nach und verstand gar nichts mehr. „Den, den du noch begehen wirst.“ ‚Das wird ja immer absurder.‘, dachte Phil und bellte wütend zurück: „Verstehe ich dich richtig? Du willst dich also für einen Mord an mir rächen, den ich erst noch begehen werde? Was soll der Blödsinn? Wenn überhaupt, warum verlangst du von mir nicht, dass ich die Zukunft ändere und den Mord nicht begehe?“ „Weil mir das nicht reicht. Du hast keine Ahnung was sie mit mir gemacht haben. Ich habe die letzten fünf Jahre in einer psychiatrischen Anstalt verbracht. Sie haben mich gefoltert. Haben mich mit Drogen vollgepumpt und mir immer wieder eingeredet, dass ich an ihrem Tod schuld bin. Dass ich sie getötet habe! Und inzwischen ist mir klar: Sie hatten recht…“ Phil unterbrach ihn rüde: „Du redest Unsinn. So etwas ist nicht legal!“ Doch der ältere Phil redete nur noch hasserfüllter weiter: „Wen glaubst du interessiert das? Die Polizei? Als ob die sich in einer Psychiatrie blicken lassen würden. Und selbst wenn. Würde man mir glauben?“ Er holte tief Luft. „Mit der Zeit hatten sie meine Seele so sehr zermürbt, dass ich innerlich zerbrochen bin. Sie sagen ich hätte eine Persönlichkeitsstörung. Dr. Smada redet von Selbsthass. Aber die Wahrheit ist, dass ich dich hasse.“ „Aber ich bin du!“, unterbrach Phil seine Tirade, doch sein anderes Ich lachte nur: „Nicht nachdem was ich durchgemacht habe.“ „Aber ich habe nichts getan!“ „Aber du wirst etwas tun und deswegen musste ich durch die Hölle. Nur weil du dich für einen Arzt gehalten hast!“ „Ich bin einer!“, entgegnete Phil ihm. „Nein, wir sind keiner. Aber das spielt keine Rolle mehr.“ „Ich habe genug. Es reicht. Sag mir endlich was du von mir willst?“, rief Phil wütend in das Gerät. Die Antwort kam vollkommen emotionslos: „Du sollst sterben…“

„Ich bin du! Nur bist du krank!“, brüllte Phil verzweifelt. „Du hast mit beidem recht und doch ändert es nichts daran, dass ich dich töten werde.“ Irritiert schüttelte der junge Phil den Kopf. Er konnte nicht mehr klar denken. Was für ein Wahnsinn war das? Er hatte einmal im Fernsehen eine Sendung über Zeitparadoxien gesehen. Damals hatte er die Wissenschaftler belächelt, die darauf keine klare Antwort hatten. Nun steckte er selbst in einer Situation, welche die Naturwissenschaft für unmöglich erachtete. Dann kam ihm ein Gedanke, der ihm wieder Hoffnung machte. Triumphierend sagte er: „Du kannst mich gar nicht umbringen!“ „Ach und warum nicht?“ „Wie willst du das denn anstellen, wenn du nicht hier bist? Ich glaube mehr als ein Smartphone in die Vergangenheit bringen und dann dort anrufen kannst du gar nicht! Sonst hättest du es längst getan. Dann würdest du jetzt hier sein und mich erschießen, anstatt mit mir zu plaudern.“ Phil lachte, doch dann begann auch sein anders Ich finster zu lächeln und die Gewissheit verließ ihn wieder. „Ich habe es schon getan…“, sagte er leise und ergänzte: „Du hast keine Ahnung zu was ich wirklich in der Lage bin. Ich habe Mittel, von denen du noch nicht mal zu träumen wagst.“ „Was meinst du damit?“ „Ich habe dir dein eigenes Medikament gespritzt. Das was du verkaufen wolltest, um reich zu werden. Den kompletten Inhalt des Koffers! Viel zu viel für einen gesunden Körper. Diese Überdosis kannst du nicht überleben.“ Phil überkam die blanke Panik. Mit einer Hand schob er das Notebook unsanft vom Koffer. Schnell hatte er die Schnallen geöffnet und den Deckel angehoben. Alles was er sah, war Leere. Keine mit seinem Medikament gefüllten Ampullen. Nichts! „Aber… Das kann nicht sein…“, flüsterte er leise. Dennoch antwortete sein anders Ich: „Natürlich kann es sein. Sieh doch mal in deine Armbeuge…“ Kaum, dass Phil die Bedeutung der Worte erfasst hatte, ließ er das Mobiltelefon fallen. Es landete so auf dem Boden, dass die Vorderseite oben lag. Der alte Phil auf dem Bildschirm lachte gehässig. Der junge hingegen riss sich sein Hemd herab und betrachtete seinen linken Arm. Doch da war nichts. Dann der andere. Tatsächlich! Hier waren unübersehbar Einstichstellen. Nicht nur eine, sondern mehrere. Wie oft hatte seine kranke, zukünftige Version eine Nadel in ihn gestochen? Und wie hatte er das überhaupt gemacht? Vom Boden hörte er ihn rufen: „Ha ha. Jetzt bekommst du was du verdienst du Mörder!“

Phil rannte zur Tür und wollte sie öffnen, doch er stellte erschrocken fest, dass sie abgeschlossen war. Er schaute dorthin, wo das Schlüsselloch sein musste, aber da war keines. ‚Was geht hier vor? Wie hat er das gemacht?‘, dachte Phil und hatte dann eine Idee: Er konnte über das Fenster entkommen! Sofort lief er hin. Von dem Mobiltelefon, welches nach wie vor am Boden lag tönte es immer wieder: „Mörder! Mörder!“ Phil zog den Vorhang zur Seite und erstarrte. Hinter der Scheibe war ein schweres Metallgitter angebracht. „Das kann nicht sein!“, rief er aus, wobei er schon zu spüren glaubte, wie das Medikament sich in seinem Körper ausbreitete. Er fühlte Hitze aufsteigen und ein Prickeln unterhalb der Haut. Erneut rannte er zur Tür und hämmerte mit aller Gewalt dagegen. „Mörder!“, hörte er es hinter ihm rufen. Immer wieder drangen die Worte in seinen Verstand ein, bis er sogar selbst leise wiederholte: ‚Mörder…‘. Auf ein Mal sah Phil das Mädchen von den Fotos vor seinem inneren Auge. Er sah sich, wie er ihr eine Spritze verabreichte. Es war sein Medikament. Und er hörte sich selbst reden. Hörte, wie er sagte, dass dieses Mittel alles sei, was sie brauchte, um wieder gesund zu werden. Phil verzweifelte bei seinen eigenen Gedanken, von denen er nicht wusste, woher sie kamen. Gleichzeitig steigerte sich seine Panik. Er musste hier raus. Das war jetzt alles was zählte. „Hilfe!“, schrie er laut und klopfte weiter gegen die Tür. Plötzlich schob sich ein schmaler Streifen zur Seite und zwei große braune Augen fixierten ihn. Phil wich erschrocken zurück. „Setzen Sie sich wieder auf ihr Bett Herr Forster. Frau Dr. Adams wird gleich bei Ihnen sein.“, sagte eine Stimme. Danach verschwand die Öffnung genauso schnell, wie sie aufgetaucht war.

Vor Phils Augen drehte sich der ganze Raum. – „Mörder“ –  Taumelnd stolperte er zurück. Sein Blick fiel auf den Boden wo er sein eigenes, altes Gesicht sah. – „Mörder“ – Er wendete den Blick ab, doch selbst als er die Wand ansah war ihm, als würde diese anklagend auf ihn zukommen. – „Mörder“ – Die Stimmen kamen plötzlich von überall. Sie hallten im ganzen Raum. – „Mörder“ – Egal wo er hinblickte, alles schien ihn zu beschuldigen. Dann begann die Realität komplett zusammenzubrechen. Seine Kleidung verlor sämtliche Farben und wurden zu einem schmutzigen Weiß. Das Zimmer fing an zu schrumpfen. „Mörder…“, flüsterte er. Denn die Stimme schrie nun in seinem Kopf. – „Mörder!“ – Phil wollte, dass es aufhörte. Es musste aufhören! Die Stimme sollte schweigen! Er drehte sich der Wand zu und schlug dann mit einem Mal seinen Kopf dagegen.

Schnellen Schrittes lief Jan durch die endlosen Korridore des Thomsen-Sanatoriums, die zu dieser nächtlichen Zeit schon leer waren, bis er den Verwaltungsbereich erreichte. Auf dem Weg zu den Büros musste er den Kontrollraum durchqueren und war überrascht dort jemanden vor den Monitoren sitzen zu sehen. „Frau Dr. Adams? Sie sind hier? Dann wissen sie bereits, dass…?“ Die Frau unterbrach ihn: „Danke Jan. Ich weiß Bescheid.“, sagte sie, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Irritiert trat Jan näher und sah ebenfalls auf den Bildschirm, der die Zelle von Philipp Forster zeigte. Er hämmerte seinen Kopf immer wieder gegen die Wand. Blut besprenkelte bereits den Boden. Ihm fiel dabei auf, dass nicht wie sonst das Aufnahmesymbol über das Bild gelegt war. „Wir müssen etwas tun, Frau Doktor!“, rief Jan, doch die Frau bedeutete ihm ruhig zu sein. Sie drehte den Lautsprecher auf und Phils Stimme erklang im Kontrollraum. „Mörder! Ich bin ein Mörder!“, rief er, während er sich weiterhin selbst verletzte. „Endlich gibt er es zu…“, sagte Dr. Adams zufrieden. „Wenn wir nicht bald eingreifen wird er sich umbringen.“, mahnte Jan, doch selbst davon schien sie unbeeindruckt. „Sie werden nichts unternehmen, wenn Ihnen ihre Kariere wichtig ist!“, antwortete sie kühl. Ein Verdacht kam Jan und vorsichtig fragte er nach: „Wen hat er umgebracht?“ Nun endlich drehte sich Frau Dr. Adams zu ihm um. „Meine Nichte… Tiffany…“, sagte sie leise. Jan schluckte. „Warum ist er dann nicht im Gefängnis, sondern hier?“ „Er war im Gefängnis. Zweieinhalb Jahre hat er bekommen. Allerdings nicht wegen Mordes, sondern weil er gegen ein Medizinproduktgesetzt verstoßen hat. Er hat Uran verwendet, um seine Scheinmedikamente herzustellen, wenn auch in winzigen Mengen. Zumindest konnte er so verurteilt werden. Er ist ein Scharlatan, der glaubt über eine besondere Gabe und geheimes Wissen zu verfügen. Meine Nichte hat er so um den Finger gewickelt, dass sie den ärztlichen Rat ignoriert hat. Dabei hatte man den Blutkrebs früh genug diagnostiziert. Mit der richtigen Behandlung wäre sie heute noch am Leben.“ Eine Träne lief über ihr Gesicht. „Sein Mittel, das im Grunde aus nichts weiter als Wasser bestand, dass er der Sonne und eben Uran ausgesetzt hat, wollte er sogar noch verkaufen! Er hat behauptet die gebündelten Strahlen hätten eine heilende Wirkung, was nur zeigt, wie krank dieser Mann selbst ist. Es hat mich viel gekostet, dass man ihm im Knast so lange Halluzinogene untergeschoben hat, bis er hierherkam.“ Jan schwieg. Auf dem Monitor sah er, dass Phil nun in einer Lache aus seinem eigenen Blut lag und sich nicht mehr regte. „Demnach hat er so reagiert, weil er unter Drogen stand?“ „Genau. Heute Morgen habe ich ihm unser Standardmittel gespritzt, mit dem wir Patienten ruhigstellen. Erhört man die Dosis allerdings, wie in diesem Fall, kann es nach einer Zeit Wahnvorstellungen auslösen. Da es sich aber schnell abbaut, wird die Autopsie nichts Verdächtiges finden.“ „Und was ist…“ Jan überlegte „…offiziell passiert? Ich werde dazu befragt werden.“ „Offiziell ist das Kamerasystem mal wieder ausgefallen und bei einem Kontrollgang haben wir ihn so gefunden. Das haben Sie als ‚zukünftiger Abteilungsleiter‘ doch so erlebt, nicht wahr?“ Jan zögerte. Schließlich sagte er: „Natürlich. So war es.“ „Gut, dann kommen Sie mit. Es wird Zeit, dass wir seine Leiche finden und dann die Polizei rufen.“

Jan folgte Dr. Adams auf dem Schritt. „Erstaunlich, dass er überhaupt gestanden hat, finden Sie nicht?“ „Nun, da habe ich etwas nachgeholfen. Um seinen Verstand in die richtige Richtung zu lenken habe ich ein Handy mit einem Bild und einer Nachricht präpariert und von Ted, der mir noch etwas geschuldet hat, auf den Tisch legen lassen. Ein Köder sozusagen, der Erinnerungen in ihm wachrufen sollte. Forster hat angebissen. Bei seinem Trip hat er sogar geglaubt er würde angerufen.“ Sie lachte gehässig. „Auf dem Monitor hat das Handy seltsamerweise silbern ausgesehen. Dabei ist es eigentlich rot.“ Jan blieb unvermittelt stehen. Dr. Adams sah ihn irritiert an. „Was haben Sie denn?“ Jan schluckte. „Das habe ich eben auf dem Kontrollgang in der Zelle neben der von Herr Forster gefunden.“ Er griff in seine Tasche. Dr. Adams erbleichte, als sie das rote Handy in seiner Hand sah.

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