ÖmchenDanke

“Danke” Der zerfledderte Tennisball lag locker in meiner Hand. Ich holte weit aus und warf ihn mitten in den Dornenstrauch. Neben dem See, den ich anvisiert hatte. “Warte Miles. Komm her”, rief ich noch, aber da sprang mein Labrador schon mit dem Kopf voran, ins stachelige Grün. Mit dem Objekt der Begierde zwischen den Zähnen, kam er schwanzwedelnd auf mich zu, setzte sich hin und ließ den Ball vor meine Füße fallen. “Du Dummerchen”, sagte ich tadelnd, kniete mich vor ihn und zog die kleinen Dornen vorsichtig aus seinem Nasenschwamm. Miles hört normalerweise aufs Wort. Es sei denn, vor seinen Augen fliegt ein Ball durch die Luft. Dann stellt er auf taub und scheint weder mich noch seinen Namen zu kennen. “Na komm, wir gehen”, er sah mich mitleiderregend an, als ich den Ball aufhob und in meine Tasche steckte. Ohne mich von seinen glänzenden Augen beeindrucken zu lassen, legte ich ihm sein Halsband und die Leine um, schwang mich auf mein altes Fahrrad und fuhr mit Miles an meiner Seite durch die Abenddämmerung nach Hause. “Ja, gleich. Lass mich eben meine Jacke ausziehen.” Miles sprang aufgeregt zwischen seiner Futterstelle in der Küche und mir hin und her. Sobald ich mich meiner Jacke und Schuhe entledigt hatte, füllte ich frisches Wasser und Trockenfutter in die Näpfe, ehe ich mir selber ein Brot mit Käse zubereitete, den Wasserkocher anstellte und einen Beutel Brennnesseltee in meine grüne Lieblingstasse legte. Ich setzte mich an den Klapptisch und aß, von Miles still beobachtet, mein Brot. So verlief jeder Abend bei uns. Seit ich vor zwei Jahren Miles und mein weniges Hab und Gut in das Auto meiner Mutter packte und meinem Neuanfang in London entgegen fuhr. Hier mietete ich mit meinem letzten Geld diese baufällige Einzimmer Wohnung, fing ein Fernstudium der Tierpsychologie an und versuchte glücklich zu werden. Was auch immer das bedeuten mag. Miles machte mich glücklich, dass konnte ich mit Sicherheit sagen. Ich legte mein Kopf in beide Hände und sah Miles lange in seine treuen Augen. Dann stand ich auf, stellte mein Geschirr in die Tischspülmaschine die auf der Arbeitsplatte aus zerkratztem Holz stand und klopfte mir mit der flachen Hand auf den rechten Oberschenkel. “Los, wir gehen ins Bett.” Miles flitze ins Wohnzimmer und legte sich in sein Hundebett, welches mit Abstand der teuerste Gegenstand in meiner Wohnung war und die Hälfte des Raumes einnahm. Ich besaß keinen Fernseher und keinen Computer, nur ein kleines rotes Schlafsofa, welches ich geschenkt bekommen hatte und ein paar alte Küchengeräte, die ich für wenig Geld erstehen konnte. Keine persönlichen Gegenstände. Nichts, was mich an mein altes Leben erinnern konnte. Ich ging ins Badezimmer, putze die Zähne, wusch mir das Gesicht und zog mir meinen Pyjama an. Nachdem ich das Sofa hergerichtet hatte, schüttelte ich mein Kissen zurecht um es danach gleich wieder zu einer Wurst zusammenzudrücken und legte mich hin. “Gute Nacht Miles”, seufzte ich und zog mir die Decke bis zur Nase hoch. Miles atmete laut aus und rollte sich schmatzend zusammen. Das Hämmern an der Tür riss mich aus dem Schlaf. Ich stand auf, hielt meinen Zeigefinger an den Mund und gab Miles den stillen Hinweis liegenzubleiben und ruhig zu sein. Nachdem ich einmal tief durch geatmet hatte und mein schönstes falsches Lächeln aufgelegt hatte, öffnete ich die Tür einen kleinen Spalt weit. “Miss Dark, ich habe gestern Abend wieder einen Hund bellen hören. Sie wissen sehr genau, dass Tiere in diesem Haus verboten sind. Ich besorge mir eine Durchsuchungsanordnung und dann werden Sie hier ausziehen müssen.” Mrs. Powell, eine rundliche Frau mittleren Alters, die den Tag über alle zwei Stunden als Hausmeisterin getarnt mit einem Besen in der Hand durchs Treppenhaus schlich, stand mit verschränkten Armen vor meiner Tür und funkelte mich Böse an. Sie war tatsächlich Hausmeisterin, verstand darunter jedoch eher, mir hinterherzuspionieren. Ich wusste dass, das Hundehalten in der Wohnung nicht erlaubt war, aber Miles war ruhig, tat niemandem etwas und machte keinen Dreck. Ab und zu jaulte er im Schlaf kurz auf, das war jedoch so leise, dass man schon sehr genau hinhören musste, um es außerhalb meiner Wohnung zu hören. Genau das schien Mrs. Powell wieder einmal getan zu haben. Eine Diskussion mit ihr über das Thema Privatsphäre wäre jedoch sinnlos gewesen. “Guten Morgen, entschuldigen Sie bitte den Lärm. Ich hatte gestern Abend Besuch, Sie wissen was ich meine, und sein Hund war ganz offensichtlich nicht einverstanden mit unseren Aktivitäten. Er jaulte ohne Unterlass. Ich sage Ihnen, wir haben alles versucht, um ihn zu übertönen aber, um ehrlich zu sein” ich hielt meine Hand verschwörerisch vor den Mund “er hat mich einfach nicht richtig auf Touren gebracht.” Unschuldig dreinschauend zuckte ich mit den Schultern und amüsierte mich innerlich über Mrs. Powells entsetzten Blick. Ohne ein weiteres Wort verschwand sie grummelnd in ihrer Wohnung ein Stockwerk über meinem und knallte ihre Tür so laut zu, dass meine drohte aus dem Angeln zu fallen. Gegenüber durchdrang ein leises hüsteln die Stille und ich öffnete die Tür ein kleines Stück weiter um einen besseren Blick auf das Treppenhaus zu bekommen. Ließ sie jedoch gerade so weit geschlossen, dass mein rosa Schlafanzug hinter der Tür verborgen blieb. In unserem Haus lebten zwar, seitdem ich dort wohnte nur Mrs. Powell und ich. Ab und zu verirrten sich jedoch betrunkene Partygänger auf der Suche nach einem warmen Schlafplatz in unseren Flur und bevor sie Bekanntschaft mit Mrs. Powell machen mussten, bat ich sie jedes Mal wieder hinaus. Am Treppenabsatz stand ein großer, muskulöser Mann. Er schulterte verschmitzt lächelnd einen zusammengerollten Teppich und strich mit der freien Hand eine blonde Strähne zurück, die sich in sein markantes Gesicht verirrt hatte. “Na dann hoffe ich mal um meinetwillen, dass Sie es nicht auf einen zweiten Versuch mit diesem Herrn ankommen lassen wollen. Oder er zumindest den Hund zu Hause lässt.” Er lehnte den Teppich an die gegenüberliegende Tür und kam auf mich zu. “Hi, ich bin Jim. Wir sind ab heute dann wohl Nachbarn.” Ich schüttelte seine kräftige Hand, in der meine vollständig zu verschwinden schien. “Ähm, Lola. Mein Name ist Lola.” Mehr bekam ich nicht über die Lippen. Seit meiner Ankunft in London hatte ich nur sehr wenig Kontakt zu anderen Menschen, aber definitiv war ich nie verlegen um einen lockeren Spruch. “Lola, schöner Name. Auf gute Nachbarschaft. Falls sie mal was brauchen. Salz oder Mehl vielleicht, immer gerne klopfen”, er zeigte auf die Tür, an die er den Teppich gelehnt hatte.” “Ok, danke”, sagte ich leise. Er ging zurück zu seinem Teppich und zusammen verschwanden sie hinter der Tür. Ich schloss ebenfalls die Tür und Ärger stieg in mir auf. Über mich, weil ich rumstotterte wie ein Teenager aber vor allem über meinen neuen Nachbarn. Ich war ihm nicht dankbar. Wofür auch. Dafür, dass er meine Gespräche belauschte? Niemals würde ich vorbeikommen um nach Salz oder Mehl oder Sex oder Liebe zu fragen. Gut, er hat es nicht explizit so vorgeschlagen, aber läuft’s darauf nicht im Endeffekt hinaus? Nicht mit mir. Ich war an einem Punkt, an dem ich nicht mehr mit Menschen reden wollte. Und ich hasste es, wenn sie in meine Einsamkeit eindringen wollten. Zu viel Salz ist ungesund und Mehl hatte ich immer im Haus. Ich bekräftigte meinen Gedanken mit einem Kopfnicken, schloss die Tür und ging ins Wohnzimmer, wo Miles schon ungeduldig wartete. “Geht gleich los, mein Junge. Ich muss mir nur sicher sein, dass Mrs. Powell mit ihrer Runde fertig ist.” Ich zog mir Jeans und T-Shirt über, band meine langen braunen Haare zu einem Dutt zusammen und horchte an der Tür. Da alles ruhig war, schnappte ich mir Miles Leine und zusammen schlichen wir über den Flur zur Haustür. Er blieb neben meinem Fahrrad stehen und setzte sich hin um darauf zu warten, dass ich es nehme und die Tür öffne. “Komm, wir gehen heute zu Fuß.” Ich ließ das Fahrrad im Hausflur an der Wand stehen, knotete Miles die Leine am Halsband fest und öffnete die quietschende Holztür. Er lief aufgeregt vor mir her, weswegen ich ihn immer wieder mit einem festen Ruck an der Leine zu mir an die Seite ziehen musste. Die Menschen, die um diese Uhrzeit auf dem Bürgersteig unterwegs waren, schauten hektisch auf ihrer Uhren oder gedankenverloren auf ihre Smartphones während sie ihren Weg fortsetzen, ohne auf ihre Umgebung zu achten. Froh, endlich im Park mit den vielen schützenden Bäumen und den, zum Verweilen einladenden Grünflächen angekommen zu sein, erlöste ich Miles von seiner Leine. Er lief sofort los und begann seine Schnupper Tour. Mit dem ruhigen Gewissen, dass er für die nächste halbe Stunde mit sich selbst beschäftigt sein wird, setzte ich mich in den weichen Rasen und lehnte mich mit dem Rücken an meinen Baum. Eine alte Birke. Ich liebte Birken. Die Frühlingshafte Energie, die von ihr ausgeht, gab mir Kraft. Und diese umgab eine ganz besonders beschützende Aura. Ich schloss die Augen und atmete bewusst ein und aus. Das Gesicht meiner Mutter erschien vor meinem inneren Auge. Ein schlankes, weiches Gesicht mit einer fast absurd perfekt geraden Nase. Treue rehbraune Augen schauten auf mich hinunter und ihre vollen Lippen lächelten mich an. Knöpfchen, selbst wenn alles zerbricht, die Scherben werden das Licht spiegeln. Angst lag schwer wie Blei auf meinem Herzen. Angst wovor? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, rüttelte eine kleine Hand an meiner Schulter. “Miss, ist das Ihr Hund?” Noch immer von dieser unbegreiflichen Angst aufgewühlt öffnete ich die Augen und schaute in ein kindliches Gesicht mit blauen Augen, das mich anlächelte. “Ähm, ja”, sagte ich und untersuchte Miles nach möglichen Anzeichen, ob er sich verletzt haben könnte. Er stand neben dem kleinen blonden Mädchen und hechelte aufgeregt. Beide schienen unversehrt zu sein. Wobei es sowieso unmögliche war, das Miles dem kleinen Mädchen etwas hätte antun können. “Darf ich mit ihm spazieren gehen?” Breit grinsend legte das kleine Mädchen ihren Kopf schief und sah mich mit großen Augen an. “Sicher. Bleib aber bitte in der Nähe.” “Ok” Das Mädchen strich sich mit ihren knochigen Fingern die kurzen Haare umständlich hinters Ohr und nahm die Leine, die ich Miles bereits wieder angelegt hatte. Zusammen liefen sie los und weit genug von mir entfernt, um sich unbeobachtet zu fühlen, aber dennoch in meinem Blickfeld blieb sie stehen und probierte alle Kommandos an Miles aus, die sie zu kennen schien. Er gehorchte brav und streckte jedes Mal, wenn sie ihn mit einem Streichler über den Kopf belohnte, seine Nase in die Höhe. Ich schloss wieder die Augen und tat es ihm gleich. Jetzt, im Juni, schien die Sonne mir herrlich ins Gesicht und erwärmte sowohl meinen Körper als auch meinen Geist. Wieder fühlte ich die kleine warme Hand auf meiner Schulter und öffnete die Augen. Miles Kopf lag auf meinen Unterschenkeln und er schloss zufrieden die Augen. Das kleine Mädchen nahm meine Hand, öffnete sie sanft und legte ein dünnes Armband hinein. Sie hielt sich die kleine Hand vor den Mund, kicherte und verschwand hüpfend zwischen den Bäumen. Ich nahm das Silberarmband vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und zog es lang. Auf einem kleinen Plättchen stand in geschwungener Schrift shine bright Knöpfchen . Ich steckte das Kettchen behutsam in die Hosentasche und schaute mich nach dem kleinen Mädchen um. Woher kannte sie diesen Namen? Wer war sie? Ich konnte sie nirgendwo entdecken, streichelte Miles behutsam über den Kopf und seufzte ein leises “Danke”.

2 thoughts on “Danke

  1. Danke! Damit hast du den Nagel wohl so ziemlich auf den Kopf getroffen! Es hat richtig Spaß gemacht von dir zu lesen! Ich dachte auch, bis zu Lolas erster offensichtlichen Diffamierung, das Lola ein Kerl sei. Das hat mich auch Pistotiv überrascht! Dran bleiben!:)

  2. Hey 😉

    ich habe deine Kurzgeschichte vor ein paar Wochen schon gelesesen, aber irgendwie nicht kommentiert … ich frage mich gerade selber wieso 😅

    Aber jetzt:
    Es ist eine ausgesprochen schöne Geschichte die du dir ausgedacht hast. Dein Schreibstil ist angenehm zu lassen und man freut sich einfach über die Geschichte während man liest.
    Ich finde es wunderbar was man mit so ein paar Zeilen (und das sind es im Gegensatz zu all den anderen Geschichten hier) schaffen kann – denn es ist einfach nur toll!
    Die angegeben Vorgaben lasse ich komplett aus und vor, weil das was du hier gemacht hast, ist einfach magisch und in sich stimmig 😊

    Ich wünsche dir noch ganz viel Freude beim Schreiben und verzaubern von deinen Lesern und bedanke mich für die 10-Minuten-Reise in eine magische Welt 😉

    Ganz liebe Grüße
    Sarah
    (Kurzgeschichte: “Unnscchuldskind”)

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