hallo.hanniDie Identität

Die Identität

Sein heimlicher Wunsch war es, einen Kriminalroman zu schreiben. Seine Vorbilder. Sebastian Fitzek und Andras Gruber. Er wird eine tragende Rolle in seinem eigenen Thriller spielen.

Für Mitte Mai, mit annähernd 30 Grad, war es ungewöhnlich heiß.

Er stand am Fenster. Nachdenklich erfasste sein Blick Ricarda Höllerau, die in diesem Moment aus dem Gebäude trat und in aufrechter Haltung an den Männern vorbei schritt, die eine Rauchpause einlegten. Die hochgewachsene Frau genoss die lüsternen Blicke, die sie verfolgten.

Verächtlich lächelnd griff sie in ihre Handtasche und entnahm einer Packung Marlboro eine Zigarette und zündete sie an. Du Arsch, ich kenne deine Vorliebe für kleine Mädchen, kommentierte sie den anzüglichen Augenausdruck ihres Vorgesetzten.

Ricarda zog ihren schwarzen Blazer aus und warf ihn sich in koketter Manier über dem Arm. Die enganliegende Kleidung ließ die weiblichen Rundungen und den durchtrainierten Körper erahnen. Lasziv führte sie die Kippe ein letztes Mal an die vollen, rot geschminkten Lippen. Mit einem Fingerschnippen entsorgte die Frau den Stummel dann achtlos auf dem Boden.

Wie unachtsam.

Es war heute ihr letzter Tag bei der Verwaltung Charlottenburg-Wilmersdorf. Die 25-jährige hatte ihre Abmeldung im System des Jugendamtes bei ihm beantragt.

Erschrocken zuckte Eduard zurück, als sich ihre Blicke vermeintlich trafen.

Ricarda bestach durch ihre Ausstrahlung, ein gepflegtes Äußeres und den rabenschwarzen Haaren. Dennoch, ihr Teint war so dunkel, wie das Geheimnis, das sie umgab.

Eduards Gedanken kreisten zu dem Mail, das er vor einer Stunde erhalten hatte.

Auf dem Bildschirm ploppte ein Kästchen auf: „Zugriff erlauben“. Nachdem er bestätigte, erschien eine Datei „Figurendatenbank“. Ein Versehen? Ihr Problem. Seine Aufgabe war es, ihre Berechtigung zu löschen. Interessiert klickte er dennoch das Dokument mit einem Mausklick an. „Forever Yours“ lautete die Überschrift einer Auflistung.

Links waren Vornamen mit Geburtsdaten aufgeführt. Auf der Spalte daneben waren so etwas wie Spitznamen genannt. Des Weiteren wieder ein Datum mit Uhrzeit. Dann eine Örtlichkeit und rechts außen waren Zahlen angegeben. „Jupp“. Dem jungen Mann lief ein kalter Schauer den Rücken herunter. „Jupp“. Der Spitzname seines Vaters. In der gleichen Zeile geschrieben die Daten:

Christina, 8.9.2010., 6.2.2020, 17 Uhr, Waldschänke. 1000.

Eduard erschrak und presste sich die Hand auf den Mund, um nicht aufzuschreien. In ihm keimte ein düsterer Verdacht auf. Ein Blick auf den Kalender bewies, der sechste Februar war der erste Donnerstag des Monats. Am ersten Donnerstag im Monat tagte der Berliner Senat. Sein Vater, der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, versäumte keine der Sitzungen. Und. Die Familie besaß eine Hütte im Grunewald. Die Waldschänke.

Wenn er das hier richtig interpretierte, hielt er eine Liste mit Daten eines Kinderpornoringes in den Händen. Und sein Vater war darin involviert. Er kratzte sich am bartlosen Kinn. Das ist alles nur ein Missverständnis. Vermutlich ermittelte der Senator gegen den Ring. Aber wer war Christina, geboren am 8. September 2010? Der junge Mann raufte sich die gegelten Haare und lief im Zimmer auf und ab. Es konnte nur bedeuten, dass sein Vater 1000 Euro bezahlte, um das Mädchen am sechsten Februar… Er mochte diese Gesinnung nicht zu Ende führen. Ekel durchströmte seinen hageren Körper.

Was hatte Ricarda Höllerau damit zu schaffen? Was ging hier vor sich?

Entschlossen meldete der Administrator sich vom System ab, ging in die Tiefgarage und wartete in seinem Mini Cooper auf die Kollegin. Gut, ich bin zwar nicht Maarten S. Sneijder vom BKA und zum Helden geboren, aber was soll passieren?

In diesem Moment stolzierte Ricarda an ihm vorbei zu ihrer Limousine, setzte sich hinein und fuhr los. Nach einigen Kilometern Fahrt parkte sie den schwarzen Skoda am Hüttenweg, neben der Einfahrt zum Hotel „Paulsborn“, stieg aus, hängte sich die Handtasche über die Schulter und spazierte los. Nachdem Eduard seinen Mini ebenfalls abgestellt hatte, folgte er ihr in einigem Abstand. Die Strecke am Hotel Paulsborn vorbei bis zum Grunewaldsee zog sich über zwei Kilometer und ist stets ein beliebtes Ausflugsziel bei den Hundebesitzern.

An heißen Tagen wie heute war hier normalerweise mehr

Hundegassiverkehr als an Weihnachtssamstagen am Ku’damm.

Verwundert registrierte Eduard, dass nur wenige Menschen und deren Vierbeiner unterwegs waren.

Eduard blieb erschrocken stehen, als Ricarda urplötzlich hinter einem Busch hervortrat und sich ihm breitbeinig in den Weg stellte.

Ein Marlene Dietrich Blick aus ihren schwarzen Mandelaugen brachte den Verfolger aus der Fassung.

„Na, Adminchen, auch schon da?“ Ein spöttisches Augenpaar fixierten den jungen Mann. „Herr Eduard Marquardt. Hat Mutti heute die gute Boss bereit gelegt?“ Verächtlich zog ihr Blick Muttersöhnchen die biedere Kleidung vom Leib.

„Um was geht es hier?“ Möglicherweise verfolgte diese Frau einen Plan.

„Jüngelchen, du musst doch eine einzige Enttäuschung für deinen Vater sein, den großen Dr. Michael Marquardt. Obwohl deine Stimme die des alten Herren ähnelt. Im Widerspruch zu deinem inakzeptabelen Äußeren.“ Sie setzte ein heißeres Lachen aus der Tiefe der Gurgel frei.

Ok. Sein Kleidungsstil entsprach jetzt nicht dem neuesten Modetrend. Eher, den eines Antiquitätenhändlers. Überlegte Eduard schulterzuckend.

Er war ein unscheinbarer Mann, ohne Laster. Sein Hobby. Ungefährlich. Er saß gerne stundenlang in der Bibliothek der elterlichen Villa in Grunewald und las Thriller und Krimis.

In dem Moment spuckte sie voller Verachtung in seine Richtung „Scheiß Korintenkacker“, warf dabei einen prüfenden Blick auf ihre rot lackierten langen Fingernägel, bevor sie fortfuhr. „Mit meinem kleinen Nebenverdienst, kassiere ich im Monat mehr, als du in einem Jahr verdienst.“

Die Kälte in ihrer Stimme ließ den zurückhaltenden Mann frösteln. Trotz oder wegen des aggressiven Gebarens, erwachte er aus einer inneren antiquarischen Starre. Er war doch nicht ihr Fußabtreter. Was bildete sich diese Puffmutter ein?

Ihre Raubvogelnase erinnerte Eduard an eine Hyäne und entsprach dem kampfbereiten Auftreten. Viel Zeit für Einschätzungen blieb ihm nicht, denn sie würde augenblicklich angreifen. Er keinen Bock, den Sparringspartner für diese Kampfmaschine zu spielen.

Wie würde der Profiler und Ermittler des BKA Wiesbaden, Maarten S. Sneijder, reagieren?

Die zarten Sprossen SEINER Kriegsbereitschaft wuchsen stetig an. Es war vollkommen nebensächlich, welche Absichten die Bekloppte verfolgte, er musste schneller sein. „Zum Teufel mit dir und deinen Bumsladen.“ Unvermittelt rammte Eduard ihr seinen Schädel, mit den am morgen gegelten und gescheitelten Haaren, in den Bauch. Und hinterließ auf ihrer makellos weißen Bluse dabei einen Fleck. Ricarda sank mit weit aufgerissenen Augen und einem Schmerzensschrei in die Knie. Der Triumph und die Oberhand dauerten nur Sekunden an. Ein hasserfüllter Ausdruck und die Erkenntnis, dass sie ihn töten würde, tangierten Eduard gleichzeitig.

Der Angriff der Gegnerin kam. Mit der verzerrten Fratze einer Geistesgestörten versetzte sie ihm einen Karatekick, der in seinem Gesicht landen sollte.

Der Schlag misslang, denn Frau Kampfsports Fuß wurde durch den enganliegenden Rock gebremst. Ein „Ratsch“ war zu hören und der Saum des Kleidungsstückes riss fast bis zur Hüfte und gab den Blick auf ihren makellosen Oberschenkel frei.

Ungläubig betrachtete sie das Malheur.

Wohl heute Morgen bei der Kleiderwahl nicht mit Töten gerechnet? Die Heldenrolle hatte es ihm angetan. Mit erwachtem Selbstbewusstsein griff der Neuheld nach Ricardas Hochsteckfrisur und riss sie mit sich. Ineinander verbandelt wie ein Liebespärchen, kullerten sie einen Abhang neben hinunter.

Die Frau verlor in diesem Moment komplett ihre Contenance und schrie hysterisch auf. Von ihrer einst wohlklingenden tiefen Stimme war nicht mehr viel übrig.

Eduard schlug mit dem Kopf an einen Stein auf, der die Größe eines gequetschten Zehn-Liter-Eimers hatte. Ein heftiger Schmerz katapultierte ihn ins Reich der Träume.

Nachdem Eduard allmählich erwachte, hielt er verängstigt Ausschau nach seiner neuen Freundin, die nicht zu sehen war. „Verflucht, verdammt und zugenäht.“ Eine Platzwunde zierte sein blondes Haar am Hinterkopf. Jetzt registrierte er das silberne Handy neben ihm auf dem Boden. Verwundert hob Eduard es auf und entsperrte es mit einem Wisch. Ein Bild von ihm. Ohnmächtig am Rande des Baches liegend, wo er vorhin stürzte. „Kling“. Das hatte er heute schon einmal gehört. Dieses Mal informierte „Kling“ über eine SMS: „Wenn ich jemanden verletze, schrumpft die Familie Marquardt“. O.k, das ist es also spöttelte er verächtlich.

Eduard rappelte sich auf und klopfte den Schmutz von der Hose. Ehe er sich erneut nach seiner Freundin umschauen konnte, wurde ihm etwas ins Gesicht gesprüht.

Scheiße. Eduard war nicht in der Lage zu reagieren, denn augenblicklich schlang sich ein Arm um seinen Hals und drückte ihm die Luft ab. Das Pfefferspray hatte ihn nicht voll getroffen, so dass er nach mehrmaligem Blinzeln registrierte, dass das Ende des Armes aus einem Bowiemesser bestand. Verdammt, brannte das Gesicht.

„Aua. Du…“

„Halts Maul, du Brut eines Kinderschänders.“ Ricarda drückte wutentbrannt die Klinge des Messers an seinen Hals. Benommen kam ihm in den Sinn, dass sein Vater wohl doch in diese Sauerei verstrickt war. Bloß, was half ihm diese Information jetzt noch?

„Na Müttersöhnchen, jetzt scheißt du dir wohl in die Boss Hosen?“ Der Wahnsinn in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Wir gehen zur Waldschänke“, kreischte sie kurz vor der Hyperventilierung.

Verschwenden Sie nie eine gute Krise. Das Zitat von Winston Churchill, kam ihm in den Sinn. Die Irre wollte sicher nicht in der Hütte mit ihm poppen. Jetzt verliere ich auch noch meine gute Kinderstube. Wie dem auch sei, er MUSSTE sie auf dem Weg dorthin überrumpeln. Irgendwie.

„Verstanden, du Sohn eines Hurensohnes?“ Ricarda schob ihm das Messer unter dem Pullunder.

„Verstanden. Rici“, schmitzte Eduard waghalsig, um seine Nervosität zu überspielen. Die Irre würde ihn ja kaum am Weg hier abstechen. Rici überging seine Frechheit, schob ihn in weiter in den Wald hinein. Niemand nahm von dem seltsamen Pärchen, mit der linkischen Umarmung, Notiz.

Was würde Boris, ein Beschwörer der Achtsamkeit, in einer ausweglosen Situation wie dieser, unternehmen?

Eduard versuchte krampfhaft, Hilfestellungen aus „Achtsam morden“, abzurufen, die Boris anwendete, Gegner aus dem Weg zu räumen.

Den gedanklichen Fokus auf Achtsamkeit gerichtet, nahm Eduard den heranlaufenden, keifenden Hund erst wahr, als er sich bereits in Ricardas Wade verbissen hatte. YES.

Bestürzt schrie diese auf, versuchte, mit einem Hieb die graue französische Bulldogge loszuwerden. Dabei strauchelte sie und Eduard war von der stechenden Gefahr unter dem Pullunder befreit. Geistesgegenwärtig biss Eduard, die an seinem Gesicht vorbei huschende Hand und fing das Messer im Fallen auf. Im gleichen Atemzug und ohne Skrupel rammte er der fassungslosen Frau die Klinge in die Schulter. Mit dem festgebissenen Köter am Fuß, ging sie vor Schmerz schreiend zu Boden. Sie war angezählt.

Eduard gewann nicht nur körperlich die Oberhand. Dieses Spiel gefiel ihm zwischenzeitlich. Jegliche Angst war aus seinem System gewichen. Für einen Moment war er irritiert, als er das Muttermal auf der linken Seite, oberhalb der Lippe sah.

Sogleich wieder Herr der Lage, rammte er Rici das Messer ebenso in die andere Seite der Schulter. Keine halben Sachen. Er musste sie kampfunfähig machen, wollte er nicht sterben. „Scheiße du Verwaltungsschlampe, hör auf zu schreien, sonst stech ich dich an Ort und Stelle ab“, holte ein Taschentuch aus der Hosentasche und stopfte es der Verletzten, die ohnmächtig zu Boden ging, in den Mund. Sorry Kollegin. Stimmt, ist ja nicht mehr. Egal. Er begutachte seine Kleidung, ob er mit Blut besudelt war. Alles gut.

Eduard packte die Töle, die immer noch festgebissen war und versetzte ihr einen Schlag, so dass der mit Gejaul von der Wade abließ. Die französische Bulldogge war in Berlin der beliebteste Hund und stand auf Rang eins. Er zuckte die Schulter. Ist ihm egal. Läuft. Passt.

Das Halsband und die Leine konnte er gebrauchten. Fiffi suchte sofort jaulend das Weite.

Puh. Er trat von einem Fuß auf den anderen, fasste immer wieder an sein Muttermal und überlegte. Bis zur Hütte wollte Eduard nicht gehen. Die Rückkehr mit der verletzten Frau zu den Autos und künftig einen auf Amnesie machen, schloss er ebenso aus. Jetzt musste ein Plan her. Er sah sich um und nickte. Ok, das war es. Zog den Gürtel aus den Schlaufen und klemmte ihn sich zwischen die Zähne. Er zerrte Ricarda an den ausgewählten Baum, drückte seinen hageren Körper gegen ihren warmen Leib. Sollte ich vielleicht zuerst….? Eduard schüttelte aufkeimende Lustgefühle augenblicklich ab und fixierte den Gürtel um den Oberkörper, zurrte den Verschluss auf der Rückseite des Baumes fest. Er trat einen Schritt zurück, rieb sich die Hände und begutachtete sein Werk. Der Kopf hing nach unten und die Beine sackten weg.

Die ist trotz der Verletzungen kampffähig – und ich tot, wenn sie zum Zug kommt. Mausetot. Vermutlich würde sie ihn vorher kastrieren. Er hatte zwar das Bowiemesser vergraben, aber der ist eine Kastration ohne zuzutrauen.

Ricis Handtasche stach ihm ins Auge und lieferte quasi eine Quervorlage, die er dankend annahm. Eduard zückte das Schweizer Taschenmesser. Küsste es lautstark. „Danke Mutter. Du hast ja immer so Recht.“

Ein Lächeln umspielte seinen Mund, wenn er an seine fürsorgliche Mutter dachte. Sie war der Meinung, ein Apfel am Tag ersetze den Arzt. Weil sie nicht wollte, dass er gierig große Bissen hineinschlang, sondern sich mundgerechte Stücke abschneidet, kaufte sie ihm das Taschenmesser.

Damit schnitt Eduard die Riemen ab. Riss mit der einen Hand Ricardas Kopf an den Haaren hoch. Ein leises Wimmern war zu vernehmen. Und legte ihr die Riemen um den schlanken Hals, verknotete eilig die Enden hinten am Baum. Die Hundeleine verwurschtelte er hektisch mit den Beinen und dem Stamm.

Aber würde das genügen, sie kampfunfähig zu machen? Ihr irrer Blick vorhin sagte ihm etwas anderes. Langsam kam die Geistesgestörte wieder zurück ins Hier. Die Schwangerschaft des Körnchens einer Idee entwickelte sich rasend schnell. Es fiel ihm wie Schuppen vor Augen. Alles klar.

Nachdem Boris den Bösewicht achtsam getötet hatte, wollte er diesen zerteilen, die Reste im See den Fischen zum Fraß vorwerfen. Für den Bezwinger ein blutiges und unappetitliches Problem. Wenn Eduard sich recht entsann, lautete die Quintessenz: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Und man solle Schritt für Schritt vorgehen. Bedächtig. Nicht in Panik verfallen, da unterlaufen Fehler. Klingt absolut plausibel, warf Eduard in Ricardas Waagschale.

Suchend streifte sein Blick das Umfeld ab. Das Knacken würde zwar leidvolle Töne für seine Ohren bedeuten. Nichtsdesto trotz, sah er die Aktion im eigenen Überleben gerechtfertigt.

Nachdem er das passende Stück Holz gefunden hatte, wandte er sich seiner Probandin zu, schob der erschrockenen Frau erneut das gebrauchte Taschentuch zwischen die Zähne.

Als Rici erkannte, was er vorhatte, schnaubte sie gehörlos auf und versuchte sich zu wehren. Stolz registrierte Eduard, dass die Verankerung einer Gegenwehr standhielt. Gute Arbeit. Gelassen, mit einem „Halts Maul, du Miststück“, holte er aus und drosch zuerst gegen das rechte Knie. Ricarda brüllte lautlos in sich hinein. Mit einem neuerlichen Schlag zerschmetterte er das andere Knie. Sie verdrehte die ehemals ausdrucksvollen Augen und sackte erneut ohnmächtig in sich zusammen.

Zeit für einen Joint. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ er sich an einem Baumstamm zu Boden sinken. Wieder ein Schritt geschafft. Und nun? Grübelnd kratzte er sich den Kopf.

Puh. Sneijders Schöpfer, Andreas Gruber, wüsste zumindest, wie es im Buch weiter gehen sollte.

Eduard ließ die letzten Stunden Revue passieren. Ein neuerlicher tiefer Seufzer löste sich. Er achtete darauf, dass keine Glut übrig blieb, rieb den Rest sicherheitshalber mit Spucke ein und vergrub den Stummel.

Mit einem „FFFFFHH“ erhob er sich, entfernte das Laub von seinem Hosenboden und wandte sich der zusammengekauerten Frau zu. Es war Zeit, dass sie ihm einige Fragen beantwortete.

Verdammt, er hätte den Ratschlag seiner Mutter beherzigen sollen, in Coronazeiten stets Einweghandschuhe dabei zu haben. Er hatte seine im Auto. Was solls. Dann halt ohne.

Es war so weit. Richarda bewegte sich. Brutal packte er die zerzausten Haare und riss den Kopf hoch, so dass ihre schmerzverzerrten Augen ihn ansehen mussten. Tiefe Falten des Stresses verunstalteten das einst bezaubernde Gesicht. Unerklärlich, dass er dieses Subjekt je begehrenswert fand.

„So, du Schlampe. Ich unterbreite dir ein einmaliges Angebot. Du spuckst jetzt aus, was es mit dieser Liste auf sich hat. Und welche Rolle mein Vater dabei spielt. Oder….Du hast die Wahl.“ Sein Blick suchte erneut das Muttermal. Kurz aus dem Konzept gekommen, gelangte er wieder zu der mittlerweile mit Achtsamkeit erarbeitenden Souveränität.

Er nahm ihr das Taschentuch aus dem Mund. Ricarda holte, so gut sie konnte, aus und spuckte ihm mitten ins Gesicht. Die Antwort war ein Faustschlag gegen ihre Nase. Ein uanangenehmes „Knacks“ war die Folge, ähnlich des Berstens, bevor ein gefällter Baum zu Boden geht. Zefix. Aua. Erbost tänzelte er von einem Fuß auf den anderen und rieb die schmerzenden Knöchel der Hand, von der auch noch Blut lief. Reinigte mit dem Stoff sein Gesicht und Hände, stopfte danach den Knebel wieder in Ricardas Mund. Von der Nase, die einst an die Gefährlichkeit und Anmut eines Adlers erinnerte, war nicht mehr viel übrig.

So simpel ist es, Hindernisse aus dem Weg zu schaffen, beruhigte Eduard sich wieder.

Zwischenzeitlich Fan von Achtsamkeit, kramte er in dem angelesenen Repertoire nach weitere Tipps für die Lösung seines Problems. Gesucht. Gefunden.

„Du hattest die Wahl.“ Tief Luft holen. Sich zentrieren. Mit einem an Ricardas angstverzerrtes Gesicht gerichtetes Lächeln, skalpierte er unerwartet geschickt einen Teil des Schädels. Ihre Fratze war inzwischen angeschwollen und verfärbte sich hässlich. Stoßartig hechelte sie durch den Mund.

Nach einigen Sekunden stellte Eduard erleichtert fest, dass sich ihr Atem etwas normalisierte.

„Können wir jetzt?“ So gut sie konnte, nickte sie mit geschlossenen Augen. Eduard nahm das Taschentuch aus dem Mund und steckte es ein.

Ein irrationaler Gedanke durchzuckte ihn. Seinen Kleidungsstil müsste er künftig aufpeppen. Wie es für den Boss eines Pornoringes angemessen ist. Es soll ja keiner sagen, er sei ein Spießer.

Apropos Pornoring. Mit Sicherheit kam Ricarda durch ihre Tätigkeit beim Jugendamt an die Kinder. Notgeile Männer zu finden, dürfte nicht das Problem sein. Rici zitterte am ganzen Körper. „Dein Vater. Er…“ Sie hechelte. „Er..“. Husten überkam die Schwerverletzte. „Durch meine Arbeit beim Jugendamt hatte ich Kontakt zu Kindern aus sozialschwachen Schichten. Meist alleinerziehende Mütter.“ Sie stammelte nur noch. „Angeblich kamen die Kinder für eine gewisse Zeit ins Haus der Erholung“. Wieder hüstelte sie. „Den Müttern war egal, warum die Kinder weg waren“. Ein Beben überkam ihren Körper „Dein Vater. Er mag kleine Mädchen.“

„Weiter“.

Wieder durchzuckte sie Schmerzen und sie stöhnte qualvoll auf.

„Die Waldschänke.“ Sie deutete mit dem Kopf in den Wald. „Sie diente deinem Vater und seinen Freunden für ihre Zwecke,“ langsam versagten ihre Kräfte.

Ein erneuter Schauer durchzuckte sie.

„Warum wolltest du mich töten?“

„Dein Vater hat meine Mutter vergewaltigt. Brüderchen.“ Leises Weinen wechselte sich mit irrem Lachen ab.

„Du lügst. Das ist NICHT wahr.“ Die Äußerung bezog sich nicht auf die Vergewaltigung. Die ganzen Schweinereien berührten ihn unterdessen kaum noch.

Ricarda lachte unnatürlich laut auf. „Frag Shuggar Daddy nach der Haushälterin vor 26 Jahren. Höllerau. Christina Höllerau.“ Es entstand eine Weile des Schweigens, bevor sie flüsternd fortfuhr. „Sie hat sich das Leben genommen, als ich sieben war. Ich kam ins Heim. Brüderchen.“

Wieder hing sie einige Sekunden durch und schöpfte Kraft, bevor sie weiter sprach. „Es war leicht, dich zu finden. Mutter erzählte mir, dass ihr in der Nähe der Botschaft der Islamiscdhen Republik Afganisthan wohnt.“ Sie schluchzte. „Ich hasse dich. Du hattest das, was ich nicht hatte. Eine Familie. einen Vater. Meinen Vater.“

Scheiße, er steckte ihr erneut das Taschentuch in den Mund.

Er brauchte Zeit, die Ereignisse der letzten Stunden und ihre letzten Worte zu verdauen und wandte Ricarda den Rücken zu. Das Muttermal. Sie hatten beide eines an der gleichen Stelle – wie der Vater.

Minuten später trat Eduard, wieder einigermaßen gefasst, zu der Halbschwester. Gefährlich würde die ihm nicht mehr werden, sagte zumindest der völlig apathisch nach unten hängende Kopf. Als er ihr den Knebel aus dem Mund zog, quoll Erbrochenes heraus. Verdammte Sauerei. Die Alte ist an der eigenen Kotze erstickt.

Hastig wich Eduard zurück, damit seine Geox nicht besudelt werden. Kotze stinkt abscheulich.

Bevor er der leblosen Frau die Fesseln abmachte, reinigte er behelfsmäßig ihr Gesicht, Hals und Kleidung mit Laub.

Jetzt galt es, klaren Kopf zu bewahren, keine Fehler zu begehen und zu überlegen, wie man die „Sache Rebeca Höllerau“ aus der Welt schafft, die wie ein Häufchen Elend am Boden lag. In weiser Vorausschau entnahm er der Handtasche die Autoschlüssel, vergrub den Shopper, da wo du hingehst, brauchst du sowas nicht, zusammen mit den Riemen, dem Prügel, die Hundeleine, das Halsband von „Kurfürst“, wie er auf der Marke lesen konnte. Aha Kurfürst. Die schwarzen Pumps, die Rici wann immer auch verloren hatte, fanden ebenfalls das Grab unter der Walderde.

Nachdem Eduard den Tatort dahingehend überprüft hatte, dass er keine Spuren hinterlassen würde, hievte er Schwesterherz kurzerhand wie einen Sack Kartoffel über die Schulter und machte sich auf den Rückweg. Die letzten Stunden liefen vor Eduards geistigem Auge ab und achtsam erlangte er inneren Frieden mit der Pufftante, dem Kinderschänder und sich selbst. Alles cool.

Vom Normalo zum Folterknecht. Vom Streber zum Mörder. Vom Verwaltungsinspektor zum Boss. Cool.

Eine beachtliche Karriere für einen 21-jährigen, innerhalb von vier Stunden. Ja, ihm gefiel seine neue Rolle.

Auf dem Hauptweg angekommen, galt es, das Hindernis „Passanten“ zu bewerkstelligen. Er lächelte in sich hinein, als die Beißtöle von vorhin ihnen entgegenkam. Kurfürst tänzelte beunruhigt, den kaum vorhandenen Schwanz eingezogen, im Kreis. Los, erzähl es Papa, feixte der Boss den Hund an. Ein mildes Lächeln aufgesetzt, erzählte Eduard Kurfürst’s Herrchen, dass seine Frau sich wegen eines Streites sinnlos die Kante gegeben hat und er sie jetzt nach Hause bringen würde. Wenn Sie ihren Rausch ausgeschlafen habe, würde Versöhnung gefeiert.

Selbstzufrieden mit seinem souveränen Auftritt, stellte der Boss fest, dass dieser Dummdübel ihm seine Story mit einem „Viel Glück für Sie“, abgekauft hat.

Trotzdem war „Boss“ dankbar, ohne weitere Begegnungen an Ricardas Skoda angekommen zu sein und öffnete den Kofferraum, bugsierte die Frau hinein. „Auch wenn du mir heute den Vormittag vermiest hast, ist es doch ziemlich gut gelaufen. Findest du nicht auch, Schwesterchen?“

Das Glück war ihm offenbar hold und das Schlimmste ausgestanden. Auf der Rücksitzbank lag Ricardas Schal. Den stopfte er der Halbschwester in den Mund. Sicher ist sicher.

Die blöde Kuh hat das schwarze Fahrzeug in der prallen Sonne geparkt. Ricarda Ricarda.

Abschließend reinigte der Boss mit dem Taschentuch alle Stellen von Fingerabdrücken. Das Stück Stoff hat heute seinen Zweck erfüllt und würde auf dem Heimweg entsorgt werden.

Im Fall der Fälle, würde der werte Herr Papa, Herr Dr. Michael Marquardt, das Kind schon schaukeln. Es war ja nicht das erste Mal….

Bevor Eduard den Deckel mit Schwung einschnappen ließ, verabschiedete er sich noch mit einem achtsamen Lächeln von seinem Schwesteherz. Er gefiel sich. Sehr sogar.

„Feierabend Boss. Für heute ists genug.“

 

4 thoughts on “Die Identität

  1. Wow! Was für eine grandiose Geschichte! Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll..
    Diese Geschichte muss es einfach ins EBook schaffen!!!
    Bis auf ein paar Rechtschreibfehler gibt es zu allererst mal wirklich meinerseits nichts zu bemängeln.
    Du verfügst über einen sehr anregenden Schreibstil bzw Wortgebrauch, der mir das Lesen zu einem Genuss macht.
    Sogar schmunzeln konnte ich. „Wohl heute Morgen bei der Kleiderwahl nicht mit töten gerechnet?“ war beispielsweise super Situativ komisch, was der Geschichte nochmal zusätzlich etwas Pepp verliehen hat. Ich habe deine Worte förmlich gefressen! Auch das Du im hier schreibst, Coronahandschuhe verwendest; das macht die Geschichte so aktuell & verleiht das notwendige Interesse zum weiterlesen. Außerdem gelingt es dir fast schon erschreckend gut, das böse zu beschreiben. Du schreibst so abartig böswillig brutal, da geht jedem Thrillerfan das Herz auf Glatteis! Wahnsinn! Weiterschreiben! Unbedingt!💚

  2. Moin Hanni,

    starke Geschichte die du dir da ausgedacht hast.

    Dein Plot ist gut erzählt und du benutzt einen „ eigenen „ Stil. Hab ich in der Form noch nicht gelesen. Gut gemacht. Humorvoll, bissig und bös. Starke Kombi!

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für’s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

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