BiancaDie Kellertür

27. Dezember 2020, 19.23 Uhr

Die dicke Schneeschicht unter ihren Füßen knirschte, als Emily die Wärme des Wagens verließ und hinaus in die Eiseskälte trat. Die Luft roch frisch, rein wie glasklares Wasser. Jungfräulich, erwartungsvoll. Einzelne Schneeflocken tanzten um ihre Nase, kitzelten ihre Wangen. Seltsam, wo sie sich doch die gesamte Fahrt hierher durch Sturm und Glätte hatte kämpfen müssen. Sollte sie gar nicht ankommen? Sondern umdrehen, sich schon auf dem Weg dorthin die Knochen brechen? Emily hob den Blick, betrachtete das vom noch eingeschalteten Scheinwerfer erfasste Gebäude. Das Licht war zu schwach, um die vor ihr liegenden Mauern vollständig zu erhellen. Schatten wanden sich darauf, krümmten sich.

Derart große Häuser hatten einen Namen verdient. Aber nicht dieses. Es bestand aus Stein und Fels, erdrückend, undurchdringlich. Das Gebäude glich einer Burg, einer Festung. Nein, einem Gefängnis. Emily fröstelte. Nicht aufgrund des Wetters. Das Haus verursachte ihre Gänsehaut. Die dunklen Geheimnisse, die es beherbergte.

Sie begrüßte die Dunkelheit, die sie umgab, als sie die Scheinwerfer ausschaltete. So konnte sie für einen Moment ausblenden, was vor ihr lag. Kurz spielte Emily mit dem Gedanken, einfach wieder einzusteigen, zu fliehen. Lächerlich. Kopfschüttelnd schloss sie den Wagen ab und stapfte durch den Schnee zur Haustür. Sie klingelte. Einmal, zweimal. >>Frau Rube? Herr Rube? Mein Wagen ist stecken geblieben, deshalb hat es länger gedauert. Hallo?<<

Niemand öffnete, weshalb Emily selbst die Klinke herunterdrückte. Die Tür knarrte, gab aber mit einem kleinen Ruck nach. Merkwürdig. Es war nicht abgesperrt. Frierend rieb sie die Hände aneinander, in der Hoffnung, die Durchblutung wieder anregen zu können. Ihre Beine bewegten sich schwerfällig, erschöpft ins Innere des Hauses. Vielleicht warteten ihre Arbeitgeber schon auf sie.

Aus den Augenwinkeln sah Emily verblichene Fotos auf noch älteren Regalen, altmodische Weihnachtsdekoration – und ein stürmisches Stück Wirbelwind, das auf sie zu rannte. Bellend sprang die kleine französische Bulldogge an Emilys Leggins empor. Unabsichtlich streifte sie dabei die mit Schnee bedeckten Stiefel der jungen Frau, was sie prompt wenden sowie schleunigst davon laufen ließ. Tja, das war dann wohl Peach. Einer der Gründe, weswegen man sie hierher bestellt hatte. Emily lächelte. Bisher hatte sie sich zwar mit Hunden nicht besonders anfreunden können, aber sie wusste, was Follower magisch anzog. Sie brauchte dringend tierische Unterstützung. Ohne Fans erhielt sie keine Werbeaufträge und ohne Werbeaufträge kein Geld. Da kam ihr dieser Job mehr als gelegen. Die Universitätsferien damit zu verbringen, auf ein riesiges Haus in den Bergen sowie den Vierbeiner der reichen Eigentümer aufzupassen, erschien ihr äußerst lukrativ. Nichts leichter als das! So schnell war sie noch nie an Geld gekommen – zumeist hatte sie hierzu ihren Körper einsetzen müssen. Emilys Mundwinkel zuckten. Nicht, dass ihr das nicht auch Spaß gemacht hätte.

Emily durchsuchte die am nächsten zum Flur liegenden Zimmer. Nirgends war auch nur eine Menschenseele anzutreffen. Frustriert betrat sie den Saal zu ihrer Linken, aus dem ihr wohlige Wärme entgegen strömte. Im Kamin brannte ein Feuer. Sie war zu müde, um sich Gedanken darüber zu machen, wer dieses angezündet haben könnte. Mit einem erleichterten Seufzer sank sie auf das cremefarbene Sofa ihrer Gastgeber nieder. Die Entspannung währte nicht lange. Nur Sekunden später schreckte Emily hoch – der Fernseher an der Wand gegenüber hatte sich von selbst eingeschaltet.

>>Guten Abend, Emily. Es tut uns leid, dass wir nicht… dass wir nicht auf dich warten konnten. Wir sind bereits…<< Die blonde, elegant gekleidete Frau in dem Video wandte sich zu ihrem Mann. Als der nicht reagierte, blickte sie wieder in die Kamera. Nein, über die Kamera. >>… abgefahren. Bitte kümmere dich um Peach und… mach keine dummen Sachen. Wenn du uns brauchst, erreichst du uns über die Nummern auf dem Zettel am Kühlschrank. Dein Zimmer findest du im Westflügel, erster Stock, die Treppe links, geradeaus. Du kannst es nicht verfehlen. Das Haus steht dir zur freien Verfügung, aber…<< Sandra Rubes Augen glänzten. Emily runzelte die Stirn. Waren das Tränen? Alexander Rube, der neben seiner Frau saß, schluckte. Bartstoppeln zierten sein Gesicht. Er räusperte sich, dennoch klang seine Stimme angeschlagen. >>Emily, du darfst jeden Raum dieses Hauses betreten. Nur nicht den Keller, hörst du? Wir kommen in einer Woche zurück, dann erhältst du die vereinbarte Summe.<< Seine Schultern versteiften sich. >>Der Keller wird renoviert, dort ist es gefährlich. Gehe nicht dorthin.<< Beide sahen eindringlich in ihre Richtung. Abrupt wurde das Bild schwarz.

Was zum Teufel? Von so einer Gruselshow war nicht die Rede gewesen! Sie hätte das Ehepaar Rube hier treffen, noch ein Gläschen Wein mit ihnen trinken sollen. So lautete der Plan. Dass Reiche die ein oder andere Macke entwickelten, wusste sie. Immerhin hatte Emily schon viele reiche, unzufriedene Männer zwischen ihren Schenkeln gehabt. Aber das? Na hoffentlich brachte ihr das wenigstens ein saftiges Trinkgeld ein.

Irgendetwas drängte sich in ihre Gedanken. Ein Klingeln. Es kam aus der Küche, die sie zuvor auf der Suche nach ihren Arbeitgebern durchquert hatte. Auf dem Tresen vibrierte ein Smartphone. In der Erwartung, Herr oder Frau Rube würden sie sprechen wollen, hob Emily ab. Zunächst war nichts zu hören, doch dann… tiefe, keuchende Atemzüge. >>Hallo?<< Der Anrufer antwortete nicht. Er legte auf. Hat sich bestimmt verwählt, dachte Emily und wollte schon der Küche den Rücken zukehren, als das Smartphone erneut einen Ton von sich gab. Ihr kastanienbraunes Haar schwebte um ihren Kopf, den sie ruckartig nach hinten riss. Auf dem Bildschirm erschien ein Foto. Und auf dem Foto, da war sie.

27. Dezember 2020, 19.42 Uhr

Emily erinnerte sich. Der Sand kitzelte ihre Haut noch immer. Sie spürte dessen Hitze unter ihrem Po, den Kuss der Sonne im Genick. Der weiße Bikini. Er war fast durchsichtig gewesen, aber sie hatte sich dennoch entschieden, die Bilder ihres Strandurlaubs hochzuladen. Was tut man nicht alles, damit die Welt einem zu Füßen liegt? Um Follower an sich zu binden, schrak Emily vor nichts zurück. Sie sah gut aus und verdammt, sie wusste, wie sie ihre Kurven gewinnbringend einzusetzen hatte.

Emily grinste. Das Smartphone musste Herrn Rube gehören. Wer würde schon seiner Frau erotische Bilder von ihr schicken? Sanft strich sie mit ihrem Zeigefinger von rechts nach links. Wie sie vermutet hatte, fanden sich noch mehr anzügliche Fotos von Emily. >>Herr Rube… ich denke wir haben ein ernstes Wörtchen miteinander zu reden.<< Ihr Herz schlug schneller. Emily war klar, was das bedeutete. Reiche, frische Kundschaft. Ein neues Opfer.

Die Aussicht auf leicht verdientes Geld und zügellosen Sex ließ sie erröten. Diese Unschuld war es, auf die die Männer immer wieder hereinfielen. Nichtsahnend öffneten sie ihren Reißverschluss, ihr Herz, ihr Portemonnaie.

Doch das konnte warten. Das Ehepaar Rube würde erst in einer Woche zurückkehren. Vorrangig hatte sie andere Probleme: Peach wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und kläffte. >>Dann wollen wir doch mal sehen, wo dein Frauchen dein Futter versteckt hat, nicht wahr, Süße?<<

28. Dezember 2020, 09.17 Uhr

Schweißgebadet erwachte Emily. Wie eine Ertrinkende umklammerte sie die Lehne des Sofas. Sie schnappte nach Luft, als hätte sie sich eben vom Grund eines Sees bis an dessen Oberfläche gekämpft. Eine schreckliche Nacht! Das Sofa, auf welchem ihr gestern Abend wohl die Augen zugefallen sein mussten, war bequem. Daran lag es nicht. Sie hatte Hände gespürt. Auf ihr, ihren Brüsten. Zwischen ihren Beinen. Es hatte sich so echt angefühlt. Die rauen Fingerkuppen, sein Atem an ihrem Hals. Ihr war, als hätte sie im Dunkeln eine Fratze gesehen, ein Schatten in der sie umgebenden Schwärze, doch sie konnte nicht unterscheiden, was Albtraum war und was real. Wie im Fieberwahn hatte sie sich umher gewälzt, war aufgewacht, wieder eingeschlafen, erneut aufgewacht. Der Traum schien sie noch immer in seinen Bann ziehen zu wollen. >>Schluss damit, du bist doch kein Teenager mehr!<<, schimpfte Emily mit sich selbst. Vor ihr lag ein langer Tag, da brauchte sie einen klaren Kopf.

Zufrieden betrachtete sie Peach, die gierig ihr Hundefutter hinunterschlang. Alle fraßen sie ihr aus der Hand. >>Wie wäre es mit einer Runde Gassi, hm?<<, fragte Emily die Hündin und warf einen Blick auf die Stelle, wo sie ihre Tasche am Abend zuvor liegen gelassen hatte. Seltsam. Da war keine Tasche.

Emily runzelte die Stirn. Gestern Nacht, als sie sich noch eine Schüssel Cornflakes zubereiten wollte, da hatte sie sie doch ganz sicher neben dem Kühlschrank stehen sehen! Na, irgendwo wird sie schon sein. Sie würde später danach suchen. Peach quengelte.

Emily verlor langsam die Geduld. Kein Wunder, dass sie Hunde nicht mochte. >>Peach, beeil dich, es ist eiskalt.<< Das hätte sie sich auch gleich sparen können. Der Hund hörte nicht auf sie. Emily ließ ihren Blick über die knorrigen Bäume des Waldrands wandern, die das Gebäude in einigem Abstand umrundeten. Nein, nicht umrundeten. Einkesselten. Die blattlosen Äste erschienen ihr wie sich nach Leben verzerrende Arme Verhungernder. Sie erschauderte. Es war definitiv Zeit, den Rückweg anzutreten.

Nachdem Emily den Rest des Tages jedes der 41 Zimmer des riesigen Hauses unter die Lupe genommen hatte, blieb sie vor der Kellertür stehen. Die Wände aus Stein und Fels schützten die luxuriöse Einrichtung vor allzu neugierigen Blicken. Emily liebte Luxus. Aber der gewisse Nervenkitzel wollte einfach nicht aufkommen. Sie hatte schon viele Villen betreten, in deren weichen Himmelbetten geschlafen. Dieses monströse Gebäude unterschied sich innerlich kaum von den anderen. Reichtum reizte sie nur noch, wenn sie sich davon etwas abzweigen konnte.

Ihre Hand berührte den Türknauf. Er war kalt, merkwürdig feucht, schien fast schon zu pulsieren. Eine kleine Drehung und die Tür stünde offen. Vor ihr läge eine Treppe hinab in die tiefe Dunkelheit, ein Zugang zu den verborgensten Geheimnissen der Bewohner. Dass dort renoviert würde, glaubte sie nicht. Wohin mit allem, was nicht ans Licht gelangen soll? In den Keller, weit hinab unter die Erde. Wer etwas zu verbergen hat, der versteckt es. Doch was? Ein Verlies? Eine Folterkammer? Sexspielzeug? Emily fühlte die Hitze zwischen ihren Beinen, Prickeln. Hinter der Tür lag ein verbotenes Abenteuer. Wenn sie diesen Schritt tat, gab es kein Zurück. Emily umfasste den Knauf fester, bereit, die Tür mit einem Ruck zu öffnen, als Peach hinter ihr anfing zu knurren.

>>Was soll das denn, Schätzchen? Ich kenne dich zwar erst einen Tag, aber schon beginnst du, dich hier wie eine Primadonna aufzuführen.<< Seufzend wandte sie sich von der Kellertür ab. Die würde ihr nicht davon laufen. Und sie musste dringend duschen.

Heißes Wasser umgarnte ihre Haut, streichelte, verführte sie. Tropfen nassen Glücks fielen von ihrem Haar, ihren Lippen zu Boden. Ihre Gedanken, die sie noch kurz zuvor befallen hatten, rannen davon, schmolzen angesichts des wärmenden Regens. Sie vergaß das gruselige Video, den Anruf, das keuchende Atmen. Sie fühlte nur noch die Wonne, die ihr das prasselnde Wasser bereitete. Alles, was sie erlebt hatte, was sie dort draußen erwartete. Es war bedeutungslos.

Vorsichtig trat Emily auf die Badematte. Dampfwolken hüllten sie ein. Das Handtuch, welches sie neben das Waschbecken gehängt hatte, lag rechts von ihr auf den Fliesen. Wie war es dorthin gelangt? Halluzinierte sie? Das Handtuch… irgendetwas irritierte Emily. Es roch nach Rosen. Längst verblasste Erinnerungen stiegen in ihr auf. Ein Kichern, Küsse. Doch sie konnte sie nicht zuordnen. Sie bereiteten ihr eine Gänsehaut.

Mit feuchten Haaren betrat Emily das Schlafzimmer, in welchem sie heute die Nacht verbringen wollte. Sie freute sich bereits darauf, tief in die weichen Kissen zu sinken, die sie am Nachmittag bei ihrer kleinen Wanderung durch das Haus entdeckt hatte. Als ihr Blick darauf fiel, erstarrte sie. Auf dem Bett befanden sich dutzende rote Rosenblätter. Noch vor wenigen Stunden hatten dort keine gelegen.

Sie musste sich irren, ganz einfach. Vielleicht hatte sie die romantische Dekoration nur übersehen. Oder das Schlafzimmer verwechselt. Kein Grund zur Sorge, Emily. Je länger sie sich das einredete, desto glaubhafter klang es. Wirklich davon überzeugt war sie jedoch nicht. Wer zum Teufel streut denn auch Liebesbeweise auf das Bett seiner Angestellten?

29. Dezember 2020, 20.04 Uhr

>>Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es mit Thomas gelaufen ist, Emily! Hat er dich nun auf sein Segelboot eingeladen oder nicht?<<

Emily schmunzelte. Sie hatte sich schon gefragt, wann ihre beste Freundin Denise endlich auf ihr Lieblingsthema zu sprechen kommen würde. Sobald sie einen neuen Mann ins Visier genommen hatte, war auch schon Denise zur Stelle, um sie auszufragen. Kein Wunder, das Leben ihrer Freundin bestand auch nur aus unbezahlten Rechnungen und abendlichen Schokoladeneskapaden.

>>Ja… Du weißt doch, dass wir es nicht länger im Hotel machen können, seine Frau wird schon misstrauisch… Hat ihn zur Rede gestellt.<< Sie zwinkerte. Solange sie ihre Vorteile davon hatte, war es ihr gleich, was aus den Ehen ihrer Opfer wurde.

>>Du siehst toll aus! Ich wette, es gibt niemanden, der dir in diesem Kleid widerstehen könnte!<< Denise neigte zu Übertreibungen. Aber dieses Designerstück aus purer Seide saß tatsächlich wie angegossen. Zu schade, dass sie nichts davon mitgehen lassen konnten. Thomas würde Augen machen. Mit seinen 42 Jahren war er fast doppelt so alt wie sie, aber immer noch ganz passabel. Und Geld kannte kein Alter.

>>Guck dir diesen Schmuck an, Emily! Allein für diesen Ring müsste ich ein Jahr lang kellnern…<<, rief Denise aufgeregt, während sie im Nachtkästchen der Gastgeberin wühlte. >>Warte… Emily, sind das nicht deine Ohrringe?<< Ihre blonde, etwas pummelige Freundin deutete auf die Tagesdecke. Emily lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte genau die gleichen Ohrringe zu Hause. Auch bei ihrem Paar fehlte ein Edelstein. Wie war das möglich?

>>Danke für die Einladung, Emily, echt! Ich hab noch nie so ein Haus gesehen, der Wahnsinn! Aber du solltest hier dringend mal lüften… hier riecht es ganz komisch.<< Naserümpfend umarmte Denise ihre Freundin zum Abschied. >>Ach, das war bestimmt Peach. Wenn ich die erwische… Da fällt mir ein, hast du sie gesehen? Ihr Futter hat sie heute Mittag gar nicht angerührt.<< Denise schüttelte den Kopf. Sicher streunte sie nur irgendwo herum.

Erschöpft schloss Emily die Tür hinter sich. Sie mochte ihre Freundin. Aber der Whirlpool, den sie auf der überdachten Terrasse entdeckt hatte, wartete schon ungeduldig auf Emily.

Das heiße Wasser spritzte in alle Richtungen, als Emily erschrocken hochfuhr. Die kleine Kerze, die sie auf der Ablage neben dem Whirlpool abgestellt hatte, war fast abgebrannt. Sie musste eingeschlafen sein! Emily sprang aus dem Becken. Ohne sich abzutrocknen zog sie sich rasch an. Sie wollte nicht im Stockdunkeln hier draußen stehen. Der Pullover wärmte sie kaum. Doch sie fühlte keine Kälte, keine Gänsehaut. Was sie empfand, war pure Angst. Vor ihr, keine fünfzehn Meter entfernt, bewegte sich ein Schatten. Ein großer Schatten. Und er war im Haus.

29. Dezember 2020, 21.47 Uhr

>>Hallo? Denise, bist das du?<< Vielleicht war ihre Freundin aufgrund des heftigen Schneefalls zurückgekehrt. Ihr Wagen könnte liegen geblieben sein. >>Denise, Schatz, antworte bitte, wenn du da bist!<< Emily lauschte. Doch sie vernahm nichts, mit Ausnahme des Rauschens ihres eigenen Blutes in ihren Ohren.

Wäre der Schatten Denise gewesen, hätte sie schon längst etwas gesagt. Für solche Psychospielchen fehlte ihr der Mumm. Möglicherweise waren ihre Arbeitgeber früher nach Hause gefahren? >>Frau Rube? Herr Rube? Ich habe noch nicht mit Ihnen gerechnet…<< Endlich fand Emily den Lichtschalter. Alles war wie zuvor. Leer.

Sie hatte sich fest vorgenommen, ihre Gastgeber keinesfalls während ihres Urlaubs zu stören. Sie brauchte das Trinkgeld. Dringend. Aber das hier war ihr ganz und gar nicht geheuer. Zitternd nahm Emily ihr Smartphone aus der Tasche, welche sie gestern Abend letztendlich doch noch gefunden hatte. Unter dem Sofa. Wie die Tasche dorthin gelangt war, konnte sie sich immer noch nicht erklären. Sie wählte Herrn Rubes Nummer und dann… klingelte es. Verärgert verdrehte sie die Augen. Natürlich. Herr Rube hatte sein Smartphone auf dem Küchentresen gelassen. Sorgfältig tippte sie die Mobilnummer seiner Ehefrau ein, die ebenfalls auf dem Zettel am Kühlschrank geschrieben stand. >>Bitte geh ran… geh ran, verdammt nochmal!<<, flehte Emily verzweifelt. Sie blinzelte, als sich erste Tränen bildeten.

Dumpfe Töne. Eine traurige Melodie. Emily vernahm sie ganz deutlich, von irgendwo in ihrer Nähe, hinter ihr. Sie hatte kein weiteres Smartphone gefunden. Aber sie hatte auch nicht überall gesucht. Emily wandte sich um. Das Geräusch kam aus dem Keller.

29. Dezember 2020, 21.56 Uhr

Wieder umfasste sie den Knauf der Kellertür. Doch diesmal erschien er ihr gar nicht kühl, sondern kochend heiß. Wenn sie die Tür nun öffnete, verbrannte sie sich mehr als nur die Finger. Ihr fiel ein, wo sie Peach zuletzt gesehen hatte. Hier. Winselnd.

Emily atmete tief ein. Egal, was sie da unten erwartete, sie würde stark sein. Sie hatte doch sicher schon Schlimmeres überstanden.

Mit einem Ruck gab die Tür nach. Im selben Moment drang ein abscheulicher Gestank an ihre Nase, so penetrant süßlich, dass Emily sich beinahe an Ort und Stelle übergeben hätte. Sie schmeckte Magensäure in ihrem Mund. Vorsichtig tastete sie nach einem Lichtschalter, legte ihn um. Grauen erfasste sie, ein Grauen, das sie zugleich lähmte und in Panik verfallen ließ. Ihre Knie begannen nachzugeben. Beinahe wäre sie die Treppe hinab gefallen, auf sie. Auf die Leichen, die dort unten verwesten. Verkrustetes Blut bedeckte ihre Gesichter, grünlich schwarze Haut die aufgedunsenen Leiber. Lediglich an den Haaren war zu erkennen, dass es sich um Frau und Herrn Rube handelte. Emilys Arbeitgeber befanden sich schon lange in diesem Keller. Und während sie dort oben gegessen, geschlafen und es sich hatte gut gehen lassen, fraßen hier unten die Maden.

29. Dezember 2020, 22.03 Uhr

Ihr Verstand wollte sich verkriechen, nie mehr wieder an die Oberfläche gelangen. Doch ein Gedanke wehrte sich dagegen: Wenn das Ehepaar Rube hier unten lag und Denise weggefahren war – wer war dann der Schatten, den Emily im Haus entdeckt hatte? Der Mörder… er versteckte sich irgendwo innerhalb dieser Mauern!

Schwindel erfasste sie. Emily musste hier weg. Sofort! Schwankend lief sie zu ihrer Tasche. Wo war ihr Autoschlüssel? Hatte etwa er…? Nein. Erleichterung breitete sich in Emily aus, als ihre Finger den Schlüssel ertasteten.

Erst nachdem sie den Motor angelassen hatte, bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte. Der Wagen ließ sich nicht zurücksetzen, schien keinen Halt im Schnee zu haben. Emilys Herz drohte aus ihrer Brust auszubrechen, ihr Puls raste. Zögerlich stieg sie wieder aus. Was war nur… Oh nein. Die Reifen. Sorgsam aufgeschlitzt, alle vier. Sie saß fest. Und der Mörder wartete nur auf sie.

Emily warf einen Blick in die Ferne. Zumindest versuchte sie es. Dichter Schneefall umgab sie, dämmte jedes Mondlicht. Es war ihre einzige Chance. Sie musste zum einige Kilometer entfernten Dorf gelangen. Dort würde sie sicher sein. Emily zitterte fürchterlich. Ihr Haar war noch nass, die Kleidung klebte feucht an ihrer Haut. Die Jacke… sie traute sich nicht, das Haus noch einmal zu betreten. Sie musste es wagen. Jetzt oder nie.

29. Dezember 2020, 22.12 Uhr

Emily rannte den Abhang hinunter. Die dicke Schneeschicht verlangsamte, erschwerte ihre Schritte. Immer wieder wandte sie sich panisch um, doch da war niemand. Sie versuchte, im Schneesturm nicht die Orientierung zu verlieren, doch ließ sich die Straße kaum noch vom Wegesrand unterscheiden. Kein Geräusch drang an ihre Ohren. Alles war wie in Watte gepackt.

Nach nur wenigen Minuten starb ihr letzter Funken Hoffnung. Zwei, drei Meter schräg unter ihr stand ein verunfallter Wagen. Die Motorhaube war eingedrückt. Davor lagen die Überreste eines dürren, knorrigen Baums. Sie kannte den Wagen.

Die Fahrertür stand offen, der Fahrer fehlte. Der Schnee neben dem leeren Sitz war blutgetränkt. Emily konnte ihre Tränen nicht weiter zurückhalten. Sie folgte der blutigen Spur, die tiefer in den Wald führte. Ihr Körper bebte. Da lag sie, eingerollt, inmitten roten Schnees. Denises Kehle war aufgeschlitzt.

29. Dezember 2020, 22.21 Uhr

Wellen sie verzehrender Furcht überrollten sie. Emily schnappte nach Luft, hatte das Gefühl zu ersticken. Denise… nicht Denise… Er hatte sie umgebracht, dieses miese Schwein!

Leise Schneeflocken trafen das Gesicht ihrer Freundin, küssten ihre Lippen. Größtenteils war die Tote bereits unter Schnee begraben. Es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre Denise für immer vergessen.

Emily sah sich um. Wenn sie weiterhin in Richtung Dorf taumelte, war sie verloren. Der Sturm wütete. Sie hatte keinen Wagen. Die Straße war nicht mehr zu erkennen. Käme Emily vom Weg ab, würde sie unweigerlich erfrieren. Blieb sie auf dem Asphalt, könnte der Mörder sie aufspüren.

Sie hatte nur eine Chance: Sie musste zurück.

Eiskalter Schweiß klebte an ihr, als Emily völlig außer Atem die Küche erreichte. Angespannt riss sie die Schublade auf, packte ein langes Messer. Die Klinge glänzte silbern. Wenn er ihr zu nahe trat, würde Emily dafür sorgen, dass sich die Schneide rot färbte.

Der Notruf! Wieso war ihr das nicht früher eingefallen! Emily tastete in ihren Hosentaschen nach ihrem Smartphone. Es war fort. Sicher befand es sich irgendwo draußen im Schnee. Emily zwang sich, tief durchzuatmen. Sie ließ ihren Blick über den Küchentresen wandern. Auch Herrn Rubes Handy war verschwunden. Sie hatte es definitiv in der Küche abgelegt. Das hieß… der Wahnsinnige war gerade erst hier gewesen.

Im Wohnzimmer gab es ein Festnetztelefon! An ihrem ersten Abend hatte sie über das uralte Ding noch gelacht. >>Oh Gott, bitte lass es funktionieren…<<, murmelte Emily ängstlich. Das tat es.

>>Hallo? Hören Sie mich? Bitte schicken Sie Hilfe, irgend so ein Irrer will mich umbringen. Er ist im Haus!<<

>>Beruhigen Sie sich. Wo sind Sie?<<

Verzweifelt gab Emily die Adresse durch. Ihre Stimme brach mehrmals. >>Bitte… er hat meine Freundin…<< Dann plötzlich Dunkelheit. Stille.

29. Dezember 2020, 22.34 Uhr

Ein Stromausfall? Sicher kein Zufall. Er war ganz in ihrer Nähe. Sie brauchte Licht. Wenn sie würde fliehen müssen, war sie darauf angewiesen. Emily erinnerte sich, bei ihrer Suche nach der Kerze für den Whirlpool eine Taschenlampe im Schrank neben der Treppe entdeckt zu haben.

Vorsichtig tastete sie sich in Richtung des Flurs. Bei jeder unerwarteten Berührung zuckte sie zusammen. Sie unterdrückte einen Schrei, als ihr Fuß gegen ein Möbelstück stieß. Einen Sturz konnte sie erst im letzten Moment verhindern. Endlich fand sie die Lampe. Emily klammerte sich daran, ihr Leben hing davon ab.

Wo sollte sie sich verstecken, auf die Polizei warten? Bliebe sie im Erdgeschoss, wäre sie schneller an der Haustür. Doch wenn Emily sich in diesem Stockwerk einschloss, könnte der Verrückte durch ein Fenster in den Raum gelangen. Die junge Frau umfasste das Treppengeländer. Sie musste nach oben.

Langsam, eine Stufe nach der anderen. Sie wählte die dritte Tür rechts, fuhr mit ihren Fingern über das Holz. Soweit sie sich erinnerte, war dies Herrn Rubes Büro. Doch da war kein Schlüssel. Emily erschrak. Sie hatte keine Zeit mehr. Wenn sie noch länger nach einem Versteck suchte, wäre das ihr Ende.

Leise schloss sie die Bürotür. Sie konnte nur hoffen, dass er sie nicht gehört hatte. Die Taschenlampe leuchtete kurz auf. In der Ecke stand ein Ledersessel. Emily verkroch sich dahinter, spürte die Kühle des Bezugs. Ihr Herz pochte. In ihren Ohren rauschte es.

Dumpfe Schritte. Der Fußboden knarrte. Emily roch ihren eigenen Angstschweiß. Salz brannte in ihren Augen. Dann… öffnete sich die Bürotür.

29. Dezember 2020, 22.46 Uhr

Der Mörder betrat den Raum. Hielt still. Sie vernahm sein Atmen, das Rasseln seiner Lunge. Emily musste es versuchen. In der völligen Dunkelheit, die sie beide umgab, konnte er sie nicht sehen. Aber früher oder später würde er ihr Versteck finden. Ohne ein Geräusch zu verursachen, kroch sie hinter dem Sessel hervor. Auf allen Vieren tastete sie sich an der Wand des Büros entlang. Nur noch ein paar Meter. Ja, sie würde es schaffen!

Plötzlich spürte sie eine raue Hand an ihrer Schulter, an ihrem Hals. Brutal wurde sie zu Boden gedrückt. Das Messer rutschte aus ihrem Griff. Die Taschenlampe, die sie zwischen Haut und BH geklemmt hatte, drückte schmerzhaft gegen ihre Rippen. Der Mörder warf sie herum, riss an ihrem Pullover. Sie spürte, wie der Stoff nachgab. Mit einem Ruck packte er die Taschenlampe, schaltete sie an. Emily blinzelte. Der Lichtstrahl blendete sie. Als der Mann die Lampe zu Boden richtete, sah sie ihn vor sich. Groß, muskulös, blutig. Er hielt ihr Messer umklammert. Etwas bedeckte sein Gesicht. Eine Maske? Nein, ein Nachtsichtgerät!

Mit einer schnellen Bewegung packte er dieses, warf es zur Seite. Er hob den Blick. Emily erstarrte. Sie hätte diese stechend blauen Augen überall wieder erkannt.

>>Ich dachte, du wärest klüger, Emily. Ich meine, bisher konntest du dein Ding durchziehen, ohne dass dir auch nur einer auf die Schliche gekommen wäre… Und dann bist du so dumm, kommst in dieses verdammte Horrorhaus, weit und breit nichts, weil dich irgendjemand in den sozialen Medien kontaktiert? Den du nie zuvor gesehen hast? Hat dir deine Geldgier etwa komplett den Verstand geraubt?<< Er schüttelte ungläubig den Kopf, konnte es nicht fassen. >>Ach ja, das Jobangebot stammt natürlich von mir. Hätte ich mir gleich denken können, dass du nicht widerstehen kannst, wenn dich ein reicher Mann um Hilfe bittet… Nun, damit hast du Sandras und Alexanders Todesurteil unterschrieben, Süße.<< Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Amüsiert betrachtete er Emilys zunehmende Verwirrung. >>Was… Henryk…<<

>>Freut mich, dass du dich nach all den Jahren noch an mich erinnern kannst. Das ist wohl auch das Mindeste, nach dem was du mir angetan hast, Miststück! Das Foto unten auf dem Smartphone, erkennst du das nicht wieder?<< Emily runzelte die Stirn. >>Der weiße Bikini…<<

>>Unser letzter gemeinsamer Urlaub, kaum zu glauben, wie schnell die Zeit verging… Ich wäre deine große Liebe, hast du mir so lange ins Ohr geflüstert, bis ich es geglaubt, bis ich dir haufenweise, teure Geschenke gemacht habe! Und wie dankst du es mir? Erzählst es meiner Frau! Juliane hat sich scheiden lassen, die blöde Schlampe, und die Kinder mitgenommen… Ich darf sie noch nicht mal mehr sehen!<< Henryks muskulöser Körper verspannte sich. Der Zorn überwältigte ihn. Sie sah es in seinem Blick. Er konnte sich gerade noch zurückhalten.

>>Henryk, bitte, das wollte ich doch nicht…<<

Laut schallendes Lachen erfüllte den Raum.

>>Wen willst du hier hinters Licht führen, hm? Unglaublich, du versuchst immer noch zu betrügen, zu lügen, dich aufzuspielen? Wie vielen Männern hast du das gleiche Schicksal bereitet? Wie viele haben deshalb auch den Job verloren?<< Emily riss die Augen auf. Henryk war Immobilienmakler gewesen. Sein ganzes Lebenswerk. War er etwa so auf dieses Haus aufmerksam geworden? Ihr ehemaliger Liebhaber spuckte ihr vor die Füße.

>>Ich habe nichts mehr, Emily, nichts. Juliane war die Reiche, ich lebte von ihrem Geld… Tja und dann hab ich erfahren, dass das Ehepaar Rube diese Burg hier loswerden möchte. Durch Zufall, kannte Sandra, Alex und ihren beschissenen Hund ja noch aus den guten alten Zeiten. Sieh dich um, Emily, ist das nicht der perfekte Ort, um dich abschlachten zu können?<< Schwindel erfasste Emily. Sie würde die Nacht nicht überleben.

>>Damit du nicht auf der Stelle wieder umdrehst, hab ich die Rubes das Video erstellen lassen. Die beiden müssen da schon verstanden haben, dass ich sie zu Hackfleisch machen würde. Hast du ihre Gesichter gesehen?<< Henryk kicherte wirr. Er war wahnsinnig.

>>Die… die Rose…<< Erinnerungen brachen auf sie ein. An jenem Abend am Strand. Sie spürte noch immer das Stechen der Stacheln, wenn sie daran dachte. Die Blume roch verführerisch nach leidenschaftlichen Nächten unter dem Sternenhimmel. Henryk hatte ihr die Rose in die Hand gedrückt. Er versprach…

>>Ich würde dich immer auf Rosenblättern betten, weißt du das noch? Das hab ich dir gesagt. Ein paar der Rosenblätter habe ich noch. Vielleicht sollte ich dir das Maul damit stopfen?<< Emily schluckte. Damals hatte er ihr auch die Ohrringe geschenkt. Die, die in Frau Rubes Schlafzimmer lagen.

>>War nicht schwer herauszufinden, dass du deine Masche bei einem reichen Mann nach dem anderen abziehst. Aber ich habe dein Geheimnis durchschaut…<<

>>Wieso Denise?<<, unterbrach ihn Emily. Im Angesicht des Todes fasste sie neuen Mut. Sie wollte nicht sterben.

Henryk hob die Arme zu einer entschuldigenden Geste. >>Die war mir im Weg… und ein bisschen zu fett für meinen Geschmack.<<

Da brannten Emily die Sicherungen durch. >>Du Mistkerl, Denise hatte mit der ganzen Sache nichts zu tun…<<

Ihre Gedanken überschlugen sich. >>Du bringst drei Menschen um, tötest Peach, nur um dich an mir zu rächen?<<

>>Peach? Ach der dreckige Köter… Der hat schön fleißig das Hundefutter gefressen, dass ich ihm hingelegt hatte, nachdem Sandra… naja … Kam wohl nicht auf die Idee, dir zu zeigen, wo ich bin. Aber ich…<< Er wurde unterbrochen. Doch nicht von Emily. Von einer Polizeisirene.

29. Dezember 2020, 22.56 Uhr

Nur eine Sekunde. Henryk wandte nur eine Sekunde lang den Blick von Emily ab. Und Emily erkannte ihre Chance. Er gab einen überrascht klingenden Laut von sich, als sie sich nach vorne warf, ihn festhielt und zu Boden zog. Hart schlug Henryk auf. Emily hörte seinen linken Ellenbogen brechen. Im selben Augenblick brüllte er in ihr Ohr, fuchtelte um sich. Die Taschenlampe, davon in Bewegung gesetzt, drohte außer Reichweite zu gelangen. Ohne Licht war sie ihm ausgeliefert. Gerade noch rechtzeitig bekam Emily die Lampe zu fassen. Dann ein Brennen. Feuer. In ihrer Seite begannen sich flammende Schmerzen auszubreiten. Sie sah das Messer, wie es niederging, immer wieder. Henryk stach wie ein rasender Irrer auf sie ein. Sie fühlte Muskeln, ein Organ reißen. Blut quoll aus der Wunde, tränkte den teuren Perserteppich unter ihnen.

Schatten erschienen am Rande ihres Blickfelds. Wenn sie nun nichts unternahm, war es zu Ende. Emily legte all ihre Kraft in den Schwung. Die schwere Taschenlampe traf Henryk an der rechten Schläfe. Er schwankte, aber er fiel nicht um. Emily kroch davon. Er packte sie an der Wade, doch sie konnte sich befreien. Sie fühlte ihre Nägel brechen, als sie sich am Türrahmen Stück für Stück aufrichtete. Henryk atmete schwer. Er befand sich nur wenige Meter von ihr entfernt. Blut rann über ihre Finger, als sie das Treppengeländer erreichte. Sie stürzte sich nach unten. Hinter ihr vernahm sie das Monster, spürte seine Krallen in ihrem wehenden Haar. Er schrie. Schleim traf ihre Haut. Das Messer schwang hörbar durch die Luft.

Licht fiel durch die Haustür. Sie sah die Umrisse eines Mannes, angestrahlt von Scheinwerfern. Emily sprang zur Seite. Schüsse. Henryk sank auf die Knie. Blut tropfte von seinen Lippen. Sein Kopf wandte sich ein letztes Mal in ihre Richtung, Hass blitzte auf. Er kippte nach hinten. Vor Emilys Augen wurde alles schwarz.

31. Dezember 2020, 23.59 Uhr

>>Zehn, neun, acht…<<, riefen ihre Eltern, ihre Freunde. Sie lächelten, hielten sich an den Händen. Das hier war es, was sie brauchte. Kein Geld der Welt könnte ihr das bieten. >>…zwei, eins!<< Korken knallten. Ihre Schwester Nicole, die neben ihr auf dem Krankenbett saß, umarmte sie freudestrahlend.

Emily hatte es eilig damit, gesund zu werden. Zuhause wartete Peach auf sie. Vielleicht mochte sie Hunde ja doch ein kleines bisschen.

4 thoughts on “Die Kellertür

  1. Hallo Bianca,
    Ich bin gerade auf deine Geschichte gestoßen, weil der Titel mich magisch angezogen hat 😁. Deine Idee finde ich gut und die Aufteilung mit Datum und Uhrzeit gut gewählt. Dein Schreibstil ist schön klar, der Lesefluss gut. Ich persönlich hätte mir deine Geschichte an manchen Stellen noch etwas beklemmender gewünscht.

    Liebe Grüße

    Maddy
    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/alte-bekannte Alte Bekannte.

    P. S Mein Like hast du natürlich 😁

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