carry-95Eine moderne Shakespeare Komödie

 Als der Wecker morgens um 7 Uhr das erste Mal klingelte wusste Luis, dass er eigentlich schon viel zu spät dran war.

„Scheiße!“, dachte er und zog sich schnell an.

Sein Chef würde ihn garantiert wieder zur Sau machen, so viel stand fest. Luis war ein eher androgyner Typ, eher schon weiblich, weshalb ihn sein Chef sowieso irgendwie seltsam behandelte. Er zog sich im Eiltempo an, putze sich die Zähne und verließ die WG. Der Kaffee musste heute warten. Ca. 1 Stunde hatte er noch, bis Luis den Pitch ihrer Marketingkampagne bei einem wichtigen Kunden durchführen sollte und seine Unterlagen waren noch in der Agentur. Den Job in der Marketing Agentur hatte er recht schnell ergattert, doch im letzten Jahr sollte er vorrangig Kaffee holen, Präsentationen erstellen und gelegentlich seinen Kollegen bei kleineren Aufgaben unterstützen. Dieser Pitch war nun seine erste Möglichkeit, seinem Chef und den Schnepfen im Büro endlich zu beweisen was in ihm steckte. Die Schnepfen, oder besser gesagt seine anderen Kolleginnen, hatten ihm den Start in der Agentur alles andere als leicht gemacht. Er war anders, war zwar für einen Mann nicht besonders groß, hatte aber schöne, etwas weibliche Gesichtszüge und trug die Haare ganz kurz. Seine Statur war eher schlaksig. Er passte nicht in Ihr Beuteschema und machte sich auch nichts aus Ihren Flirtversuchen – das passte ihnen anscheinend nicht. Als er das Büro betrat, waren noch 30 Minuten bis zum Pitch übrig.

„Morgen“, raunte er in das Großraumbüro.

„Du bist ja reichlich spät dran“, erwiderte Isabel, die Tratschtante des Büros. „Der Chef hat dich schon vor 20 Minuten gesucht“.

„Jetzt bin ich ja da“, erwiderte Luis.

„Das hilft dir nur leider auch nichts mehr“ sein Chef trat an den Schreibtisch. „Tut mir leid Luis, aber du bist viel zu spät. Ich werden den Pitch allein machen. Ein bisschen mehr Zeitgefühl würde dir wirklich guttun, mein Lieber.“

Luis sagte nichts. Ihm war bewusst, dass er in der Agentur auf der Abschussliste stand, und er kaum Möglichkeiten hatte seinen Ruf wieder reinzuwaschen. Er setze sich deprimiert auf seinen Platz und begann die E-Mails zu checken. Es dauerte eine ganze Weile bis ihm einfiel, dass er immer noch keinen Kaffee gehabt hatte. Also öffnete er die Schublade seines Schreibtisches und holte eine Kapsel seines Lieblingskaffees hervor. Seine Vorräte brachte er vorsichtshalber vor Isabel in Sicherheit. Irgendetwas leuchtete in der Schublade und Luis konnte nicht zuordnen, woher das Licht kam. Außer Nüssen, der Schachtel mit den Kaffeekapseln und vielleicht noch ein paar Stiften war in der Schublade nicht viel zu finden. Er hob die Schachtel an und fand ein altes HTC Desire, ein ca. 10 Jahre altes Smartphone, welches definitiv nicht ihm gehörte. Es lag auf der Hand, wer sich heimlich an seiner Schublade bedient haben musste. Mit einem Ruck drehte er sich um und blaffte Isabel an.

„Sag mal spinnst du jetzt komplett? Was habt ihr an meiner Schreibtischschublade zu suchen?“

„Warum sollten ich bitte an deine Schreibtischschublade gehen?! Und selbst wenn, bei deiner Reaktion könnte man fast meinen, du hast was zu verheimlichen“, entgegnete Isabel.

„Bullshit“, erwiderte Luis. „Kümmere dich einfach um deinen eigenen Scheiß, verstanden?!“

Gut, dann war es eben nicht Isabel. Aber irgendjemand durchwühlte seine Sachen und das gefiel ihm gar nicht. Jemand musste das Smartphone in der Schublade vergessen haben, als sie durchwühlt wurde. Vielleicht fand er ja eines dieser schrecklichen Pärchen-Bilder als Hintergrundbild, welches ihm half, den Täter zu identifizieren. Besagtes Foto hatten schließlich fast alle der Weiber im Büro, um zu demonstrieren, wie glücklich sie in ihren Beziehungen waren.

Doch als er die Sperrtaste des alten HTC Desires drückte und das Display so zum Leuchten brachte, gefror ihm das Blut in den Adern. Er blickte nicht in das Gesicht irgendeiner 08/15 Blondine, sondern in sein eigenes. Ihm wurde schlagartig kotzübel. Raus. Er musste raus an die frische Luft. Kaum hatte er den Bürgersteig erreicht, übergab er sich. Das konnte nicht sein. Nicht hier. Nicht jetzt. Nach fast 10 Jahren in denen er vermeintlich erfolgreich versucht hatte, sich ein neues Leben aufzubauen. Das Studium, die Wohnung, der Job und sogar einen Freundeskreis hatte er sich hier aufgebaut, um das zu verdrängen, was damals passiert war. Er drückte erneut die Taste des HTC Desires, das er starr vor Schreck mit nach draußen genommen hatte, und betrachtete das Bild. Wie war es möglich, dass dieses Smartphone direkt in seiner Schublade lag. An dem Ort, der seiner Meinung nach am weitesten weg von seinem Geheimnis lag. Er übergab sich ein zweites Mal, als ihn das Klingeln des Smartphones aus der Trance riss.

 

„Hast du mich vermisst?“, klang es glockenhell aus dem Lautsprecher des HTC Desires. „Denk nicht daran weg zu laufen – wie du merkst, finde ich dich überall!“ Die Stimme hatte aufgelegt. Er kannte Sie genau.

Luis wusste nicht wie ihm geschah. Er hätte lachen, weinen, schreien können, doch in dieser Sekunde kam ihm nur ein Gedanke – er musste verschwinden. So wie damals. Es hatte schließlich schon einmal funktioniert. Den Job würde er kündigen, da waren vermutlich sowieso alle mehr als froh, dass er freiwillig ging. Die WG konnte er ohne Probleme verlassen und die Miete einfach in Bar auf dem Tisch liegen lassen. Nur was erzählte er Hanna? Seit Hanna vor knapp einem Jahr in die WG gezogen war, entwickelte sie sich fast zu so etwas wie seiner besten Freundin.

 Einmal, als die beiden betrunken nach einer durchzechten Nacht im Münchner Club „AWI“ am Ufer der nahegelegenen Isar noch ein wenig über Gott und die Welt philosophierten, hatte Luis es ihr fast gebeichtet. „Manchmal wünsche ich mir irgendwo anders ganz neu anzufangen“, hatte Hanna gesagt. Sie wurde mal wieder von einer ihrer vermeintlichen großen Lieben verlassen.

„Weißt du, ich meine irgendwo, wo dich keiner kennt und du all das sein kannst, was du gerne wärst. Das kann man hier nicht so einfach umsetzen. Wenn ich mich von heute auf morgen von Grund auf ändern würde, dann stünden morgen zig Leute vor meiner Tür, um mich zu fragen, was mit mir los ist. Manchmal möchte ich einfach frei sein“, erklärte sie ihre Gedanken.

„Das ist gar nicht so schwer, wie du denkst.“ Mehr sagte Luis nicht und Hanna war so in ihren eigenen Gedanken versunken, dass sie glücklicherweise nicht weiter nachfragte.

 Sie war der einzige Mensch, bei dem ein Kontaktabbruch sehr schmerzhaft sein würde. Die langen Gespräche, die fast schon gespenstische seelische Verbindung, die er zu ihr hatte. Sollte er sie vielleicht doch einweihen? Nein, das konnte er nicht, es war zu gefährlich für sie und auch für ihn.

Luis schrieb eine kurze SMS an seinen Chef und meldete sich krank. Nicht optimal in Anbetracht des vergeigten Pitches heute, aber ihm blieb nichts anderes übrig.

Er ging jedes Szenario Schritt für Schritt im Kopf durch, während er wie von der Tarantel gestochen in seine WG lief.

 Dort angekommen stolperte er in sein Zimmer und begann seine Sachen zu packen. Scheiße, er hörte Musik aus Hannas Zimmer.

„Hey Luis, bis du das? Wie lief die Präsentation? Ich hoffe gut, heute ist nämlich einfach ein wunderschöner Tag und das möchte ich gerne mit dir feiern!“

Wahnsinn. Sie bestand quasi nur aus guter Laune, das war echt ein Phänomen. Er stammelte irgendetwas zurück und wurde noch hektischer. Notfall Geld, die kleine Sporttasche mit ein paar Klamotten, ein Prepaid Handy, und den Schal seiner Lieblingsfußballmannschaft Hamburger SportVerein, welchen er als einzige Erinnerung an sein altes Leben damals mit nach München brachte. Das HTC Desire steckte er in die Seitentasche. Er rannte in die Küche, schrieb schnell einen kleinen Abschiedsbrief, in dem er seinen Auszug verkündete, und legte ein paar Scheine für die letzte Miete dazu. In all der Hektik bemerkte er nicht, dass Hanna schon seit ein paar Minuten in der Küche stand und ihn beobachtete.

„Kannst du mir mal bitte sagen, was du da treibst?“, fragte sie und starrte in sein entsetztes Gesicht.

„Jetzt nicht, Hanna“, antwortete Luis. „Bitte, lass mich einfach in Ruhe. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich muss sofort weg!“

„Wow. Und ich dachte du bist mein bester Freund. Und jetzt willst du einfach weg?“ Luis versuchte sie auszublenden, nicht in ihr enttäuschtes Gesicht zu blicken. Er stürmte an ihr vorbei aus der Küche, wobei die Tasche zwischen Hanna und ihm eingeklemmt wurde. Das Smartphone flog aus der Seitentasche zu Boden und leuchtete auf. Hanna warf einen Blick auf es. Sie sah ein schlankes, androgynes Mädchen, das mitten in den Teenagerjahren steckte. „Ist das deine Schwester? Die sieht dir ja wirklich unglaublich ähnlich!“ „Ja, genau, meine Schwester“ antworte Luis verdutzt. „Du hast nie erzählt, dass sie Cheerleaderin war! Seit wann hast du eigentlich ein so altes Handy?“ bohrte Hanna weiter.

Luis hatte noch nie einen Menschen getroffen, der in so kurzer Zeit sein Leben so gut analysieren konnte. Er wollte ihr davon erzählen. Alles, was ihn schon so lange belastete. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt und würde den Abschiedsschmerz nicht so groß machen. Er atmete tief durch und begann abzuwägen. Er konnte ihr vertrauen, das wusste er. Hanna würde alles für ihn tun. Nein, sie würde alles für Luis tun, aber würde Sie auch alles für Luisa tun?

 

… Da begann es wieder. Die Erinnerungen an damals holten ihn ein und der Flashback übermannte Ihn. Und alles um ihn wurde schwarz.

 Es war nass, kalt und dunkel. Die Lampe in der Sportumkleide hatte schon seit Ewigkeiten einen Kurzschluss, das kümmerte glücklicherweise aber niemanden. Also standen sie nun da zu sechst in ihren Cheerleaderkostümen und umzingelten eine kleine Gestalt auf dem Boden. Sie hatten sich für dieses Vorhaben bewusst für dieses Outfit entschieden, um die Demütigung noch zu verstärken….

 Luis schrak hoch. Damals, kurz nachdem es passierte und er nach München geflohen war, kamen diese Flashbacks in sehr regelmäßigen Abständen und in den unpassendsten Situationen, doch je mehr er sich mit seiner neuen Identität anfreundete, desto seltener geschah es.

Er war wieder in der Küche, saß zusammengekauert und von Tränen überströmt in der Ecke. Scheiße, das war definitiv nicht der Plan. „Ich muss jetzt los“, sagte Luis, rappelte sich auf, steckte das HTC Desire ein und sah in Hannas entsetztes Gesicht. Mehr brachte er nicht heraus.

Luis verließ die WG und trat auf die Straße. Er lief auf das nächstbeste Taxi zu, 20€ in Bar hatte er noch dabei. Sein restliches Vermögen wollte er gleich noch von seinem Konto abheben. Seinen Job in der Agentur würde er dann kündigen, sobald er in der neuen Stadt war. Seine Gedanken überschlugen sich. Wohin sollte er als nächstes? Vielleicht nach Berlin, das war eine sehr anonyme Stadt. Und mit der neuen ICE Verbindung dauerte die Fahrt gerade mal fünf Stunden.

„Zum Hauptbahnhof, bitte“, wies er dem Taxifahrer die Richtung. Er warf einen Blick auf das HTC Desire. Allein der Blick auf es warf in ihm so unendlich viele Fragen auf.

Wie konnte Sie ihn finden? Er hatte schließlich alles unternommen, um weg von seinem alten Ich zu kommen, weg davon was vor 10 Jahren geschehen war. Die Taxifahrt wurde von seinen Gedanken beherrscht. Luis platze fast. Er hatte so lange geschwiegen und etwas in seiner Brust fühlte sich an, als müsse es schlagartig aus ihm ausbrechen. Er hätte doch mit Hanna sprechen sollen, seinen Gedanken Raum geben. Als sie den Hauptbahnhof erreichten, gab Luis dem Taxifahrer die 20€ und verließ das Taxi. In einer nahgelegenen Filiale der Commerzbank hob er sein ganzes Geld ab. 5000€ – das reichte erstmal für die ersten Monate, damit er sich ein neues Leben aufbauen konnte. Als er aus der Bank trat, stolperte er gegen eine kleine, dunkelgekleidete Person. Luis hörte noch die Worte „um mich los zu werden musst du schon etwas früher aufstehen, mein Lieber“, bevor es wieder schwarz um ihn wurde.

 

…Er befand sich wieder in der dunklen Sportumkleide. Auf dem Boden kauerte die Gestalt immer noch wie ein Häuflein Elend. Das törnte die sechs Mädels an. Nicht nur auf eine sexuelle Art, das, was sie gleich mit diesem Etwas auf dem Boden anstellen würden, taten sie vor allem, um die Gestalt zu demütigen. „Zieh dich aus, Sarah!“, keifte die Älteste von ihnen, ihrer Anführerin. Sarah zögerte kurz, tat dann jedoch wie von

ihr verlangt. „Sehr schön. Siehst du den Besen im Eck? Ich hab mich schon immer gefragt, wie weit man den in eine Muschi schieben kann. Aber das würde ja weh tun. Weißt du was? Du testest es für uns!“, verkündete sie ihren bestialischen Plan…

 

Als Luis wieder zu sich kam, befand er sich auf dem Bürgersteig. Doch vor ihm stand nicht wie erwartet eine Person mit seltsam förmiger Narbe im Gesicht, sondern Hanna. „Und nun erklärst du mir endlich was hier Sache ist. Ich mach mir verdammt nochmal echt Sorgen um dich, Luis!“. Mit diesen Worten stellte sich Hanna vor ihn und versperrte ihm den Weg. Noch vollkommen verwirrt von dem wiederholten Flashback brach er in Tränen aus. Er wollte eigentlich sagen „Hanna, ich kann nicht! Das bringt dich nicht nur in Gefahr“, doch stattdessen nahm ihn Hanna bei der Hand und führte ihn auf eine Bahnhofstoilette. Hier in den verdreckten Sanitäranlagen des Bahnhofs, fühlte sich Luis auf einmal sicher. Es platze förmlich aus ihm heraus. „Das was ich dir gleich erzählen werde, wird deinen Blick auf mich für immer verändern. Du wirst mich hassen und dich fragen, wie ich dich solange belügen konnte. Ich bin ein schrecklicher Mensch, Hanna. Und deshalb erzähle ich dir jetzt, was los ist. Mein Name ist nicht Luis. Ich habe diesen Namen vor 10 Jahren angenommen. Dafür gab es einen schrecklichen Auslöser, auf den ich nicht stolz bin und den ich dir leider auch nicht verraten kann. Ich habe nicht nur meinen damaligen Namen abgelegt, sondern meine ganze Identität. Hanna, hast du dich denn nicht schon öfter gefragt, warum ich nie eine Freundin hatte oder auf Grey’s Anatomy und Gossip Girl abfahre?“ „Naja“, erwiderte Hanna, „ich dachte halt du wirst dich irgendwann schon offiziell outen“.

 Bei dieser Aussage musste Luis fasst laut auflachen.

„Nicht ganz. Was ist mit meiner Stimme? Die ist sehr hell, nicht wahr? Hanna, ich bin nicht als Junge geboren worden. Mein Name ist eigentlich Luisa Steiner und aufgewachsen bin ich in der Steiermark. Ich war schon immer eher ein androgyner Typ, deshalb war es das Einfachste nicht nur meinen Namen, sondern alles, was auf Luisa Steiner hindeutet, abzulegen. Ich ging nach München und fing mein neues Leben als Mann an. In der Hoffnung, mein altes Ich würde mich nie wieder einholen.“ Die Tür der letzten Toilette sprang auf und ein „Na endlich!“, erhellte den Raum.

„Ich dachte schon, du sprichst nie mit ihr darüber!“ Die Tür der letzten Toilettenkabine sprang auf und vor Luis, bzw. eigentlich ja Luisa, stand Sarah.

Sie hatte sich kaum verändert. Die Haare trug sie immer noch mittellang, nur Ihre Statur hatte sich deutlich transformiert. Ihr Körper war bulliger, sie hatte wohl angefangen zu trainieren. Und auf ihrem Gesicht erblickte Luisa ein seltsam förmige Narbe.

„Herzlichen Glückwunsch Luis, oder sollte ich lieber Luisa sagen? 1000 Punkte! Du hast den Test bestanden.

Luisa sah Sarah entsetzt an, als sie den Revolver in ihrer Hand entdeckte. Und umringt von dem schrecklichen Bahnhofslärm, wurde um Luisa herum wieder alles schwarz…

 

…Die Gestalt kauerte auf dem Boden. Sie hatten das Mädchen gezwungen, sich den Besen in die Muschi zu schieben. Als er drin war, traten sie auf das Borstenende ein und schoben den Besen so nur noch tiefer in die misshandelte Gestalt. Das Mädchen schrie vor Schmerz. Doch damit nicht genug. „Luisa, Schätzchen“, kam es wieder von der Anführerin, „was hältst du davon, unseren nächsten Schritt durchzuführen?“. Sie streckte ihr einen elektrischen Rasierapparat entgegen mit dem Luisa Sarahs Haare wegrasieren sollte. Luisa tat wie ihr befohlen. Es war ihr egal wie sehr Sarah schrie. Es zählte einzig und allein, dass Luisa endlich im Cheerleading Teams anerkannt wurde – und dafür war ihr jedes Mittel recht! Als Luisa fertig war, konnte Sarah nicht einmal mehr schreien…

 

… Luisa fand sich wieder in der Bahnhofstoilette, zusammen gekauert auf dem Boden. Sie versuchte sich langsam, den Schock noch verdauend, zu erheben.

„Ich verstehe nicht“, begann Luisa zu stammeln. „Hanna? Was hat das alles zu bedeuten?“

„Nun stell dich doch nicht dümmer als du bist!“, antwortete Sarah auf Luisas Gestammel hin. „Das liegt ja wohl klar auf der Hand, oder? Hanna ist meine zwei Jahre jüngere Cousine aus München. Ich habe sie bei euch in die WG geschleust.“

„Aber woher wusstest du, wo ich bin? Bitte Sarah, verzeih mir!“, versuchte Luisa das Schlimmste zu verhindern.

„Verzeihen? Dir? Ich bitte dich! Ihr wart eine Gruppe perfiden Schlampen! Hanna, möchtest du, dass ich dir die ganze Geschichte erzähle?“ Sarah wartete gar nicht erst auf Hannas Antwort. „Ich ging vor zehn Jahren in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hamburg zur Schule. Ich war nicht beliebt, aber das war mir egal. Erst vor ein paar Wochen war ich mit meinen Eltern in das Dorf gekommen und hatte mich in der Schule direkt in Markus verliebt. Ich hatte Glück, er erwiderte meine Gefühle – nur leider war er zu diesem Zeitpunkt noch mit der Teamführerin des Cheerleading Teams zusammen. Markus wollte sie für mich verlassen. Das gefiel ihr wohl nicht. Eines Tages überraschten sie und ihr Cheerleader Team mich, als ich gerade in der Bibliothek saß und brachten mich in eine Sportumkleide. Sie trugen ihre Cheerleader Kostüme, als ob sie mir irgendwas beweisen hätten müssen.“

„Stopp, hör auf!“ sagte Luisa. „Ach das ist ja niedlich? Kannst du immer noch nicht mit deiner Schuld umgehen, Schätzchen?“ Sarahs Worte klangen verachtend. Kein Wunder bei dem, was Luisa und ihr damaliger Freundeskreis mit ihr angestellt hatten.

„Sie haben mich gezwungen, mich auszuziehen, bevor sie mir befahlen, mir selbst einem Besenstil in den Intimbereich zu schieben. Danach traten sie mir den Besen noch tiefer in meine Eingeweide. Luisa schor mir die Haare und als Abschiedsgruß ritzten sie mir mit einer Rasierklinge das Wort „Fotze“ ins Gesicht. Als ich dachte, sie seien fertig, öffneten sie die Tür. Herein trat der Hausmeister der Schule. Ihm wurde nachgesagt, dass er eine pädophile Neigung hat. Naja, was soll ich sagen – ich als 17-Jähriges Mädchen war wohl voll und ganz nach seinem Geschmack. Ich fühlte mich danach so schmutzig, hatte überall Schmerzen und einen blutüberströmten, kahlrasierten Schädel. Vier Wochen behandelten sie meine inneren Verletzungen und die in mein Gesicht eingeritzte Schnittwunde. Niemand glaubte mir. Die Cheerleader rund um Luisa schoben alles auf den Hausmeister und verließen nach und nach die Stadt. Markus wollte nicht mehr mit mir zu tun haben. An diesem Tag schwor ich mir, dass ich euer Leben zerstören werde, so wie ihr es mit meinem getan habt! Ich machte es mir zur Hauptaufgabe, euch ausfindig zu machen.“

Luis erinnerte sich daran, dass vor ca. zwei Jahren der plötzliche Tod der Cheerleader Anführerin die Runde machte. Und auch die anderen Mädels schienen nach und nach von der Bildfläche zu verschwinden.

„Das kann nicht sein! Wie hast du mich gefunden?“, wollte Luisa wissen.

„Schätzchen, dein Instagram Account wurde mir vorgeschlagen. Deine Verkleidung war gut, doch deine Gesichtszüge würde ich unter 1000 wiedererkennen. Ich beauftragte also meine liebe Cousine Hanna dir zu folgen. Als ihr auf der Suche nach einer neuen Mitbewohnerin wart, bewarb sich Hanna – und baute eine Beziehung zu dir auf. Um dir alles zu nehmen, musste ich allerdings noch warten, bis dein Leben scheinbar perfekt lief. Fast ein Jahr – der blanke Horror. Also brachte Hanna, als der richtige Zeitpunkt gekommen war, dein altes HTC Desire, das ich übrigens deiner Mutter abkaufte, in deine Schreibtisch Schublade deines Arbeitsplatzes. Oft genug besucht hatte sie dich ja schließlich, da war es nur eine Frage der Zeit, bis das Smartphone an seinem Platz war. Ich wollte, dass du dich ihr öffnest. Dass du anfängst, deine Schuld zu verarbeiten, bevor ich dein Leben endgültig zerstöre.“

Der Revolver klickte, als Sarah den Hahn spannte. „Warte! Sarah es tut mir leid! Wirklich. Ich leide unter dem, was wir dir angetan haben und wusste nicht, wie ich das wieder hätte gut machen sollen. Bitte bring mich nicht um!“, flehte Luisa.

„Oh keines Wegs, Schätzchen! Du wirst dich selbst umbringen“, war Sarahs trockene und kühle Antwort. „Hanna, gibst du mir bitte deinen Revolver?“ Hanna holte einen zweiten Revolver aus ihrer Tasche und reichte ihn an Sarah weiter. „Als Sarah mir vor gut einem Jahr erzählte, dass sie dich gefunden hatte, wusste ich, dass ich ihr helfen würde. Ich kannte zwar die ganze Geschichte nicht, aber die Narbe, die sich bis heute auf Ihrem Gesicht befindet, war perfide genug. Du bist Abschaum, Luisa! Aber eins muss man dir lassen – die Sache mit dem Geschlechterwechsel war wirklich gut.“

Sarah gab Luisa den Revolver in die Hand. „Halt dir den Revolver an den Kopf. Wenn ich bis drei gezahlt habe, drückst du ab. Falls nicht, werde ich abdrücken. Sieh es als kleine Wiedergutmachung. Du musst nicht ganz so lange in der Hölle schmoren.“

Luisa wusste nicht wie Ihr geschah. Sie überkam eine Welle von Angst, Trauer und Wut, aber irgendwo in der hintersten Ecke verspürte Luisa auch so etwas wie Erlösung.

Sarah musste überhaupt nicht bis drei zählen – den Abzug der Feuerwaffe betätigte Luisa von ganz allein bei der eins.

2 thoughts on “Eine moderne Shakespeare Komödie

  1. Die Geschichte ist dir wirklich gut gelungen. Das Ende ist schön böse und irgendwie und irgendwo auch total unerwartet. Das ist sowieso immer sehr nach meinem Geschmack. Dein Schreibstil gefällt mir ebenfalls gut. Jedoch kam es im mittleren Teil immer zu Missverständnissen im Leseverständnis.. aber vielleicht ging es da auch nur mir so..
    All in all eine gute Geschichte! Dran bleiben!:)

  2. Deine Geschichte hat mich sehr überrascht. Ich hab nicht damit gerechnet, dass es so krass werden könnte. Dementsprechend ist dir das ziemlich gelungen. Als kleiner Kritikpunkt: ich war beim Lesen oft verwirrt und musste die Sätze mehrmals lesen, bis ich sie verstanden hab. Das kann aber auch bloß an mir liegen, an sich finde ich die Idee mega, nur fand ich es nicht so flüssig geschrieben.

Schreibe einen Kommentar