Theresa-F.Ich weiß etwas, was du nicht weißt

Es war ein verregneter Maitag gewesen. Ein Mittwoch, um genau zu sein. Vielleicht hatte es auch nur genieselt, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern. Es gab so vieles, an das sie sich nicht erinnern konnte. Auch jetzt befand sie sich wieder im Mai. Ein Mittwoch im Mai.

Regen rann an ihrem langen Mantel herab, durchnässte ihr Jeans und die neuen Stoffschuhe. Sie rannte, ohne nach links oder nach rechts zu blicken, schlängelte sich durch die wenigen Fußgänger, die bei diesem scheußlichen Wetter unterwegs waren. Unbedingt musste sie diesen Bus noch erwischen, sonst kam sie wieder zu spät. Aber ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, dass sie es nicht schaffen würde. Und genau in diesem Moment fuhr auch schon der Bus an ihr vorbei, genau auf die Haltestelle zu, an der niemand stand. Nur ein junger Student stieg aus. Sie sah gerade noch, wie der Bus wieder anfuhr, als ihr eine hochgewachsene Gestalt den Weg versperrte. „Vorsicht!“, rief sie noch, doch auch in dieser Situation war sie zu spät.

Und dann kam der Aufprall. Sekunden später lag sie auf dem nassen Fußgängerweg, um sich ihre Ledertasche, aus der mehrere Schreibutensilien herausgeflogen waren. Der Mann, gegen den sie gerannt war, rappelte sich mühsam auf und ging ohne ein Wort davon. „Na danke auch!“, murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen und begann, ihre verstreuten Sachen aufzusammeln. Da entdeckte sie auf einmal ein Handy, welches nicht ihr gehörte. Schnell richtete sie sich auf und versuchte, den Mann zwischen den Regenschirmen auszumachen. Doch er war verschwunden. Spurlos verschwunden. Verwundert blickte sie sich um, konnte jedoch nichts als Regen erkennen. „Wo bist du?“, murmelte sie noch, als das Handy in ihrer Hand anfing, zu vibrieren. Erschrocken blickte sie auf das leuchtende Display, welches den Eingang einer Nachricht verkündete. Eigentlich schnüffelte sie nicht in den Sachen anderer, aber diesmal siegte ihre Neugier. Vielleicht war der Absender ja ein Bekannter des Mannes und konnte ihr helfen, dass Handy zurückzubringen. Zuerst aber blickte sie sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass der Mann nicht mehr zurückkam, dann tippte sie auf die Nachricht.

Ein neues Fenster öffnete sich. Es waren nur ein Satz, schwarze Buchstaben auf weißem Grund, doch die Frau versteinerte sofort. Sie wusste nicht woher diese Reaktion kam, nur, dass sie auf einmal panische Angst bekam. Das Blut schien in ihren Adern zu gefrieren, auf ihrem Gesicht machte sich ein Ausdruck des Entsetzens breit. Nur ein Satz, doch dieser traf die Frau, mitten ins Herz.

Ich weiß etwas, was du nicht weißt. An die Nachricht waren fünf Bilder angehängt. Eigentlich wollte sie diese gar nicht öffnen, doch ihre Finge führten ein Eigenleben. Als sie die Bilder erblickte, schlug sie ihre Hand vor den Mund. Es waren fünf Fotos, teilweise sogar verwackelt, allesamt ziemlich unscharf. Sie waren in der Nacht entstanden, man konnte nur wenig erkennen. Doch viel wichtiger war, was sich im Zentrum der Fotos befand. Sie selbst. Sie selbst war auf allen Fotos. Und dort stand ein Datum. Der 22. Mai 2019. Die Nacht eines Mittwochs im Mai. Zitternd schloss sie die Augen, als unerwünschte, verdrängte Erinnerungsteile sie überwältigten. Doch sie beschloss, die Augen wieder zu öffnen und weiterzugehen. Das alles durfte sie nicht aus der Fassung bringen. Ein weiterer Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihr, dass sie genau jetzt in der Klinik hätte sein sollen. Aber wenn sie sich beeilte, schaffte sie noch die U-Bahn und kam nur fünfzehn Minuten später an. Also rannte sie los.

„Wie geht es Ihnen?“ „Fällt Ihnen nicht einmal etwas Originelles ein?“ „Also gut, wie fühlen Sie sich?“ Die Frau kniff die Lippen zusammen, sodass es aussah, als hätte sie nur noch einen Strich, anstatt eines Mundes. „Besser“ „Aber ich sehe trotzdem, dass Sie etwas beschäftigt“, ihre Psychotherapeutin lächelte ihr aufmunternd zu. „Ich weiß nicht ganz, aber vorhin hatte ich das Gefühl, als würde ich mich an etwas erinnern“ „Haben Sie es geschafft?“ „Ich konnte nicht. Vielleicht will ich es aber auch gar nicht“ „Rebecca, ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie auch bereit dafür sind“ „Ich weiß“, Rebecca bemühte sich um einen freundlichen Ton, doch langsam hatte sie all die Gespräche über ihre Vergangenheit satt. Vielleicht, weil sie sich auch nicht erinnern konnte. Sie wusste nur noch, dass es ein Mittwoch gewesen war. Ein verregneter Mittwoch im Mai. Was in der Nacht geschehen war, wusste sie nicht mehr, nur, dass sie am nächsten Morgen in ihrem Bett aufgewacht war. Völlig nass und schmutzig. Und mit viel Blut an ihren Händen. Sie hatte nicht mehr gewusst, was passiert war, wer sie überhaupt war oder wo sie gewesen war. Noch heute spürte Rebecca diese drückend schwere Angst, die sich damals auf ihren Brustkorb gelegt hatte und bis heute nicht ganz verschwunden war. „Warum kann ich mich nicht erinnern?“, flüsterte Rebecca und starrte ihre Psychotherapeutin nervös an. Diese seufzte kurz, aber dennoch so lang, dass ihre Patientin es mitbekam. „Sie haben vermutlich einen schweren Schock erlitten. Irgendetwas hat Sie so aufgewühlt zurückgelassen, dass Ihr Gehirn es für besser befunden hat, Ihnen den Zugang zu dieser Erinnerung zu verwehren.“ Die beiden hatten dieses Gespräch schon hundertmal geführt, dennoch brachte Rebecca die Sprache immer wieder darauf. „Wenn Sie bereit sind, reden Sie mit mir“ Rebecca rang sich mühsam ein Lächeln ab und nickte. „Ich wollte zum Theater. Zum Royal National Theatre.“ Es war ihr Lieblingstheater in ganz London, mindestens einmal im Monat besuchte sie es. „Was ist dann passiert?“, die Psychotherapeutin fixierte Rebecca mit ihren kleinen, schlauen Augen. Rebecca wippte unruhig auf ihrem Stuhl auf und ab. „Ich weiß es nicht, aber ich glaube, ich habe etwas Schreckliches gesehen. Noch heute bricht mir der Angstschweiß aus, wenn ich nur an diese Nach denke. Mein Herz rast, mein Puls schnellt in die Höhe und meine Hände fangen unruhig an zu zittern.“ Ihre Therapeutin blickte sie nur nachdenklich an, schrieb etwas in ihr Notizbuch und sah dann kurz aus dem Fenster, hinter dem man die Silhouette Londons erkennen konnte. „Ich muss jetzt gehen!“, antwortete Rebecca nur, obwohl sie fast noch eine Viertelstunde gehabt hätten. Sie konnte dieses Gespräch nicht mehr weiterführen, denn ihr Kopf schwirrte immer noch von der vorherigen Begegnung. Ihre Therapeutin nickte. „Wir sehen uns nächste Woche.“ „Ja, ich werde kommen.“

Als Rebecca aus der Klinik trat, hatten sich die Wolken am Himmel verzogen und Sonnenlicht, wenn auch zögerlich, fiel auf sie herab. Als sie gerade den Weg zu einem kleinen Café einschlagen wollte, vibrierte es erneut in ihrer Tasche. Sofort war die Angst zurück. Sie wusste, dass es nicht ihr Handy war, dieses verstaute sie immer sicher in ihrer Ledertasche. Doch trotz ihrer Angst griff Rebecca in die Tasche ihres Mantels und fischte das Handy heraus. Wer auch immer ihr diese Nachrichten schickte, er hatte Informationen über sie und wahrscheinlich auch über die Nacht, an die sie sich nicht erinnern konnte. Erneut war eine Nachricht eingegangen. Ich weiß, wer du bist. Mehr stand dort nicht. Rebecca verstaute das Handy wieder in ihrem Mantel, dann schlug sie die entgegengesetzte Richtung zum Café ein. In dieser Situation konnte ihr nur einer helfen.

Er hob spöttisch eine Augenbraue. „Hätte nicht gedacht, dich mal wiederzusehen!“ „Kann ich reinkommen?“, fragte sie zögerlich. Als hätte er den Ernst der Lage erkannt, nickte er nur und führte sie in sein Wohnzimmer. „Was willst du von mir?“ Er setzte sich in seinen Lieblingssessel, sie blieb auf der Kante des gemütlichen Sofas sitzen. „Ich muss mit dir reden!“ Wieder hob er seine Augenbraue. „Es geht um letztes Jahr.“ Kurz huschte ein Schatten über sein Gesicht, den er jedoch mit einem Lächeln fortwischte. „Ich brauche deine Hilfe. Die Vergangenheit scheint mich einzuholen!“ Rebecca sah ihn bittend an, den Mann, den sie einmal geliebt haben musste. „Ich dachte, wir wollen endlich mal darüber reden, was mit uns passiert ist?“, seine Stimme war belegt und er wandte sich ihr ab, um aus seinem riesigen Panoramafenster zu blicken, hinaus auf seinen gepflegten Garten, der sein ganzer Stolz war. Schmerz machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Felix, du weißt, dass ich mich nicht erinnern kann!“ Doch er drehte sich nicht um. Er war ihr Exfreund. Zumindest hatte er das gesagt, als er sie im Krankenhaus besuchen kam. Kurz nachdem Rebecca an jenem Tag aufgewacht war, hatte sie sich ins Krankenhaus geschleppt. Ihr fehlte nichts, dennoch hatte man sie eine Nacht dabehalten. Und dann war Felix gekommen. Hatte sich als ihr Exfreund vorgestellt, doch Rebecca hatte ihn nicht erkannt. Sie hätte wahrscheinlich nicht mal ihre eigene Mutter erkannt, so kaputt, wie sie gewesen war. Und noch immer konnte sie sich nicht genau daran erinnern, was passiert war. Und welcher Mensch sie vor diesem Mittwoch gewesen war. Aber immer wieder tauchten einzelne Gedankenfetzen in ihrem Gehirn auf. Sie wusste, dass sie sich in seinem Wohnzimmer sicher und vertraut fühlte, sie kannte die Umgebung. Anderes blieb ihr dagegen bis heute verborgen. „Also gut, was willst du?“ Rebecca sah ihn erst erstaunt, dann glücklich an. Mit so einem schnellen Sinneswandel hatte sie nicht gerechnet. „Heute Morgen, da bin ich mit einem Mann zusammengestoßen. Er hat das hier fallen gelassen“, sie zog das Handy aus ihrer Manteltasche und überreichte es Felix. „Und dann kamen die Nachrichten. Und die Fotos.“ Sie sah, wie Felix sich durch die Nachrichten klickte, sich die Fotos ansah und erstaunt den Mund aufriss. „Ist das der Tag?“ Rebecca nickte. „Wo ist das?“, er zeigte ihr eines der Fotos, auf denen man Rebecca im schnellen Laufschritt sehen konnte. „Clissold Park“ „Hast du dich daran erinnert?“ „Nein, dafür hatte ich Google“, zum ersten Mal lächelte Rebecca aus freien Stücken. „Was hast du dort gemacht?“ Sie schloss verzweifelt die Augen und massierte sich ihre Schläfen, in denen bereits wieder das Hämmern begann, welches sie fast jeden Tag verfolgte. „Versteh doch Felix, ich kann mich an nichts erinnern. Mir fehlen sogar einige Erinnerungen, die gar nichts mit dieser Nacht zu tun haben. Ich weiß nur noch, dass ich zum Royal National Theatre wollte. Danach ist alles schwarz. Ich weiß nur, dass irgendetwas Schreckliches passiert sein muss. Als ich am nächsten Tag aufgewacht bin, lag ich wieder in meinem Bett. Und an meinen Händen klebte Blut. Jedes Mal, wenn ich versuche, mich zu erinnern, spüre ich die alte Angst, die meinen gesamten Körper befällt. Weißt du denn, was ich dort gewollt haben könnte?“, sie blickte ihn hoffnungsvoll an. Wenn einer wissen konnte, wo sie sich warum aufhielt, dann war es doch ihr Freund, oder? Felix hatte ihr im Krankenhaus erzählt, dass sie sich erst kürzlich getrennt hatten, vielleicht war das Beziehungsaus noch so frisch gewesen, dass er wusste, warum sie an jenem Tag ins Theater hatte gehen wollen. Denn sie spürte, dass da viel mehr dahintersteckt, als nur ein normaler Theaterbesuch. Für einen kurzen Moment zögerte Felix. Jetzt war ihre Neugier geweckt. „Du weißt doch etwas!“ „Ich… du wolltest dich mit Vickie treffen“ „Vickie?“, echote Rebecca, als sie ein taubes Gefühl befiel. Sie hörte Wortfetzen, roch vertraute Gerüche und sah die Erinnerungsteile, die in einem bunten Wirbel in ihrem Kopf trudelten. „Wer ist Vickie?“

Er sah sie erstaunt an. „Eine gute Freundin von dir. Ihr seid gern ins Theater gegangen, habt euch am liebsten Opern und Musicals angeschaut“ „Warum ist sie mich nie besuchen gekommen?“ Die meisten ihrer alten Freunde waren irgendwann zu ihr gekommen. Obwohl sie sie nicht erkannt hatte, hatte sie irgendwann verstanden, warum es ihre Freunde waren. „Sie…sie ist verschwunden“ „Ist sie…?“ Doch Felix schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß es nicht. Sie ist kurz nachdem das mit dir war verschwunden, oder davor, das weiß ich nicht mehr so genau. Bis heute weiß niemand, ob sie tot oder einfach nur abgehauen ist. Wobei es eher Hinweise darauf gibt, dass sie wirklich tot ist. Ihre Schwester hat sich in ihrer Wohnung umgesehen. Pass, Führerschein, Geld- alles noch da“ „Warum hat mir das niemand erzählt?“, sie hörte selbst, wie ihre Stimme immer lauter wurde. „Man glaubte, dass dich das zu sehr aufwühlen würde“ Als wäre alle Luft aus ihr herausgewichen, sackte Rebecca in sich zusammen. „Glaubst du, mein Gedächtnisverlust hat etwas mit Vickie zu tun?“ Erstaunt sah er sie an. Dieser Gedanke war ihm wahrscheinlich noch gar nicht in den Sinn gekommen. „Du denkst also, du hast vielleicht gesehen wie…“ Anstelle einer Antwort nickte sie. „Was, wenn sie ermordet wurde?“, mit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, „Was ist, wenn ich es gesehen habe?“ Da kam ihr auf einmal wieder in den Sinn, wie die Polizisten sie kurz nach der Nacht befragt hatten. Sie waren in ihr Haus gekommen, hatten sich dort breitgemacht und sie bestimmte Sachen gefragt. Was sie an diesem Abend habe machen wollen. Woher sie gekommen war. Ob sie verabredet gewesen war. Vielleicht mit einer guten Freundin? Rebecca schreckte aus den Erinnerungen auf, als Felix ein paar Schritte auf sie zutrat. „Du musst mir versprechen, nicht auf eigene Faust zu handeln, versprochen?“, er sah ihr fest in die Augen. „Wenn du wirklich miterlebt haben solltest, wie Vickie ermordet wurde, dann muss der Täter noch auf freiem Fuß sein!“ „Denkst du, das Blut war von ihr?“ Zögernd nickte er. „Du warst doch nicht verletzt, oder?“ Sie schüttelte mit dem Kopf, wobei ihre stumpfen, braunen Haare um sie herum flogen. „Vielleicht wolltest du Vickie helfen. Du warst schon immer gut in erster Hilfe“, er lächelte ihr zu, aber es war ein schmerzhaftes Lächeln. „Ich muss noch einmal dort hin!“, energisch umfasste sie seinen Arm. „Okay. Wir treffen uns morgen, sagen wir um fünf? Dann habe ich Feierabend und wir schauen uns das zusammen an!“ Widerwillig nickte sie. Die Abenteuerlust hatte sie gepackt und sie wollte am liebsten gleich sofort losstürmen. Aber es war eigentlich klar gewesen, dass er jetzt nicht mehr zu solchen unerwarteten Abenteuern bereit war. Draußen dämmerte es inzwischen und durch ein geöffnetes Fenster zog ein kalter Wind. „Dann bis morgen“, murmelte sie, schulterte ihre Tasche und ging nach Hause.

Als sie im Bett lag, konnte sie nur schwer einschlafen. Immer wieder quälten sie düstere Gedanken und Ängste. Den ganzen Rückweg von seinem Haus hatte sie ständig das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Es war, als wäre der unbekannte Mann hinter ihr her gewesen. Aber immer, wenn sie sich schließlich umgedreht hatte, war da nichts gewesen. „Meine Ängste gehen mit mir durch“, murmelte sie, als sie in ihrem Bett lag. Da ertönte wieder das Vibrieren, welches sie den ganzen Tag begleitet hatte. Hektisch sprang sie auf und durchwühlte ihre Jackentasche, bis sie das fremde Handy gefunden hatte. Im Dunkeln schien das Display noch greller zu leuchten. Als sie ihre Augen kurz zukniff und wenige Sekunden später wieder öffnete, war es schon etwas erträglicher geworden. Gespannt und zu einem kleinen Teil auch ängstlich, öffnete sie die neue Nachricht. Ich weiß, was passiert ist. Ihre Finger schwebten über dem Display, schweißnass und zitternd. Da fasste sie einen Entschluss. Was ist passiert? Tippte sie nervös ein und wartete gespannt auf eine Antwort. Folge mir, wenn du es herausfinden willst. Sie atmete scharf ein, dann tippte sie eine Antwort. Wie? Der Fremde ließ sich nicht lange bitten. 23:00 Uhr, Royal National Theatre. Sie blickte auf ihre Uhr. 23:00Uhr, das war in exakt dreizehn Minuten. Von ihrer Wohnung aus brauchte sie zu Fuß mindestens zwanzig Minuten. Doch sie zögerte nicht lange, schlüpfte blitzschnell in ihre Klamotten, warf sich einen Mantel über und stürmte mit dem Handy aus ihrer Wohnung. Diesmal durfte sie nicht zu spät kommen. Sie wusste, dass ihre Handlungen viel zu überstürzt waren und sie wahrscheinlich die größte Dummheit ihres Lebens beging, aber anscheinend konnte ihr der Fremde helfen, etwas Licht in die Dunkelheit zu bringen.

Als sie es in einer Rekordzeit von zehn Minuten zum Theater geschafft hatte, blieb sie atemlos vor der riesigen Tür stehen. Sie stützte ihre Hände auf ihre Beine und atmete schwer. Dann richtete sie sich auf und sah sich nachdenklich um. Als sie wieder auf ihr Handy sah, war der Bildschirm schwarz, doch die Uhr zeigte 23:02 Uhr an. War das alles nur ein schlechter Scherz gewesen? Dann jedoch ertönte der Laut, der sie in den letzten Stunden immer wieder verfolgt hatte. Aber nicht das Handy in ihrer Hand vibrierte, sondern ein anderes auf der obersten Stufe, welches sie erst jetzt durch das Aufleuchten des Displays entdeckte. Sie rannte die letzten Stufen nach oben und griff atemlos nach dem Handy. Auf dem Bildschirm war eine neue Nachricht erschienen. Mittwoch, 22. Mai 2019. Eine junge Frau war auf dem Weg zum Royal National Theatre, um sich mit ihrer besten Freundin Vickie zu treffen. Doch dazu sollte es niemals kommen. Mit angehaltenem Atem las sie die Nachricht. Im Anhang fanden sich wieder einige Bilder, worauf sie ebenfalls klickte. Sie erkannte sich selbst, wie sie auf dem Weg zum Theater war und danach vor dem riesigen Portal stand. Was wollte dieser Fremde von ihr? Sekunden später ploppte eine neue Nachricht auf. 23:20 Uhr, Fleet Street. Schnell sah sie auf einer Karte in ihrem eigenen Handy nach. 21 Minuten zu Fuß. Sie begann erneut zu rennen und folgte der Nachricht hinein in die Nacht.

In der Straße angekommen hielt sie sich angestrengt die Seite und starrte auf das Handy: 23:20, sie war pünktlich angekommen. Wieder fand sie in ihrer Nähe ein anderes Handy, welches sich durch ein Leuchten und Vibrieren bemerkbar machte. Und wieder gab es eine Nachricht. Nachdem die Frau bemerkte, dass ihre Freundin nicht auftauchen würde, rief sie auf deren Handy an. Doch Vickie meldete sich nicht. Der Frau kam das merkwürdig vor, ihre Freundin war sonst nie zu spät, anders als sie selbst. Ratlos starrte Rebecca auf die Nachricht. Es war offensichtlich, dass der Fremde ihr gerade die Geschehnisse der Nacht erläuterte, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte. Doch warum wusste er, was passiert war? Und die viel wichtigere Frage, die sie sich eigentlich hätte stellen sollen: wer war ER überhaupt? Da erreichte sie eine neue Nachricht. 23:45 Uhr, University of London. Sie starrte erneut auf ihre Uhr, dann rannte sie los. So langsam fing sie an, sich wie in einem Katz und Maus Spiel zu fühlen. Sie war dabei aber die Maus. Eine kleine, unbedeutende Maus, die von einer riesigen Katze gejagt und hin und her gescheucht wurde.

Als sie an der nächsten Adresse ankam, wusste sie schon, was sie als nächstes erwarten würde. Und wieder fand sie ein Handy, mit einer Nachricht und Bildern darauf. Sie las sie leise. Also ging die Frau nach einigen Minuten los, um ihre Freundin zu suchen. Es war ein regnerischer, kalter Maiabend. Sie fröstelte, als sie sich auf die Suche begab. Sie suchte die University of London ab, an der ihre Freundin studierte. Auch an diesem Tag hatte sie Uni gehabt. Oft hockte sie dort noch bis spät in den Abend vor den Toren, um zu lesen. Aber sie fand sie nicht. Also huschte die Frau zum Breakfast Angels Club, da sie sich dort oft vor ihren Theaterbesuchen trafen, um sich noch einen kleinen Snack zu gönnen. Aber auch dort war von ihrer Freundin keine Spur. Also ging sie weiter. Rebecca hielt den Atem an, während sie die lange Nachricht las. Im Anschluss sah sie sich die angehängten Bilder an. Wieder stand sie selbst im Fokus. Man sah sie vor der University of London, im Breakfast Club und in den Straßen von London. Woher hatte der Fremde all diese Bilder? Woher wusste er so viel über sie und ihre Freundin? Rebecca kannte die Antwort nicht. Aber sie beschloss, sie herauszufinden.

Die nächsten Nachrichten schickten sie zum erwähnten Breakfast Club. Danach zum Canonbury Bahnhof und zur St. Augustines Church. So langsam erinnerte sie sich wieder an die Umgebung. Sie erschien ihr vertraut, als sie die Gerüche in sich aufsog, die ganzen Eindrücke, die ihr Auge gerade erfasste, auch wenn es mitten in der Nacht war. Und die Geschichte wurde weitererzählt. Sie folgte einer bestimmten Route, die sie selbst nicht einmal kannte. Doch sie hatte ein konkretes Ziel. Sie lief an der Kirche vorbei, die sie seit ihrer Kindheit kannte und versuchte immer wieder, ihre Freundin auf dem Handy zu erreichen. Langsam machte sich eine schlimme Ahnung in ihr breit. Sie konnte nicht genau beschreiben, was für eine es war, aber sie hatte das gruselige Gefühl, gleich Zeuge etwas Schlimmen zu sein. Dennoch ging sie immer weiter, setzte Fuß vor Fuß.

Inzwischen war sie im Clissold Park angekommen. Dem Ort, den sie zuerst auf den Fotos erkannt hatte. Sie betrachtete den Eingang zum Park. Sollte sie jetzt wirklich dort hineingehen? Mitten in der Nacht? Es war stockfinster und immer wieder knackte es bedrohlich im Gebüsch. Doch sie versuchte, ihre Angst zu bekämpfen, auch wenn diese immer größer wurde. Sie wusste, dass sie dem Ziel nah war. Die Lösung aller Fragen schien direkt vor ihr zu liegen, sie musste nur noch die letzten Schritte gehen. Also setzte sie zögerlich den ersten Schritt in den Park. Er war dunkel und unheimlich, aber ihre Neugier war größer als die Angst. In ihrer Nähe, keine zwei Meter entfernt stand eine Bank, einsam und verlassen. Auf ihr lag das nächste Handy, welches nun unheimlich zu leuchten begann. Es war die einzige Lichtquelle, alle Laternen schienen defekt oder aus zu sein. Die Frau war auf dem Weg zum Haus ihrer Freundin. Als sie gerade den Park durchquerte, eine Abkürzung, damit sie die vollen Straßen umgehen konnte, sah sie ihre Freundin. Doch diese war nicht allein. Sie setzte sich auf die Parkbank, das Handy in ihrer Hand. Ihr Atem ging schwer, doch sie konnte nicht sagen, warum. Sie spürte die Angst tief in ihr sitzen, wie ein Ungeheurer, welches nur darauf lauerte, dass sie einen falschen Schritt tat und sich zu weit an seine Höhle heranwagte. Doch wenn sie diese Rätsel lösen wollte, musste sie stark sein und dem Ungeheuer ins Gesicht blicken. Sie sah erneut auf das Handy, jedoch waren keine weiteren Nachrichten eingetroffen. Inzwischen war es schon ein Uhr, sie war seit zwei Stunden durch London gewandert, einem mysteriösen Fremden und seinen Texten folgend. Auf einmal legte sich eine behandschuhte Hand auf ihren Mund. Sie versuchte strampelnd, sich aus dem Griff zu befreien, aber dieser war zu fest. „Möchtest du nicht erfahren, was in jener Nacht passiert ist?“, flüsterte da auf einmal eine raue, dumpfe Stimme an ihr Ohr. Warmer Atem streifte ihre Wangen und brachte ihre Haut zum Glühen. Langsam nickte sie und der Fremde ließ sie aus seinem Griff frei. Dann umging er die Parkbank einmal, bis er direkt vor ihr stand. Sein Gesicht steckte unter einer riesigen Maske, die sein gesamtes Gesicht, außer Augen und Nase, verdeckte. Er bedeute ihr, ihm zu folgen und schritt vorneweg, direkt auf das Herz des Parks zu.

Eifrig folgte sie ihm und versuchte dabei herauszufinden, wer er war. Es war eine hochgewachsene, männliche Gestalt, ganz in schwarz gekleidet. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, wie die eines Tigers und er bewegte sich selbstbewusst fort. Er war das genaue Gegenteil zu ihr. Als sie in der Mitte des Parks angekommen waren, blieb er vor einem kleinen Gebäude stehen. „Es war genau hier“, knurrte er, seine Stimme klang durch die Maske gedämpft und rau. Sie trat näher, die Angst folgte ihr. „Du hast sie gesehen.“ Ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihr breit. „Wen denn?“, fragte sie verwirrt, doch sie spürte bereits, wie sie anfing, sich zu erinnern. Einzelne Episoden, Worte und Gespräche drangen zu ihr. „Felix.“ Der Fremde nickte. „Ja. Er war mit Vickie zusammen, deiner besten Freundin. Deine beste Freundin und dein fester Freund haben sich im Park getroffen“ Er nickte ihr zu, gab ihr zu verstehen, weiterzuerzählen. „Ich kann nicht“, sie schüttelt verzweifelt den Kopf. Ihr Körper drohte zu zerspringen, die Angst nahm ihr jegliche Luft zum Atmen und auf einmal machte sich ein schwindelerregendes Gefühl von Übelkeit in ihr breit. Langsam ließ sie sich auf den Boden fallen. „Sie haben sich geküsst. Dein Freund hat dich hintergangen. Doch danach hatten sie diesen Streit“ „Es ging um mich“, stieß sie atemlos hervor. Tränen standen in ihren Augen. „Ja. Vickie wollte, dass er weiter mit dir zusammenbleibt, dich und dein Geld ausnutzt. Er wollte eure Beziehung beenden“ „Und dann bin ich dazugekommen“ Der Fremde nickte ihr zu. Sie schnappte japsend nach Luft, hielt sich die Hand auf ihren Brustkorb. Sie hatte sich zu dicht an die Höhle herangewagt. Das Ungeheuer war erwacht und würde sie mit Haut und Haaren verschlingen.

„Oh Gott. Oh Gott“, stieß sie hervor und schlug sich die Hand vor den Mund. „Wie konnte das passieren?“ Der Fremde blickte sie traurig an. Er hatte Mitleid mit ihr. Denn sie hatte sich erinnert.

Sie wusste noch immer, was für eine Wut in ihr gebrannt hatte. Als sie ihre Freundin endlich zu Gesicht bekommen hatte, war das Wiedersehen nicht so gewesen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hätte niemals damit gerechnet, ausgerechnet die beiden zu sehen. Sie hatte immer gedacht, die treuesten und loyalsten Menschen um sich zu haben. Sie hatte sich getäuscht. Schließlich war sie aufgestanden und losgestürmt. Sie hatte nicht mehr mit ansehen können, wie die beiden miteinander redeten, als wäre sie ein Paar. Und Vickie, diese verlogenen Schlange wollte die Affäre auch noch weiterführen. Es war schon ziemlich spät gewesen, der Park war fast menschenleer und in der Dunkelheit hatte sie aufpassen müssen, wohin sie trat, überall hatten zerbrochene Flaschen, Äste und Hundekot gelegen. Als sie nur noch wenige Meter entfernt gewesen war, hatten die beiden sie gesehen. Da war das Fass in ihr übergelaufen.

„Wie konntet du nur, du verlogenen Schlange!“, hatte sie geschrien. Sie hatte den Streit der beiden unterbrochen und beide wirkten ehrlich erschrocken. „Und du!“, hatte sie hervorgestoßen und ihn angeblickt. „Ich wollte es beenden“, er war schuldbewusst auf sie zugetreten, hatte sie in den Arm nehmen wollen. Doch sie hatte sich seinem Griff entwunden. „Er wollte das Ganze nie beenden!“, hatte Vickie höhnisch verkündet und ihn förmlich mit ihren Blicken durchbohrt. „Er ist jetzt nur zu feige, um dir zu sagen, dass er mich liebt!“ „Was fällt dir ein!“, hatte er geschrien, genauso wutentbrannt, wie Rebecca es zuvor getan hatte. Zornig hatten sich die drei angestarrt.

„Was ist dann passiert?“, inzwischen wiegte sie sich auf und ab, wie ein kleines Kind. Sie wollte ihre Augen vor der Wahrheit verschließen, wollte nicht mit ansehen, wie sich die Puzzleteile aneinanderfügten. Wieso hatte sie bei diesem Spiel überhaupt mitgemacht? Wieso war sie den Nachrichten einfach so blind gefolgt? Doch es war zu spät, um umzukehren. „Hat er?“ Der Fremde sah sie auf einmal mit liebevoller Miene an. „Du weißt es ganz genau, Rebecca“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf, obwohl sie wusste, dass ihre Antwort eine Lüge war. „Du weißt es ganz genau. Du musst dich nur erinnern!“

Und sie konnte sich erinnern. Sie konnte sich an jedes schreckliche Detail der Nacht erinnern. Sie konnte sich sogar an die Gerüche und die Geräusche erinnern. Das Gluckern eines Baches, der leicht faulige Geruch des Mooses, welches weich unter ihren Füßen gelegen hatte. Aber am deutlichsten konnte sie sich an den Geruch von Blut erinnern.

Sie wusste noch genau, wie es passiert war. Doch sie wünschte sich, dass sie es einfach hätte vergessen können. Es war, als würde ihre gesamte Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Übrig blieben nur noch Schutt und Asche von dem, was einmal ihr Leben gewesen war.

Irgendwann war ihr der Geduldfaden geplatzt, sie wusste auch noch genau, wann das gewesen war. Es war, als Vickie sie wieder mit diesem höhnischen, hinterhältigen Lächeln angestarrt hatte. In diesem Moment war einfach etwas in ihr explodiert. Und dann hatte sie zugeschlagen. Sie hatte ihr einfach ins Gesicht geschlagen, eine schallende Ohrfeige verpasst. Zuerst hatte sich Vickie nur erschrocken die Wange gehalten, doch dann hatte sie sich mit einer eigenen Ohrfeige revanchiert. Und so war das Ganze schließlich ausgeartete. Rebecca wusste immer noch genau, wie sie auf einmal diesen einen großen Stein vom Boden aufgehoben hatte, der ihr schon bei ihrer Ankunft aufgefallen war. Genau diesen hatte sie Vickie einfach so über den Kopf gezogen. Sie wusste noch genau, was für ein schreckliches Geräusch erklungen war, als der Stein auf Vickies Kopf getroffen war. Und danach war es ruhig gewesen. Eine unnatürliche, gespenstische Stille hatte sich über den ganzen Park gesenkt, es war, als hätte ganz London die Luft anhalten. Schockiert hatte sie damals auf ihre Hände gestarrt und den Stein fallen gelassen. Dann war ihr der stechende, metallische Geruch in die Nase gestiegen.

„Ich habe sie getötet“, flüsterte sie erstickt und blickte dem Fremden tief in die Augen. Auf seltsame Weise schien er sie zu verstehen. „Und ich habe sie geliebt“, murmelte er leise, aber sie vernahm seine Worte dennoch. Sie stand hektisch auf. „Felix?“, rief sie hysterisch. Langsam nahm der Fremde seine Maske vom Kopf und offenbarte sein wahres Gesicht. Zitternd wich sie ein paar Schritte vor ihm zurück. „Aber, aber warum das alles?“ „Ich habe sie wirklich geliebt. Alles war perfekt, bis du uns dazwischengefunkt hast. Weißt du wie sehr ich dich verabscheue?“ Es war eine rhetorische Frage, das stand nicht zur Debatte. „Du hast sie einfach umgebracht!“, er spucke die Worte förmlich aus. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. „Nein. Nein.“, murmelte sie immer wieder und schüttelte den Kopf. In diesem Moment begriff sie, dass sie selbst das Ungeheuer war. Sie hatte einen Menschen auf dem Gewissen! „Ich wollte Rache. Ich wollte dich dafür büßen lassen, dass du sie umgebracht hast. Erst wollte ich zur Polizei, aber als ich dann den Anruf bekam, dass du im Krankenhaus liegst, völlig verängstigt und ohne Gedächtnis an die letzte Nacht, habe ich es mir anders überlegt. Warum sollte ich dich an die Polizei ausliefern, wenn ich viel lieber meine persönliche Rache nehmen konnte? Ich wollte, dass du leidest, dass du Angst hast, dass diese dich überwältigt. Ich will dich zerstören, will deine gesamte, rabenschwarze Seele vernichten. Nichts soll mehr von dir übrig bleiben. Nichts soll mehr vorhanden sein, von dem Menschen, der die Frau, die ich liebte, umgebracht hat!“ Sie versuchte immer noch, Abstand zwischen sich zu bringen, aber er kam immer näher. Ein bedrohliches Glitzern lag in seinen Augen, das ihm etwas Raubtierhaftes verlieh. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich stimmte, was er da von sich gab, aber sie wusste, dass es wahr war. Sie erinnerte sich wieder. Und das war schmerzhafter, als alles andere.

Sie weinte unaufhörlich, war trotzdem vor Schock gelähmt, nicht in der Lage, ordentlich zu sprechen, zu atmen oder zu gehen. Da fiel sie über einen Mülleimer, der am Wegesrand stand. Sie hatten sich inzwischen wieder von dem Gebäude in der Mitte entfernt, waren unter die Bäume gegangen, wo das Licht noch dunkler, die Schatten noch länger waren. „Ich habe jeden Moment meiner Rache vollständig ausgekostet. Ich habe dich immer verfolgt, habe gesehen, wie dir vor Angst die Knie geschlottert haben, wenn du meine Nachrichten bekommen hast und langsam das Puzzle zusammensetzen konntest. Es hat mir eine große Freude bereitet, dich zu zerstören“ „Aber woher wusstet du das alles?“ „Das wichtigste an einer Geschichte ist doch nur, dass man sie gut erzählt, oder?“, er kam ihrem Gesicht ein Stückchen näher. „Ich gebe zu, vieles war ausgedacht. Aber das spielt keine Rolle. Ich habe dich zerstört. Jetzt fehlt nur noch eines.“ „Was?“, sie sah ihn mit aufgerissen, angsterfüllten Augen an. Sie konnte nicht glauben, wie ihr ganzes Leben auf einmal auf dem Kopf stand. Eben war sie noch eine verängstigte junge Frau gewesen, die von einem Termin zum anderen hetzte. Im nächsten Moment war sie eine Mörderin. Eine Mörderin, die ihre beste Freundin umgebracht hatte. Auf einmal lächelte er. Es war kein warmes, freundliches Lächeln. Es war kein trauriges Lächeln. Es war ein Lächeln, so dunkel, wie die Nacht und so grimassenhaft, wie eine verunstaltete Clownsmaske. Etwas Gefährliches, Bedrohliches lag in diesem Lächeln. So genau, wie sie gewusst hatte, dass in jener Nacht etwas Schreckliches passiert war, so genau wusste sie, dass auch in dieser Nacht etwas Schreckliches passieren würde. In einer Nacht im Mai, genau ein Jahr später. Sie schloss zitternd die Augen, als er einen riesigen Stein herausholte. „Es fehlt nur noch, dass du das gleiche Schicksal wie Vickie erleidest“

 

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