LionLover, Leaver, Taker, Believer

Lover, Leaver, Taker, Believer

Das Wort Paranoia kommt von dem griechischen παράνοια paránoia und bedeutet „Wieder den Verstand“, also „Verrückt“ oder „Wahnsinnig“. Gemeint ist eine psychische Störung in deren Mittelpunkt Wahnbilder stehen. Erkrankte nehmen ihre Umwelt verzerrt wahr, was sich in ängstlichem bis zu aggressivem Misstrauen widerspiegelt. Daraus entwickeln sich Stück für Stück gravierende persönliche und soziale Beeinträchtigungen. Wie würden Sie ihr Leben gestalten, wenn Sie niemanden mehr vertrauen könnten und jeder ihnen schaden wolle? Vermutlich würden Sie die meiste Zeit verunsichert versuchen Andere zu studieren, um zu erfahren, warum Alle ausgerechnet Sie verurteilen. Doch eines kann ich Ihnen sagen, Sie würden sich sehnsüchtig an die alte Zeit erinnern, denn Niemand wird misstrauisch geboren. Wir sind nur das Ergebnis jahrelanger Beeinflussung.                                                Es war noch recht früh, doch die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich schon verzweifelt durch den kühlen Wintermorgen. Lucia Kjeldsen beobachtete die seichte Nebelschicht, die sich sanft über die Felder legte, von ihrem Stehplatz aus. An jedem Morgen, sei er so geschmeidig wie der heutige oder eher kalt und düster wie die meisten Tage in ihrer tristen Existenz, stand sie an dieser Stelle. Ihre Dorfschaft war die letzte die der Bus anfuhr und die meisten Plätze waren schon längst besetzt, bevor der Bus an ihrer Haltestelle eintraf. Natürlich gab es einige freche Kinder, die es für nötig hielten ihren Rucksack auf den Platz neben sich zu legen, doch Lucia würde sie nicht darum bitten den Sitz frei zu machen. Das war einfach nicht mehr sie. Die neue Lucia ging Menschen, fremd oder bekannt, aus dem Weg, denn nur so fühlte sie sich sicher. Sie konnte die verurteilenden Gedanken praktisch sehen. Und selbstverständlich sah sie auch die Blicke der verschlafenen Schüler, die sich amüsierten, wenn sie versuchte sich mit ihrem dünnen Armen an der Stange zu halten. Meistens stand sie, mit gesengtem Kopf und den schwarzen Locken im Gesicht, still da, um die Busfahrt schnell und schmerzlos zu überstehen. Dennoch war der heutige Morgen ein kleiner Lichtblick. Ein kleines Zeichen mit der Notiz, dass die aufblühende Jahreszeit bald zurückkommt. Dieser Tag war einfach anders als sonst, beinahe wie früher bevor sie sich entschloss ihr fröhliches Leben gegen das Fegefeuer einzutauschen. Sie traf eine bewusste Entscheidung und musste nun mit den verdammten Konsequenzen leben. Lucia versuchte diese schlechten Gedanken zu vertreiben und lies ihren Blick über die herrliche Landschaft streifen, als sie eine bekannte Silhouette, mitten auf einem kahlen Feldweg, erblickte. Ein alter, breiter Mann mit Hut, Lederweste und Gehstock, stand regungslos, mit einer gebieterischen Körperhaltung auf dem Weg und schaute Lucia scheinbar tief in die Augen. Sofort riss sie sich von dem Blick los und versteckte ihr Gesicht in den Handflaschen. Verzweifelt klammerte sie sich an die Aussagen ihres Psychologen, den sie als Kind oft besuchen musste. Diese Person war nicht echt, sprach sie sich in Gedanken zu, doch wusste, dass sie sich nur selbst belog. Natürlich, Alle lügen ein kleines verängstigtes Kind an. Eine einzige, eiskalte Träne schritt über ihre blasse Wange. Lucia Kjeldsen beschloss, egal was andere Fahrgäste denken mochten, die ganze restliche Fahrt, mit gesengtem Kopf und ihrem Gesicht in den Händen zu verweilen. Dieser Mann da draußen hatte einfach einen zu großen, fürchterlichen Einfluss auf ihr Leben und sie wollte ihn nie wiedersehen. Auch nicht bei seinem morgendlichen Spaziergang. Als sie am Bahnhof ankam und alle Schüler den Bus verließen, versuchte Lucia sich zu beruhigen. „Oh Gott Lucia! Geht es dir gut?“ schrie jemand von draußen, nachdem alle Fahrgäste an ihr vorbei waren. Langsam nahm sie ihre Hände vom feuchten Gesicht und schaute mit geröteten Augen in die der Person, der sie alles genommen hat und jetzt nichts mehr geben konnte. Ein Schleier von Kummer, Schuld und Mitleid für ihr gegenüber, legte sich über ihr Gesicht. Allerdings bemerkte das Ognjen Červený – ein junger Mann, der mit seiner Kraft sicherlich Knochen brechen könnte, doch der netteste Mensch war, den sie kannte – nicht. Er war völlig irritiert Lucia zusammengebrochen im Bus anzutreffen. Und tatsächlich saß sie geschützt auf dem Boden, obwohl sie sich nicht mehr erinnern konnte, sich gesetzt zu haben. „Mir ist auf der Fahrt wohl schlecht geworden“ sagte Lucia kaum hörbar und mit abgewandtem Blick. Sie stand vorsichtig auf, ohne die Hilfe von Ognjen zu beanspruchen, richtete ihren Rucksack und schritt an ihm vorbei. Ihr verhalten war abscheulich, das wusste sie natürlich, zumal da es ihre Schuld war, dass Ognjen jeden Morgen vom Waisenhaus bis hier zum Bahnhof lief. Doch wie sollte sie sich sonst verhalten? Er machte sich sorgen um seine Freundin, dennoch ging er ihr, ohne ein Zeichen von Verärgerung, hinterher. Am Bahnübergang blieb Lucia stehen und seufzte leise. Sie beobachte wie sich die Schranken vorsichtig schlossen, bemerkte einen irritierten Blick und sengte daraufhin den Kopf, um nicht seltsam zu wirken. Ognjen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch in diesen Moment überquerte der Zug die Straße und Lucias Gesicht richtete sich wieder auf. Er tappte schweigend neben ihr her und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Irgendetwas hatte sich verändert, sie war nicht immer so abwesend, wie in der letzten Zeit. Lucia Kjeldsen war ein recht selbstbewusstes, sowie zielstrebiges Mädchen mit einem starken Durchsetzungsvermögen. Ja fast schon nervig, nachdem er für ihre Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Dieselben Gedanken flogen auch ihr ununterbrochen durch den Kopf und es war schmerzhaft sich mit dieser Veränderung abzufinden. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich ihr Leben schon bald ruckartig verschlechtern wird.                                 Ein Jahr zuvor.                                              Der Dunst des uninteressanten Geschichtsunterrichtes verbreitete sich über ihren Köpfen. Draußen waren es bestimmt über 30 Grad und Lucia konnte es nicht verstehen, warum der Unterricht nicht draußen stattfand, zumal die Schule über einen Klassenraum im Freien verfügte. Im Raum selbst wurden die Rollos heruntergelassen, damit der staubige Polylux seine lehrreichen Informationen an die Wand werfen konnte. Man konnte den Geruch der DDR fast schon schmecken. Schmutzig, öde und irgendwie braun, dachte sie. Nachdem sie den Text abschrieb, blickte sie auf die Uhr, um die Sekunden der letzten Unterrichtstunde zu zählen. Doch vergebens, es war noch einiges an Zeit übrig und der Lehrer Herr Derichs, ein kleiner dicker Mann mit hervorstechenden Augenbrauen, meldete sich zu Wort. „Fahrt bitte die Rechner hoch! Ihr habt jetzt noch zehn Minuten Zeit, um 10 Fakten über die Rote-Armee-Fraktion herauszuschreiben“ befahl er mit seiner Rekommandeuren-Stimme. Darauf drückten die stöhnenden Schüler auf die Startknopfe und aus jeder Ecke des Raumes erklang ein klicken, gefolgt von dem brummen der alten Rechner. „Diese werdet ihr am Ende der Stunde abgeben.“ Fügte er hinzu, doch das hielt Lucia für unnötig, denn niemand hätte etwas anderes erwartet. Ganze zwei Minuten dauerte es, bis ihr Computer bereit war und eine weitere bis sie die Suchmaschine benutzen konnte. Eindeutig würde das Hochfahren bei einigen viel länger dauern, denn zwischen den Schulcomputern und den Polylux gab es kaum Unterschiede. Somit wurden einige Schüler eindeutig vernachlässigt und das konnte Lucia nicht auf sich sitzen lassen. Ihre Hand schoss nach oben und ohne auf eine Reaktion des Lehrers zu warten, begann sie zu Sprechen. „Herr Derichs…“ piepste sie leise, denn sie hatte, trotz der ungerechten Behandlung und der lachhaften uninteressierten Stimme, Respekt vor ihrem Lehrer. Keine Reaktion. Ja nicht einmal ein lustloser Blick suchte nach ihrer Stimme. Sie sammelte sich, atmete noch einmal tief durch und setzte dann völlig selbstsicher fort „Herr Derichs, ich habe nun drei Minuten darauf gewartet, damit ich den Computer benutzen kann und ich weiß, dass andere Plätze dafür noch etwas länger brauchen. Also ich…“ brach sie kurz ab, schluckte und fügte hinzu „Ich schlage vor, dass wir diese Aufgabe entweder zuhause erledigen oder sie vielleicht auf nächste Stunde verschieben.“ Lucia war wieder einmal stolz auf sich selbst. Ihre Mutter schimpfte über diese, für sie unvorstellbar schlechte, Charaktereigenschaft, doch Lucia war es trotzdem und würde ihrer Meinung nach, auch immer so bleiben. Die zuversichtliche Heldin, die ihre Klasse vor schlechten Noten beschützte und dafür nicht einmal ein Dankeschön verlangte. „Kjeldsen, ich denke sehr wohl, dass die Zeit für jeden ausreicht“ antwortete ihr Lehrer, scheinbar uninteressiert von ihre Heldenfantasien. Ja wie auch, der interessierte sich ja nicht einmal für sein eigenes Fach, dachte Lucia etwas niedergeschlagen. Allerdings verflog diese Niedergeschlagenheit, als sich Ognjen Červený, ihr zurzeit unerreichbarer Lieblingsschüler, einmischte. Tatsächlich war sie Ognjen recht nahegekommen, doch das hatte sich schlagartig verändert, als seine Schwester, nach langer Krankheit -Lucia hatte sich nicht dafür interessiert und wusste den Namen der Krankheit nicht mehr- von dieser Welt gegangen war. Diese Metapher verwendete sie bewusst, denn sie wusste noch aus Kindheitstagen, dass es nach dem Leben weitergeht. Vermutlich hatte ihr das ihre Großmutter eingeflößt. Dennoch verdrängte ihr Kinderköpf wohl die grausamen Erzählungen über diese nächste Welt. „Herr Derichs, ich stimme mit Lucia überein. Mein Rechner ist immer noch nicht startklar.“ sagte ihr Lieblingsschüler, den offensichtlich auch der dicke Derichs mochte. Immerhin hegte Ognjen ein bemerkenswertes Interesse an dem Geschichtsunterricht, denn er arbeitete immer, wenn Lucia am Unterricht teilnahm, interessiert mit und schrieb in jedem Test, an den sie sich erinnern konnte, eine gute Note. So überraschte sie seine folgende Antwort nicht. „Von mir aus.“ Gab er nach und fügte murmelnd hinzu „Mein Gott, bei uns hätte es sowas früher nicht gegeben. Wie wollt ihr denn ins Arbeitsleben einsteigen.“ Jedoch reagierte cleverer weiße Niemand auf diese Aussage. Nicht einmal die Koks-Schwestern – wie Lucia heimlich ihre Klassenkameradinnen mit dem schwarz gefärbten, dünnen Haar nannte, natürlich nur weil ihre Haare an den Brennstoff erinnerten – beschwerten sich, wie es sonst üblich war. Vielleicht waren sie heute zu erschöpft für dumme Kommentare. Die letzten Minuten des Schultages verbrachten die Schüler somit mit dem Einpacken ihrer Bücher. Als es klingelte und die Schüler ihre Taschen nahmen, um den Raum zu verlassen, versuchte sie sich neben Ognjen einzuordnen. „´n schönes Wochenende wünsche ich euch“ stöhnten Herr Derichs und gerade mal ein halbes Dutzend seiner Schüler antwortete ihm. Lucia trat neben ihrem Freund und sagte triumphierend „Da haben wir wohl die Anderen vor bösen Noten bewahrt, hm?“ Doch Ognjen teilte ihren Gedanken nicht. „Ich habe mir eine schlechte Note vom Hals gehalten“ erwiderte er mit einer, für Lucia unbekannten, Arroganz und versuchte sich von ihr loszulösen. „Warum ignorierst du mich?“ fragte Lucia endlich, nach mit diesen Aussagen gefüllten Wochen. Sie setzte eine grimmige Miene auf und versuchte sich nicht abschütteln zu lassen. Aus seinem Mund kam jedoch lediglich ein „Wie du meinst.“ das Lucia, in der Masse von nachhause strömenden Menschen, stehen ließ. Von so etwas wurde eine Kjeldsen nicht aufgehalten und deswegen dachte sie auf der Rückfahrt, darüber nach, wie sie ihm helfen konnte. Dabei kamen langsam Erinnerungen aus vergangenen Tagen zurück und ein Bild von einem alten Mann, mit Weste, Hut und Stock, formte sich in ihrem verblümten Kopf.     Ein Jahr danach.                                           Lucia schaute Ognjen mit einem erschöpften und tief traurigen Blick an. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geschmissen und ihre Tränen, aus Angst, Mitleid oder wer weiß weswegen, freien Lauf gelassen, doch das war mit ihrer Schuld nicht mehr möglich. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum Ognjen scheinbar nicht davon betroffen war. Sie hatte ihm mehr genommen als sie selbst verloren hatte, dachte sie zumindest. Und wenn man nur ihr physisches Leben betrachtete, nicht in ihren Körper blickend, war sie eine Gewinnerin und hatte nichts verloren. Ein Klacken, ähnlich dem von Schuhen mit hohen Absätzen, ertönte und Lucias Pupillen erweiterten sich schlagartig. Aus ihrer mitleiderregenden Miene formte sich ein Ausdruck der völligen Angst, wie sie ihn aus ihrer Kindheit kannte. Sie starrte Ognjen voller Furcht an, der nicht recht verstand was mit seiner Klassenkameradin passierte und ein erschrockenes Gesicht machte. Langsam drehte Lucia ihren Kopf, um in die Richtung aus der das Klacken drang zu schauen. Sie erstarrte und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie ein weiteres Mal an diesem Tag, ihren bekannten aus vergangenen Tagen sah. Der alte Mann stand, in seiner heroischen Körperhaltung, ein paar Meter vor ihr, mit dem Hut in der einen und dem Stock in der anderen Hand. Er stoß seinen Stock immer wieder auf den Boden, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ohne den Blick von ihm abzuwenden, schmiss sich Lucia in Ognjens Arme und brach somit ihr Tabu. Sie beobachtete wie der Mann seinen Stock hob und damit in eine kleine Gasse, neben einem Geschäft, zeigte. Danach setzte er sich seinen Hut auf, nickte Lucia kurz zu, als hätte sie verstanden, und bewegte sich von ihr weg. Die Beiden blieben einige Zeit lang so stehen und dachten über diesen Moment nach. Lucias Bewusstsein pochte vor Furch, Wut und Unverständnis, denn sie wusste, wenn sie wissen wollte, aus welchen Interessen diese gefährliche Person handelte, musste sie in diese Gasse blicken oder sogar hinein gehen. Natürlich verstand sie auch, dass sich dieser Mann, für andere im toten Winkel befand, und es somit unnötig wäre, darüber zu sprechen. Das war ein Teil des Schmerzes, der in ihrem Inneren herrschte. Ihr gesengter Kopf erhob sich, um Ognjen in die Augen zu schauen und einige Strähnen ihres lockigen schwarzen Haares rutschten ihr ins Gesicht. Mit einer Miene die Verzweiflung ausdrückte und um Hilfe zu schreien schien, betrachtete sie ihn. Nichts als Sorge hätte sie aus seinem Ausdruck lesen können. Doch sie wusste nicht, dass auch er in diesem Moment etwas Beunruhigendes sah, den Wahnsinn in ihrem Gesicht. Dennoch war ihr Tabubruch eine einmalige Sache und Lucia riss sich wieder von ihm los, schaute ihn nicht direkt an und sagte: „Geh vor, ich muss noch was anderes machen.“ „Was denn?“ fragte Ognjen zutiefst bedrückt, allerdings drehte sie sich schon um und begann sich von der Schule zu entfernen. Er wartete kurz, blickte ihr hinterher und brach dann selbst auf. Sich um sie sorgend betete er, dass es seiner Freundin bald besser gehen würde. Lucia ging sehr langsam und schaute noch einmal nach hinten, um sicher zu gehen, dass er auf sie Gehört hatte. Ihrer Meinung nach musste das soeben Geschehene vergessen werden. Fest überzeugt, dass er sicherlich verstehen würde, schritt sie achtsam auf die Gasse zu. Wahrscheinlich würde sie auf den Mann selbst stoßen, wie auch immer das möglich sein sollte, da sie ihn, in die andere Richtung, verschwinden sah. Oder sie würde wieder Korallen vorfinden. Lucia blieb schlagartig vor der Einbiegung stehen und wurde von einer enormen Anspannung geplagt. Das Herz in ihrem unsortierten Körper schlug mit einer Geschwindigkeit, in der man zwischen den einem Pulsschlag und dem Nächsten, keinen Übergang mehr wahrnehmen konnte. Ihre Zentrale schien ununterbrochen heißes Blut durch ihren Leib zu schießen. Jede einzige Ader war zu spüren und es wurde unerträglich warm. Ein Blick auf ihre zitternden Hände, verriet ihr, dass sie wohl niemals Arzt werden würde. Dort bildeten sich kleine Punkte, die langsam und mit stechendem Schmerz aufrissen. Lucia biss ihre Zähne so stark zusammen, wie sie nur konnte. Würde sie diese Reaktion ihres Körpers nicht kennen, wäre sie wahrscheinlich in Ummacht gefallen. Unsicher versuchte sie sich taumelnd, und ohne Spuren zu hinterlassen, in die Gasse zu bewegen. Ihre Hände steckte sie in die Jackentaschen, damit das Blut nicht unnötig auf dem Boden tropfte. Allerdings stellte sich das nach kürzester Zeit als Fehler heraus, denn an ihrer Jacke bildete sich selbstverständlich Blutflecken. Später müsste sie dafür sorgen, dass ihre Mitschüler und Eltern nichts davon sahen, aber das war jetzt nicht so wichtig. Nachdem Lucia sich um die Ecke kämpfen konnte blieb sie regungslos stehen. Auf den ersten Blick konnte man niemanden sehen und sie entspannte sich ein wenig. Eine kühle winterliche Windböe strömte ihr durchs Haar. Niedergeschlagen, verwirrt und zugleich erleichtert lehnte sie sich, ohne die Hände aus der Tasche zu nehmen, an die Hauswand. Mit dem Rucksack auf den Rücken versuchte sie an der Wand herunterzurutschen. Lucia stieß ein erschöpftes Seufzen heraus und schaute sich noch einmal in der Gasse um. Aus der Ferne huschte das Lachen einiger jüngerer Schüler zu ihr. Sie schloss ihre Augen, um etwas Ruhe vor dem bevorstehenden Schultag zu sammeln. Vielleicht war sie einfach zu mitgenommen. Dieser Tag hatte ihr ziemlich zugesetzt und das scheinbar ohne Grund. Möglicherweise war der Mann nicht hier gewesen und sie hatte sich die Ereignisse des ganzen Morgens nur eingebildete. Vielleicht hatte der Psychologo doch Recht. Aber früher war dieser Mann doch auch bei mir, dachte Lucia nun an ihrer Kindheit zweifelnd, und der höllische Brand war doch auch echt. Um ehrlich zu sein wusste sie nicht mehr, was sie noch mit sich anfangen sollte. Sie war doch nicht verrückt, doch wenn jeder Tag so sein wird…. Was soll denn der Sinn dahinter sein? Vorauf will mein Unterbewusstsein mit diesen Warnungen hinaus, zog es ihr in dicken klebrigen Fäden durch den Kopf. Ein Lichtblitz erleuchte neben ihr, durchbrach ihre Selbstanalyse und blendete ihre Netzhaut durch die Lider, daraufhin ertönte ein plastisches Knallen. Lucia zuckte zusammen, riss ihre Augen auf und schaute erschrocken umher. Rechts neben ihr spazierten drei Kinder, nun schon etwas zu spät, zu ihrem Unterricht. Die drei kicherten ausgewogen, doch niemand schaute zu dem blutenden, zusammengesackten Mädchen in der Gasse. Jedoch links neben ihr, lag nun ein kleiner weißer Kasten auf den Boden. Erstaunt sah sie zu dem Ding hinüber. Das war eindeutig vorher nicht da und das ist keine Einbildung, flehte sie sich selbst an. Schwerfällig erhob sich Lucia, um den Gegenstand aus der Nähe zu betrachten. Schritt für Schritt bewegte sie sich langsam darauf zu und als sie nahe genug war, fand sie lediglich eine Kamera vor.  Ein altes oder mittlerweile neu aufgelegtes Model, das konnte sie nicht erkennen, lag dort zwischen zwei Häusern und wurde vermutlich gerade ausgelöst. Trotz der blutigen Jacke und den warm pochenden Händen wurde ihr plötzlich eiskalt. Sie wurde gerade fotografiert, jedoch ist hinter der Kamera kein Ausweg und niemand ist an ihr vorbeigelaufen, als sie zu den Kindern schaute. Wenn der Fotograph sich nicht in Luft aufgelöst hat, müsste er also noch hier sein. Unmöglich, nur in meinem Kopf, war Lucia fest überzeugt und um das zu beweisen kniete sie sich hinunter, um die Kamera aufzuheben. Es war eine alte Polaroid, die ihre letzte Aufnahme, als kleines Bild, ausdrucken konnte. Nur wusste sie nicht wirklich, wie das funktionierte. Sie nahm die Kamera in ihre Hände, wobei sie mit Blut verschmiert wurde, und war erstaunt, dass sie nicht plötzlich verschwand. Eher automatisch als bewusst, richtete Lucia das Gerät gegen die Wand und drückte einen roten Knopf, der wahrscheinlich als Auslöser diente. Wie zuvor, blitzte die kleine Lampe auf, um das Bild der Wand auszuleuchten. Lucia erwachte aus dem hypnotischen Zustand, erschrak und ließ die Kamera fallen. Das kann doch alles nicht sein. Warum war ich denn ein so dummes Kind. Die Apparatur knackte und ging ihrer Aufgabe nach. Ein kleines Stück Papier mit einer schwarzen, rechteckigen Fläche, drückte sich aus der Vorderseite des Gehäuses. Bevor das Foto fertig war, blockierte die Angst ihre Atmung, denn was sie dort sah, war keine Aufnahme der Wand oder das Porträt eines blutenden Mädchens. Auf dem sich langsam offenbarenden Schnappschuss waren blaue, leuchtende Korallen zu sehen und zwischen diesen saß Lucia mit einer gequälten Miene. Schweiß oder Tränen rollten über ihr Gesicht. Die misshandelten Hände zitterten vor Anspannung und Lucia saß regungslos, doch voller Fragen, auf dem kalten Boden. Sie konnte sich nicht erinnern, dass der Mann an jenem Abend, eine Kamera dabeihatte.                                                    Ein Jahr zuvor.                                                Die Rückfahrt stellte sich heute als besonders schwierig dar, denn einer der dämlichen Grundschüler blockierte ihren Lieblingsplatz und reservierte den Zweiten, für einen nicht existierenden Freund. „He Kleiner!“ murmelte Lucia und starrte den Idioten an, doch der schaute nicht einmal zurück. „Ich würde mich echt gern setzen, also nimm bitte deinen Rucksack weg.“ Versuchte sie es erneut. Wieder reagierte der Kleine nicht, sondern blickte nur aus dem Fenster. Lucia seufzte, nahm die Tasche, legte sie in den Gang und setzte sich neben den ignoranten Jungen. Das schien ihm nicht zu gefallen, denn er antwortete nun endlich „Das wird er nicht mögen!“ „Pass auf, ich muss an der übernächsten Station raus, bis dahin steigt nie jemand ein.“ stöhnte Lucia. „Mein Freund ist doch schon hier“ widersprach der abwesende Junge. Der ist doch verrückt, dachte Lucia etwas gegruselt. „Ich bin nicht verrückt. Mein Freund sagt, er kennt auch dich“ wehrte er sich. Lucia war von seinen hellsehertricks unbeeindruckt. Sie beschloss den Kleinen einfach zu ignorieren, denn sie musste sich jetzt auf Ognjen konzentrieren, der seltsamerweise nicht in diesem Bus saß. Als das keimige Verkehrsmittel ihre Haltestelle anfuhr und Lucia sich zum austeigen bereit machte, sagte der Junge „Er meint, er könne dir helfen. Erinnere dich an deinen alten Freund und die blauen Korallen, so nanntest du sie doch, oder?“  Jedoch war das etwas zu viel für Lucia, sie schnappte ihre Tasche und hüpfte so schnell wie möglich aus dem Fahrzeug. Woher konnte er das wissen? Der Junge hatte dafür gesorgt, dass sie ein klares Bild von einem alten Freund im Kopf hatte. Ein Mann mit Gehstock und Hut, der ihr als Kind immer bei Problemen geholfen hatte. Er war nie weit und stehts für sie da, wenn sie etwas brauchte. Vielleicht kann er mir wirklich mit Ognjen helfen, schoss es ihr durch den Kopf. Trotz all den Jahren konnte sich Lucia noch immer daran erinnern, wie sie ihn erreichen konnte und das würde sie so schnell wie möglich machen. Nachdem sie zuhause ankam und sonst niemand dort war, beschloss sie den Mann sofort um Rat zu bitten. In Geschichten und Filmen musste es bei solch einem treffen immer dunkel sein oder der Raum voller Kerzen. Doch in der Realität reichte vollkommene Ruhe und Gelassenheit. In ihrem kleinen Dachzimmer setzte Lucia sich auf den Boden, winkelte die Beine an und legte ihre Hände auf die Knie. Ihre Augen schlossen sich beinahe automatisch und ihre Ohren fokussierten sich auf innere Geräusche. Ein letztes Fahrzeug, das an ihrem Haus vorbeifuhr, war zu hören und dann schien es so als hätte sie den Raum verlassen. Kein Geräusch, kein Luftzug und durch ihre Augenlider konnte sie keine Lichtstrahlen mehr sehen. Ein gruseliges Gefühl brodelte langsam in ihrem Inneren auf. Es fühlte sich an als säße sie in einer dunklen Gummizelle und das beunruhigte sie. Doch Lucia wurde trotz allem müde. Der Geist des Mädchens fiel in einem tiefen Schlaf und bevor sie etwas ändern konnte, litt sie an einer Schlafparalyse. Nur noch ihr Bewusstsein schwebte in der kleinen Zelle, doch aus einer Ecke konnte sie etwas spüren. Das kleine vergebene Herz, in ihrem nichtexistierenden Körper, begann mit jedem Schlag an Geschwindigkeit zuzunehmen. Aus ihrer Mitte drang eine unausstehliche Wärme, die sich durch jede einzelne Ader zwängte. Die Adern dehnten sich aus, sodass ihr Blutnetzt höllisch vor Schmerz pochte. Mit enormen Wunden und einer Kreatur in der Ecke, saß sie in dieser Ebene fest. Ihr Körper zittere so stark, dass er allmählig wieder munter wurde. Lucia kämpfte vergebens über die Kontrolle ihres Körpers, um ihre Augen aufzureißen und die Reise abzubrechen. In diesem Moment konnte sie sich wieder an sein wahres Gesicht erinnern. All die vorgehaltenen Gedanken tauchten wieder auf und formten ihre Miene zu einem Ausdruck des reinen Entsetzens. Ihre Augen strahlten Leblosigkeit aus und kein Funke Hoffnung blitze aus ihren Pupillen.  Dieser Mann war nie ihr Freund. Er war ihr Peiniger, der ihre Kindheit zur Hölle machte und nun jahrelang auf diesen Moment gewartet hatte. Ein lautes kichern drang aus der Ecke. „Du hast wirklich vergessen?“ trat eine höhnische und amüsierte Stimme hervor. Lucia versuchte sich zu wehren, doch das Echo schallte immer wieder in ihren Ohren auf. „Du hast doch nicht gedacht, dass ich dich vergesse?“ hackte die Stimmer nach. Sie versuchte irgendwie diesen Raum zu entkommen. Stille. Langsam und vorsichtig öffnete sie ihre Augen. Wie lange war sie in diesem Zustand? Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass es eine Ewigkeit sein musste, denn draußen erleuchtete schon das Mondlicht die Straßen. Sie war am Zittern und ihr Puls schlug mit einer nicht messbaren Geschwindigkeit. Noch immer saß sie mit angewinkelten Beinen in ihrem Zimmer, doch aus ihren Händen, die noch vor wenigen Momenten auf ihre Knie lagen, quilte nun heißes Blut aus kleinen bleistiftminengroßen Wunden. Als sie die eine Hand mit der Anderen berührte zog sie schlagartig die Luft ein. Um sie herum stieg Nebel aus dem Boden und in den Ecken des Raumes floss ein Strom aus blauem Licht empor. Das Licht windete sich und schlug geräuschlos aus. Dann erstarrte es wie eine Säule aus Eis, die ehrfürchtig in dem Raum stand und wunderschön im Mondlicht glänzten. Plötzlich und mit einem lauten Knacken, wie dem eines brechenden Knochens, spalteten sich aus der Säule viele kleinere Äste ab. Vier von diesen Gebilden, die Lucia als Kind Korallen nannte und deren Zweck bis heute nicht verstand, herrschten nun in ihrem Zimmer. Das blaue gleißende Licht durchbohrte die dicke Nebelwand und Lucia konnte eine Silhouette vor ihr erkennen. Sie erschrak als sie die kräftige Kreatur mit den drei Beinen erblickte. Ihr eigener Atem zitterte und es schien ihr so, als bekomme sie nicht genügend Luft, um ihren Funktionen aufrecht zu erhalten. Ein altes Gesicht mit dickem Bart und einem höhnischen Grinsen tauchte aus dem Nebel auf und sprach zu ihr „Du wolltest wieder gehen, nicht wahr?“. Er erwartete eine Antwort, doch als er bemerkte, dass Lucia kein Wort hervorbringen konnte setzte er lachend an „Kleines, du musst doch noch wissen wie das hier läuft. Ich entscheide! Oder willst du jämmerliches Wesen dich wieder gegen mich behaupten? “ Daran konnte sie sich nicht erinnern. Soweit sie zurückblicken konnte, hatte sie sich immer unterworfen. Nie hätte Lucia erwägt gegen diese gottähnliche Gestalt anzutreten. Doch dann verschwand er und sie hatte ihn, nach ihrer Therapie, aus ihrem Leben verdrängt. Es war ihr nicht bewusst, wie es weitergehen sollte. Sie hockte verängstigt auf den Knien und blickte ihm verzweifelt in die Augen. An ihrer linken und rechten Wange flossen wenige tränen hinunter. Das tropfende Geräusch auf den Fliesen erklang, wie eine himmlische Symphonie in den Ohren des Mannes. Einen Namen nannte er ihr nie, sie fragte auch nicht danach, denn über ihn sprechen konnte sie sowieso nicht und in ihren Gedanken brauchte sie kein Wort, um die Manifestation ihrer Furcht zu beschreiben. Musternd und mit einem durchdringenden Blick beäugte der Mann sein Opfer. „Nun Luci, präsentiere mir deine liebliche Stimme und nenne mir dein Anliegen.“ Befahl er mit seiner tiefen Stimme, wobei er am Ende schon fast in ein bedrohliches knurren überging. Lucia schüttelte voller Panik ihren Kopf, denn sie wusste was geschah, wenn sie einen Wunsch äußerte. Eine Bitte wird mit etwas Gleichwertigen, wie er es spöttisch nannte, bezahlt, allerdings brauchte ein solches Monstrum kein Geld oder Ansehen. Seine aufgezwungene Hilfe wird mit Leid beglichen. Aus dem Nebel erhob sich eine alte faltige Hand, die sich langsam näherte und Lucia über das Gesicht fuhr. Ein paar Tränen liefen in die Poren seiner Hand und erfüllten ihn mit vollkommener Freude. Ihr sprachloses Herz wurde von Eckel erfüllt. Oh bitte Gott, nimm mir nichts was mir Lieb ist, jammerte Lucia panisch im Inneren. „Dein Wunsch sei mir Befehl“ lachte der Mann und ermahnte sie, nun schon gereizter „Sag mir endlich, warum du mich aufsuchst.“ Es war kein Geheimnis, dass er wusste, wieso sie bei ihm war. Die Antwort aus ihrem Mund jedoch, diente nur als weitere Erniedrigung. Die Korallen schimmerten. Wohl ein Zeichen seiner Verärgerung, begann Lucia zu denken, doch plötzlich ertönte das Knochenbrechen erneut und das gequälte Mädchen schrie voller Pein auf. Das leiderfüllte Gekreische ließ den Nebel um sie herum für den Bruchteil einer Sekunde verschwinden. Genau darauf hatte er gewartet, denn er brüllte voller Leidenschaft „Sprich, erbärmliches Kind!“ Lucia schaute zu dem neuen Zentrum ihres Schmerzes und erblickte einen leuchtenden Flussarm in ihrer Schulter. Ein Ast der blauen Koralle steckte in ihr und in ihrem Kopf schrien zahlreiche Stimmen, in verschiedenen Sprachen. Körper und Geist wurden von ihm gequält, doch Lucia wollte sich weiterhin wiedersetzen. Eine blutige Hand eilte hervor, um das Korallenstück aus ihrer Schulter zu reißen. Jedoch fuhr ihr eine weitere Klinge durch die Hand, als sie versuchte anzusetzen. Der Mann brüllte voller Wut und Erregung zugleich „Sei nicht so dumm, Mensch!“ Das hoffnungslose, durchbohrte Mädchen kniete verzerrt und keuchend auf dem Boden. Ihr Tränenfluss konnte nun nicht mehr gestoppt werden. Sie heulte leise „Lass mich wieder wichtig für ihn sein. Oh das wollte ich doch nicht. Warum verfälschst du meine Erinnerung?“ Doch der Mann kümmerte sich nicht um Lucias naive Fragen, er kicherte nun wieder „So sei es Kleines! Ein neues wichtiges Mädchen, ja? Von dir hätte ich mehr erwartet.“ Spottete er mit einem tief befriedigten Grinsen, doch kam auf ihren Wunsch zurück „Nun, das heißt, dass eine wichtige Frau gehen muss, nicht wahr?“ fragte er mit seinem Gesicht vor ihrem. Sie konnte kaum noch Luft bekommen, doch zwischen ihrem Schnappen hörte man ein „Bitte nicht!“ Das Wesen schaute noch kurz belustigt auf den erniedrigten Menschen und verschwand dann in der Dunkelheit. Zurück blieb nur Lucia, schniefend in dem sich langsam auflösenden Nebel. Eine kühle Brise wehte durch ihr Zimmer und ließ sie zittern. Noch bevor sich die Korallen auflösten, wurde Lucia wieder müde und schlief ein. Bis sie spät in der Nacht von einem rauchigen Geruch geweckt wurde.                                                        Ein Jahr danach.                                               Zerstört saß sie in der Gasse und wusste nicht recht worüber sie nachdenken sollte. Vereinzelte Ansätze huschten flüchtig durch ihren Kopf. Immer näherkommend, schallte ein bekanntes Klacken von den Wänden. Ermüdet blickte Lucia zu ihm auf. „Was willst du mir jetzt wieder antuen?“ hauchte sie voller Hoffnungslosigkeit. Der Mann hingegen ignorierte sie und begann seine Predigt „Weißt du, Kind? Euer Leben ist nicht zufällig, wie viele von euch denken. Auch gibt es kein Schicksal, das euch zum Ruhm leitet. Dennoch existiert eine Kette von Ereignissen, die euch alle verbindet. Chaos, für das ein Mensch verantwortlich ist, wird wie ein Schmetterlingsschlag jemand Anderen zum Handeln zwingen.“ Lucia wollte diesen Schwachsinn nicht mehr hören „Was willst du?“ schrien die Tränen aus ihr. „Luci, ich möchte…“ begann er doch Lucia brüllte dazwischen „Wie kannst du es wagen mich so zu nennen?“ Luci hatte sie nur Ognjens Mutter genannt, weil sie von Anfang an dachte, dass sie mit ihrem Namen, nur scherze. Doch der alte Mann ignorierte sie und fuhr fort „Möchte dir sagen. Ach…. Weißt du, dass er es wusste? Rate warum ich hier bin.“ Das stimmt nicht, kämpfte sich der Gedanke durch ihren bröckelnden Verstand. Er hatte es doch gut überstanden, sich nie Leid anblicken lassen. „Ognjen Červený bat mich deinem Egoismus ein Ende zu setzen.“ berichtete er unausstehlich fröhlich. Er erfreute sich immer an menschlichen Konflikten, vor allem wenn man etwas nachhalf, doch diese Verzweiflung in ihrem Gesicht, erfüllte ihm im Innersten. Lucia stammelte „Was musste er…“, brach jedoch ab, da sie die Antwort schon wusste. Der Namenlose berichtete ihr „Als er in deine Klasse kam, war er von dir angetan. Nicht schlecht für eine solche Versagerin, hm? Doch du ignorante Idiotin hast dich nicht für Andere interessiert, bevor ich mit ihm sprach, richtig? Nun, Ognjen war nie ein wirklich selbstbewusster Bursche, jedoch mit einem gebrochenen Herzen, der perfekte Nährboden für mich. Dieser dämliche Junge ersparte mir einiges an Zeit.“ Eine letzte Frage hauchte sie aus ihrem Schlund „…Schwester?“ und wieder blitzten seine makellosen Zähne auf, doch diese mussten die Bühne, für seine finalen Sätze, räumen. „Und? Bist du nun bereit mit mir zu kommen?“ brummte er in einer triumphierenden Lautstärke. Unterwürfig flehte Lucia „Mach mit mir was du willst. Aber lass bitte die Menschen hier in Ruhe. Und gib Ognjen wieder ein Leben.“ Er ließ ihr Gejammer lächelnd außer Acht, doch konnte sich nicht vorstellen, dass sie wirklich glaubte, er würde auf ihre Bitten eingehen. „Du weißt, dass du für deine Wünsche zahlen musst, Kind.?“ Fragte er das Mädchen mit dem nassen Gesicht, das schon längst nicht mehr bei klarem Verstande wahr, und reichte ihr seine faltige, doch kräftige, Hand. Lucia Kjeldsen ergriff sie und sofort riss sich ihre gequälte Seele von dem misshandelten Körper los. In ihrem astralen Ohr, ertönte ein solch enormes Knallen, das ein menschliches Gehör es nicht mehr wahrnehmen konnte. Ihr lebloser Kadaver fiel zu Boden und bevor ihre Seele mit dem Mann verschwand, hörte sie ihren eigenen Schädel zerbärsten. Ein letzter warnender Gedanke schoss durch ihr ganzes Bewusstsein. „Was habe ich nur getan?“                   Ein Jahr zuvor.                                               Hustend erschrak sie aus ihrem Schlaf. Der ganze Raum stank nach erdrosselndem Rauch. Aus weiter Ferne drangen Sirenen, durch ihr Dachfenster und direkt in ihr Ohr. Das Zimmer flackerte im rotglühenden Licht. Schlaftrunken richtete sich Lucia auf und bemerkte, dass ihre Augen fürchterlich brannten. Sie taumelte zum Fenster, um die frische Luft einzuatmen, wurde jedoch von einer Rauch Böe überrascht. Ihre gereizten Augen versuchten etwas zu erkennen, doch der, mit roten Lichtfäden durchzogene, Dunst versperrte ihr die Sicht. Als der Wind ihr Blickfeld befreite, erblickte sie das in Brand stehende Nachbarhaus. Lucias Lunge durchstieß ein Gefühl, wie der Schmerz einer glühenden Nadel in ihrem Fleisch, als sie erkannte wessen Haus dort brannte. Hätte Lucia am nächsten Morgen ihr Zimmer verlassen und einen Blick in die Nachrichten geworfen, hätte sie natürlich nichts über Brandstiftung gelesen, trotzdem wusste sie, dass sie selbst für dieses Attentat verantwortlich war. In dieser Nacht sorgte ein junges Mädchen, für den Tod eines Mannes und seiner Frau. Ihr Kind blieb als Waise zurück.                                         Ein Jahr danach.                                               Am Tatort fanden die Ermittler eine Leiche mit mehreren Einstichlöchern vor. Der Schädel der Person war an der Rückseite, vermutlich durch äußere Kraft Einwirkung, zerbrochen. Das Opfer war die junge Schülerin Lucia Kjeldsen, die in einer kleinen Gasse verblutete. Die Tatwaffe, ein kleines Küchenmesser, fand man in der Schultasche eines Klassenkameraden, der nach eigener Angabe, nach seiner verstört wegerannten Freundin sehen wollte. Für das Gericht ist der Fall eindeutig. Ognjen Červený ist schuldig und wird so schnell kein Mädchen mehr anfassen. Doch der Mann mit der gebieterischen Körperhaltung war noch lange nicht fertig. In einigen Jahren könnte ein russisches Kind namens Romy, über Lucia lachen, denn was sie erleben wird, ist nicht mit dieser Geschichte zu vergleichen.                        

One thought on “Lover, Leaver, Taker, Believer

  1. Okay wow. Diese Geschichte lässt einen mit einem fetten Fragezeichen zurück. Not Bad! Das lädt zum weiterlesen ein. Dein Einstieg war sehr fesselnd und dein Schreibstil auch sehr anregend. Allerdings haben mich deine Zeitsprünge etwas irritiert sodass ich zeitweise nicht mehr genau wusste um was es konkret ging. Die Szene mit der Koralle hast du besonders gut umschrieben! Man konnte es förmlich sehen! Wahnsinn! Sehr kreativ umgesetzt. Dran bleiben!
    Herzlich – Lia 🌿

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