matthewfliegenMilas Tod

Als sie abdrückte war sie endlich frei. Das Echo des Pistolenschusses hallte noch immer in ihren Ohren wieder als sein lebloser Körper schlaff zu Boden fiel.  Sie taumelte ein, zwei Schritte rückwärts. Das schrille Piepsen in ihren Ohren schien alles andere um sie herum aus zu blenden. Der Rückstoß der Waffe war noch den ganzen restlichen Tag in ihren Knochen zu spüren. Eine fortwährende Erinnerung an eine Tat, zu der sie nie dachte fähig sein zu müssen. Eine Erinnerung an ein längst verblasstest Leben, das wohl endgültig starb als sie den Pistolenlauf auf die entblößte Schädeldecke des Mannes richtete. Ihr altes Ich wäre niemals in der Lage gewesen zu töten, geschweige denn überhaupt eine todbringende Waffe auf eine andere Person zu richten. Aber dieses alte Ich, dachte sie nicht ohne ein eigenartiges Gefühl der Befriedigung, war schon lange nicht mehr da. Die alte Mila hatte ihren letzten Atemzug schon längst verbraucht und ihr Herz hatte schon längst zu schlagen aufgehört.

 (2 Monate zuvor)

Der Tag, an dem Milas altes Ich starb, wurde von derselben immer gleich bleibenden Monotonie eingeleitet, die auch sonst jeden anderen beliebigen Wochentag, ihres bisherigen Lebens, fest in den Klauen hielt.

Jeden Tag stand sie um die gleiche Uhrzeit auf, trank demselben bitteren schwarzen Kaffe um die tiefsitzende Müdigkeit der letzten Nacht zu vertreiben und fuhr um exakt 7.30 Uhr mit dem Bus zur Arbeit in der Innenstadt.

Zwar bezeichnete sie ihre Stelle als Verwaltungsangestellte immer als bloßen Zwischenstopp auf ihrer Bahnreise in das zukünftige Glück, als die erste Sprosse ihrer Karriere Leiter, die es noch zu erklimmen galt, jedoch fand sie sich schon nun mehr als sieben Jahre hinter den schweren Eichenholzplatte und noch keine weitere Sprosse war überhaupt in Sichtweite.

In der Kanzlei angekommen wurde sie von ungewöhnlich tief sitzender Dunkelheit empfangen. Es schien ihr fast so, als sei sie die aller Erste die an diesem April Morgen den Empfangsbereich betrat. Die Rollos hingen träge über den deckenhohen Fenstergläsern und straften den gesamten Vorraum des Anwalt Büros mit erstickender Dunkelheit. Die tiefen Schatten der Inneneinrichtung verschmolzen zu einem dunklen Ozean sodass sie kaum die Umrisse ihres eigenen Schreibtisches ausmachen konnte. Vereinzelt blinkten gelbe oder rote Lichtpunkte am anderen Ende des Raumes auf, dort wo ihr Arbeitscomputer sehnlichst auf sie wartete, das Farbspektakel hypnotisierte sie beinahe. Herr Brenz war normalerweise immer schon gut eine Stunde vor den ersten Anwaltsgehilfen und Sekretärinnen in der Kanzlei. Doch heute schien die gesamte Etage wie ausgestorben. Prüfend warf Mila einen langatmigen Blick auf die digitale Anzeige ihres Smartphones. War sie etwa zu früh? War es Sontag?

Die grelle 8.15 Uhr die ihr entgegenschlug brannte noch immer hinter ihren Liedern als plötzlich ein gedämpftes Ächzen, kaum hörbar aber doch zu laut für die Totenstille die in der Kanzlei herrschte. Kaum hörbar und doch laut genug um der tötenden Still zu entkommen die sich dominant über den gesamten Wohnbau ausgebreitet zu haben schien. Sie hielt unbewusst den Atem an, wie ein Eindringling er sich nicht zu erkennen geben wollte, obwohl sie eindeutig alles andere als ein Eindringling an ihrem eigenen Arbeitsplatz war. Ein ungutes Gefühl, eine umso schlimmere Vorahnung nagte an ihren klamm gewordenen Fingerspitzen. Irgendwo tief in den Weiten ihres Verstandes wusste Mila wo sich der Doppellichtschaler befand trotzdem musste sie mehrere Sekunden, die sich wie Minuten anfühlten, an der rauen Wand neben der Eingangstür herum tasten bis sie ihn fand. Der Schlüsselbund rasselte beinahe ohrenbetäubend im Vergleich zu dem Geräuschvakuum des Hauses als er ihr aus den Fingern glitt. Ein metallenes Klirren erfüllte den Eingangsbereich. Ein spitzer Schreib erstarb in ihrer Kehle noch bevor er je das Tageslicht erblickt hätte bei dem Anblick der sich ihr bot. Aus dem, vom Eingangsbereich aus unsichtbaren, Flur zu den Gäste WCs der Kanzlei, streckte sich eine verkrampfte Hand um die Ecke und in ihr Sichtfeld. Die silbernen Ringe glänzten unter dem künstlichen Licht der Deckenlampen. Eine dunkelrote Lache bettete das bleiche Handgelenk und färbte das bisschen von dem gestärkten Hemdsärmel, der zu sehen war, in einem Morgenrot ähnlicher Farbe.

Milas  innerstes zog sich zusammen und sie schlang, plötzlich frierend, die dünnen Arme um ihre Mitte. „H-Herr Brenz?“, stotternd, kläglich klang das Echo ihrer Stimme in ihren eigenen Kopf. Beinahe war sie sich nicht sicher ob sie es überhaupt laut gesagt hatte.  Es konnte nicht Herr Brenz sein. Nicht der freundliche Mitte 50 Jährige Mann der immer so gütig, so bemüht war das richtige im Leben zu tun. Es konnte einfach nicht. Und doch war es seine Hand die dort vor ihr lag, Blut verschmiert die Finger grotesk verkrampft dass sie den starrgewordenen Beinen einer toten Spinne glichen. Herr Brenz´s Liebesversprechen an seine Frau, war kaum noch zu erkennen aber da. Der Ehering, der einzig goldene unter den drei Ringen, glich nun einem verrosteten Metall, so sehr war er von Blutspritzern bedeckt. Was war nur passiert? Was für ein schrecklicher Unfall musste ihrem Vorgesetzten wiederfahren sein? Mit hastigen Schritten. Die unter ihren zitternden Gliedern zu leiden hatten bog sie um die Ecke in den Flur das Handy schon auf der Wählfunktion um einen Notarzt zu kontaktieren. Der Arm sollte nur ein Vorbote des Grauens sein dass sich ihr nun in voller schreckenerregender Pracht darbot. Die Brille des Mannes lag vollkommen intakt einige Schritte neben dem blonden Haarschopf. Die Energiesparlampen reflektierten sich in den blitzblanken Gläsern, die Mila entgegen zu blicken schienen. Der Rest des Körpers von Manfred Brenz war zu einem unerkennbaren Schlachtfeld mutiert. Kaum eine Stelle des Hemdes war weiß geblieben. Lediglich ein paar vereinzelte unbefleckte Stellen in dem See aus Blut, wiesen auf die Ursprüngliche Farbe des Kleidungsstückes hin. Sie bildeten kleine Inseln in einem Meer aus Rot.

Die Beine standen in einem unwirklichen Winkel voneinander ab und schienen in die jeweils gegensätzliche Richtung laufen zu wollen, ganz so als hätte sich Brenz nicht entscheiden können wohin er gehen wollte  bevor er starb. Der vorhin stumme Schrei kam Mila nun leicht über die Lippen. Ihre Stimmbänder zitterten im Einklang mit ihren Knien als sie sich, mit vor Schreck geweiteten Augen, zu der verstümmelten Gestalt einer Person herunter bückte, denn genau das war aus Manfred Brenz geworden. Lediglich ein Umriss eines Mannes, die Kreidezeichnung eines Verbrechens. Ihr war sofort klar, es steckte kein bisschen mehr von ihrem Chef in dem Körper vor ihr. Er glich eher einer Puppe als einem menschlichen Wesen, die Augen waren so weit aufgerissen und leer dass es ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Fast hätte sie ihr Handy fallen lassen. Milas Atem lief um die Wette mit ihrem pulsierenden Herzen und das ungute Gefühl entpuppte sich nun vollends zu einer grauenvollen, alles einnehmenden Angst die ihre Glieder hochkletterte und sich wie ein Mantel um  sie legte.

„Das würde ich an Ihrer Stelle unterlassen!“, hallte es von hinten an ihre Ohren. Das Handy, das sie gerade noch an ihr Ohr gehoben hatte, sank zu Boden als ihre Muskeln sich vor Schock zusammen zogen. Sie fuhr herum und blickte in das Gesicht eines Mannes, der sich unpassend lässig an die Rezeption lehnte und mit einem spöttischen Grinsen auf sie herab schaute. „Ich wünschte wirklich Sie hätten das nicht gesehen!“ Seine Stimme war hart und rau, als würde der Träger seiner Lunge, jeden Tag etliche Zigaretten aufdrängen. Sie zeugte von einem längst gelebten Leben und der Unterton erzählte von einer langen Liste voller Lebenserfahrungen.  Es war als würde Milas Körper urplötzlich aus seinem schockgefrorenen Zustand auftauen, auf einen Schlag. Sie hatte schon zu viele Krimis gelesen um zu wissen, dass ihr jetzt nur noch eines helfen könnte. Fliehen

Keine Sekunde verlierend, hechtete sie beinahe in das Gäste-WC der Kanzlei, dass sich nur wenige Schritte hinter dem Fuß paar des Toten befand. Das leise klicken des Schlosses dröhnte in ihren Ohren wieder und nur das ohrenbetäubende Pochen ihre Herzens konnte diesen Ton noch übertonen. Sie atmete einmal, zweimal, dreimal tief durch und versuchte nicht in Panik zu verfallen. Irrationales Instinkthandeln würde jetzt ihren Tod bedeuten. Sie klappte den Porzelandeckel des WCs herunter und stieg mit festen Schritten darauf. Plötzlich hielt sie in ihrer Bewegung inne. Das Fenster vor ihr warf ihr das Bild einer jungen Frau entgegen als von draußen schlürfende Schritte ertönten. „Ach kommen Sie, machen sie es uns beiden doch nicht noch komplizierter als es sein muss!“ Die Stimme des Mörders nahm einen spottend beruhigenden Ton an, der Milas Blut in den Adern zu erstarren drohte. Sie riss sich aus ihrer kurzweiligen Ohnmacht und öffnete mit klamm gewordenen Fingern das kleine Fenster vor sich. Helles Licht schlug ihr entgegen und besprenkelte ihr Sichtfeld mit grellen weißen Punkten, die vor ihr auf und ab zu tanzen begannen wie Schneeflocken die kurz bevor sie den Boden erreichten wieder aufwärts schwebten. Sie blinzelte heftig um ihre Augen nach der schweren Dunkelheit wieder an Helligkeit zu gewöhnen hievte sich  aber gleichzeitig mit einem sportlichen Schwung und einem Kraftakt der ihr die Schultern auszukugeln drohte, auf das kleine Fensterbrett. Das Eichenholz der Tür hinter ihr erbebte leidend als von draußen dagegen gehämmert wurde. Mila sah nicht nach hinten, ihre Beine hingen über der Fensterkante und sie blickte mit rasendem Puls ein Stockwerk in die Tiefe. Der matschgrüne Vorgarten der Kanzlei war ihr noch nie schöner vorgekommen. Der Mann aus der Dunkelheit der Kanzlei versuchte wohl ebenso ins Licht und an sie heran zu kommen, denn das Schloss der Tür bewegte sich langsam um seine eigene Achse. Mila sprang im selben Moment in dem die Tür aufschwang und gegen die befließte Wand donnerte.  Noch im Fall stieß sie einen erschrockenen Schrei aus doch die harte Landung presste ihr sämtliche Luft aus dem Brustkorb. Ihre Beine, die zuerst den Rasen berührten, knickten unter ihrem Gewicht zusammen und ihr Brustkorn kollidierte mit dem Gras, das in diesem Moment nicht minder hart zu sein schien wie Beton. Die grellen Schneeflocken wurden plötzlich überspült von einer alles einnehmenden Schwärze die ihren Kopf zum dröhnen brachte. Ich darf keine Zeit verlieren, schrie sie sich innerlich an, obwohl sie sich nicht sicher war es nicht doch laut in die Welt hinaus geschrien zu haben. Ihr Knöchel ächzte empört als sie sich wieder aufrichtete. Die Welt in die Mila gesprungen war kam ihr beinahe noch verstörender vor, als die Hölle die dort oben in der Kanzlei ausgebrochen war. Die Straßen waren leer, die Sonne schien unschuldig auf die verschlafenden Dächer der Stadt und alles wirkte so normal, dass es ihr grotesk vorkam in Anbetracht der Leiche die dort oben im Dunkeln lag. Sie wusste nicht was sie erwartet hatte also humpelte sie los. Ihr Sichtfeld war nach ein zwei Schritten wieder der gleiche, ihre Knie würden wohl aber noch lange brauchen sich von dem Sturz zu erholen. Nach jedem zweiten Schritt blickte sie hinter sich wie eine gejagte die sie nun offenbar war. Denn sie wusste, dass der Mörder nun sein nächstes Ziel gefunden hatte, genauso wie dieser wusste dass sie sein Gesicht wohl nie mehr vergessen kann. Fast kam ihr die Flucht zu einfach vor. Noch nach dem sie in eine andere Straße abgebogen war, konnte sie keinen Verfolger hinter sich ausmachen. Mila fühlte sich sicher genug in ihrer Unsicherheit dass sie in den Bus, der am Straßenrand parkte und scheinbar vom Himmel selbst geschickt wurde einstieg. Ihre Hand zitterte wie Äste im Wind als sie ihre Monatsfahrkarte schützend von sich streckte, und Blickkontakt mit dem Fahrer mied wie ein minderjähriger mit einem gefälschten Ausweis der darauf hoffte nicht enttarnt zu werden. Im Bus saßen nur wenige Rentner. Für einen Moment wiegte sie sich in der Illusion von Sicherheit die der immer größer werdende Abstand zwischen sich und der Kanzlei ihr vorgaugelte. Mit zitternden Händen und überraschend ruhigen Nerven kramte sie in ihrer Tasche nach dem Handy. „Scheisse!“, murmelte sie leise aber laut genug dass die Frau vor ihr sich prüfend zu ihr umdrehte. „Entschuldigung haben Sie vielleicht ein Telefon?“ Das altmodische Klapphandy dass ihr die grauhaarige Frau großzügig reichte lag schwer in ihrem kalten Händen als sie die 110 eingab.

„Polizei Notruf bitte legen sie nicht auf.“, blecherte es aus dem alten Gerät und die kurze Zeit, die Mila warten musste, bis sich eine Frauenstimmte am anderen Ende der Leitung meldete, kamen ihr wie etliche Minuten vor. „Polizeizentrale Niederbayern, was kann ich für Sie tun?“ „Ja hallo. Ich möchte einen Mord melden! In der Brentanstraße 10 im zweiten Stockwerk!“ Hätte ein Blitz mitten im Bus eingeschlagen, die Menschen wären nicht mehr schockiert gewesen. Alle Köpfe drehten sich wie alarmiert zu ihr um die die Beamtin kaum verstehen konnte, bei dem Rauschen in ihren eigenen Ohren. Mila entging allen Fragen zu ihrer Person und beschränkte sich kurzangebunden darauf der aufgeschreckten, jung wirkenden Beamtin den Täter so genau wie möglich zu beschreiben.  Nachdem ihr zweimal versichert wurde, dass ein Streifenwagen unterwegs war legte sie auf und versuchte so gut wie möglich jeglichen fragenden Blicken, die sie wie Pfeilspitzen zu durchlöchern versuchten, zu entgehen.  Drei weitere Haltestellen saßen sie wie auf brennenden Holzscheiten und versuchte den Wagen Plan der sich in ihrem Kopf auf skizzierte genauer aus zu arbeiten.

Als sie das kühle Treppenhaus betrat und zu ihrer Wohnung im vierten Stock hoch stieg befiehl sie auf einmal ein ungutes Gefühl, dass sich in ihre Magengrube einnistete und bald schon zu einer schlimmen Vorahnung heranwuchs. Als sie die letzten Treppenabsatz erklommen hatte blickte ihr der eigene Wohnungsflur entgegen. Die Tür hing leblos in ihren Angeln und stand sperrangelweit offen, lud quasi zu einem Einbruch ein. Eigentlich wusste sie es besser.  Aber dennoch trat sie ein. Das kleine Wohnzimmer der Einzimmerwohnung war vollends verwüstet, beinahe fühlte sich Mila als würde sie in einem fremden Raum stehen. Die bestickten Sofakissen lagen am andern Ende des Raumes, auf dem Teppich vor ihr eine zerschellte Tasse, deren unzählige weiße Bruchstücke wie Felsen an einer Brandung durch die fransen des Teppichs hindurch lugten. Sie spähte vorsichtig um die Ecke, aber niemand stand im Eingang zur Küche und scheinbar war sie allein. Auf dem Couchtisch war ein Meer aus weißen Kapseln ausgeschüttet worden, die leere orange Dose lag umgekippt inmitten des Pillenmeeres. Die Kissen, die einst auf dem Sofa lagen, hatten einer langen Spritze weichen müssen, die bis zum Anschlag durchgedrückt war und ihre Nadel präsentierte. So wie ein, in die Enge gedrängtes Raubtier, die Zähne fletschen würde. „Du bist schneller gewesen als ich es nach deinem Sturz für möglich gehalten hätte“ Er trat aus der Küche heraus, seine Augen funkelten unheimlich als er sie taxierte. „Was zur Hölle, soll das hier?“, spukte Mila aus und zwang sich beinahe die Worte hervor zu bringen. Erst im darauf folgenden Moment bemerkte sie die zweite Spritze in seiner behandschuhten Hand. Er machte einen Testspitzer, wie sie es von Ärzten kannte, und eine klare Flüssigkeit tropfte in einer kleinen Perle zu Boden. „Du wirst dein eignes Blut schon selbst an den Händen zu tragen haben.“, sagte er nur gelassen und plötzlich begriff Mila warum dort so viele Pillen auf ihrem Wohnzimmertisch ausgestreut waren. „Man wird wissen das es ein Mord war.“, presste sie hervor und wich gleichzeitig einige Schritte nach hinten zum rettenden Hausflur. „Jeder der mich kennt weiß, dass ich mich nie umbringen würde.“ Er senkte seinen Blick in einer  derartigen Desinteresse, die ihr unglaublich überheblich vorkam,  und betrachtete ruhig die Giftspritz ein seinen Händen. „Ach wirklich?“ Er Schritt weiter in den Raum hinein und nahm diesen mit seiner Raubtier ähnlichen Präsent vollkommen ein.  „Single, weit weg von der Heimatstadt und den lieben Eltern. Seit sieben vollen Jahren als unwichtige Sekretärin eines noch unwichtigeren Anwalts angestellt die nichts von Bedeutung in ihrem noch so jämmerlichen Leben erreicht hat.“ Mila erstarrte als er ihr ihre eigene Geschichte vortrug wie ein Trauerspiel. „So eine beengte ein Zimmer Wohnung, bietet wohl kaum viel Platz um Freunde ein zu laden. Ist das der Grund weshalb du keine die deinen nennst?“ Mit einem Satz war er bei ihr und packte sie in einem eisernen Griff am Oberarm. Sein Atem strich ihr über das Gesicht und sie glaubte jeden Moment an Herzversagen sterben zu können. „Keine trauernden Liebenden, die den Tod einer einsamen, nichtigen, depressiven Sekretärin beweinen könnten. Um ehrlich zu sein bietet dein Leben genug Gründe für einen Selbstmord mein Schatz.“, hauchte er ihr zu und zog sie grob, als woge sie nichts mehr als eine Feder, ohne Umstände Richtung Sofa. Beinahe fiel sie auf die entblößte Nadel der Spritze als er sie auf die Polster stieß. Die Demütigung flammte in roten Zügen um ihre glühenden Wangen. Er hatte recht. Sie ließ nicht viele Leute in ihre Leben, aber genau das kam ihr bei ihrem Fluchtplan umso gelegener. „Wehr dich nicht Puppe, es geht schnell und ist sowie so unvermeidbar!“, grinste er ihr von oben herab zu, und entblößte eine Reihe perlweißer Zähne, die anders wie sie vermutete hatte nicht in scharfen Zacken wie bei einem Tier hervorstachen sondern gerade und makellos verliefen.

Sie gab vor sich geschlagen zu geben und sank noch mehr in die Polster ein. „Letzte Worte?“ Er türmte dort so vor ihr und beugte sich schon siegessicher herunter, die latexhandschuhe klebten an seinen schwitzigen Händen. Kurz verschwendete sie einen Gedanken daran ihm etwas schlagfertiges entgegen zu werfen, der Moment verstrich jedoch ungenutzt ohne das ihr etwas eingefallen wäre. Ihre Hände zitterten plötzlich keinen Millimeter mehr, denn sie fanden halt. „Wie du willst.“ Er beugte sich nur noch weiter zu ihr hinab und plötzlich riss MiLa die Nadel, die neben ihr auf dem Polster gelegen hatte, in die Höhe und rammte sie mit einem schrecklichen Schrei in die Brust des Mörders. Er schrie auf und verlor für einen Moment die Fassung als der hartnäckige Schmerz die Pupille seiner Augen anschwellen ließ. Sie nutzte die Ablenkung und war kurz dankbar einen Mann vor sich zu haben, direkt und mit aller Kraft; die sie mit ihrem gequälten Knie aufbringen konnte, trat sie in dessen Mitte. Diesmal schrie er nicht aber er sank zu Boden, rang sichtlich nach Fassung aber in der Art wie seine Gesichtsfabre einige Nuancen wechselte erkannte Mila dass er unter seiner Männlichkeit zu leiden hatte. Mila trat noch einmal zu und ihr Fuß schleuderte die Spritze aus seiner Hand die mit einem klirren an der gegenüber liegenden Wand zerschellte und den Inhalt über ihre blaue Tapete ergoss. Eine raue Hand klammerte sich an ihr Fußgelenk als sie schon beinahe an ihm vorbei geschritten war doch sie trat mit ihrem zweiten Fuß ohne Reue drauf und das Gelenk unter ihrer Sohle knirschte. „Ahr, Hure!“, schrie er und sie war froh darum denn die Tür zum Flur war noch immer weit geöffnet und die Laute drangen ungefiltert in das hellhörige Treppenhaus. Sie wusste er würde sich leicht wieder Erholen, es wäre zu einfach in so außer Gefecht setzten zu können. Mila, endlich frei von jeglichen Griffen, rannte aus der Wohnung heraus und schrie mehrmals: „Hilfe!“, sodass ihre Lungen zu kollabieren drohten. Dann sprang sie beinahe die einzelnen Treppenabsätze hinab und trampelte bei jedem Schritt den sie tat, extra laut auf dem Linoleum Boden herum. Sie hörte, wenn auch gedämpft durch den eigenen Atem, wie sich mehrere verriegelte Wohnungstüren öffneten. Aber es gehörte nicht zu ihrem Plan bei ihren Nachbarn Schutz zu suchen. Sie brauchte leidglich etwas Aufmerksamkeit um ungesehen fliehen zu können. Der Mann mit dem sie es zu tun hatte, schien ein blutdurstiger Profi in seiner Berufung zu sein, und sie schätze ihn richtig ein, dass er schlau genug war ihr nicht unmittelbar hinter her zu preschen um am Ende noch entdeckt zu werden. Sie kalkulierte sich einen Vorsprung von einigen kostbaren Minuten.

Das erste Mal, dass sie ihren Füßen und ihrem außer Kontrolle geratenen Puls eine Pause von ihrem schnellen Lauftempo gewährte war in einem  Drogerie märkt einige Straßen weiter.  Mit dem letzten Geld was sie hatte erkaufte sie sich ihr neues Ich, das dann später in einer Tankstellen-Toilette das Licht der  Welt erblickte.  Die dicken Haarlocken verschwanden mit der Klospühlung, ihre Augenbrauen im Abfluss des verdreckten Waschbeckens. Als sie sich im Spiegel betrachtete sah ihr nun eine hagere kurzhaarige Frau entgegen, deren harte Gesichtszüge ohne die Locken nur noch schärfer wirkten.  Der Rasierer mit dem sie sich die markanten Augenbrauen abrasiert hatte verschwand zusammen mit der Schere und dem leeren Portemonnaie wieder in der geretteten Umhänge Tasche. Einem Relikt aus ihrem früheren Leben.

(2 Monate später)

Auf geübten Sohlen schlich er sich an die kleine Holzhütte heran. Die geladene 4,5 Zoll Pistole lag leicht in seinen erfahrenen Händen, das Reservemagazin vollgeladen. Auch wenn er von seinen 15 Kugeln nur eine benötigen würde um den Job zu erledigen. Die sinkende Abendsonne fiel durch das noch belaubte Geäst des Waldes und spiegelte sich in der einzigen Scheibe, des notdürftigen Hauses. zwei Monate hatte er gebraucht um ihr Versteck zu finden. Und dafür würde sie zwei schreckliche Minuten mehr zu leiden haben, denn sie hatte ihn beleidigt und bloßgestellt. Normalerweise war er kalkuliert, genau und ruhte sich nicht auf unnötigen Ausdehnungen seiner Taten aus. Das Geld war das wichtigste, die Befriedigung des Tötens und der Geschmack des Blutes war nur ein zusätzlicher Bonus.  Als der hochgewachsene Mann nur noch wenige Schritte von der notdürftigen Behausung entfernt war bemerkte er dass die Tür der Holzhütte offen stand. Wäre er nicht so siegessicher und gierig auf Rache gewesen hätte er dies sicherlich  merkwürdig gefunden. Stattdessen näherte er sich nun aber in einem noch rascheren Tempo, war sich selbst dem Überraschungsmoment sicher. Als er sich unmittelbar vor der Öffnung der Tür auf baute schlug ihm der Geruch alten Holzes entgegen und dann schlug im wirklich altes Holz entgegen und traf ihn mit einer Wucht im Gesicht dass er im ersten Moment glaubte ein Hammer hätte ihn getroffen. Kurz taumelte er nur rückwärts den bewaffneten Arm sinkend und betrachtete verdutzt die zugehauene Tür, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. „du miese…“, brummte er von heißer Wut überspült und versuchte sich dem Schwindelgefühl trotzend wieder nach vorne zu bewegen. Er würde sich nicht schon wieder von diesem Weib überlisten lassen. Die grellen Punkte am Rande seines Sichtfeldes verspotteten ihn und malten die Welt in unnatürlichen Farben. Mit all seiner Kraft stemmte er sich gegen die Tür, die ihm wortwörtlich vor der Nase zugeschlagen worden war und schrie: „Klopf Klopf Püppchen!“ Ein dämonenhaftes Grinsen schlich sich um seine Züge. „DU hast Besuch!“ Rubinrote Perlen tropften von seiner Nase auf den Boden und der Anblick seines eigenen Blutes versetzte ihn in einen  primitiven Rauschzustand. Die alten Bretter der Hütte quietschten als er seinen Fuß in einem geübten Tritt darauf knallen ließ. Die Tür  ächzte empört aber sprang auf und enthüllte denselben kleinen Raum in den er schon bevor sein Nasenbluten ihn wahnsinnig machen konnte, gesehen hatte. Auf einmal traf ihn etwas am Hinterkopf und ein roter Schwall schoss ihm bei der Kollision aus der Nase. Das Geräusch von Metall hallte unter seiner Schädeldecke wieder und seine Knie wurden unweigerlich  schlapp unter ihm sodass er mit dem Gesicht zuerst, Bekanntschaft mit dem staubigen Boden machte. Der Aufprall knockte in endgültig aus.

Sophie wusste es war nur eine Frage der Zeit bis er sie in ihrem neuen Leben aufspüren würde. Jeden Tag der vergangenen sechs Wochen hatte sie in unruhiger Erwartung ihre Vorbereitungen getroffen. An dem Tag an dem sie starb und aus Mila, Sophie wurde, hatte die junge Frau sich zum ersten Mal seit langem wieder lebendig gefühlt. Es hatte ihr nicht viel Trennungsschmerz bereitet ihr altes Leben hinter sich zu lassen, dieses hatte sie ohnehin nicht wirklich gemocht. Es war immer ein Leben gewesen, ein Alltag, zu dem sie sich nur einredete dazu zu gehören. Sie war halsüberkopf einige Kilometer ins Umland getrampt und hatte sich dort in der Jagdhütte ihres Vaters niedergelassen.  Den Stuhl zu dem sie Mörder über den Bode zerrten wollte, weckten längst verblasste Erinnerungen an ihren verstorbenen Vater. Wenn ihr Vater sie auf einen seiner Jagdausflüge mitnahm, hatte sie stets auf dem Stuhl gewartet während er draußen die erlegte Beute ausweidete. Sophie fragte sich wie ihr neues Leben ablaufen würde, nachdem das alles Vergangenheit geworden war. Würde sie wieder zurück in die Stadt, in die viel zu kleine Wohnung und dem frustrierenden Job gehen? Ächzend verlagerte sie ihren Griff an dem viel zu schweren, regungslosen Körper und legte eine kleine Pause ein. Seine Arme, unter denen sie ihn gegriffen hatte, vielen schwer und dumpf zu Boden als ihr die Muskeln versagten und sie für einen Moment verschnaufen musste. Die Tür, an der sie ihn nieder geschlagen hatte, war kaum mehr als zwei Schritte entfernt. Es kam ihr wie Stunden vor, in denen sie nun schon angestrengt versuchte den Mörder, nach ihrem Plan gemäß, zu dem alten Holzstuhl zu schleifen um ihn dort fest binden zu können. Sophie wusste er würde nicht ewig die Augen zu geschlagen haben und sie musste ihre Chance nutzen. Der tiefe Kratzer an ihrem linken Oberarm, den sie sich beim aus dem Fenster springen zugezogen hatte um den Mörder von hinten eins über zubraten, spukte einen frischen Schwall Blut auf ihr T-Shirt als sie sich erneut dazu überwand sich zu dem Mann herunter zu beugen. Sie griff ihm entschlossen und beängstigt über das, was passieren könnte, unter die Achseln und stemmte sich gegen die knarrenden Dielen. So schaffte sie ein, zwei Schritte rückwärts. „So Fett siehst du gar nicht aus!“, knurrte sie zwischen geraden Zähnen hervor und der Schweiß trat ihr aus allen Poren.  Plötzlich explodierte ein grauenhafter Schmerz in ihren Handgelenken und ein unmenschlicher Druck verdrehte ihr die Gelenke sodass diese zu brechen drohten. Schreiend gab Sophie sich der Welle des Schmerzes, wurde von ihr weg gespült sodass sie nichts anders mehr wahrnehmen konnte, außer Schmerz. Heiße, brennende Schmerzen. Während sie den Mörder über den Hüttenboden geschliffen hatte, musste sie so abgelenkt gewesen sein, dass ihr der Rhythmus seines erwachenden Atmens entgangen war. Er hatte seine Pranken um ihre zierlichen Handknöchel geschlungen und sie in einem unnatürlichen Grad von sich weg gedreht sodass die Sehnen und Knochen Himmel und Hölle schrien. Seine geübten Kampfgriffe ließen sie zurück taumeln und er selbst sammelte sich zusammen und stand um Kraft bemüht auf. Ein unbändiger Zorn nestete sich in seiner Brust ein und seine Hände zitterten als er sich zu der Frau umwand, die ihn nun schon mehr als zwei Monaten zum Gespött machte. „Es“ Sophie blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen und durch dicke Tränenschleier aus an. „reicht!“ Seine Stimme war zu einem animalischen Schreien angeschwollen und hallte ihn ihren Ohren wieder. Der Mann brauchte nur einige Sekunden um den überschaubaren Raum ab zu scannen und noch weniger Zeit um zu erkennen dass seine Waffe verschwunden war. Mit einer schnellen Bewegung riss er eine alte Schrotflinte von der Wand neben ihm und richtete sie unverblümt und mit feurigen Augen auf die junge Frau vor ihm. „Du hast mich lang genug an meiner langen Karriere und Erfahrung zweifeln lassen Weib!“ Seine Stimme glich beinahe einem Knurren. Doch statt der Angst die er angenommen hatte in Sophies Augen auf leuchten zu sehen setzte diese eine amüsierte Maske auf. Er Besann sich und hielt es für schlauer sich nicht in lange Hassreden zu verlieren sondern zielte nur noch ein letztes Mal mitten auf ihre schnell auf und ab senkende Brust bevor er abdrückte. Ein lauter ungedämpfter Knall entbrach aus der Mündung und eine rote Blume des Schmerzes blühte auf als die Kugel auftraf, sich durch das Hemd fraß und den Tod herbei beschwor. Ihr Lächeln ward nun starr als sie auf das frische Blut starrte dass den Stoff verfärbte. Die Schrotflinte fiel krachend zu Boden. Er sah ihr Lächeln, ihre kalten Augen, dann brach er zusammen. Die Automatik Pistole glühte  förmlich in ihren zierlichen Händen als sie dem Mörder dabei zu sah, wie dieser seinen letzten Atem atmend zu Boden sank.

One thought on “Milas Tod

  1. Bam! Was ein Ende! Ich hab zwischenzeitlich gedacht, ich würde einen Actionfilm schauen. Nicht schlecht. Danke für dieses Entertainment.
    Hin & wieder gab es jedoch ein paar Unstimmigkeiten für mich, die mich die Geschichte nicht gut verstehen lassen haben. Aber du solltest definitiv dran bleiben! Du hast wirklich Talent und kannst mit deinen Worten wirklich fesseln..
    weiter so!

    Herzlich, die Lia 💚🌿

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