enidandreasMit H, H wie Hoffnung

 

Mit H, H wie Hoffnung

 

„Das bin nicht ich! D-d-das bin doch nicht ich, oder?“

Der verzweifelte, fast schon flehende Blick wanderte durch ihren Tränenschleier zu ihm herüber.

Großvater schaute lange auf das Foto. Dann sah er sie an.

„Doch!“ sagte er.

 

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Kalt!

Dunkel!

Keine Lust!

Was anderes zu denken war Kathrin nicht im Stande. Dafür war es einfach zu früh. Wobei früh relativ ist, schließlich ist es schon 8.45 Uhr. Aber in der ersten Dezemberwoche ist es um diese Uhrzeit nun einmal kalt und dunkel. Und Lust hat sie schon lange nicht mehr. Die ist mit Martin gegangen. Und die Motivation haben die beiden auch gleich mitgenommen.

Martin ist, nein war Kathrins Mann. Nachdem sie sich vor knapp drei Jahren Hals über Kopf in ihn verliebt hat ließ die Heirat nicht lange auf sich warten. Das erste Mal in ihrem Leben war sie wirklich glücklich. Bis letztes Jahr dieser blöde Unfall passierte und Martin im Eis einbrach. Ab da war er verschwunden. Einfach weg. Sie hat nie wieder was von ihm gehört.

Dafür steht sie jetzt hier in der Schlange im Coffee Shop und muss in 15 Minuten den Laden aufmachen. Hinter der Kasse steht dieselbe dumme Gans wie immer. Bestimmt wird sie wieder Kerstin statt Kathrin auf den Becher pinseln. Wahrscheinlich sollte Kathrin froh sein das wenigstens der richtige Kaffee eingeschenkt wird. Sie hat ja mal davon gehört das es Absicht ist den falschen Namen auf den Becher zu schreiben. Dadurch sollen in den sozialen Medien Beiträge generiert werden die als Werbung gelten. Kathrin war das egal. Sie hasste diesen neumodernen Schnickschnack. Facebook, Instagram und wie das alles heißt. Sie war mit ihrem Klapphandy zufrieden und wollte nichts damit zu tun haben.

Endlich war es soweit. Den Kaffee hat sie schon bezahlt und natürlich steht wieder Kerstin auf dem Becher. Aber etwas war anders diesmal. Da lag ein Smartphone auf dem Becher.

„Hast Du gestern liegen lassen!“ sagte der Barista und war schon wieder verschwunden.

Kathrin überlegte kurz und entschied, dass dies der Neuanfang ist auf den Sie so lange wartete. Und wenn das Glück sie mal besucht, dann ergreift sie es.

So wie auch das Handy das jetzt in Ihre Tasche glitt als sie den Coffee Shop verlies.

*

Frank hatte es eilig. Er hat verschlafen. Wieder einmal. Wenn er noch öfter zu spät kommt muss er wahrscheinlich die Spätschichten auf dem Weihnachtsmarkt übernehmen. Dann kann er zuschauen wie die Leute Bratwürste verschlingen. Oder sich über Waffeln und Glühwein hermachen. So hatte er sich sein Polizistendasein nicht vorgestellt. Doch seit nun auch Weihnachtsmärkte als Anschlagsziel modern wurden mussten die Leute dort halt auch irgendwie beschützt werden. Und weil er Leute beschützen wollte ist er schließlich zur Polizei gegangen. Noch schnell um die Ecke dann ist er auch fast im Revier. Nur noch zwei Straßen.

„Mann ey, koof dir Oojen!“

Hoppala, das galt wohl ihm. In der Eile hatte er zwar gesehen das ein Mann in den Coffee Shop wollte und hat einen Schlenker gemacht. Womit er nicht rechnete war aber die Frau, welche gerade mit einem Becher Kaffee in der Hand austrat.

„Sorry!“ rief er und rannte weiter.

*

9 Uhr. Kathrin schloss den Laden auf. Sie fragte sich warum sie sich solche Gedanken um die Uhrzeit machte. Es handelt sich um ein Büroartikelgeschäft. Seit der Internethandel boomt und auch die großen Ladenketten alles benötigte an Schreibwaren anboten kam sowieso nur selten ein Kunde. Genau genommen wusste sie gar nicht wann das letzte Mal jemand etwas bei ihr gekauft hatte. Den Laden hielt sie nur am Laufen weil er sie an Martin erinnerte.

Sich darüber ärgernd das so ein Depp sie fast über den Haufen rannte als sie den Coffee Shop verließ zog sie ihre Jacke aus. Jetzt musste sie erst einmal den verschütteten Kaffee irgendwie von dem Ärmel bekommen. Während dessen fiel Ihr Blick auf das Handy. Schickes Ding, wie das wohl funktioniert?

Sie betrachtete es eingehend. Erst von hinten, dann von vorne. Als sie längere Zeit auf das Gerät schaute ging es auf einmal an. Was sie da sah konnte sie nicht glauben.

*

„Bleib Cool Alter, Meyer ist nicht da!“

Schöner konnte Frank von seinem Kollegen Steffen an diesem Morgen nicht begrüßt werden. Er hatte es zwar noch geschafft um Punkt 9 Uhr das Revier zu betreten. Aber sein Vorgesetzter setzte das nicht unbedingt mit Dienstbeginn gleich.

„Na dann ist ja gut. Was steht heute an?“

„So wie ich dich kenne erst ein Zuckerschock und dann darfst Du heute den Innendienst übernehmen. Wir haben noch ein paar Krankmeldungen bekommen.“

Schon war das mit dem tollen Tagesbeginn wieder vorbei. Frank hasste den Innendienst. Immer muss man sich die Probleme anderer anhören und sich eine Lösung überlegen.

„Ich bin doch kein Frisör!“ beschwerte er sich einmal bei seinen Kollegen. Daraufhin bekam er eine Woche später zu seinem Geburtstag ein T-Shirt vom Alm Öhi geschenkt und wurde von allen nur noch Großvater genannt. Humor fand er anders gut. Wahrscheinlich sagten sie auch er liegt mit Ziegenpeter im Bett wenn er sich mal krankmeldet.

Was soll‘s? Er ging in den Pausenraum und goss sich etwas von dem ein was die Kollegen als Kaffee bezeichneten. Mit Genug Zucker kann man alles genießbar machen ist seine Devise und so schaufelte er sich 6 Teelöffel Zucker in das Gebräu und rührte um. Genüsslich leckte er den Löffel ab. Dabei musste er an ein Hörspiel denken welches er mal gehört hatte. Dabei ging es um einen Löffel der Wünsche erfüllt, wenn man an diesem leckt.

„Jetzt einfach schon Feierabend!“ dachte er und leckte nochmals an dem Löffel. Doch nichts geschah.

„Na dann mal los.“ sagte er zu sich und ging wieder nach vorne.

*

„Martin?“ es war ein Flüstern. Ein Hauchen. Und es kam aus ihrem Mund.

‚Jetzt fang ich auch noch mit Selbstgesprächen an!‘ dachte Sie sich. Aber das kann doch nicht sein.

Sie nahm das Handy in die Hand und wischte wie wild mit den Fingern auf dem Display herum.

Das war Martin!

Und nicht nur das, da war auch… SIE!

Da waren Bilder wie Kathrin mit Martin zusammen im Freibad ist oder mit ihr spazieren geht. Aber das war nicht sie. Sie hasste das Freibad und spazieren ist Martin nie mit Ihr gewesen.

Und da waren noch mehr Bilder. Bilder die dem Datum nach bis vor vier Jahren zurück reichten.

Doch wie konnte das gehen, wo sie ihn doch erst vor drei Jahren kennen gelernt hatte?

Und warum passiert das jetzt? Jetzt, wo Martin gerade erst für tot erklärt wurde und sie ihn endlich beerdigen konnte?

Kathrin merkte wie Ihr Herz immer schneller schlug. Ihr Mund wurde trocken, Ihr Hals immer enger.

„Hilfe…“ krächzte sie.

„Ich brauche Hilfe!“

*

Frank hatte einen Fehler gemacht. Die Plörre war heute auch mit dem Zucker nicht genießbar. Er hat es wirklich versucht, aber er musste sich eingestehen das mehr als die halbe Tasse zu trinken einer Körperverletzung gleichkam. Also tat er was er tun musste. Er hat noch eine knappe Stunde so getan als ob er an der Tasse nippt und ist dann wieder in die Küche gegangen um den Rest zu entsorgen.

Steffen lugte mit dem Kopf in die Küche: „Hey Großvater, nebenan ist jemand für dich.“

„So wer denn?“ fragend blickte Frank seinen Kollegen an.

„Keine Ahnung. Ist eine Frau, eine Kathrin Zerbel. Sie sagt Ihr sei heute Morgen etwas Merkwürdiges passiert und sie müsse unbedingt mit jemandem reden der ihr helfen kann.“

„Okaykay, ich kümmere mich darum.“ Frank nickte bestätigend und machte sich auf den Weg.

Er betrat das Büro wo eine Frau auf ihn wartete. Frank rutschte das Herz in die Hose. Ein Blick auf die Dame verriet ihn das sein Gegenüber total aufgelöst war. Bleich und den Tränen nahe. Und das schlimmste war das er sie erkannte. Es war die Person die er am Coffee Shop beinahe umgerannt hatte. Jetzt bemerkte er auch den Fleck auf ihrem Jackenärmel.

Wie Mentalbrüchig muss man sein um wegen einem Fleck auf einer Jacke gleich mit den Tränen zu kämpfen?

Okay, seine Schwester hatte das auch mal gemacht. Aber da war sie gerade mal 6 und es war Ihr erster Schultag…

Augen zu und durch, dachte er.

„Hallo, mein Name ist Frank Dreburg. Wie kann ich Ihnen helfen?“ begrüßte er die Frau.

*

„Hallo, mein Name ist Frank Dreburg. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Kathrin blickte auf. Irgendetwas kam ihr an dem Polizisten bekannt vor. Doch was? Hatte sie Ihn schon einmal gesehen? Bestimmt nicht, an diese Nase würde sie sich erinnern.

Ich werde ihn mal lieber nicht fragen ob wir uns kennen, sonst hält der mich gleich für bescheuert und glaubt mir erst recht nicht.

Und so begann Kathrin zu erzählen wie sie an das Handy kam. Bei dem Gedanken an Martin schossen ihr auch gleich wieder die Tränen ins Gesicht. Auch ihre Stimme wurde brüchig.

Während Sie erzählte kramte Kathrin das Handy hervor. Noch während Sie es dem Polizisten über den Tisch entgegen schob ging es an.

*

„UiUiUi, nochmal Glück gehabt. Sie hat mich nicht erkannt.“ Das dachte sich Frank als er das Handy entgegennahm welches ihm herüber gereicht wurde. Offenbar hat sie es gleich mit ihrem Fingerabdruck entsperrt, ein Passwort musste Sie jedenfalls nicht eingeben.

Frank hörte zugegebener Massen nur halbherzig zu was die Frau zu erzählen hatte. Er wischte sich durch die Menus des Handys. Klickte kurz durch die Galerie. Fand ein Instagramprofil mit dem Namen dieKATze. Alles in allem nichts Ungewöhnliches. Er öffnete erneut eine Porträtaufnahme.

Als er aufblickte sah er sein Gegenüber völlig aufgelöst vor sich sitzen.

„Das bin nicht ich! D-d-das bin doch nicht ich, oder?“

Der verzweifelte, fast schon flehende Blick wanderte durch ihren Tränenschleier zu ihm herüber.

Großvater schaute lange auf das Foto. Dann sah er sie an.

„Doch!“ sagte er. Er tippte auf das Handy und wollte gerade zu einer Bemerkung ansetzen als es sich abschaltete.

Frank reichte das Handy über den Tisch und bat Kathrin es wieder zu entsperren. Als Kathrin ihn nur verständnislos anschaute knurrte er: “Bitte einmal den Finger da rauf legen…“

Kathrin tat wie ihr geheißen und das Handy erwachte erneut zum Leben.

Während Frank seine Augenbraue hochzog setzte er zu seiner Argumentation an:

„Schauen Sie: Das Handy kann mit Ihren Fingerabdrücken entsperrt werden. Dazu dieses Bild. Das sind doch eindeutig Sie. Selbst dieser Schönheitsfleck stimmt überein. Wer sollte das sonst sein, wenn nicht Sie?“

„Wenn ich das wüsste wäre ich wohl nicht hier, oder?“ Kathrin musste aufpassen nicht unhöflich zu werden.

Was bildete sich dieser Fatzke ein? Sie schüttet ihr ganzes Herz aus. Erzählt sogar das sie sich nach Martins Tod wegen Depressionen und Selbstmordgefahr in psychologische Behandlung begeben hat. Und er sagt einfach nur doch? Der spinnt ja wohl.

Da ihr trotz allem jedoch klar war das sie ihre letzten Gedanken besser nicht laut aussprechen sollte, antwortete sie nur: „Vielleicht habe ich doch nur überreagiert. Ich entschuldige mich!“

Kaum ausgesprochen nahm Kathrin das Handy, warf sich ihre Jacke über und verließ den Raum.

Frank blickte ihr verdutzt nach. Schüttelte nach einer Weile den Kopf und griff zu der Kaffeetasse welche er mit in den Raum brachte. Er nahm einen Schluck und steckte sich geistesabwesend den Löffel in den Mund.

„Warum funktioniert das mit diesem Scheiß Löffel nur nicht?“ raunte er sich zu als auch er den Raum verließ.

*

Kathrin nestelte nervös an ihrem Schlüsselbund. Mit ihren zittrigen Fingern bekam sie kaum den Schlüssel in das Loch.

Dieser blöde Bulle! Hat der überhaupt zugehört?

Was mach ich den jetzt nur?

Da erinnerte Kathrin sich an Dr. Wurstwasser.

Was ein bescheuerter Name. Kathrin hatte ihren Therapeuten damals gefragt warum er an diesem Namen festhielt und ihn nicht änderte. Seine Antwort klang schlüssig: „Jeder der an diesen Namen denkt bekommt Appetit oder muss lächeln. Beides Anzeichen für eine gesunde Psyche. Ich denke das passt!“

Er behielt Recht. Kathrin bekam zwar keinen Appetit, merkte aber, dass sich trotz allem ein Lächeln auf Ihre Lippen stahl. Sie würde mit ihm Kontakt aufnehmen. Ihr eigenes Lächeln verlieh ihr Kraft und so trat sie beschwingt in ihren Laden ein. Die Frau, die jetzt aus dem Auto welches vor dem Laden parkte ausstieg, bemerkte Sie nicht.

*

Frank bekam ein schlechtes Gewissen. Diese Kathrin ging ihm nicht aus dem Kopf. Sicher, er war froh das es nicht darum ging jemanden für den Fleck auf dem Jackenärmel verantwortlich zu machen, doch irgendetwas störte ihn.

Er konnte es nur nicht greifen.

Frank beschloss nochmal in diesen Laden zugehen und nach der Frau zu schauen, wenn Steffen aus der Pause zurück ist.

*

Kathrin beendete den Anruf bei Dr. Wurstwasser und fühlte sich gleich besser. Er würde vor seinem Urlaub ausnahmsweise auf einen Hausbesuch im Laden vorbeischauen. Da hat Sie ja Glück gehabt, dass das ganze nicht einen Tag später passiert. Jetzt erst einmal den Laden kurz abschließen und einen Kaffee kochen.

„Endlich können wir uns mal in die Augen schauen!“

Kathrin erschrak. Sie drehte sich um und konnte nicht glauben was sie da sah. Und das schon wieder. Am selben Tag! So langsam zweifelte Sie doch an ihrem Verstand.

Es war als ob ein Spiegel lebendig geworden ist. Vor Ihr stand eine Frau die Ihr auf das Haar glich. Das Gesicht, der Körper, alles wie ein Ebenbild. Wie konnte das sein?

„Tu doch nicht so überrascht!“

Der Spiegel sprach mit ihr. Komisch. Es war wie ein Wabern. Kathrin nahm alles wie durch eine Dunstwolke wahr. Das gleiche Gefühl hatte Sie nach dem Unfall von Martin. Als die Depressionsschübe dermaßen überwältigend auf Sie hinab fuhren das sie kurz vor dem Suizid stand. Das war der Zeitraum wo Ihr Psychotherapeut ihr mehrmals das Leben rettete. Sie war schon länger bei ihm in Behandlung, aber zu dieser Zeit brauchte sie ihn am dringendsten.

„Ich rede mit dir! Hat es dir die Sprache verschlagen?“

Kathrin kam langsam zu Bewusstsein, ihr Wahrnehmungsvermögen klarte auf.

„Das kann nicht sein!“ stammelte Kathrin

„Siehst Du doch! Ich dachte Du weißt von mir? Ich schlage vor wir setzen uns erst einmal in deine Kaffeeküche!“

Kathrins Blick fiel auf die Pistole mit welcher die Frau Ihren Vorschlag untermauerte. Kaum in der Küche angekommen wurde sie auf den Stuhl gesetzt und mit Klebeband an diesem festgebunden. Zu wehren traute Kathrin sich nicht. So muss sich ein Reh fühlen das geradewegs in die Scheinwerfer eines herannahenden Autos schaut und in Schockstarre verfallen ist.

Kathrin wurde jetzt so einiges klar. Ihr Vater, Gott hab ihn selig, machte Ihr eine Beichte, kurz bevor er dem Krebs erlag. Er erzählte Ihr das Sie eine Schwester habe.

Dass es sich um eine Zwillingsschwester handelte hatte er aber verschwiegen. Sie dachte da eher an so etwas wie einen Unfall bei einem der vielen Sekretärinnen welche des Öfteren nicht nur Kaffee für ihn kochten. Aber eine Zwillingsschwester? Wie sollte das gehen? Da hätte doch wenigstens Ihre Mutter etwas darüber wissen müssen…

„Das ist ja putzig! Wären wir im Comic dann würden jetzt aber ein Haufen Zahnräder über deinem Kopf schwirren. Man hat fast das Gefühl man kann es rattern hören!“ Die Frau machte einen Schritt auf Kathrin zu.

„Ich helfe Dir mal, damit der Groschen nicht Pfennigweise fallen muss. Ich bin deine Zwillingsschwester. Der Mann den Du für deinen Vater gehalten hast, der kaufte dich unserer Mutter ab. Der arrogante Sack hat damals im Krankenhaus mit seinem Geld gewedelt und schon hat jeder gemacht was er wollte. Unsere Mutter war alleinerziehend. Viel Geld war nie vorhanden. Und im Zimmer nebenan da lag eine Frau im Koma. Sie war in einen Autounfall verwickelt. Die Ärzte hielten Sie am Leben um wenigstens das Kind lebendig zur Welt kommen zu lassen. Dass sie irgendwann wieder aufwacht war ausgeschlossen. Wie es der Zufall jedenfalls wollte gebar die Frau einen gesunden Sohn nur einige Minuten nachdem wir beide zur Welt kamen.

Und dein, nennen wir ihn ruhig so, Vater, der kam zu unserer Mutter. Er hatte Ihr eine monatliche Zahlung und eine Einmalsumme geboten um eine Ihrer Töchter gegen seinen Sohn zu tauschen. Und, warum auch immer, sie sagte zu.

Die einzige Bedingung die sie stellte war das sie den Namen bestimmen wollte. ‚Sie soll Kathrin heißen. Mit H, H wie Hoffnung.‘ Sie war der Meinung das es wenigstens einer von uns beiden gut gehen solle. Und ich heiße Katrin. Ohne H. Ohne Hoffnung, dafür aber inzwischen mit einem Plan. Martin und ich setzten uns zusammen als unsere Mutter uns alles gestanden hatte. Ursprünglich wollten wir ganz simpel unseren Vater umbringen lassen und ich wollte an deiner Stelle das Erbe antreten. Klang nach einem guten Plan.

Aber dann geht der Pleite… Weg! Die ganze Kohle einfach nur Weg. Du kannst Dir nicht vorstellen wie sauer ich war.“

„Martin? Ich verstehe nicht…“ Kathrin schwirrte noch immer der Kopf. Das war alles so verwirrend.

„Ja, Du hast richtig gehört. Martin! Wir mussten doch irgendwie an den Alten. Also hat Martin sich an dich rangemacht. Glaub mir, es war lästig. Immer wieder konnte ich mir anhören wie du ihn zu geheult hast. Du hast ihn mit deinen Depressionen fasst um den Verstand gebracht. Er hat sich sogar selber zu deinem Psychoonkel in Behandlung begeben. Und da kam uns dann die Idee. Wie wäre es mit einer gegenseitigen Lebensversicherung? Hoch genug abgeschlossen und dann hast Du irgendwann wieder einen deiner Schübe. Zu Weihnachten passiert das öfters. Wir haben extra deine Fingerabdrücke in mein Handy gespeichert, so hätten wir einen schönen Abschiedsbrief hinterlassen können.“

„Du meinst, Martin lebt? Er ist irgendwo und lacht sich ins Fäustchen?“ Kathrin wusste nicht ob sie sich freuen sollte oder nicht. Trotz allem was Sie gerade gehört hatte wollte Sie nicht das der Liebe ihres Lebens Irgendetwas zustößt.

„Pah! Der Idiot hat sich doch umgebracht! Hörst du nicht zu? Ich habe doch gerade erzählt das er auch bei deinem Hirnpfuscher war. Half aber nichts, Du hast Ihn so Irre gemacht das er sich offenbar entschloss Schluss zu machen.

Du kannst Dir meine Verzweiflung nicht vorstellen. Oder hast du was herausgefunden? Hast Du den Spieß einfach umgedreht? Ich war mir nicht sicher. Ich wusste ja von der Lebensversicherung. Daher bin ich dir die letzten Tage auf Schritt und Tritt gefolgt.

Nebenbei bemerkt, Der Heini von der Bank war vorhin hier. Ich habe das Geld mal für Dich in Empfang genommen. Ist auf dem Tresen in dem Koffer. War wohl ein bisschen komisch das in dem Vertrag eine Barauszahlung verlangt wurde, aber stand da halt.“

Ein Rütteln an der Tür erschallte. Endlich! Das muss der Doktor sein. Endlich kommt jemand und wird sie retten.

Kathrin fasste allen Mut zusammen und wollte laut um Hilfe rufen, da hatte Sie aber schon eines der Geschirrhandtücher im Mund. Katrin fixierte es mit einem zusätzlichen Meter Klebeband und schaute Ihr in die Augen.

„Schön artig bleiben, bin gleich wieder da!“

Sie drehte sich um und ging zur Ladentür.

*

Katrin eilte zur Ladentür. Während Sie den Laden aufschloss lächelte Sie den Mann vor der Tür an.

„Guten Tag Herr Wurstwasser, treten Sie ein. Was führt Sie zu mir?“

Der Psychotherapeut war etwas verwundert. Sollten zu den Depressionen jetzt auch noch eine Identitätsstörung auftreten? Diese Frau vor ihm wirkte so sonderbar selbstsicher.

„Verzeihen Sie, Frau Zerbel, doch Sie hatten mich angerufen!“

Katrin blickte dem Mann in die Augen.

„Habe ich das? Verzeihen Sie ich bin ganz durch den Wind.“

Irgendetwas lief hier schief. Das war nicht die Kathrin die er aus seinen Sitzungen her kannte.

Der Blick des Psychotherapeuten fiel auf den Koffer der auf dem Ladentresen stand.

„Heute war also der große Tag? Die Versicherung ausbezahlt und endlich können Sie die Sache mit Martin abschließen?“

Katrin versuchte sich Ihre Verwunderung nicht anmerken zu lassen und nickte nur kurz während Sie ihren treuherzigsten Dackelblick aufsetzte.

„Nana, wir haben doch öfters darüber gesprochen Frau Zerbel. Es ist nichts falsch daran. Nehmen Sie das Geld und fangen Sie ein neues Leben an. Dafür ist eine Lebensversicherung da! Und wissen Sie was? Das feiern wir. Jetzt und hier. Ich habe etwas mitgebracht!“

Katrin überlegte kurz. Wie sollte Sie diesen aufdringlichen Typen jetzt schnell los werden? Wollte der sich etwa an sie ranmachen um auch was von der Versicherungssumme abzustauben? Sie entschloss sich das Spiel mitzuspielen, einen Schluck zu trinken und ihn dann vor die Tür zu setzen.

Ein Rumpeln unterbrach Ihren Gedankengang.

„Nanu, sind wir nicht allein? Ich habe nur für zwei mitgebracht.“

„Ach nein, über dem Laden wird renoviert. Da ist in letzter Zeit immer so ein Krach. Das können wir ignorieren. Ich glaube Sie haben Recht, schenken Sie ein.“

„Einschenken muss ich nicht. Weil wir uns in Zukunft um nichts mehr kümmern wollen habe ich die hier mitgebracht.“

Freudestrahlend stellte er zwei Kümmerling auf den Tresen. Schraubte einen auf und reichte Ihn zu Katrin.

Oh Gott echt jetzt? Kümmerling? Dieses ekelhaft bittere alte Herren Gesöff?

Was hilfts da muss Sie jetzt durch. Am besten schnell, damit der Typ abhaut.

„Also dann, um nichts mehr kümmern!“ sagte Sie und kippte das widerliche Zeug herunter. Sie schüttelte sich und schaute den Doktor an. Dann bemerkte Sie wie Ihr schwindelig wurde. Die Welt konnte Sie nur noch verschwommen wahrnehmen, ein Würgereiz setzte ein. Das Sie mit dem Kopf auf den Tresen schlug während Sie zu Boden fiel merkte Sie schon nicht mehr.

*

„Na das war ja einfach. Passendere Worte zum Abschied hättest du dusselige Kuh nicht wählen können!“

E°605… Wer sagt eigentlich man kann nur Schund im Internet bestellen? Während Dr. Wurstwasser zusah nicht in das Erbrochene zu treten hob er das Kümmerling Fläschchen auf. Nachdenklich sah er auf die leblose Gestalt herunter während er noch eine Packung Schlaftabletten neben Ihr auf dem Boden platzierte.

„Endlich ist es vorbei. Endlich kann ich Dir sagen das Du mir auf den Sack gehst. Ihr alle geht mir auf den Sack. Immer dieses Geheule das ich mir anhören musste. Nicht nur von Dir auch von deinem Martin. Und all den anderen die in meine Praxis kamen. Wusstest Du das dein Mann dich umbringen wollte? Und das hat der Depp mir verraten…

‚Sie könne ja eh nicht zur Polizei. Schweigepflicht und so.‘

Das hat er mir hingeworfen! Aber da hat er die Rechnung nicht mit mir gemacht. Nicht mit mir!“

Er brüllte fast während er sich in Rage redete.

„Doch Wörter sind die beste Waffe. Sechs Monate habe ich gebraucht um seine eingebildeten Depressionen in eine echte zu verwandeln. Das Ergebnis hast Du gesehen. Es steht hier auf dem Tresen. Das schnapp ich mir jetzt und bin weg!“

Er griff nach der Tasche und ging zum Laden hinaus.

*

Mist, schon wieder muss ich hetzen. Frank hatte nicht viel Zeit, es war schon spät. Erst kam Steffen Ewigkeiten aus der Pause nicht zurück und dann musste er auch noch eine Anzeige wegen einem Unfall mit Fahrerflucht aufnehmen.

Er ging schnellen Schrittes um die Ecke und sah wie ein Mann aus dem Schreibwarenladen kam.

Gut so. Bei so kleinen Läden weiß man nie ob die nicht mittags geschlossen haben. Das hätte ihm noch gefehlt, wenn er den Weg umsonst gelaufen wäre.

Als er schwungvoll die Tür öffnen wollte stieß er sich jedoch die Nase. Es war abgeschlossen.

Seltsam.

Er machte einen Schritt auf den Mann zu der gerade aus dem Laden kam.

„Entschuldigen Sie bitte!“

*

„Entschuldigen Sie bitte!“

Dem Psychotherapeuten rutschte das Herz in die Hose. Was wollte denn der Polizist jetzt von ihm?

„Ja? Ich weiß, das werden Sie nicht glauben, aber ich stand nicht einmal 5 Minuten hier.“

„Bitte?“

„Ich hätte das nicht tun sollen, ist schon klar. Aber ich habe keinen Parkschein gezogen, weil ich ja gleich wieder weg…“

„Keinen Parkschein, soso.“ unterbrach ihn Frank

„Na da haben Sie ja Glück das ich von der Polizei und nicht vom Ordnungsamt bin. Keine Angst, wir sind auch nur Menschen. Jeder macht mal Fehler. Ich wollte eigentlich fragen ob Sie in dem Geschäft hier waren. Die Tür ist zu, aber ich sehe kein Schild welches eine Mittagspause ankündigt.“

In das Geschäft? Fuck, warum in diesen Laden? Ich denke da kommt nie jemand hin? Was hat die Alte ihm erzählt?

Dr. Wurstwasser merkte wie sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten. Auch seine Atmung wurde schneller.

Was jetzt?

Die Wahrheit glaubt niemand, also Augen zu und durch.

„Ja! Nein! Ähm, ich meinte ich wollte nochmal nach der Inhaberin schauen. Sie rief mich heute früh an. Da ich aber gleich zum Flughafen muss, weil ich in den Urlaub fliege habe ich ausnahmsweise mal einem Hausbesuch zugesagt.“

„Dann sind Sie also der Psychiater mit dem lustigen Namen?“

„Psychotherapeut, nicht Psychiater! Sie kennen mich?“ das Herz des Akademikers schlug immer schneller. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Mist verdammter, wenn er nicht aufpasst würde er noch einen Herzinfarkt bekommen.

„Die Frau Zerbel hat Sie erwähnt als Sie heute auf der Wache war. Wie geht es ihr?“

„Sie ist ein bisschen durcheinander, zumindest klang das am Telefon so. Ich habe Ihr geraten sich hinzulegen bis ich komme. Jetzt hat Sie nicht aufgemacht, und da ich es eilig habe bin ich wieder los.“

Was redete er sich denn jetzt um Kopf und Kragen?

„Meinen Sie es ist etwas passiert? Soll ich die Kollegen rufen?“

Die Kollegen? Panik machte sich daran die Oberhand zu gewinnen.

„Ich glaube das wird nicht nötig sein. Frau Zerbel hat es sich angewöhnt eine Schlaftablette zu nehmen, wenn Sie sich zu sehr aufregt. Meine Vertretung wird morgen nochmal nach Ihr schauen!“

Frank sah zuerst den Mann vor sich an, dann auf seine Uhr. Sein Gegenüber schnaufte und schwitzte, sah auch ziemlich angestrengt aus.

Und spät war es auch schon wieder. Er hatte nur noch 10 Minuten um wieder am Schreibtisch zu erschienen.

„Sie sehen auch so aus als ob Sie den Urlaub brauchen. Eine Erkältung? Ich hoffe es geht in die Sonne!“

„Karibik, ja. Endlich mal von allem loslassen. Sich mal um nichts kümmern.“ Der Therapeut quiekte fast vor Erleichterung.

Das die Vertretung morgen kommt um die Leiche zu finden war eh geplant, aber da würde er schon in seiner Hängematte liegen.

„Dann grüßen Sie mal die Sonne von mir. Ich wünsche einen guten Flug!“ Frank nickte seinem Gegenüber zum Abschied zu und drehte sich um.

Mist, nur noch 8 Minuten.

7 thoughts on “Mit H, H wie Hoffnung

  1. Hallo Jana,
    Hallo Daniel,

    vielen Dank für das Lob. Wenn euch die Geschichte ein paar vergnügliche Minuten gebracht hat, hat es sich ja schon gelohnt.

    Auch den anderen die ein LIKE abgegeben haben ein Dankeschön. Es ist toll zu sehen wie Geschichten die nicht durch Social Media Profile gepusht werden auch einen positiven Anklang finden.

    An dieser Stelle auch gleich nochmal Sebastian Fitzek für die Idee und dem gesamten Team für die Umsetzung ein dickes DANKE, habe viel lernen können.

  2. Wow! Was eine wahnsinnig geniale Geschichte!!!
    Das mal zu allererst!
    Leider bist du immer mal wieder zwischen den Zeiten gesprungen, zumindest schien es mir so. Auch die Zeichensetzung kam mir mal mehr mal weniger angemessen vor. Angemessen daher, weil auch das mein größtes Manko darstellt… Aber nun gut 😂
    Mir hat es total gut gefallen, dass du immer beschrieben hast, was so random bei den Leuten in deren Köpfen vorging.. das hat die Geschichte für mich aufgelockert und sogar bei dem Genre auch mal für ein schmunzeln auf meinen Lippen sorgen können. Danke an der Stelle ☺️ Um dir da ein Beispiel nennen zu können möchte ich nur „Ziegenpeter“ sagen 😂👌🏻 Auch das Ding mit dem „Wunschlöffel“ das du auch immer wieder mal aufgegriffen hast; hat die Geschichte für mich erst so gelungen gemacht!;)
    Du hast einen sehr spannenden, flüssigen Schreibflow und auch schöne Zitate einfließen lassen, die mir hoffentlich noch eine Weile im Kopf bleiben a la „Wörter sind die beste Waffe“..
    Wow! Dran bleiben! Gesund bleiben! Weitermachen!!!!:)

  3. Hallo LiaDior,

    vielen Dank für die lieben Worte. Es ist schön zu sehen das jemand einen Kommentar schreibt der die Geschichte gelesen hat und direkten Bezug dazu nimmt. Das mit der Bewertung der Zähler um Plus 1 steigt ist auch ein toller Nebeneffekt 😉

    Das mit der Zeichensetzung…Ich muss zugeben: Nachdem ich ein Interview mit Chris Carter gesehen habe fiel es mir leichter auch etwas Arbeit für die Lektoren übrig zu lassen.

    Falls es interessiert: Die Geschichte mit dem Wunschlöffel ist ein Hörspiel und gibt es wirklich, ist sehr zu empfehlen:

    Dodo (von Ivar Leon Menger)

    Viele Grüße

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