ImHaeJinSchatten-Kind

Der Nachmittagswind wehte kühl oben auf der Terrasse der Universität. Viele Tage hatte Mona hier verbracht – lernend, lachend, seufzend – heute war es das letzte Mal. Langsam ließ sie ihre Augenlider zufallen, während ihre Lunge sich mit der kühlen Luft füllte. Ihre Lungenflügel weiteten sich bis sie ans Gitter ihres Brustkorbes stießen. Für einen Moment hielt sie die eiskalte Luft an.
1. 2. 3. Langsam ließ sie die Luft entweichen und mit ihr jegliche Anspannung aus ihrem Körper.
„Nervös?“, hörte sie die Stimme ihrer engsten Freundin neben sich fragen. Mona nickte. „Wegen der Abschiedsrede vor Allen?“
Mona schüttelte mit dem Kopf. „Die Abschiedsrede hier, in diesem gesicherten Ort, der mir vertrauter ist als mein Zuhause, ist kein Problem.“ Ein Hauch eines Lächelns schlich über ihre Lippen. „Es ist die Zukunft da draußen. Was wird sie uns bringen?“

 

***

 

Menschen fürchten vieles, was ihnen unbekannt ist – wie die Zukunft. Doch ist es nicht das, was wir kannten, aber nicht zu kennen behaupteten, was wir am meisten fürchten?

Diese Worte gingen Mona durch den Kopf, als sie Stunden später in ihrem Zimmer stand und ihren Koffer packte.
„Du hast heute dein Bachelorzeugnis erhalten. Musst du wirklich schon morgen in einer anderen Stadt anfangen zu arbeiten?“ Ihre Mutter betrat ihr Zimmer und reichte ihr einige Kleidungsstücke, die sie heute erst gewaschen und gebügelt hatte. Es waren Monas Lieblingsstücke, die sie immer wieder und wieder trug.
„Ich bin nur eine Stunde Autofahrt von dir entfernt, Mum“, erwiderte sie, während sie ihre Kleider ordentlich in den Koffer legte.
Ihre Mutter nickte. „Du warst schon immer die Stärkere von uns beiden.“ Sanft strich sie ihrer Tochter eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich gehe schnell zum Supermarkt und besorge einige Kleinigkeiten, bevor ich uns ein schönes Abendessen zaubere“, fügte ihre Mutter hinzu, während sie auf dem Weg war, das Zimmer wieder zu verlassen.
„Okay“, rief Mona ihrer Mutter hinterher, wobei sie längst wieder in ihren eigenen Gedanken vertieft war. Eigentlich war sie seit Tagen mindestens so traurig wie ihre Mutter, doch heute war alles anders. Irgendwie fühlte sich alles heute so taub an. Als würde sie in einer Seifenblase schweben.
Gedankenverloren fragte sie sich, was sie noch brauchte. Ihr Blick blieb am obersten Regal ihres Kleiderschrankes hängen, wo ihre selten getragenen Sachen verstaubten. Sie griff nach dem ersten Stapel und bereute es in der nächsten Sekunde, als etwas Hartes sie an der Stirn traf. Fluchend hob sie den schwarzen Gegenstand vom Boden auf und drehte ihn in ihrer Hand. „Was ist das?“ Verwundert betrachtete sie das uralte Handy. In der ersten Sekunde hatte sie es für ein Spielzeug gehalten, so unnatürlich wie es wirkte, doch nachdem sie ein paar Tasten gedrückt hatte, stellte es sich als echtes, funktionstüchtiges Handy heraus.
Nicht Herrin über ihre Neugier entsperrte sie das Handy, welches zu ihrer Verwunderung nicht passwortgeschützt war. Ihr Blick wanderte zu ihrem Kleiderschrank, dann wieder zurück auf den alten Gegenstand, welcher schwer in ihrer Hand lag. Wie kam das Handy in ihren Schrank?
„Mum?“, rief sie ohne das Handy aus den Augen zu lassen. „Mum?“ – Stille. War ihre Mutter schon aus dem Haus?
In der Hoffnung etwas schlauer über die Herkunft des Handys zu werden, rief sie die gespeicherten Kontakte auf. Ohne zu zögern rief sie den einzigen unter „Mum“ abgespeicherten Kontakt an. „Die von Ihnen gewählte Nummer ist leider nicht vergeben…“, sprach eine Frauenstimme auf der anderen Seite der Leitung.
Mona startete einen zweiten Versuch etwas über den Eigentümer des Besitzers zu erfahren, als sie sich die Fotogalerie vornahm. Geschockt klappte ihr der Kiefer auf. Mit zitternden Fingern tippte sie durch die endlosen Fotos eines kleinen zwölfjährigen Mädchens, dessen abgemagerter Körper von blauen Flecken übersäht war. Ihre verängstigten Augen schrien so laut um Hilfe, dass Mona das Handy aus der Hand fallen ließ und sich die Ohren zu hielt.
„Nein, nein, nein, nein!“ Rückwärts taumelte sie auf ihr Bett zu. „Nein!“ Geschockt und überwältigt von dem, was sie gerade gesehen hatte, verkroch sie sich in die Ecke auf ihrem Bett. Ihre Knie eng an ihre Brust gedrückt und von ihren Armen wie eine Festung umschlossen, vergrub sie ihr Gesicht darin. Sie wollte das Handy nicht mehr sehen. Sie wollte nicht mehr an die Bilder denken. Sie wollte fliehen, doch ihr Körper rührte sich nicht. Ihr Herz hämmerte mit solch einer Wucht gegen ihren Brustkorb, dass sie das Pochen in ihren Adern mit jeder Zelle am ganzen Körper spürte.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, in der sie zusammengekauert auf ihrem Bett saß, bevor das Handy in der Mitte des Zimmers zu klingeln begann. Es war ein Lied, das sie aus alten Zeiten kannte. Ein Lied, dass sie früher immer geliebt hatte. In diesem Moment hörte es sich in ihren Ohren an, wie der Bote des Unheils. Mit klopfendem Herzen wagte sie es, aus ihrer Festung hervorzukommen. Langsam kroch sie von ihrem Bett herunter und näherte sich noch langsamer dem Handy, als würde sie sich einer tickenden Bombe nähern.
„H-Hallo?“ Ihre Stimme zitterte und sie hielt automatisch die Luft an, während sie auf eine Antwort des unbekannten Anrufers wartete. Nervös zählte sie die verstreichenden Sekunden, was eine kleine Macke aus ihren Kindheitstagen war.
„Ich habe dich gefunden, Prinzessin“, ertönte die lachende Stimme eines jungen Mädchens.
„W-was willst du von mir?“, stotterte Mona in den Hörer und das Lachen verstummte mit einem Schlag. Die entstandene Stille legte sich wie metallener Staub schwer auf ihren Schultern. Ihre Füße gaben nach und sie sackte zu Boden.
„Sollte ich diese Frage nicht dir stellen? Was wolltest du von mir?“, kam es von dem kleinen Mädchen aus der Leitung. Dabei fehlten ihrer Stimme jegliche Emotionen, sodass Mona erschauerte. Die Stimme des Mädchens war so kalt wie der Tod.
„Ich habe dir niemals etwas angetan.“ Um ein Haar wäre Mona das Handy aus der Hand gefallen, als im Flur das Licht anging. Mit rasendem Herzen stand sie auf und lief in den Flur. Sie musste sich an der Wand und den Möbeln abstützen, da ihre Beine sich taub anfühlten. Als wären sie kein Teil ihres Körpers. Alles fühlte sich so fremd an, dass Mona das Gefühl hatte, dass ihr Geist und ihr Körper keine Einheit mehr waren. „Hallo?“ Ungewöhnlich verzerrt hallte ihre Stimme von den Wänden. „Mum? Bist du es? Mum!“
„Gib es auf, sie wird dich nicht retten. Du bist allein. Genauso allein, wie ich es war“, ertönte die Stimme des Mädchens erneut. Unglaubwürdig schüttelte sie kaum merkbar mit dem Kopf. Das ist nicht wahr, dachte Mona als sie die Küche betrat und nach ihrer Mutter Ausschau hielt. Die Küche lag im Dunkeln und Mona wagte es nicht das Licht anzuschalten.
„Überraschung!“ Mona fuhr herum, doch es war zu spät. Das Metall der Pfanne traf sie mitten im Gesicht. Sterne tanzten vor ihren Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb ihr die Luft weg. Kraftlos fielen ihre Augenlider zu und mit der Dunkelheit stiegen alle Erinnerungen hoch. Erinnerungen, die sie vor Jahren hinter sich gelassen hatte.
„Nein. Bitte. Bitte, nicht! Ich mache das nie wieder!“, hallte die verzweifelt flehende Stimme eines kleinen Mädchens in ihrem Kopf. Das nächste Mal als Mona ihre Augen öffnete, lag sie auf dem Rücken und wurde durch den Flur gezogen. Überraschend viel Kraft steckte in so kleinen Händen, dachte sie als ihre Augenlider erneut zufielen.
„Du warst ein böses Mädchen!“
Nach Luft schnappend schreckte Mona auf. Ihre Augen huschten nervös von einem Punkt zum anderen, ohne ein exaktes Ziel fokussieren zu können. Es dauerte eine ganze Weile bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sie den Keller erkannte, während ihr rasender Puls sich etwas beruhigte und sie besser zu Atem kam. Jeder Atemzug brannte in ihrer Lunge.
„Wie lange ist es her?“, hörte sie die Stimme des Mädchens aus der Dunkelheit. „Hast du mich vermisst? Je an mich gedacht?“ Mona wollte sich die Ohren zuhalten, jedoch reagierten ihre Hände nicht. Sie benötigte einige Sekunden, um zu begreifen, dass sie gefesselt war.
„Weißt du wie es ist, wenn man vor Angst paralysiert ist? Wenn der eigene Körper nicht mehr reagiert und man in seinem eigenen Körper gefangen ist?“ In der Dunkelheit hätte Mona schwören können, dass sie die Silhouette eines Schattens gesehen hatte. „Oder wenn man ganz allein in der Dunkelheit ist und da ist keiner, der deine Schreie hört?“
„Bitte, hör auf!“, schrie Mona, so laut ihre Lunge es erlaubte. Die Fesseln an ihrem Handgelenk schnitten tief in ihr Fleisch und der Schmerz machte ihren Wunsch zunichte, dass es sich bei allem nur um einen Traum handelte.
„Auch ich hatte dich angefleht, mich nicht allein zu lassen, mir zu helfen.“ Der Schatten kam immer näher auf Mona zu und blieb wenige Meter vor ihr stehen. Sie konnte nicht genau sagen, ob es ihre Angst war, welches das Bild vor ihren Augen verzerrte.
„Ich… Ich habe nichts getan“, winselte Mona. Der Schatten trat näher und plötzlich erkannte Mona die Person vor ihr. Es war das Mädchen von den Fotos. Das Mädchen aus ihrer dunklen Vergangenheit. Lisa.
„Du hast mich eingesperrt!“ Schrie Lisa und das Deckenlicht über ihnen ging flatternd an. Geblendet kniff Mona ihre brennenden Augenlider zu. „Eingesperrt in einer winzigen Kiste aus Metall, in der ich kaum noch atmen konnte!“ Nach und nach gewöhnten sich Monas Augen an das grelle Licht und sie musste feststellen, dass sie nicht im Keller waren. Sie befanden sich mitten im Wohnzimmer. Viel Zeit blieb ihr nicht sich über diese Fehleinschätzung von ihr zu wundern. Kaum war ihr Blick auf das Mädchen vor ihr gefallen, stockte ihr der Atem. „Lisa… Was ist aus dir geworden?“ Ihre Frage war nicht mehr als ein leiser Hauch. Ihr Blick wanderte musternd von Lisas Kopf bis zu ihren Füßen und den ganzen Weg zurück. Mona konnte nicht glauben, was sie sah.
Lisa trat humpelnd einen Schritt auf sie zu. „Sieh, was aus mir geworden ist. Was du aus mir gemacht hast“, brüllte Lisa und funkelte Mona dabei an.
Mona wollte ihre Augen schließen und alles vor ihren Augen vergessen, doch ihr Körper reagierte nicht. Auch, wenn es ihr möglich gewesen wäre, eine Wand zwischen sich und Lisas Gestalt vor ihren Augen zu ziehen, es war zu spät. Das Bild hatte sich in jede einzelne ihrer Gehirnzellen eingebrannt. So schnell würde sie es nicht mehr vergessen können.
Lisas Kopf war in einem 45° Winkel zur Seite geneigt und wirkte steif, als würde ein Hexenschuss verhindern, dass sie diesen geradestellen konnte. Ihre blasse Unterlippe war aufgeplatzt, auch knapp über ihrer Augenbraue befand sich eine eingetrocknete Platzwunde, deren Blut ihr blondes Haar rot gefärbt hatte. Bei jedem Schritt zog sie ihr linkes Bein nach und knickte ein, wenn sie auf dieses auftrat. Ihre rechte Hand war unnatürlich verdreht. Mona wusste nicht, ob dies anatomisch überhaupt möglich war.
„W-wie ist das passiert?“ Mona stiegen die Tränen in die Augen. Sie konnte und wollte es nicht glauben, was aus Lisa geworden war.
„Als du mich in diese Kiste aus Metall eingesperrt hattest, dachtest du wirklich, dass ich in der Kälte und Dunkelheit gedeihen könnte?“ Lisa streckte ihre verkrüppelte Hand demonstrativ aus. „Einsam und hungernd hast du mich dem Tode überlassen.“
„Ich… Ich wollte das alles nicht“, begann Mona, doch ihre Stimme versagte ihr. „Ich war so klein und… und… Ich hatte Angst.“ Immer wieder atmete Mona tief durch. Mit jeden Atemzug hatte sie das Gefühl immer weniger Luft zu bekommen. Ihr Herz verkrampfte in ihrer Brust mit jeder Sekunde, in der sie zuließ, dass die Vergangenheit sie einholte.
„Hatte ich keine Angst? Ganz allein in der Dunkelheit? In der Kälte, mitten im Nichts, verlassen und vergessen?“ Lisa holte aus und schlug mit dem Handrücken in Monas Gesicht. Durch den Wucht fiel Mona zu Boden. Zitternd legte sie ihre Hand auf die schmerzende Wange. „Du wusstest über alles Bescheid! Du hättest mir helfen können. Stattdessen bist du geflohen und hast mich zurückgelassen. Du hast mich verraten. Du hast mich sterben lassen!“ Lisa machte einen bedrohlichen Schritt auf sie zu. „Jetzt werde ich dir zeigen, wie es sich jahrelang eingesperrt lebt.“
„Nein…“ Mona kniff die Augen zu. „Das…“
„Spürst du sie?“, hallte Lisas Stimme in ihrem Kopf. „Spürst du die lähmende Angst?“ Kleine Finger legten sich zum zweiten Mal an diesem Abend um ihr Knöchel und zogen sie über den Boden.
„Bitte, tu das nicht“, flehte Mona und griff nach dem Bein des Couchtisches neben sich, welches zur Seite kippte und eine Vase nur knapp neben ihrem Kopf zu Bruch gehen ließ.
„Es ist zu spät, Mona. Das Monster ist schon längst erwacht“, lachte Lisa und warf den Kopf in den Nacken, was ihre Gestalt nur noch unnatürlicher erscheinen ließ.
„Nichts ist zu spät.“
Mona holte mit dem Bein aus und versetzte Lisa einen Tritt auf die Brust. Das kleine Mädchen taumelte zurück und starrte sprachlos auf ihre Brust. Mona nutzte dies und rappelte sich auf, um auf Lisa zu zu stolpern. Sie legte die Distanz zwischen ihnen mit wenigen Schritten zurück. Ihre Arme schlangen sich um den zierlichen Körper des kleinen Mädchens und drückten sie so eng wie möglich an ihren eigenen Körper.
„Du musst das nicht machen“, hauchte sie Lisa zu. „Ich… Ich habe einen Fehler gemacht. Ich dachte, es würde sich einfacher leben, wenn ich alles vergesse. Stattdessen hätte ich dir viel früher sagen sollen…“ Mona zog einen tiefen Atemzug ein bevor sie weitersprach. „Das alles war nicht deine Schuld. Du hast nie etwas falsch gemacht. Du bist kein böses Mädchen gewesen.“ Immer wieder strich sie Lisa über das blonde Haar. „Du bist so ein starkes Mädchen, das warst du schon immer. Ich war schwach, weil ich zu sehr Angst hatte. Es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe, als du mich am meisten gebraucht hast.“ Mona löste sich von Lisa und sah in das kleine von Tränen überflutete Gesicht. „Wir können es schaffen. Zusammen. Wir können die Vergangenheit besiegen und dich befreien.“
„Zusammen?“ Mona nickte bestätigend und folgte Lisas Blick auf den Griff eines Messers, welches aus Monas Brust ragte, dessen Klinge Lisa in ihr Herz gerammt hatte. Ein Lächeln legte sich auf Monas Lippen, dann brach sie zusammen.

Das nächste Mal, als sie ihre Augenlider aufschlug, wusste sie nicht, was sie geweckt hatte. Dann spürte sie erneut, wie sie durchgerüttelt wurde.
„Bitte, Mona, sag doch etwas!“ Es war die panische Stimme ihrer Mutter, die sie erkannte. Schwer atmend tastete Mona sich an die Brust, kein Messer war zu spüren.
„Was ist passiert, Mona?“ Sie richtete ihren Blick auf das verweinte Gesicht ihrer Mutter. Dann sah sie sich im Wohnzimmer um. Das einst so ordentliche Zimmer wirkte wie ein Schlachtfeld. Vieles war umgeworfen oder zerbrochen worden.
„Ich… weiß nicht.“ Mona stiegen die Tränen in die Augen. Sie fühlte sich orientierungslos. Was war geschehen? Wo war sie?
„Das… Das ist schon damals passiert. Eine Woche nachdem ich dich von deinem Vater geholt hatte“, begann die zitternde Stimme ihrer Mutter zu erzählen. „Du hattest die ganze Küche zerlegt und dich selbst dabei verletzt. Auch damals sagtest du, dass du nicht wüsstest, was passiert ist.“
„Ich muss es vergessen haben“, lachte Mona auf. „Genau wie das.“ Sie reichte das Handy, welches sie die ganze Zeit über in ihrer Hand gehabt hatte, ihrer Mutter.
„Ist das nicht das Handy, welches ich dir zu deinem 10. Geburtstag geschenkt hatte?“, fragte ihre Mutter verwundert.
„Ja. Mein einziger Kontakt zu dir. Und die metallene Kiste in der ich mein Geheimnis eingesperrt habe.“ Mona öffnete die Bildergalerie und zeigte den Inhalt ihrer Mutter. Ihre Mutter tippte durch die Bilder ihrer damals zwölfjährigen Tochter, die lachend in die Kamera posierte. Auch wenn sie Makeup aufgelegt hatte, konnte man den Hauch von Blutergüssen sehen.
„Erinnerst du dich an die Wochenenden, wo ich dich nicht sehen wollte?“ Mona atmete tief ein. Die Erinnerungen schmerzten ihr in der Seele, umso schwerer fiel es ihr, darüber zu sprechen. „An den Tagen davor, ist Vater ausgerastet und hat mich geschlagen. Immer wieder und wieder. Ich wollte nicht… ich wollte nicht, dass du mich so siehst. Ich dachte du würdest mich nicht mehr zu dir holen wollen, wenn du wüsstest, dass ich ein böses Mädchen bin“, gestand sie ihrer Mutter unter Tränen. Ihr Leben lang hatte sie schweigend die Misshandlung ihres Vaters ertragen. Nachdem ihre Mutter das Sorgerecht bekam, hatte sie ihre Vergangenheit in eine Kiste tief in sich verschlossen und begraben. Dieser Teil ihres Lebens sollte nicht mehr existieren. Nie hätte sie gedacht, dass sich diese Kiste eines Tages wieder öffnen könnte.
Meine eigene Büchse der Pandora.
Sie hatte immer ihre Vergangenheit vergessen und hinter sich lassen wollen, doch tief in ihr wusste sie, dass es ein Teil von ihr war. Das war auch der Grund, warum sie sich nie von dem alten Handy trennen konnte und es in ihrem Kleiderschrank versteckt und vergessen hatte.
Langsam ließ ihre Mutter die Hand vor ihrem Mund sinken und zog ihre Tochter in die Arme. Ihre Tochter zitterte am ganzen Leib und fühlte sich eisig an. Behutsam stich sie ihr über die blonden Haare und wischte ihre Tränen weg. „Wie könnte ich je aufhören dich zu lieben? Du bist und bleibst meine kleine Mona-Lisa.“

One thought on “Schatten-Kind

  1. Coole Idee! Wirklich – sowas oder so etwas in der Art, habe ich hier bisher noch nicht gelesen. Die Idee deiner Geschichte ist einfach sehr originell. Du hast mich auch kurz ganz schön in die Irre geführt. 😉
    Dein Ende schien mir nur etwas plötzlich… wenn du da noch ein paar Worte ergänzt, ist das ne runde Sache für mich 👌🏻☺️
    Herzlich – Lia 🌿

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