jwojcikUnvergessen

 

     1

 

Sie hasste den Regen. Es gab nichts Schlimmeres für sie als durch den Regen zu laufen. Sie hätte zwar auch mit dem Firmenwagen fahren können, aber irgendwie war ihr heute Morgen mehr danach, sich ein wenig zu bewegen, um sich dann voller Elan in die Arbeit stürzen zu können. Das konnte sie jetzt vergessen. Ein Haufen Arbeit wartete auf sie, ihre Laune war im Keller und sie wusste schon, dass es ein langer Tag werden würde. Hätte sie sich doch anders entschieden und wäre mit dem Auto gefahren. Konnte doch keiner wissen, dass der Sonnenschein, der noch vor ein paar Stunden in Sinas Schlafzimmer geschienen ist, eine trügerische Wärme mit sich brachte, nur damit sie jetzt, einmal mehr verärgert über ihre eigene Dummheit, vom Regen durchnässt wurde. Normalerweise ist sie immer auf Alles vorbereitet. Sie hinterfragt Alles was ihr geschieht, denn sie weiß, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Sie hätte wissen müssen, dass sich Mitte April das Wetter schlagartig ändern und sie überraschen könnte und doch sie hatte heute an einen guten Tag geglaubt. Pff…von wegen! Eigentlich hatte sie längst akzeptiert, dass ihr Leben einfach nicht dazu bestimmt war, ihr Freude zu bereiten. Auf Außenstehende muss ihr Leben wie ein einziger Traum gewirkt haben. Sie sah gut aus, war erfolgreich in ihrem Beruf, hatte eine große schöne Wohnung nicht weit außerhalb der Stadt und – am allerwichtigsten – sie hatte Oskar. Oskar wog 30kg, hatte schwarzes Fell, vier Pfoten und diesen einen Blick perfektioniert, sodass sich jeder noch in der ersten Sekunde in ihn verliebte. Und sie liebte ihn auch. Er war der einzige Partner in ihrem Leben, der sie zumindest für kurze Zeit, ihr lächerliches Leben vergessen ließ. Sie hatte schon lange aufgehört einen Partner zu suchen, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen könnte. Alleine war sie besser dran. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt gewusst, was in einigen Stunden auf sie zukommt, wäre sie froh darüber gewesen durch den Regen zu Laufen, denn er würde sie auf eine gute Weise spüren lassen, dass sie noch lebt. Schon bald würde man das nicht mehr von ihr sagen können.

 

                         * * *

 

Im Büro angekommen begrüßte Gretchen sie – wie jeden Morgen – mit einem Kaffee.
»Ich bin zu spät, ich weiß. Sag bitte nichts.«
»Meinst du das habe ich nicht gemerkt?! Hier ist dein Kaffee. Mit Milch ohne Zucker, obwohl du mir so aussiehst als würdest du ein bisschen Nervennahrung vertragen können. Übrigens hat Herr Klengel angerufen, es gäbe da Einiges, was ihr zu besprechen hättet. Ich habe ihm gesagt du rufst zurück.«
»Danke, Gretchen.«
Was konnte der Klengel jetzt schon wieder von ihr wollen? Wenn es schwierige Kunden gab, dann war es Albert Klengel. Er war ein Musterbeispiel für die Art von Menschen, die sie nicht ausstehen konnte. Eigentlich war er ein bisschen wie sie. Er war sehr gründlich in dem, was er tat und scheute sich nicht den Mund aufzumachen. Außerdem war er mürrisch und immer schlecht gelaunt, eine Tatsache die sie ihm heute nicht besonders übelnehmen konnte, ärgerte sie sich doch noch immer über ihre nassen und jetzt auch strohigen Haare. Sie band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz und wählte die Nummer von Herrn Klengel. Es klingelte nur einmal, bis sich eine, für sein fortgeschrittenes Alter helle und ungewöhnlich, hohe Männerstimme meldete.
»Es wird aber auch Zeit, dass sie anrufen. Sie sollten wirklich an ihrer Pünktlichkeit arbeiten Frau Koslowski.«
»Hallo Herr Klengel. Es ist auch schön Sie zu hören. Wie geht es Ihnen heute?«
»Hören wir doch auf mit den Höflichkeiten und kommen direkt zur Sache. Als meine Anwältin erwarte ich von Ihnen vollen Einsatz in jeder Situation. Charly, so wild wie er ist, meinte mal wieder einen Fahrradfahrer auf eher unsanfte Weise stoppen zu müssen und dieser will mich jetzt wegen Körperverletzung verklagen! ICH SCHWÖRE IHNEN FRAU KOSLOWSKI EINES TAGES WERDE ICH DIESE FAHRRADFAHER…«
»MOOOOMENT! Herr Klengel, jetzt beruhigen wir uns erstmal und kommen auf den Boden der Tatsachen zurück, bevor wir hier noch irgendwelche Dinge aussprechen, die wir später nicht mehr zurücknehmen können. Charly ist also vor ein Fahrrad gerannt?«
»Das sagte ich doch bereits Frau Koslowski. Sie sollten wirklich besser zuhören!« Sina biss sich auf die Lippen. Reiß dich zusammen!
»War Charly angeleint?«
»Natürlich nicht! Sie wissen, dass ich ihn ausschließlich freilaufen lasse! Er soll doch nicht an mich gefesselt sein!«
Sie verdrehte die Augen.
»Herr Klengel, wenn Sie ihren Hund auf einem Fahrradweg freilaufen lassen, müssen Sie sicherstellen können, dass ihr Hund jederzeit abrufbar ist. Ich empfehle Ihnen wirklich dringend den Besuch einer Hundeschule.«
»FRAU KOSLOWSKI MEINEN SIE WIRKLICH ICH HABE NICHTS BESSERES ZU TUN ALS MIR IHRE RATSCHLÄGE ANZUHÖREN?! ICH RUFE AN, WEIL ICH IHREN RECHTLICHEN RAT BRAUCHE, VERFLUCHT!« Sina atmete tief durch, um nicht komplett ihre Fassung darüber zu verlieren, dass Herr Klengel mal wieder über die Stränge schlagen musste.
»Herr Klengel, Sie sperren jetzt mal Ihre Lauscher auf und schließen Ihren Mund FÜR EINE SEKUNDE! Wenn Sie Charly, also wie gesagt auf einem Fahrradweg freilaufen lassen, ohne ihn jederzeit abrufen zu können handeln Sie fahrlässig und haften für Ihren Hund…«
»Aber…«
»NEIN, nicht aber! Finden SIE nicht, dass vor allem ICH als Spitzenanwältin der Stadt Besseres zu tun habe als mich früh morgens damit rumzuschlagen, dass ihr Hund Charly zum HUNDERTSTEN MAL vor ein Fahrrad gelaufen ist, weil SIE es nicht auf die Reihe bekommen Ihren Hund anständig zu erziehen? ICH glaube die Antwort auf diese Frage kenne Sie so gut wie ich. Und wenn Sie jetzt nichts WIRKLICH WICHTIGES mehr zu sagen haben, machen sie bitte einen Termin bei Gretchen, anstatt mich am Telefon anzubrüllen. Auf Wiederhören Herr Klengel.« Sina legte den Hörer auf, noch bevor Albert Klengel auf ihre Ansage reagieren konnte und leitete dann den Anruf an ihre Sekretärin Gretchen weiter. Heute hatte sie wirklich keinen Nerv sich mit Herrn Klengel zu beschäftigen. Um sein Problem würde sie sich später noch kümmern können. Es wäre doch gelacht, wenn dies die erste Klage gegen einer ihrer Mandanten wäre, die sie nicht abweisen oder spätestens vor Gericht gewinnen würde. Sie liebte Hunde wirklich, aber auch Hunde sollten einen gewissen Grad an Grundgehorsam erzogen bekommen. Jetzt dachte sie an Oskar und seine süßen Schlappohren. Tagsüber war er bei ihrer Mutter zuhause, die auf ihn aufpasste. Sie könnte ihn zwar auch mit ins Büro nehmen, doch bei vielen ihrer Mandanten kam das nicht besonders gut an. Also musste sie sich schweren Herzens dazu entscheiden ihn tagsüber zu ihrer Mutter zu bringen, wo er zwar den ganzen Tag im Garten rumtollen konnte, aber nicht bei ihr war. Ein Klopfen unterbrach sie in ihren Gedanken.
»Herein?«
»Hey Sina. Entschuldige bitte, dass ich dich störe.«
»Was gibt’s denn? Hat Herr Klengel noch einen Aufstand gemacht? Ich habe ihm ganz schön die Meinung gegeigt.« Für einen kurzen Moment hatte sie den Stress von heute Morgen vergessen. Aber Gretchen war die beste Sekretärin, die sie je hatte und zudem eine gute Freundin von ihr. Wenn sie also einer bei ihren Tagträumen stören durfte, die sie aus ihrem schwarzen Loch zogen, dann war es Gretchen. Sie hasste es, wenn Mandanten ohne Termin vorbeischauten, denn das hieß meistens nichts Gutes.
»Nein, nein. Das ist es nicht. Der alte Albert war ganz freundlich am Telefon. Deine Ansage muss also gesessen haben. Was ich sagen wollte… dein Handy wurde soeben unten am Empfang für dich abgegeben. Ein Passant auf der Straße hat wohl gesehen, wie du es eben auf dem Weg zum Büro verloren hast.« Sina packte sich reflexartig an ihre Hosentaschen. Leer. Sie durchsuchte ihren Blazer. Leer. Das konnte doch nicht wahr sein. Erst der Regen. Jetzt ihr Handy. Heute schien wirklich nicht ihr Tag zu sein. Sie durchsuchte ihre Handtasche, aber auch da gab es keine Spur ihres Handys.
»Gretchen, ich weiß nicht wie mir das passieren konnte. Du weißt ich verlasse keinen Ort bevor ich nicht gecheckt habe, ob ich auch mein Handy eingesteckt habe.« Der Regen heute Morgen und der damit für sie verbundene Stress, hatte sie für einen kurzen Moment völlig aus der Bahn geworfen. Hatte sie es noch bei sich als sie heute früh aus dem Haus ging? Ja mit Sicherheit. Hatte sie es als sie im Büro ankam? Sie konnte es nicht sicher sagen. Sie hasste den Regen und sich selbst mehr denn je. Auf ihrem Handy waren viele wichtige und vertrauliche Daten ihrer Mandanten gespeichert. Der Verlust ihres Handys wäre eine Katastrophe für sie. Wenn es in die falschen Hände geraten würde… sie vermochte sich gar nicht auszumalen, was es alles für Angriffspunkte liefern würde. Das dürfte nie wieder passieren.
»Ich weiß Sina. Man merkt dir an, dass du heute nicht ganz bei dir bist. Ich finde wirklich du solltest dir den Rest des Tages freinehmen und Morgen in alter Frische wiederkommen. So hat das heute keinen Zweck mehr, ich kenne dich. Außerdem wäre ich nicht deine Freundin, wenn ich zulassen würde, dass du heute nicht zu hundert Prozent für deine Mandanten da sein kannst. Ich halte hier die Stellung. Einen Tag werden sie ohne dich auskommen.«
»Gretchen findest du nicht, dass das ein bisschen übertrieben ist? Ich habe nur mein Handy verloren und bin nicht krank.« versuchte sie die Tatsache herunterzuspielen, dass sie ihr Handy und somit auch wichtige Dokumente verloren hatte.
»Ja und trotzdem kenne ich dich und weiß, dass du bestimmt seit drei Jahren keinen einzigen Tag Urlaub hattest und dir ein freier Tag guttun würde. Wir wissen alle, wie sehr du dich für deine Mandanten ins Zeug legst, aber du bist auch nur ein Mensch. Einen Fehler den du heute machst, der auch noch die Kanzlei betrifft, kannst du dir nicht leisten, wenn du weiterhin die beste Anwältin der Stadt bleiben möchtest.«
»Aber…«
»Sina ernsthaft. Du gehst jetzt nach Hause. Holst Oskar von deiner Mutter. Machst dir einen gemütlichen und entspannten Tag zuhause und morgen sehen wir uns wieder. OHNE Widerrede. Ich hab‘ dich lieb und jetzt sieh zu, dass du wegkommst.« Sina musste schmunzeln. Sie hasste ihre Freundin dafür, dass sie sie so gut kannte. Ein Tag Urlaub würde ihr wohl nicht schaden. Und trotzdem ging sie nur zu ungern früher aus der Kanzlei als eigentlich üblich. Ihre Arbeit war ihr zweites Zuhause, weil Anwältin sein eines der einzigen Dinge war, die sie wirklich richtig gut beherrschte. Hinzukommt, dass anderen Menschen den Arsch versohlen eines ihrer liebsten Hobbys war. Sie nahm ihr Handy, steckte es in ihre Handtasche und rief sich ein Taxi, denn eins war für heute sicher, sie würde nicht noch einmal durch den Regen nach Hause laufen.

 

                         * * *

 

Am Abend machte Sina sich einen Wein auf, bevor sie das erste Mal seit heute Morgen auf ihr Handy schaute. So ein Tag mit Oskar auf der Couch hatte ihr gutgetan. Sie konnte für ein paar Stunden tatsächlich abschalten. Sie entsperrte ihr Handy wie gewöhnlich mit einem Pin.
Was zum Teufel?
Schnell kam ein Bild nach dem anderen auf den Bildschirm ihres Handys geflogen.
Das kann doch nicht wahr sein!
Sina versuchte verzweifelt den Vorgang zu stoppen, doch ihr Handy reagierte nicht. Es war als schickte ihr jemand Fotos auf ihr Handy, ohne dass sie das wollte.
Oh Gott… Es schien gar kein Ende mehr nehmen zu wollen, bis eine Nachricht auf ihrem Display erschien:

»ICH DENKE AN DICH SINA. BALD WERDEN WIR UNS WIEDERSEHEN!«

 

Panisch warf sie ihr Handy weg. Oskar der noch eben auf der Couch geschlafen hatte, jagte nun dem Handy hinterher. »Oskar, lass das!« rief Sina hinterher. Er blieb abrupt stehen und schaute sie an. »Geh auf deinen Platz.« befahl sie ihm und er gehorchte. Sie brauchte eine Minute, um einen klaren Gedanken zu fassen. Die Bilder, die soeben auf ihrem Display – eines nach dem anderen – erschienen waren, würde sie nie mehr vergessen. Plötzlich fühlte sie sich zwanzig Jahre in die Vergangenheit versetzt.
Das kann nicht wahr sein!
Sie hatte ihr Handy nicht verloren. Jemand muss es ihr aus der Tasche geklaut haben und dann eine Art Virus auf ihr Handy gespielt haben. Sie war heute Morgen so genervt von der Tatsache gewesen, dass es regnete, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. Scheiße, verdammt!
Sie würde heute kein Auge mehr zu tun. Ihr wurde übel. Allein bei dem Gedanken an die Bilder, wollte sich ihr Mageninhalt seinen Weg nach draußen bahnen. Sie hatten sich damals geschworen, nie wieder darüber zu sprechen, nachdem sie erkannt hatten, was sie getan haben. Doch ihr stellten sich noch ganz andere Fragen. Wie waren die Bilder auf ihr Handy gekommen? Wie hat die Person ihre wahre Identität herausgefunden? Und wieso jetzt? War nicht bereits genug Zeit verstrichen seit dem Vorfall? Es verging nicht ein Tag, an dem sie nicht an das, was geschehen war zurückdachte. Trotzdem wollte sie bisher glauben, dass es sie nicht mehr verfolgen würde. Tief im Inneren jedoch wusste sie, dass sie sich selbst belog. Denn das, was geschehen war, ließ sich nicht rückgängig machen und egal wie sehr sie sich auch anstrengte, es würde sie auf ewig verfolgen. Und das war der Grund, weshalb ihr Leben eigentlich schon vor zwanzig Jahren vorbeigewesen ist.

 

 

 

     2

 

Am nächsten Tag meldete sich Sina nach einer Ewigkeit wieder krank. Sie hinterließ Gretchen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter im Büro, noch bevor diese dort auftauchte. Sie wollte ihr unbedingt aus dem Weg gehen, denn sie würde sofort merken, dass etwas nicht stimmte. Sie gab sich wirklich Mühe so zu tun als hätte sie plötzlich eine schlimme Grippe und dass ihre chaotische Art gestern bereits ein Zeichen dafür gewesen wäre, dass es sie nun, nach fast drei gesunden Jahren, getroffen hatte. Aber wenn ihre Augen ihr gestern Abend nicht einen gewaltigen Streich gespielt haben, dann hat sie auf den Bildern sich selbst gesehen, wie sie etwas wirklich Schreckliches tat. Nach dem Vorfall hatten sie alle ihre Identität geändert, um die Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Aber jetzt hatte es jemand geschafft ihre wahre Identität und dazu noch ihr dunkelstes Geheimnis ans Licht zu bringen und Sina musste herausfinden, wer das war und was dieser jemand von ihr wollte. Sie bekam ein ungutes Gefühl. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, denn die Bilder ließen sie nicht los. Es war Zeit, den Kontakt zu ihren früheren Klassenkameraden aufzunehmen, von dem sie gehofft hatte, ihn für immer verloren zu haben. Auf ihrem Laptop befand sich eine verschlüsselte Datei, auf der die gefälschten Identitäten ihrer Freunde zu finden waren. Keiner der Beteiligten wusste, welche Identität der andere angenommen hatte und sie mussten sich schwören die Datei nur zu öffnen, wenn es einen Notfall gab, der sie alle betraf. Dieser Moment war nun gekommen. Sie musste ihre alten Freunde informieren, denn wenn sie ihrem Bauchgefühl vertrauen konnte, waren sie womöglich alle in Gefahr. Diese Bilder hätten nie gemacht werden dürfen. Dieser Vollidiot!
Was sie auf den Bildern sah, hatte ihr gestern einen Stich in die Magengrube versetzt. Sie wusste, dass sie es war, die auf den Bildern zu sehen war, aber sie erkannte sich nicht wieder. Zu viel Zeit, war seitdem vergangen. Die Person auf den Bildern war ihr fremd, aber sie wusste, dass sie es war. Und sie wusste auch, was sie getan hatte. Sie würde es sich niemals verzeihen können.
Sie wählte die Nummer von Mark und hoffte er würde direkt an sein Handy gehen. Früher hieß er Eric und war der schlimmste aus der Gruppe, weil es damals seine Idee gewesen war. Sina wollte zu der Zeit unbedingt beliebt sein und hatte sich der Gruppe angeschlossen. Außerdem war sie ein bisschen in Eric verknallt gewesen und hatte gehofft bei ihm Eindruck zu schinden, wenn sie dasselbe gut fand wie er. Es klingelte. Sina wartete bis sich endlich seine Stimme melden würde. Eine Sekunde fühlte sich an wie eine Stunde. Nehm‘ endlich ab! Ihre Beine zitterten nervös. Oskar lag wie immer brav auf seinem Platz und schlief. Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hörte sie ein Knacken in der Leitung.
»Hallo?…Ist da jemand?«
»…Ja?«
»Hallo Eric. Hier ist…Julia Braun. Erinnerst du dich an mich?« Julia war ihr richtiger Name. Sie fand es ergab wohl den meisten Sinn, sich direkt mit ihrem richtigen Namen vorzustellen, immerhin kannte er ihren falschen Namen nicht.
»Julia? Hergott…«
»Du weißt also, wer ich bin.«
»Natürlich weiß ich das. Ich habe dich direkt an deiner Stimme erkannt…Du hast es also erfahren. Es ist so schrecklich.« Das ungute Gefühl, das sie bereits zu Anfang beschlichen hatte, wurde jetzt immer größer. Ihr lief es kalt den Rücken runter.
»Was? Wie meinst du das? Was ist passiert? Jemand hat mein Handy geklaut und es irgendwie geschafft Bilder draufzuspielen, die eigentlich längst hätten vernichtet werden sollen. Wir wissen beide was das für Bilder sind!« Während sie das sagte hatte sie die Bilder vor ihrem geistigen Auge. Sie spürte wie sie kurz davor war sich zu übergeben. Sie kämpfte gegen den Brechreiz, der sie überkam.
»Julia? Henry ist tot.«
»…Henry ist WAS? Was ist passiert?«
Beruhig dich! Es ist alles nur ein blöder Zufall.
»Henry wurde gestern Nacht ermordet…« Ermordet. Sina rannte ins Badezimmer. Jetzt konnte sie ihrem Brechreiz nicht mehr Einhalt gebieten. Sie musste sich übergeben.

 

                         * * *

 

Sina nahm einen Schluck Wasser. Sie musste diesen Geschmack aus ihrem Mund bekommen. Wenn sie eines noch mehr hasste als Regen, dann war das ein Geschmack im Mund, den man so schnell nicht wieder los wurde. Widerwärtig. Sie fröstelte, also schnappte sie sich einen Pulli, den sie sich überziehen konnte, obwohl die Sonne heute schien und es angenehm warm war. Aber in Sinas Leben gab es keine Wärme mehr. Ihr war nur noch kalt. Gerade schlimmer denn je. Nachdem sich ihr kompletter Mageninhalt verabschiedet hatte, ging sie zurück zu ihrem Handy. Eric hatte das Telefonat zum Glück nicht beendet, sondern abgewartet, ob sie sich noch einmal melden würde. Was er ihr da vor einer Stunde erzählte, hatte ihr den Rest gegeben. Wie sollte sie jemals wieder ein normales Leben führen? Sie waren alle dafür verantwortlich, was geschehen war. Zumindest war das eine Tatsache, die Sina mit Sicherheit sagen konnte. Und wenn es stimmte… wenn Henry wirklich ermordet wurde und das in irgendeiner Weise in Verbindung mit den Bildern auf ihrem Handy stand, dann waren sie alle in noch größerer Gefahr als Sina zu Beginn angenommen hatte. Sie hatte Angst. Zu sterben machte ihr schon lange nichts mehr aus. Es gab Zeiten da war ihr Leben so trist, dass sie nur darauf wartete von einem Auto überfahren zu werden und mit Absicht die Straße passierte, ohne sich nach links und rechts umzuschauen. Sie hatte mehr Angst davor, was aus Oskar werden würden. Er liebte sein Frauchen genau wie sie ihn liebte. Letztendlich hatte sie mit Eric einen Treffpunkt vereinbart. Sie würde sich ihr Auto schnappen und in einer zwei Stunden entfernten Autobahnraststätte auf Eric treffen, wo sie alles weitere besprechen konnten. Was auch immer das sein sollte. Momentan wusste sie nicht mehr weiter. Sollte ihr Geheimnis ans Licht kommen, würde das nicht nur ihr Leben zerstören, sondern auch viele weitere. Sie nahm ihren Schlüssel, gab Oskar einen Kuss auf die Schnauze und fuhr los. Ihrer Mutter würde sie eine SMS schreiben, dass sie nach Oskar sehen sollte, weil sie einen dringenden Termin hätte, den sie nicht verschieben könnte. Es wurde Zeit aufzubrechen und in ihre Vergangenheit einzutauchen, auch wenn sie lieber sterben würde als an das erinnert zu werden, was geschehen war.

 

 

 

     3

 

Zwei Stunden und vierzig Minuten waren vergangen als Sina an der Raststätte ankam. Sie war so nervös gewesen, dass sie ein wenig mehr Gas gegeben hatte, in der Hoffnung Eric würde es genauso gehen, doch der Stau auf der Autobahn hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun war sie zu spät dran und beeilte sich, nicht noch später zu kommen als vereinbart war. Sie ging in das Café, das Eric ihr als Treffpunkt genannt hatte und bestellte sich einen Cappuccino. Bevor sie ihm in die Augen sehen konnte brauchte sie dringend etwas Koffein, der sie ein wenig beleben würde. Sie hielt nach ihm Ausschau. Wo war er denn? Sina ging durch das Café und suchte nach ihm. Keine Spur von Eric. Komisch. Er musste auch im Stau gestanden haben und gleich hier sein. Sie suchte sich einen freien Tisch und setzte sich. Plötzlich klingelte ihr Handy. Sina schreckte zusammen. So angespannt war gewesen. Es war Gretchen, die ihr ihre Lüge auf dem Anrufbeantworter wahrscheinlich nicht abgekauft hatte und nun anrief. Sie machte sich bestimmt Sorgen, aber in der Situation, in der Sina momentan steckte, konnte sie darauf leider keine Rücksicht nehmen. Sie drückte den Anruf weg und packte ihr Handy zurück. Eine weitere halbe Stunde verging und es gab immer noch keine Spur von Eric. Verdammt wo bleibt der nur? Ungeduldig schaute sie auf ihr Handy. Nichts. Kein verpasster Anruf. Keine Nachricht. Ungeduldig wählte sie seine Nummer. Sofort meldete sich eine elektronische Stimme:

 

»DIE GEWÄHLTE RUFNUMMER IST ZURZEIT NICHT ERREICHBAR.«

 

Was zum Teufel war da los? Noch vor einigen Stunden hatte sie mit ihm telefoniert. Sie fröstelte und zog die Jacke über ihrem Pulli zu. Sie ahnte Schreckliches. Erneut überkam sie diese Übelkeit. Wo steckst du nur, verdammt? Sina beschloss, zurück zu ihrem Auto zu gehen. Eric würde nicht mehr kommen und sie war zu unruhig, um im Café sitzen zu bleiben. An der frischen Lust konnte sie wenigsten versuchen einen klaren Gedanken zu fassen. Wer hatte ihr Handy geklaut, nur um ihr dann Bilder zu hinterlassen, von denen sie wusste, dass sie existieren, sie aber am liebsten für den Rest ihres Lebens vergessen hätte? Wer hatte Henry getötet? Und wo verflixt noch mal war Eric abgeblieben? Sie hatte das Gefühl verrückt zu werden. Sie hätte ihr Auto darauf verwettet, dass all das zusammenhing.
Plötzlich fuhr ihr ein Schauer über den Rücken. Oh Gott… Sie hatte eine Kleinigkeit total vergessen. Zu fixiert gewesen war sie auf die Bilder in ihrem Kopf. Dabei hatte derjenige, der ihr Handy entführt hatte, um die Bilder darauf zu spielen sich die Mühe gemacht, ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Nein, nein, nein, bitte nicht! Was ist, wenn er Eric bereits geschnappt hatte? Bitte lass mich falsch liegen!
Noch im selben Moment als sie ihren Gedanken zu ende gedacht hatte, hörte sie Schritte hinter sich. Dann eine Stimme.

 

»Hallo Sina. Oder sollte ich lieber Julia sagen? Ich habe doch gesagt, dass wir uns bald wiedersehen werden.« Noch bevor sie sich umdrehen konnte, traf sie etwas Hartes am Kopf und ihr wurde schwarz vor Augen.

 

 

 

     4

 

Es war ein Leichtes für ihn gewesen, sie alle zu finden. Wer war so dumm und legte eine Datei mit ihren echten Identitäten an? Sie mussten richtig überzeugt gewesen sein von ihrem Plan und dass sie keiner suchen würde. Tja, falsch gedacht. Diese miesen Ratten hatten ziemlich viel Vertrauen in ihren Plan. Allein die Tatsache, dass sie alle dämlich waren, machte ihn so wütend, dass er sie nur deswegen töten würde. Aber der eigentliche Grund, weswegen er sie töten würde, war viel schlimmer gewesen. Dummheit musste bestraft werden, so viel stand für ihn fest, aber für das, was sie ihm und seiner Schwester angetan hatten, würden sie alle leiden müssen, bevor er ihnen den Gar ausmachte. Der Gedanke an ihre qualvollen Schreie machte ihn richtig geil. Er würde jedem von ihnen dasselbe antun, wie sie seiner Schwester angetan hatten und dann würde er sie ganz langsam töten. Ach so einen schönen Tag hatte er lange nicht mehr gehabt. Bevor sie aufwachte, hatte er noch ein wenig Zeit. Also nutze er die Minuten die ihm noch blieben und holte sich einen runter, bei dem Gedanken wie er sie abschlachten würde.

 

 

 

     5

 

Stechender Schmerz. Ihr Kopf dröhnte. Außer einem hellen Licht, das sie blendete, sah sie nichts. Ihr Kopf tat schrecklich weh. Sie wollte sich gerade an ihre Wunde fassen, da merkte sie, dass sie gefesselt war. Scheiße! Sie musste sich konzentrieren, damit ihr nicht wieder schwarz vor Augen wurde. Sie konnte sich nicht bewegen. Ihre Hände und Füße waren von einem Seil umwickelt. Konzentrier dich! Sie musste einen klaren Gedanken fassen. Gerade als sich ihre Augen an das Licht gewöhnten und sie erkennen konnte wo sie sich befand, sah sie eine Gestalt.
»Hallöchen Sina. Es wird auch langsam Zeit, dass du aufwachst. Wie gefällt dir mein Werk?«
Und da sah sie es. Sie waren in einem dunklen und kahlen Raum, der nur beleuchtet wurde von einem Licht. Einer OP-Lampe. Es gab nichts. Kein Fenster und so wie es roch auch kaum Sauerstoff. In der Mitte stand ein zur Lampe passender OP-Tisch und … Bitte sag, dass ich träume!
Auf dem Tisch in der Mitte lag Eric. Er war gefesselt und zusammen mit dem Tisch nach unten geneigt, sodass seine Füße nach oben in die Luft ragten und sein Kopf nach unten hing. BITTE NICHT!
»WAS WILLST DU VON MIR?« brachte sie krächzend heraus. Ihre Kehle war so trocken, dass sie nicht sicher war, ob er sie gehört hatte.
»Oh meine Liebe, ich will gar nichts von dir. Genieß‘ die Show!« sagte er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. Er nahm einen Lappen, tränkte ihn in einer Flüssigkeit und presste ihn Eric auf Mund und Nase bevor er ihm dieselbe Flüssigkeit über sein Gesicht goss. Ihr kamen Tränen in die Augen.
»Es war ein Fehler!« schrie sie ihn an.
»Es war ein Fehler? Das ist alles was du zu sagen hast? Ich sehe das wie folgt. Ich werde nun deinen Freund hier foltern, sodass er denkt er würde ertrinken. Er bekommt keine Luft, wenn ich ihm den Wodka übers Gesicht kippe, aber durch seine Schieflage kommt kein Wasser in seine Lungen. Ist das nicht toll? Ich weiß, ich weiß. Ein Traum. Aber du solltest ja wissen wie das funktioniert, nicht wahr?« sagte er zwinkernd und goss den Wodka über Erics Gesicht. Eric röchelte nach Luft. Er zappelte soweit die Fesseln es zuließen. Sina wusste nicht einmal, wieso sie ihn verteidigen wollte.
Und da kam es über sie wie ein Flashback. Sie erinnerte sich noch genau an diesen Moment als sie vor zwanzig Jahren auf der Party Susanne gesehen hatte. Sie war eine Streberin und hatte es verdient ein bisschen Spaß zu haben. Der Plan war es sie abzufüllen, sodass sie sich vor der ganzen Klasse lächerlich machte. Zumindest hatte Eric sie das damals glauben lassen. Dass er darunter verstand sie zu foltern, sodass sie dachte sie ertrinke, konnte sie nicht wissen. Sie war so verknallt in ihn, dass sie vermutlich alles für ihn getan hätte. Sie zogen Susanne in der Umkleidekabine ihr T-Shirt aus, tränkten es im Waschbecken, hielten es ihr aufs Gesicht und drückten sie auf eine Bank, sodass ihr Kopf tiefer lag als der Rest ihres Körpers. Eric kippte dann den ganzen Alkohol über ihr Gesicht, den er auftreiben konnte. Dass sich das Ganze Waterboarding nennt und bleibende psychische Störungen hinterlassen konnte, wusste sie nicht. Eric hatte davon gelesen und wollte es unbedingt ausprobieren. Definitiv war er ein Sadist, wahrscheinlich ohne, dass er es wusste. Susanne rang nach Luft und versuchte sich zu wehren. Doch sie hielten sie fest. Susanne hatte keine Chance gegen die drei. Einige Tage später erfuhren Sina, Eric und Henry dann, dass sich Susanne umgebracht hatte. Henry dokumentierte damals natürlich die komplette Tat als Andenken mit seinem Handy. So ein Schwachsinn. Dumm, waren sie alle gewesen zu glauben es sei harmlos, was sie an diesem Abend veranstalteten. Sina hasste sich dafür, dabei gewesen zu sein. Genau das sah sie auf den Bildern, die auf ihrem Handy aufgetaucht waren. Sie wollte diese Bilder niemals zu Gesicht bekommen und doch war es so weit gekommen. Die Wahrheit kommt immer ans Licht. Erics röcheln nach Luft riss sie aus ihrer Reise in die Vergangenheit.
»Aufhören, bitte!« schrie sie verzweifelt.
»SCHNAUZE!« brüllte er zurück. »Du bist auch gleich dran Fräulein! Ich bin hier erst fertig, wenn ihr beide dasselbe durchgemacht habt wie meine Schwester!« Er war also Susannes Bruder. Sina wusste gar nicht, dass Susanne einen Bruder hatte. So wenig hatte Sina über Susanne gewusst.
»Während ihr euch ein schönes Leben gemacht habt, habe ich mein ganzes Leben damit verbracht darüber nachzudenken, warum sich meine Schwester umgebracht hat! Ihr wisst ja nicht, wie wütend ich war als ich erfahren habe, was ihr zugestoßen ist! Ihr dreckigen Hurensöhne!«
Sina ließ ihn aussprechen.
»Willst du wissen wie ich es herausgefunden habe?« Sina blieb regungslos.
»Eines Tages stöberte ich in Susannes altem Zimmer. Da hab‘ ich ihn gefunden. Einen Zettel mit Zugangsdaten für einen Blog. Er war auf privat gestellt. Susi, so hab‘ ich sie als Kind immer genannt, schrieb online ein Tagebuch, von dem niemand wusste. Da es nur online war, konnte es auch niemand jemals versehentlich lesen. Sie war so schlau gewesen! Viel schlauer als ihr alle zusammen!« Er spuckte in ihre Richtung und blickte verachtend auf sie herab.
»Ich las also ihr komplettes Tagebuch. Sie hat alles aufgeschrieben. Ich denke das war ihre Art, mit den schlimmen Dingen umzugehen, die ihr und auch mir widerfahren sind. Sie schrieb, dass sie von ihren Klassenkameraden gefoltert wurde, sodass sie dachte sie ertrinke! Da graute es mir, dass dieser Vorfall mit euch der Grund gewesen war, weswegen sie sich das Leben genommen hatte!« Ihm liefen die Tränen über die Wangen.
»Du hast also Henry getötet?« fragte sie vorsichtig.
»Natürlich war ich das! Hast du es immer noch nicht verstanden? Susanne hat eure Namen erwähnt. Ein Wunder, dass ich überhaupt auf ihre Zugangsdaten gestoßen bin. Ich war wie besessen davon euch zu finden! Und dann sah ich eines Tages Henry, wie er feucht fröhlich über die Straße ging. Ich hatte mir alte Klassenbücher angeschaut und eure Gesichter haben sich in meine Netzhaut eingebrannt.« sagte er mit so geweiteten Augen, dass Sina befürchtete sie würden gleich aus seiner Augenhöhle geschossen kommen.
»Ich bin ihm nach Hause gefolgt als er fertig war, habe ihn überwältigt und auf ihn eingestochen. Ich muss zugeben da ist es ein wenig mit mir durchgegangen. Normalerweise hinterlasse ich nicht so viel Dreck. Auf seinem Rechner habe ich dann die Datei gefunden mit all euren Identitäten und als i-Tüpfelchen noch die Bilder, die der Spasti damals gemacht hat. Ich dachte es wäre nur fair, wenn ich sie dir zukommen lasse.« zwinkerte er ihr zu.
Eric war inzwischen Bewusstlos geworden. Scheinbar hat sein Körper den psychischen Stress nicht weiter ausgehalten.
»Ah sieh mal an, unser Freund macht eine kleine Pause. Vielleicht sollten wir ihn von seinen Qualen befreien.«
»Nein, bitte! Lass ihn in Ruhe! Wir bereuen, was wir getan haben, aber wir können es nicht mehr ändern! Bitte lass ihn gehen!« Susannes Bruder konnte sich nicht mehr halten vor Lachen und brüllte los.
»Du glaubst zu denken, dass du es bereust, dabei wirst du es erst so richtig bereuen, wenn ich mit dir fertig bin!« Sina wurde übel. Gleich würde sie sich wieder übergeben müssen.
»Ihr wisst ja gar nicht, was meine Schwester und ich für ein Leben hatten! Susi war so gut in der Schule, dabei hat mein Vater uns zuhause vergewaltigt! Hast du schon einmal den Schwanz deines Vaters im Arsch gehabt?« Jetzt kamen auch Sina die Tränen. Was hatten sie getan? Man konnte nie wissen, wie es einem Menschen wirklich ging, wenn man ihn nicht kannte. Und man konnte nie wissen, wer ein Mensch wirklich war, wenn man ihn nicht zu seinen dunkelsten Zeiten erlebt hatte. Und doch hatten sie sich damals das Recht rausgenommen über Susanne zu urteilen.
»Aber Schluss jetzt mit dem ganzen Gerede. Solange Eric hier eine Pause macht, sollten wir uns vergnügen, bevor dir dasselbe droht wie ihm!« Sina bekam kaum Luft vor Panik. Sie wusste er würde sie töten. Noch nie hatte sie so große Angst und einen so großen Schmerz in ihrem Herzen gefühlt wie gerade. Es wurde still. Susannes Bruder stand jetzt nicht mehr im Licht der Lampe, weswegen sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ein Klingeln durchriss die Stille.
»Was soll das?« schrie er wütend.
Sinas Handy klingelte in ihrer Hosentasche. Ohne nachzuschauen wusste sie, dass es Gretchen sein musste, die erneut versuchte sie zu erreichen.
Er kam auf sie zu mit einem Messer in der Hand. Die Klinge glänzte in der Dunkelheit. Grob durchtastete er ihre Kleidung nach dem Handy und zertrat es auf dem Boden als er es endlich gefunden hatte. Er leckte sich die Lippen und sie sah, dass er einen Steifen bekam. Widerlicher Mistkerl! Wenn sie könnte, hätte sie ihr Leben, das sie bis hierhin hatte, genossen. Sie würde alles rückgängig machen und sich über jeden einzelnen Tag freuen. Sie erkannte nun, dass das Leben einzigartig war und es einem meistens nie wirklich schlecht ging, bei dem ganzen Grauen, der einem widerfahren konnte. Sie wollte gerade zu einem Schrei ansetzen, da stach er ihr das Messer in den Bauch und sie wusste, dass sein vor Freude strahlendes Gesicht das Letzte sein würde, dass sie sehen würde.

 

One thought on “Unvergessen

  1. Liebe/r Unbekannte/r Autor/in,
    Erstmal vorweg – dein Ende hat mir wirklich gut gefallen. Abgrundtief böse, brutal, blutig & dann doch irgendwie offen – einfach genial. Über formale Dinge möchte ich ungern jetzt anfangen, aber so ein paar Rechtschreibfehler haben sich dann doch bei dir eingeschlichen, die den Sinn bzw Inhalt dadurch etwas missverständlich haben wirklich lassen.. zum Beispiel hast du geschrieben „an der frischen Lust“ weswegen so mancher Schmunzler auch nicht ausblieb 😉
    Dran bleiben!
    Herzlich – die Lia 🌿💚

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