Lisanne PereanenDas blutrote Kleid

Nervös schaut Miriam auf die Kirchturmuhr. Mark ist noch nicht aufgetaucht. Noch könnte sie die Chance nutzen und einfach gehen. Sie würde ihm eine Nachricht schreiben, mit dem Versprechen sich ein anderes Mal zu treffen. Unsicher spielt sie mit dem Armband an ihrem Handgelenk. Sie hat lange gebraucht, um die Schatten ihrer Vergangenheit loszuwerden und Mark war dabei ihre größte Hilfe. Es war als hätte die Begegnung mit diesem Mann einen Schalter in ihrem Leben umgelegt und ihr neuen Lebenswillen eingehaucht. Dennoch sitzt sie jetzt hier und möchte nichts lieber als Wegrennen. Hin und her gerissen, ob sie sich wieder einmal ihren Ängsten beugen soll, bemerkt sie zunächst nicht das Klingeln, das aus dem Kartenständer vor ihr schallt. Erst die genervte Stimme einer Frau am Nachbartisch „Wollen ‘Se vielleicht mal rangeh’n“ holt sie aus ihrer Trance. Sie hat das Smartphone, was sie aus den Eiskarten hervorzieht nie zuvor gesehen. Doch der schrille Ton zieht bereits die Aufmerksamkeit der anderen Cafébesucher auf sich. Schnell beendet sie den Alarm des fremden Handys. Das daraufhin erscheinende Hintergrundbild raubt ihr den Atem, denn sie schaut in ihre eigenen Augen, aus deren Blau jedoch jegliches Leben erloschen ist. Die Frau auf dem Foto trägt genau wie sie langes rotblondes gewelltes Haar, die Haut ist blass und die Augen sind weit aufgerissen. Die kleine Stupsnase ist leicht nach links geneigt, was sie schon seit ihrer Jugend als einen Makel in ihrem Gesicht ansieht. Auf ihrer rechten Schulter prangt das große Tattoo des indischen Gottes Ganesha, das sie sich vor zwei Jahren hat stechen lassen, um bei dem Blick in den Spiegel immer wieder daran erinnert zu werden, dass sie sich nicht unterkriegen lässt.

Doch jetzt in diesem Moment steigt die Übelkeit in ihr auf. Ungläubig starrt sie das Foto auf dem fremden Smartphone an. Das weiße gepunktete Sommerkleid, was sie auch in diesem Moment trägt, ist vom Blut rot gefärbt und die Pulsadern der Fotografierten sind sauber durchtrennt. Das Adrenalin, das ihr durch diese Entdeckung in die Adern schießt, lässt sie zunächst nicht realisieren, was sie dort sieht. Erst eine reinkommende Nachricht reißt ihr endgültig den Boden unter den Füßen weg. Sofort ist ihr klar, es handelt sich nicht nur um einen makabren Scherz, sondern ihr schlimmster Albtraum hat sie eingeholt.

“Ich habe dich gefunden!“

Mit schweißnassen Händen greift sie in ihr Portemonnaie und legt den ersten Schein, den sie findet, auf den Tisch vor sich und verlässt das Café eilig, ohne auf die verwirrten Blicke zu achten.

Auf ihrem Weg nach Hause versucht Miriam immer wieder, Mark zu erreichen. Doch obwohl es fast schon normal ist, dass sich statt ihm nur die Mailbox meldet, da er sein Handy prinzipiell auf lautlos gestellt hat, verstärkt jeder nicht beantwortete Anruf ihre Angst. Sie würde am liebsten durch das Smartphone steigen und ohne Umwege sicherstellen, dass es Mark gut geht. Kurzerhand ändert sie ihre Richtung, in der Hoffnung ihren Freund auf seinem Weg ins Café abfangen zu können. Unmittelbar nachdem sie kehrt gemacht hat, ertönt ein lautes Klingeln aus ihrer Tasche. Ohne langsamer zu werden oder auf entgegenkommende Passanten zu achten, sucht sie nach dem fremden Telefon und öffnet das Chatfenster mit der letzten Nachricht. Abrupt bleibt sie stehen, ihr Herz rast und Tränen laufen ihr über das Gesicht.

Das würde ich sein lassen!“ schreien ihr die Worte drohend entgegen. Doch viel mehr verstört sie das Foto darunter, auf dem sie Mark aus der Ferne fotografiert im Café sitzend sieht. Das Bild lässt sie erkennen, dass ihre Vergangenheit sie wieder einmal eingeholt hat. Nervös schaut sie sich um, wohl wissend nach wem sie Ausschau halten muss. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass Leander sie hier finden wird. Doch es war abzusehen, er wird sie immer aufspüren können. Sie hätte sich niemals auf Mark einlassen dürfen. Doch die Gefühle, die sie für ihn hegt, kann sie nicht unterdrücken. Sie sind so tief, wie man es nur sehr selten im Leben verspürt. Sie kannte eine solche Zuneigung schon einmal, doch das ist lange her und nie hätte sie gedacht, wieder jemanden zu finden, der ihr noch einmal diese Sicherheit gibt. Schnell schiebt sie die schmerzhaften Erinnerungen beiseite. Sie muss Mark erreichen, muss ihm irgendwie begreiflich machen, dass er sich in Sicherheit bringen soll, doch sie kennt Leander zu gut, sie weiß, dass er alles in seiner Macht stehende dafür tun wird, um sie daran zu hindern. Wie gelähmt steht sie auf der Brücke, die den kleinen Park der Stadt mit dem wilden Treiben der Einkaufspassage verbindet und weiß nicht, wie sie weiter vorgehen soll. Wieder einmal hat Leander es geschafft, sie in die Ecke zu treiben und das obwohl sie ihn nicht einmal sehen kann. Die Erinnerung an ihr letztes Aufeinandertreffen zerreißen ihre Nerven. Nie wieder möchte sie diesem Monster in die kalten grünen Augen sehen. Sie hat nur eine Chance, sich und auch Mark zu retten. Sie muss verschwinden und ihr Liebe zurück lassen, wieder einmal.

Da sie Mark sicherer wiegt, wenn sie ab sofort Abstand zu ihm hält, setzt sie ihren Heimweg fort und schaut sich dabei immer wieder um. Doch niemand scheint sie zu verfolgen. Zu Hause angekommen, schnappt sie sich den Koffer unter ihrem Bett. Das Gepäckstück ist bereits mit wichtigen Dokumenten und Kleidung gepackt. Wehmütig schaut sie sich das Foto auf dem Ausweis an. Nur für den Notfall hatte sie ihn in ihrer Wohnung versteckt. Die Tränen laufen ihr heiß über die Wange. Miriam kennt die Gefahr, die Leanders Auftauchen mit sich bringt. Entschlossen legt sie den Ausweis beiseite und wischt die Tränen aus ihrem Gesicht.

Plötzlich leuchtet das gefundene Smartphone erneut auf. Sie wappnet sich für einen neuen Schlag, doch was sie jetzt sieht ist schmerzhafter als erwartet. Sie wendet ihren Blick ab, kann das Lächeln der Frauen auf dem Foto nicht ertragen. Viel zu schmerzhaft ist die Erinnerung an diese wunderbare Zeit. Es ist als kann sie ihr Haar riechen und ihre zarte Haut an ihren Fingern spüren. Die alte Wunde ist nie verheilt und jetzt wird auch Miriam klar, dass selbst Mark ihr niemals dieses Gefühl geben kann, das Jennifer ihr gab.

Sie lernte Jennifer kurz nachdem sie endlich den Absprung aus der toxischen Beziehung mit Leander geschafft hat, kennen. Er hat ihre Freundin von Anfang an für das Beziehungsende verantwortlich gemacht. Sehr schnell entstand zwischen ihr und Jennifer ein Band das tiefer war, als alles was sie zuvor kannte. Niemals hätte sie gedacht, dass sie sich zu einer anderen Person so hingezogen fühlen kann. Nicht auf eine erotische Art und Weise, auch wenn sie die körperliche Nähe zu Jennifer sehr genoss und auch suchte, aber vor allem war es die emotionale Verbundenheit, die Miriam zunächst verwirrte, später jedoch zum glücklichsten Menschen machte. Jedes Treffen mit Jennifer erfüllte sie. Sie fühlte sich verstanden, angekommen, als hätte sie ihre Seelenverwandte getroffen. Aber es dauerte nicht lange bis Leander von dem Band zwischen den beiden Frauen erfuhr. Seine Eifersucht stieg ins Unermessliche. Jennifer kam nur schwer mit seinen Attacken zurecht. Zunächst waren es nur Textnachrichten, dann wurden es Drohungen und am Ende konnten die beiden Frauen nicht einmal mehr die Wohnung verlassen, ohne von diesem Psychopathen abgefangen zu werden. Miriam litt sehr unter der Situation doch vor allem schmerzte es sie zu sehen, wie Jennifer zunehmend abbaute.

Leander weiß genau, wie er sie brechen kann, er wusste es immer. Miriam bleibt keine Zeit, noch heute Nacht muss sie verschwinden.

Der erste Schnitt ist schmerzhaft. Als die rotblonden Haare ins Waschbecken fallen, fühlt es sich an, als würde sie sich die Schere direkt ins Herz rammen. Sie kann das Weinen nicht unterdrücken. Der Anblick der sich ihr jetzt im Spiegel bietet, führt ihr vor Augen, dass ihre Vergangenheit sie immer einholen wird. Das Klopfen an ihrer Tür lässt Panik in ihr Aufsteigen. Kann es sein, dass es schon zu spät ist und er es ist? Sie greift zu der Schere und schleicht sich zur Wohnungstür. Durch den Spion kann sie nichts erkennen. Bereit ihre Waffe einzusetzen, öffnet sie die Tür. Das erschrockene Gesicht ihrer Nachbarin von Gegenüber blickt ihr entgegen, schnell lässt sie die Hand mit der Schere sinken. Doch ohne auf eine Erklärung zu warten, drückt die Frau ihr ein Päckchen in die Hand und zieht kopfschüttelnd davon. Miriam pflegte nie ein besonders inniges Verhältnis zu ihren Nachbarn. Seit dem Beziehungsende mit Jennifer hatte sie ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste beschränkt und erst mit Mark konnte wieder jemand einen Platz in ihrem Leben finden. Mit der Schere öffnet sie das kleine Päckchen.

Der Anblick der sich ihr im Inneren der Sendung bietet, erfüllt sie mit tiefem Schmerz. Die kleine Schatulle hatte sie Jennifer kurz vor ihrer unfreiwilligen Trennung geschenkt. Sie blinzelt die erneut aufkommenden Tränen weg und schiebt die quälende Erinnerung beiseite. Vorsichtig öffnet sie das Kistchen. Sie weiß nicht, was sie erwartet hat. Vielleicht eine Nachricht, ein Lebenszeichen von ihrer großen Liebe. Doch der silberne Schlüssel mit dem grünen Anhänger erweckt noch viel mehr Hoffnung in ihr.Jennifer hatte nie einfach nur Nachrichten geschrieben. Sie hat alles in Rätsel verpackt. Miriams Herz schlägt schneller. Die tiefe Verbundenheit zu ihrer Exfreundin flammt in ihr auf. Sollte auch nur die kleinste Chance bestehen ihre Freundin wiederzusehen, muss sie dieser nachgehen und sie weiß, was sie dafür zu tun hat.

Eilig schnappt sie sich ihr Taschenmesser und verlässt ihre Wohnung. Der Abend ist mittlerweile angebrochen und in einer kleinen Stadt wie dieser, bedeutet das, dass buchstäblich die Bürgersteige hochgeklappt worden. Kurze Zeit später steht sie vor dem einzigen Hotel, das die Stadt zu bieten hat. Sie betrachtet den grünen Anhänger des Schlüssels und erkennt, dass sie hier richtig ist. Bevor sie an die Rezeption tritt, versteckt sie das Messer, so gut sie kann in ihrem Höschen unter dem Sommerkleid.

Die Blondine am Empfang setzt ihr freundlichstes Lächeln auf. Unerwartete Gäste sind in dem kleinen Hotel eine Seltenheit, doch die Rezeptionistin lässt sich ihre Überraschung nicht anmerken und begrüßt sie etwas zu enthusiastisch. Miriam weiß, wenn sie jetzt nach Leanders Zimmernummer fragt, wird die Frau sich später, wenn die Polizei sie wegen der Leiche befragt, an sie erinnern können. Sie muss also selbst herausfinden, wo er ist.

Guten Abend, haben Sie noch ein freies Zimmer?“, fragt sie und versucht dabei, so normal wie möglich zu klingen. Die Hotelangestellte reicht ihr mit ihrem Modellächeln einen Schlüssel mit der Zimmernummer 4-57 über die Theke.

Unser Zimmer 57 befindet sich auf der vierten Etage.“

Miriam bedankt sich, nimmt den Schlüssel eilig und hofft, während sie zu den Fahrstühlen geht, dass sich die Frau ihr Gesicht nicht zu sehr eingeprägt hat.

Kurz bevor der Fahrstuhl sich schließt sieht sie ihn, wie er das Hotel betritt. Von dem gepflegten Leander von vor zwei Jahren ist nichts mehr übrig. Sein Haar ist wild durcheinander und auch der Bart scheint schon seit ihrem letzten Zusammentreffen zu wachsen. In letzter Sekunde springt Miriam aus dem Fahrstuhl und verfolgt unauffällig die traurige Gestalt, die sie einst so fürchtete. Sie hält genügend Abstand, um nicht bemerkt zu werden, versucht ihn aber dabei niemals aus dem Blick zu verlieren. Leander scheint sein Umfeld nicht zu beachten, fast mechanisch geht er den Flur entlang und bleibt dann abrupt vor einer Tür stehen. Miriam schafft es gerade noch, sich im Türrahmen eines anderen Zimmers zu verstecken, als Leander sich umsieht. Sie hört, wie sich eine Tür öffnet und einige Sekunden später wieder ins Schloss fällt.

Vorsichtig befühlt sie das Messer und wartet ein paar Minuten. Obwohl sie es nicht erwarten kann, die Waffe in seine Brust zu rammen und damit endlich Freiheit für sich und Jennifer zu haben, möchte sie ihn in Sicherheit wiegen. Bevor sie das Messer unter ihrem Kleid hervorzieht, vergewissert sie sich, nicht gesehen zu werden. Doch der Flur ist vollkommen ruhig und Miriam bezweifelt, dass außer Leander noch jemand, die Nacht hier verbringt. Trotzdem schleicht sie auf dem Teppichboden bis zu Leanders Tür mit der Zimmernummer 4. Am Türgriff hängt das „Bitte nicht stören Schild“

Tut mir Leid, Arschloch“, flüstert sie mehr zu sich selbst und öffnet die Tür mit dem Schlüssel, den Jennifer ihr zukommen ließ. Doch Leander erwartet sie bereits.

Er hat ihr den Rücken zugewandt aber im Spiegel vor ihm kann sie seine hasserfüllten Augen erkennen. Ihre Hand mit dem Messer darin zittert.

Du denkst, du machst mir Angst? Oh, du kannst mich ruhig töten. Du hast mir mein Leben schon vor vielen Jahren genommen.“, seine Stimme ist durchdringend und lässt ihr einen eisigen Schauer über den Rücken laufen.

Sieh dich nur an wie erbärmlich du da stehst, man sollte meinen in all den Jahren hättest du etwas an Persönlichkeit gewonnen.“, setzt er seinen Monolog fort. Seine Worte lassen eine längst vergessene Seite in Miriam aufbrodeln. Etwas Dunkles steigt in ihr auf und sie möchte auf ihn zustürmen, ihn zum Schweigen bringen. Leander hat sich ihr mittlerweile zugewandt und schaut sie mit einem abwertenden Blick an.

Ich habe mir geschworen dich zu finden. Aber du warst gut. Kein Social Media und auch sonst keine Spur von deinen gefärbten roten Löckchen. Ich muss sagen, die kurzen Haare stehen dir noch besser.“, sagt er, doch in seinem Blick spiegelt sich nur Ekel. „Willst du wissen, wie ich dich gefunden habe? Dein lieber Mark hat mich zu dir geführt.“, beantwortet er die Frage, ohne auf ihr Antwort zu warten.

Beim Klang des Namens wird Miriam schwindelig. Ihre Hoffnung,Jennifer bald wieder in die Arme schließen zu können, hat sie Mark vergessen lassen. „Wo ist er?“, fragt sie leise. Leander schüttelt den Kopf und schaut auf sie herab, wie auf ein Kind, dem man zum wiederholten Mal erklärt, dass es etwas falsch gemacht hat.

Wann hörst du endlich auf, Leute als dein Eigentum anzusehen?“, seine Worte kommen bei ihr an, doch ihr Verstand verschließt sich ihnen. Sie weiß nicht wovon er spricht, sie will es nicht wissen.

Er sucht nach Etwas in seiner Tasche. Miriam geht einen Schritt zurück, darauf vorbereitet, dass er eine Waffe zieht. Was er ihr aber jetzt wirklich entgegen streckt, ist viel schmerzhafter als ein Messerstich. In seiner Hand hält er ein zerknicktes Foto, obwohl das Motiv im Halbdunkel des Raumes nur schwer auszumachen ist, erkennt sie die Frau auf dem Foto sofort. Stumme Tränen laufen über ihr Gesicht und ihr Herz zerreißt.

Sieh es dir an“, nötigt er sie und auch in seiner Stimme liegt nun ein tiefer Schmerz.

Immer wieder hält er ihr das Bild unter die Nase, doch sie schließt die Augen, kann den Anblick des blutroten Kleides nicht ertragen.

Was willst du von mir?“, sie hasst sich für das Flehen in ihrer Stimme. Doch das Foto hat etwas in ihr gebrochen. Ihre Hoffnung, ihre große Liebe wiederzusehen, zerspringt von einer Sekunde auf die andere.

Ich will, dass du sie ruhen lässt.“, spuckt er ihr entgegen. Ihre Welt bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Sie sitzt mittlerweile auf dem kalten Boden, hält sich die Ohren zu und summt ein Lied, um seine Worte auszusperren. Doch die Erinnerungsfetzen blitzen immer wieder vor ihrem geistigen Auge auf. Das Lächeln der wunderschönen Frau mit den rotblonden Haaren und den blauen Augen, was sich innerhalb von wenigen Sekunden zu einem aus Angst verzerrten Gesicht verwandelt.

Du hast sie mir genommen“, seine Stimme dringt nur gedämpft zu ihr durch, doch jedes Wort ist ein Schlag mit dem Hammer, der ihre Welt weiter zum Einsturz bringt.

Ich habe sie geliebt“, schreit sie ihm jetzt entgegen und springt auf ihn zu, sie muss ihn zum Schweigen bringen.

Du hast ihr Angst gemacht.“, schreit nun auch Leander während er ihr ausweicht, „Du hast sie in den Tod getrieben, weil sie dein ständiges Auflauern nicht mehr ertragen hat.“, er wirft ihr das Foto vor die Füße. Sie schließt die Augen, doch das Bild von Miriams toten Körper hat sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Die Frau die sie selbst glaubte zu sein, ist vor zwei Jahren gestorben. Die Erinnerungen werden klar und die Schuld stürzt auf Jennifer ein. Leander hat Recht, Miriam hat sich das Leben genommen und sie konnte sie nicht davon abhalten. Die Frau die sie so sehr liebte, konnte ihrem Mann ihre tiefe Verbundenheit zu ihrer Freundin nicht gestehen und entschied sich so für den Tod. Sie ließ sie zurück und der unerträgliche Schmerz war für Jennifer nur ertragbar, indem sie Miriam weiterleben ließ und stattdessen ihr eigenes erbärmliches Leben beendete. Die Wut auf Leander lässt das Adrenalin in ihren Adern aufsteigen. Er ist der Grund, warum ihre große Liebe nur noch Suizid als Ausweg sah. Sie greift nach dem Messer, das sie auf den Boden hat fallen lassen und stürzt auf ihn zu. Er packt sie am Arm und schmettert sie mit voller Wucht gegen den Spiegel hinter sich. Das Glas splittert und ihr eigenes erbärmliches Spiegelbild zerspringt. Die Kontaktlinsen mit denen sie ihre grünen Augen übertönt, blicken ihr wie Miriams Augen entgegen. Doch etwas hat sich verändert.

Ich wusste, dass du verrückt bist. Schon als Miriam dich das erste Mal mit nach Hause gebracht hat, hab ich es dir angesehen, aber Miriam mochte dich. So war sie. Sie war ein guter Mensch. Ich glaube, sie hat in dir eine verlorene Seele gesehen, die sie retten wollte.“

Hör auf!“, fleht Jennifer, die weinend in den Scherben des Spiegels kniet.

Immer wieder hat sie dich verteidigt.“, übergeht Leander das Flehen, „Erst als du angefangen hast, sie zu kopieren und uns überall aufzulauern, hat sie erkannt, dass sie Abstand von dir halten muss. Aber du wolltest das nicht akzeptieren.“, seine Stimme bricht, er hält die Hände vor sein Gesicht und lässt den Tränen freien Lauf.

Sie war schwanger“, bricht es aus ihm heraus, „du hast mir nicht nur meine Frau genommen, sondern auch mein Kind.“, sein Gesicht ist von Schmerz und Hass verzerrt. „Ich habe mir geschworen sie zu rächen und das Schicksal wollte, dass ich dich finde.“

Wie?“, ihre Stimme ist nicht mehr als ein Krächzen.

Ich sagte doch bereits, dein Mark hat mich zu dir geführt. Ich wusste, dass Stalker wie du, sich neue Opfer suchen werden. Die Chance war gering und trotzdem habe ich mich in Foren angemeldet, um Hinweise auf dich und deine kranken Spielchen zu finden und siehe da ein Beitrag von Mark91 gab mir endlich wonach ich gesucht habe.“, seine Worte treffen sie mit voller Wucht. Konnte es sein, dass Mark ihr so in den Rücken fiel?

Er wollte sich nicht mit dir verabreden. Erst als ich ihm versprochen habe, dass das Treffen nicht wirklich stattfinden wird und er sich erst ins Café begeben muss, wenn du schon gegangen bist, willigte er ein.“, ein schadenfrohes Lachen mischt sich in seine Stimme. Er kniet sich neben sie.

Niemand wird dich vermissen, ich tue der Welt einen Gefallen.“ Mit diesen Worten greift er nach einer Scherbe und schneidet ihr die Kehle auf. Das Letzte was Jennifer sieht, bevor sie ihre Augen für immer schließt, ist wie ihr Blut das Lieblingskleid ihrer großen Liebe rot färbt.

9 thoughts on “Das blutrote Kleid

      1. Hallo Lisanne

        Da ist dir eine gute und krasse Sache gelungen.

        Das Ende fand ich super, damit hätte Jennifer wohl nicht gerechnet 🙂

        Du hast einen erfrischenden Schreibstil.
        Du kreierst schöne, eindringliche Bilder, ohne es mit der Sprache und den Adjektiven zu übertreiben.
        (Das Problem habe ich manchmal bei meinem Schreiben).

        Insgesamt fand ich deine Geschichten toll und klar strukturiert.
        Die Grundidee ist gut gewählt, die Handlung nachvollziehbar und stringent, die Charaktere ordentlich gezeichnet und angelegt, die Dialoge realistisch und das Finale….. wie gesagt….. sehr, sehr stark.

        Da und dort haben sich kleine Rechtschreibfehler und Zeichensetzungsfehler in deine Geschichte eingeschlichen.
        Vor allem nach wörtlichen Reden oder in etwas längeren Sätzen war das zu beobachten.
        Das ist aber kein Problem.

        Was meinst du, warum die größten Autoren und Schriftsteller Lektoren haben?
        Eben.
        Damit sie sich völlig auf’s Schreiben konzentrieren können.

        Lass deine Geschichten in Zukunft immer noch einmal gegenlesen, und die Sache ist erledigt 🙂 .

        Du kannst sehr stolz auf dich und diese tolle Geschichte sein.

        Die hat mich super unterhalten.

        Ich wünsche dir und deiner Geschichte alles Gute und viel Erfolg.
        Und natürlich noch gaaaanz viele Leser und Likes.

        Mein Herz hast du natürlich sicher.

        Liebe Grüße und schreib weiter.
        Du hast nämlich Talent.

        Swen Artmann (Artsneurosia)

        Vielleicht hast du ja Lust und Zeit, meine Geschichte auch zu lesen.

        Meine Geschichte heißt:
        “Die silberne Katze”

        Pass auf dich auf.
        Swen

  1. Hi,
    mir hat Deine Geschichte gut gefallen.
    Der Twist in der Persönlichkeit von Miriam war sehr interessant, hätte meiner Meinung nach noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen können, aber das ist Geschmacksache.
    Du hast ein tolles Erzähltempo und auch die Dialoge ( für mich mit das Schwerste beim Schreiben) sind Dir gut gelungen!
    Mein Like hast Du.

    P.S. vielleicht hast Du ja Zeit und Lust, auch meine Geschichte (“Glasauge”) zu lesen und ein Feedback da zu lassen.

  2. Moin Moin,

    da kann ich mich den vorherigen Kommentaren nur anschließen…

    Dir ist da eine richtig gute Geschichte gelungen. Spannend erzählt und den Twist zum Ende hin, habe ich ehrlicherweise nicht kommen sehen. Stark! Deine Worte sind gut gewählt und dein Plot wirkt gut erzählt. Vom Anfang bis zum Schluss ist deine Geschichte ne runde Sache. In einem Rutsch durchgelesen und dabei nie den Spaß verloren. Hat mir gut gefallen!

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für‘s Voting.

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

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