Dilan.ohne.BobDie Metamorphose

Schon seit einigen Wochen hatte ich das Gefühl gehabt, dass mich jemand beobachtete. Egal ob ich zur Arbeit ging oder einkaufen wollte, immer lauerte mir ein Schatten von unbekannter Art auf. Doch als ich es meiner Freundin erzählte, sagte sie, dass ich mir alles nur einbilden würde.

Ich hatte keine andere Wahl, als der Sache nachzugehen.

„Es ist bestimmt einer deiner Fans!“, hatte mein Mann damals gemurmelt, „Geh rüber zu ihm und gib ihm ein Autogramm, sonst mache ich es.“

„Man muss nicht immer alles mit der Faust lösen, weißt du? Du bist kein Kind mehr. Als Anwalt müsstest du das doch besser wissen.“, lachte ich und strich ihm eine Strähne seines dunklen Haares vom Gesicht.

Nach der Scheidung von meinem Mann, lebte ich jetzt bei einer Freundin. Wir arbeiteten beide am Theater.

Der Abend war angebrochen und bevor es an die Generalprobe von Puccinis Opernstück „Madame Butterfly“ gehen sollte, wollte ich mit Marie einkaufen gehen.

Plötzlich blendete mich etwas aus dem Augenwinkel.

Etwas blitzte auf.

Nochmal.

Immer wieder.

Wie ein wildgewordener Stier lies ich meine Taschen fallen und rannte in Richtung des Lichts. Es war die Statur eines Mannes, der sich hinter dem Häuschen versteckt hatte, wo die Einkaufswägen verstaut waren.

„Warte!“, keuchte ich und lief ihm eine Weile hinterher. Der Mann war anscheinend sehr sportlich, denn ich war es nicht und somit hängte er mich sofort ab. Weswegen ich wieder gezwungen war zurückzugehen.

Völlig außer Atem wagte ich noch einen letzten Blick zu der Stelle, wo er gestanden hatte.

Da.

Ein kleiner Junge stand dort. Er war süß und lächelte freundlich. „Du hast was verloren.“, sagte der Kleine und hielt mir etwas entgegen.

Eine kleine Karte.

Sie fiel auf den Boden und der Junge rannte davon.

„Aber ich habe eigentlich nichts verloren.“, gestand ich und bückte mich danach.

Es war eine Visitenkarte. Mit Mühe erkannte ich in der Dunkelheit „Psychologische Praxis“, nahm sie und steckte sie ein. Als ich mich umdrehte und nach dem Kind schauen wollte, war es verschwunden.

Merkwürdig. So schnell kann ein Kind doch nicht laufen. Dann kam mir in den Sinn, dass vielleicht mein Stalker ihm die Karte gegeben haben könnte. Schnell schüttelte ich diesen Gedanken wieder ab.

Das war mein nächster Anhaltspunkt!

„Emelie was ist denn mit dir passiert? Auf einmal warst du verschwunden.“, wollte meine Freundin Marie wissen.

„Der Mann. Er … er war es.“, flüsterte ich und zeigte die ganze Zeit in die Richtung wo er gestanden hatte. Wir setzten uns ins in ihr Auto. Marie weitete die Augen und umarmte mich, danach brach es aus mir heraus und ich weinte.

„Hey … Süße, ich wusste ja nicht, dass es diesen Psycho wirklich gibt. Lass uns zur Polizei gehen. Sofort!“  „Nein! Nein, ich will nicht.“

„Was heißt hier du willst nicht? Möchtest du jetzt ernsthaft noch länger warten?“, wollte sie wissen, „Weißt du nicht mehr diese Doku über Serienkiller, die wir letztens gesehen haben?“

Ich nickte. „Es wird bestimmt nicht dabeibleiben. Beim Beobachten.“  „Das ist mir gerade zu viel.“, sagte ich und schüttelte den Kopf.

Mir wurde kalt. Inzwischen musste ich einem Zitteraal gleichen.

„Du musst nach Hause.“

„Ist schon okay. Lass uns ins Theater fahren.“

„Bestimmt nicht! Wir fahren nach Hause. Dieser Verrückte lauert wahrscheinlich noch irgendwo.“

„Aber ich habe die Hauptrolle, ich kann mich nicht einfach drücken. Immerhin ist es die Generalprobe.“, wollte ich sie überzeugen. Madame Butterfly war schon immer eine meiner Lieblingsrollen gewesen und jetzt wo ich sie spielen durfte, wollte ich mich nicht wegen so etwas davon abhalten lassen. Mich zogen melancholische und tragische Rollen magisch an, so als wären diese das Licht und ich die Motte.

Nachdem wir die Einkäufe zu Hause verstaut hatten, fuhren wir zum Theater. Mein Smartphone blinkte auf. Es war eine Benachrichtigung einer Streaming App.

„Willst du die Wahrheit wissen? Ich weiß was letzten Herbst passiert ist.“

Das Zittern wurde stärker. Marie brachte mich in die Garderobe und holte mir Kaffee.

„Liebes, wir hätten dich doch zu Hause lassen sollen.“ Es ist bloß ein blöder Filmtitel. Es ist bloß ein blöder Filmtitel! Der warme Kaffee tat mir gut und ich beruhigte mich.

„Marie, du wirst hier kurz gebraucht!“, schrie jemand aus dem Flur, „Die Nase hält nicht.“

Meine Freundin verdrehte die Augen und ging lachend weg. Ihre Fähigkeiten als Maskenbildnerin waren unvergleichlich. Ich sah in den Spiegel und beobachtete mich. Man sah mir an, dass es mir nicht gut ging. Meine Tränensäcke waren aufgedunsen, die Augen gerötet und ich brachte kein Lächeln zustande.

Jetzt wollte ich einen Schluck vom Kaffee nehmen und schüttete etwas auf mich, weswegen ich mich bückte um nach meiner Tasche zu greifen, damit ich mir etwas zum Saubermachen holen konnte.

Aus Versehen griff ich nach der falschen.

„Je t’aime, oui Je t’aime.“, erklang es aus Maries Tasche und ich erschrak. Dabei schlug ich mit dem Hinterkopf an die Unterseite des Tisches auf und rieb daraufhin die schmerzende Stelle.

Nachdem es zum zweiten Mal geklingelt hatte, suchte ich nach dem Handy. Doch zu meinem Erstaunen holte ich ein anderes Handy raus.

Es war nicht das, dass sie immer benutzt hatte. Das Smartphone blinkte auf und ich las „Schatz“.

Seit wann hatte sie denn einen Freund? Von ihm hatte sie mir nichts erzählt. Ich versuchte ran zu gehen, doch es hörte wieder auf zu läuten. Nun war ich so neugierig geworden, dass ich es mir nicht verkneifen konnte hinein zu schauen.

Doch leider war es gesperrt. Ich überlegte. Was konnte sie als Passwort haben?

1918. Der erste Weltkrieg? Wir hatten uns immer über Leute lustig gemacht die solche Passwörter hatten. – Falsch.

Nur noch zwei Versuche. Komm schon Emelie überleg dir etwas Gutes!

Sie kommt gleich bestimmt wieder. Schritte kamen näher. In Panik, steckte ich mir das Handy unter den Pulli.

Jemand klopfte.

Er wollte nur ins Nebenzimmer.

Puh, nochmal Schwein gehabt. Erneut versuchte ich mein Glück.

1234 vielleicht? Ihr früheres Passwort. Nicht sehr originell, aber leicht zu merken. – Wieder falsch.

Nur noch ein Versuch. Dann würde sie wissen, dass ich geschnüffelt hatte. Meine Beine wackelten unkontrollierbar schnell hin und her.

Komm schon. Jetzt kam ich mir vor wie eine Agentin, aber eine nicht sonderlich talentierte. „Wieso sollte ich ein, mir völlig Fremdes, historisches Ereignis nehmen, da nehme ich doch lieber mein Geburtsjahr.“, hatte sie damals gesagt.

„1982.“ – Richtig!

Der Anrufer schrieb. „Wieso gehst du nicht ans Telefon, verdammt!!!?“ Er bombardierte Marie regelrecht mit Nachrichten.

Jetzt kam eine neue Nachricht von einer anderen Person, die sie unter „Psycho“ eingespeichert hatte. „Wo ist sie?“ Nochmal eine Nachricht. „Sag’s mir oder es wird dir noch leidtun! Sie muss die Wahrheit erfahren!“

Dann sah ich nur, dass sie schrieb. Schreib endlich schneller, dachte ich mir. „Was willst du machen?“, antwortete ich. „Psycho“ erwiderte nichts. Deshalb löschte ich meine Nachricht wieder. Doch zu spät, die fremde Person antwortete. Sie hatte mir etwas Anderes geschickt. Ich lud es herunter und sah mir das Bild an, panisch schmiss ich das Handy runter.

Es war ein Bild von mir und Marie. Außerdem vom kleinen Jungen. Vorhin. Beim Einkaufen. Ich schlussfolgerte, dass sie mit diesem Typen gemeinsame Sache machen musste.

Erneut hörte ich Schritte und steckte das Handy wieder zurück in ihre Tasche.  Wieder war es nicht Marie. Jetzt reichte es, wenn ich nicht einmal meiner besten Freundin vertrauen konnte, was waren Freundschaften denn dann noch wert? Vor allem was hatte sie gegen mich?

Ich schlich mich zur Requisite und holte mir einen Mantel, einen Schal und eine graue Perücke. Es war eine öffentliche Probe und da saß er, wie ein Phantom.

In der Loge Nummer 13. Die, die niemand, wegen der Unglückszahl, wollte. Er erkannte mich nicht, denn seine Augen sahen wie Wahnsinnig auf die Bühne. Er wartete auf Emelie. Auf mich. Nicht auf die alte Frau, die jetzt hinter dem Vorhang auf ihn sah.

Kaum wollte ich versteckt in seine Richtung schleichen, war er aber schon aufgestanden und verschwunden.

Der Darsteller für die männliche Hauptrolle, Simon, telefonierte lauthals und schrie. Danach ging er wutentbrannt hinter den Vorhang und raus zur Garderobe.

Alle waren zu beschäftigt damit, ihn zu beruhigen. Er war bekannt für seine Wutausbrüche und dafür eine Diva zu sein.

„Er braucht wieder einen Schokoriegel!“, merkte jemand an. „Naja, mit dem ist es nicht getan, wohl eher etwas Stärkeres.“ Sie kicherten.

Keiner sah hin, deswegen ging der Mann, dessen Gesicht verdeckt war zu den Garderoben.

„Halt! Zuschauer haben keinen Zutritt!“, hörte ich. „Er gehört zu mir.“, sagte Simon und sie kamen etwas in meine Richtung.

Mein Brustkorb wurde schwerer und schwerer.

„Wo willst du hin Lennard?“, hörte ich Simon fragen.

„Du musst deine Aggressionen in den Griff bekommen mein Freund!“, jetzt hörte ich seine Stimme zum ersten Mal. Ein kräftiger Bariton. Sie kam mir bekannt vor, sodass ich erschauderte.

Panisch sah ich umeinander und suchte nach einem Fluchtweg. Ich war noch nicht bereit für eine Konfrontation.

Dieser Lennard könnte alles Mögliche vorhaben.

„Wo ist sie?“

„Wer?“

„Na du weißt schon, Emelie Yazar.“

„Sie muss wohl noch in ihrer Garderobe sein. Nun sag ihr doch endlich, dass du in sie verliebt bist. Man könnte meinen du wärest noch ein kleiner Junge.“ Der Mann grummelte. Dann drehte er sich um. Mir hätte beinahe das Herz ausgesetzt. Er war in mich verliebt? Und er war ein Freund von Simon.

Emelie Yazar, so hatte mich schon lange niemand mehr genannt. Denn nach der Hochzeit, hatte ich meinen Mädchennamen abgelegt.

Er musste mich von früher kennen! „Das nächste Mal will ich sie sehen oder jeder wird von deinem kleinen Geheimnis erfahren. Dir und dem Regisseur.“, drohte ihm der Fremde. „N … nein hör auf!“, stotterte Simon, „Sonst darfst du sie nicht mehr sehen.“

„Wir sehen uns.“, sagte er und ich hörte Schritte, die sich entfernten. Unauffällig folgte ich ihm zur Garderobe.

Ohne zu Klopfen riss er die Tür auf. Es war keiner dort. Etwas war merkwürdig. Er war wohl nicht zum ersten Mal hier gewesen.

Er schimpfte: „Nie ist sie da, wenn man sie braucht. Marie! Marie!“

WAS?

Der Fremde kannte sie.

Halt! Er war kein Fremder, irgendwie kam er mir bekannt vor. Wie nannte Simon ihn nochmal?

Lennard. Ja! Das hatte Simon gestottert.

Nun war er der Beobachtete. Ich musterte ihn. Der Mann war groß und schlank. Er trug eine Brille mit runden Gläsern und vergoldetem Rahmen. Um sein Gesicht jedoch hatte er einen Schal gebunden, sodass man es nicht erkennen konnte.

Machten er und Marie gemeinsame Sache und wieso? Das ist ja eine ganze Verschwörung. Wer war denn noch dabei? Womöglich das ganze Theaterpersonal.

Langsam klang ich wie jemand, der verrückt wurde. Das war alles so absurd, doch irgendwie ergab jetzt vieles einen Sinn.

Er hatte immer gewusst, wo ich gewesen war.  Noch etwas war klar. Ich war nicht paranoid gewesen. Diesen Mann gab es wirklich!  Mein Handy blinkte auf.

„Ich kenne die Wahrheit Emelie! Du wirst dich ihr stellen müssen!“ Langsam ging ich aus der Garderobe und rannte dann raus aus dem Gebäude.

So als ob ich vor etwas wegrennen würde.

Woher hatte er meine Nummer?

Noch eine Nachricht. Mit beigefügtem Video.

„Ach übrigens …“

Darauf waren Marie und ein Mann zu sehen. Nicht nur irgendein Mann! Mein Ex-Mann Steve.

Sie küssten sich.

Nicht wie Freunde, sondern wie frischverliebte Teenager.

Wie lange ging das schon? Wie hatte ich mich nur so sehr in ihnen täuschen können?

Doch ganz egal wie sehr man doch rannte, ungelöste Probleme holten einen immer wieder ein. Ich schaltete mein Handy aus und ging in ein Hotel in der Maximilianstraße. Neben dieser Frau wollte ich nicht länger bleiben.

Außerdem konnte mich keiner mit ausgeschaltetem Handy orten.  Sie hatte so getan, als ob sie meine Freundin gewesen wäre und war mir so in den Rücken gefallen. Auch er war schuld. Das war klar. Sie war nicht verheiratet gewesen, doch er war es. Aber gab es nicht eine Art Ehren-Kodex, der besagte, dass man nicht den Ehepartner seines Freundes ausspannen soll. Tolle beste Freundin und wunderbarer Ehemann.

Ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen und suchte nach einer Schmerztablette in meiner Jackentasche.

Plötzlich spürte ich etwas Spitzes. „Aua!“

Die Visitenkarte. Mir fiel ein, dass ich sie nicht genauer angeschaut hatte, da es dunkel gewesen war. Ich las sie jetzt.

Dr. Lennard Walder

Psychologische Praxis

Schindlerweg 62B

Regensburg

LENNARD

Er war es. Etwas störte mich aber an der Sache. Walder. Walder. Walder. Woher kannte ich diesen Nachnamen?

Die Einsicht traf mich wie ein Blitz. Da wusste ich was ich zu tun hatte. Zwei Tage darauf begab ich mich in die Praxis von dem Psychologen auf der Karte.

Die Dame am Empfang lächelte freundlich. Sie tippte den Namen, den ich ihr nannte in die Tastatur ein. Es war ein erfundener Name.

Meine wahre Identität sollte vorerst noch verborgen bleiben.

„Die Versichertenkarte bitte.“ Ich kramte in meiner Jackentasche herum und fand nichts. Danach in meiner Tasche und Geldbörse. Wie auch, es gab diese Versichertenkarte nicht. Ich fälschte gerade meine Identität.

„Leider habe ich die vergessen, kann ich sie bitte nachreichen?“

„Tut mir leid das geht nicht.“

Daraufhin legte ich mich auf den Boden und bekam einen Tobsuchtsanfall, der Oscarreif gewesen war. Okay, so gut war er auch wieder nicht, aber den Simon Award für Wutausbrüche hätte ich bestimmt bekommen.

„Ist schon in Ordnung. Kommen Sie.“, ertönte eine Stimme hinter mir.  Dann drehte ich mich um. Er war es. Der Mann, der mich verfolgt hatte.

Dieser intensive Duft nach Moschus und Flieder, er war mir so vertraut. Er war der Mann der mein dunkles Geheimnis kannte.

Nein, er war sogar ein Teil davon. Dr. Lennard Walder.

„Setzen Sie sich. Was führt Sie zu mir?“

Lennard hatte sich sehr zum Positiven verändert. Sein helles Haar war glänzender. Seine blauen Augen strahlten, wesentlich mehr als damals. Er lächelte freundlich. Man merkte, dass es ihm äußerlich gut ging. Doch auch wenn er es zu überspielen gelernt hatte, kannte ich ihn gut genug um zu wissen, dass unser Geheimnis ihn immer noch plagte.

„Jemand verfolgt mich, weil er denkt ich hätte etwas Schlimmes getan.“ Lennard nickte. „Wer?“

„Mein bester Freund. Als Kinder waren wir befreundet.“  Er stand auf, als hätte ihn etwas gestochen.

Der Mann zog die Augenbraue hoch und schrieb etwas in seinen Notizblock.

„Was denkt er, dass Sie getan haben?“

„Ein Kind entführt und seine Mutter umbringen wollen.“, ich flüsterte und hörte auf zu reden.

„Weswegen sollten Sie das getan haben?“, wollte er wissen.

„Weil ich ihr Geld, ihren Besitz und ihren Mann wollte. Ich war schon immer neidisch auf sie.“

„Erzählen Sie weiter.“, er kam mir näher. Ich rutschte weg, sodass er bemerkte, dass er mir zu nahegekommen war und sich wieder zurücklehnte.

„Der Junge. Er ist mein Sohn, nicht ihrer.“, sagte ich und konnte nicht glauben, was aus meinem Mund kam. Die Worte verselbständigten sich ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.

Seine Hand zuckte und als er bemerkte, dass es mir auffiel, stand er auf und kippte das Fenster.

„Ziemlich heiß hier nicht wahr?“ Diesmal öffnete er die zwei obersten Knöpfe seines Hemdes.

„Tut mir leid für die Unterbrechung. Fahren Sie bitte fort.“

Sein Pokerface war wieder da. Der Wind blies ins Zimmer hinein, weswegen ich mir die blonde Strähne, die mir ins Gesicht geweht war hinter mein Ohr strich.

„Sie waren in Harvard?“, merkte ich an und zeigte auf die Urkunde an der Wand. Er nickte. „Harvard und Yale.“ „Das heißt Sie haben gar nicht hier studiert?“ Lennard schüttelte den Kopf.

„Nein, wir sind mit meiner Frau weggezogen. Auch wenn sie es hier viel lieber mag als in Übersee.“

„Genug von mir. Wie geht es weiter.“, sagte er und nickte mir zu.

„Mein Mann, er hat eine Affäre mit meiner besten Freundin gehabt.“

Eine Nadel fuhr mir durch die Schläfen. Ich hielt meinen Kopf und hörte ein Piepen. Es wurde stärker. Immer stärker.

Kaum hatte ich von der Affäre gesprochen, kam der Mann auf mich zu und riss mir die Perücke vom Kopf.

„Emelie, ich weiß das du es bist, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Das ist kein Kinderspiel!“

Diese Geste hatte mich so sehr erschrocken, dass ich auf den Boden rutschte.

Ich hob die Hände schützend vor mich. „Keine Angst, ich will dir nichts tun.“, beteuerte er.

„Das sieht aber gerade nicht so aus.“, rief ich empört.

Irgendetwas in seinen Augen verriet mir, dass er wirklich nicht vorhatte mir wehzutun. Deswegen nahm ich mir die falsche Nase und das falsche Kinn ab. Mein Gesicht wirkte weniger markant.

„Jetzt hast du es herausgefunden.“ Langsam hob ich die Hände, so als ob ich mich ergeben würde und sagte: „Es tut mir so leid Lennard.“

Daraufhin nahm ich das Haarnetz runter und meine dunklen Locken kamen zum Vorschein.

„Ich habe niemandem etwas getan. Wieso muss mir das alles passieren?“

Er sagte: „Das weißt du eigentlich schon, wieso wir beiden jetzt hier sind. Wieso ich dich verfolgt habe und was alles auf dem Spiel steht, wenn du dich nicht an die ganze Wahrheit erinnerst.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Du hast es mir doch gerade schon gesagt.“, erklärte er weiter.

„Aber ich bin kein schlechter Mensch. Ich habe niemanden entführt. Der Junge ist mein Sohn. Ich habe ihn geboren und aufwachsen sehen.“

Lennard stand auf und streichelte mir über den Kopf. Das hatte er immer gemacht, als es mir schlecht ging. Schon als wir Kinder waren. Auf einmal erschien mir ein Bild.

Er und ich in einem großen Garten. Der englische Garten in München. Wir standen unter einer Trauerweide und ließen uns fotografieren. Die Frau hinter dem Handy war Marie. „Lächeln.“, sagte sie. Klick.

Ein anderes Bild visualisierte sich vor meinem Auge. Sie und Lennard, ich beobachtete die beiden von draußen. Das Fenster war gekippt. Sie stritten. „Verdammt Marie! Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, zeige ich dich an. Es ist mir scheißegal ob du mit meiner Frau befreundet bist oder nicht. Ständig lauerst du mir auf und versuchst mich zu verführen. Bis jetzt habe ich nichts unternommen, weil ich an Emelie dachte. Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie wüsste, was für eine falsche Schlange du bist. Ich will nichts von dir, wann kapierst du das endlich.“

Marie zeigte mit dem Finger auf ihn. „Das wird dir noch leidtun, Psycho. Noch nie hat mich jemand abblitzen lassen. Sei auf das schlimmste gefasst.“

Ihr Gesicht war verzerrt vor Hass.

So hatte ich sie noch nie gesehen. Oder etwa doch? Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer. Das war genau eine Woche vor dem Autounfall.

Dem Autounfall, bei dem Lennard starb.

Halt.

Das heißt ja. „Du bist tot?“, stotterte ich.

Lennard weitete die Augen.

„Ja und du weißt auch warum nicht wahr?“

„Sie war es! Die Bremsschläuche!“, flüsterte ich und hielt mir die Hand vor den Mund, „Ich habe die beiden mit einer versteckten Kamera aufgenommen und sie hat vor Steve damit angegeben in unserem Haus. Die beiden dachten, ich wäre kurz in der Stadt.“

„Richtig.“

„Dieses Miststück! Dabei dachte ich wirklich sie wäre ein Engel, weil sie mir nach deinem Tod sehr geholfen hat. Ich war so allein. Ganz allein.“ Mein Herz pochte wie wild.

„Das muss alles ein Traum sein. Ein Alptraum.“

Da war es wieder, dieser unsagbare Schmerz.

„Denk nach, warst du wirklich allein? Ich glaube nicht.“

„Natürlich war ich allein. Wer sollte denn sonst an meiner Seite gewesen sein?“, schimpfte ich.

Lennard schüttelte den Kopf und sagte: „Ich sehe, dass ich dir etwas auf die Sprünge helfen muss. Du bist verwirrt. Was verständlich ist.“

Er begann zu erzählen.

„Steve ist schon immer ihr Freund gewesen.“ erklärte er mir, „Als sie gemerkt hat, dass sie mich nicht haben kann. Hat sie einen Plan geschmiedet. Du hast all die Beweise die du brauchst. Bitte rette ihn.“

„Wen?“ Als ich die Augen öffnete, saß plötzlich ein kleiner Junge vor mir. Er hatte blonde Locken.  Der Mann war weg.

„Erinnere dich an Theo!“, hörte ich seine Stimme. Der Junge vom Supermarkt, fiel mir sofort ein.

Er hieß Theodor. Er war mein Sohn! Er weinte und ich hatte das Bedürfnis ihn zu umarmen, doch es war eine unsichtbare Mauer zwischen uns.

Mir fiel auf einmal wieder alles ein. Ich hatte herausgefunden, dass mich Steve nur geheiratet hatte, weil Marie es ihm gesagt hatte.  „Wieso weinst du mein Kleiner?“, hörte ich mich fragen, „Mama ist doch hier.“

„Du hast mich allein gelassen. Bitte komm zurück Mama.“, schluchzte der fünfjährige Junge.

Als ich ihn greifen wollte verschwand er. Lennard saß erneut vor mir. „Kannst du dich wieder erinnern?“  Ich nickte.

„Ja, allerdings nicht ganz. Wo ist unser Sohn?“, wollte ich wissen. Der Mann nahm meine Hände. „Er wurde entführt.“

„Von wem?“

„Von Marie. Du hast gerade ihre Taten beschrieben.“

Ich weitete die Augen.

„Bist du eigentlich ein Geist?“, fragte ich und wollte die Antwort insgeheim gar nicht wissen. Lennard lachte. „Natürlich nicht!“

„Das ist alles nicht möglich, nein ich träume nur.“, flüsterte ich und schloss meine Augen. Dann zwickte ich mich und spürte den Schmerz.

Das Geräusch von quietschenden Reifen hallte mir durch den Kopf. Langsam wusste ich wieder, was geschehen war.

Ich war angefahren worden.

Es war Marie gewesen!

„Wieso hat sie mich angefahren?“, schrie ich, „Ist sie Wahnsinnig?“  Lennard drückte jetzt meine Hände. „Sie wollen das Kind, um an unser Erbe zu kommen Emelie. Du musst sie aufhalten. Du schaffst es.“

Ich schüttelte den Kopf. „Aber ich bin doch noch nie stark gewesen. Ich habe es nicht einmal geschafft unseren Sohn vor ihnen zu beschützen. Ich habe den falschen Menschen vertraut.“, sagte ich.

„Natürlich, du warst schon immer stark, Liebling. Weißt du nicht mehr die Artussage? Als Kinder haben wir uns immer verkleidet ich war Arthur und du der Zauberer Merlin, der mir immer geholfen hat. Du warst die Einzige, die Prinzessinnen blöd fand. Du wolltest Zauberer sein. Deine Stärke ist es anderen zu helfen. Bitte, komm endlich aus deinem Kokon herausgekrochen. Es ist nicht schlimm Selbstzweifel zu haben, sie helfen uns nur zu wachsen. Sieh endlich den schönen und starken Schmetterling, den ich auch sehe.“

Es blitzten Erinnerungen vor meinem Auge auf. Papiere. Ich untersuchte Schubladen. Dann fielen alle Puzzleteile wieder zusammen.

Plötzlich erkannte ich, was ich alles gemacht hatte. Ich fand Lennards Brief an mich, der mich vor Marie warnte. Sie hatten sogar schon die Adoptionspapiere in Marie‘s Schublade verstaut. Marie. Sie kann keine Kinder bekommen, fiel mir plötzlich ein. Es hatte auf einem Brief gestanden, den ich gefunden hatte. An diesem Tag, war ich unterwegs zu meinem Sohn gewesen, ich hatte vorgehabt, mit ihm zurück in die Vereinigten Staaten, wo wir früher gelebt hatten, zu fliehen und die beiden aus sicherer Distanz anzuklagen.

Die Beweise hatte ich schon gesammelt. Ich wusste, wo sie meinen Jungen versteckt hatten. Sie würden nicht mehr entkommen können.

„Lass dich nicht von mir aufhalten, es wird Zeit zu gehen. Wir sehen uns wieder.“

Der Mann stand auf und ging durch die Zimmertür. Alle Farben verschwammen zu einem undefinierbaren Braunton und wurden dann beängstigend dunkel.

„Bitte bleib hier Lennard!“

Keine Antwort. Er war weg.

Ich versuchte nochmal meine Gedanken zu ordnen. Die letzten Wochen hatte ich mir also nur ausgedacht. In Wirklichkeit war ich vor Jahren mit Dr. Lennard Walder verheiratet gewesen, hatte in den U.S.A gelebt und wir hatten einen kleinen Jungen namens Theodor. Wir waren zurück nach Deutschland gekommen. Wo ich als Opernsängerin arbeitete und mein Mann als Psychologe. Nach dem Tod meines Mannes, dachte ich, dass mir Marie geholfen hatte und sie stellte mir damals nach einigen Jahren Steve vor. Wir heirateten. Er war sehr lieb und aufmerksam gewesen und ich fühlte mich nicht mehr allein. Leider hatten die beiden von Anfang an geplant, Lennard und dann mich umzubringen. Erst hatte Marie vorgehabt mir Lennard auszuspannen, doch als dieser sich nicht darauf einließ, kam Steve ins Spiel. Marie konnte keine Kinder kriegen, weswegen sie uns beide aus dem Weg schaffen wollten, um an unser Kind und das Erbe zu kommen.

„Hört mich jemand?“ Ich versuchte zu schreien, doch es kam kein Laut mehr aus meinem Mund. Nichts. Nicht einmal ein krächzen.

Es war so, als ob mich die Dunkelheit gänzlich eingenommen hätte. Dunkle Wassermassen hatten es fast geschafft mich zu ertränken.

Da.

Ich hörte etwas. Stimmen.

„Die Ärmste, ihr Sohn wurde entführt und nun das hier.“, sagte eine Frau. „Ich habe ihren Mann gestern beim Telefonieren gehört. Er hat eine Freundin und sie wollen sobald wie möglich heiraten. Der Mann hat sogar was von Adoption gefaselt.“

Eine hellere Stimme sagte: „Es muss bis heute Abend ein Wunder geschehen, sonst ist es aus mit ihr.“

Es waren zwei Frauen.

„Ich habe gehört, dass sie einen Abschiedsbrief von ihr gefunden haben. In dem soll gestanden haben, dass sie ihren ersten Mann umgebracht hat und mit dem schlechten Gewissen nicht mehr weiterleben kann. Das kommt mir aber trotzdem komisch vor.“ erzählte die Frau mit der tiefen Stimme, „Wirklich schade um eine so junge Frau. Jetzt wo ihr Sohn wiederaufgetaucht ist. Das Kind sah ziemlich traurig aus in den Nachrichten.“

„Nein, sie dürfen damit nicht durchkommen! Theodor!“, schrie ich. Das verweinte Gesicht meines Sohnes erschien vor meinen Augen.

Die Dunkelheit wich der Helligkeit. Ein Lichtstrahl schien auf mich herab und der Kloß in meinem Hals löste sich auf.

Der Geruch von Desinfektionsmittel brannte in meiner Nase.

„T… Theodor.“

Piep, piep. Piep, piep. Piep, piep.

„Herr Doktor kommen sie, die Patientin wacht auf.“

Ich erwachte nach so langer Zeit.  Wie ein Schmetterling, der aus seinem Kokon hervorgekrochen kommt.

16 thoughts on “Die Metamorphose

      1. Interressante Story aus der man definitiv mehr rausholen könnte … weil man möchte jetzt irgendwie wissen, wie es weitergeht 🙂
        Ich finde es an einigen Stellen auch ein bisschen verwirrend, aber bleib dran und schreib …
        Alles Liebe ❤

  1. Hallo,
    Ich fand deine Geschichte wirklich spannend, vor allem hat mich das Ende überrascht!
    Ich könnte mir vorstellen, dass deine Idee als Buch besser funktionieren würde. Mit mehr Ausschmückungen, vielleicht noch mehr Verstrickungen. Also auf jeden Fall dran bleiben! 🙂
    Die Idee vom Theater fand ich auch cool und könnte in einem Buch noch detailierter und mysteriöser rüberkommen 🙂
    Alles Liebe
    Pauline

  2. Spannende Geschichte, eventuell solltest du einfach einmal Absatz für Absatz vorgehen und schauen, wo du an den Kleinigkeiten arbeiten kannst. Dadurch ist die Story im “Großen” dann deutlich besser.

    Düstere Grüße

    D. Calva

  3. Die Idee hinter der Geschichte finde ich super, auch den Bezug zum Theater. Ich glaube, das könnte man in einer längeren Fassung super fesselnd ausschmücken, als KG hat mir hier und da die Struktur gefehlt. Das Ende war mir etwas zu abrupt und blumig. Der Titel könnte auch etwas knackiger sein, ist mir persönlich zu vage formuliert.

    1. Ich finde die Idee dahinter echt mega, nur hätte ich mir mehr gefühlsbeschreibungen gewünscht. Natürlich ist das schwierig bei einer Kurzgeschichte, deswegen denke ich, dass du das in einer längeren Geschichte besser umsetzen könntest. Hat mir aber an sich gut gefallen!

  4. Also erst einmal: das Theater als Schauplatz ist wirklich toll 😍 Leider ist es mir zu wirr erzählt, ich blicke leider noch nicht durch die ganze Story durch. Aber der Schreibstil ist wirklich toll und mit etwas Struktur und Planung wird das bestimmt was richtig Gutes

  5. Vielen Dank für euer Lob und eure konstruktive Kritik. 👍🏻
    Freue mich sehr darüber, denn oft fehlt sowas und Menschen aus dem Umfeld üben ungern Kritik an einem, weil sie einen nicht verletzen wollen. Doch das ist gerade das was zählt, man will ja wachsen und nicht immer auf dem schriftstellerischen Niveau bleiben auf dem man schon ist.

  6. Hallihallo! Eine interessante Idee. Neben dem, was schon gesagt wurde, ist mir aufgefallen, dass deine Bilder sehr bekannt sind und manchmal nicht sehr gut passen. Vor allem über den wildgewordenen Stier bin ich gestolpert. Vielleicht fällt dir da noch etwas anderes ein.
    Liebe Grüße!

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