Ausgepowert vom Training wischte sich Marie in der Umkleide den letzten Schweiß von der Stirn. Sie hörte Musik über ihre Kopfhörer und freute sich auf eine erfrischende Dusche daheim. Ihre Lippen bewegten sich zu dem aktuellen Lied.
Sie öffnete das Vorhängeschloss ihres Spinds um das Handtuch in ihre Sporttasche zu legen. Sie war irritiert. Ein unbekanntes Smartphone lag dort.
Ihr eigenes hatte sie gerade noch in der Hand und es spielte ihre Lieblingsmusik ab. Vorhin war eine Frau mit ihr zusammen in der Umkleide des Fitnessstudios, es war bestimmt ihr Smartphone. Beim Hinausgehen schaute Marie ob sie die Dame entdeckte, aber sie war nicht mehr da. Sie entschied sich das Handy beim Empfang abzugeben.
„Hier, das hab ich in der Umkleide gefunden.“, sagte sie freundlich zu Trainer Mike hinter dem Empfangstresen und legte es vor ihn.
Am Getränkespender füllte sie sich noch schnell einen kleinen Energy-Drink in ihre Flasche um sich zu erfrischen.
Gerade als sie Richtung Ausgang steuerte rief Mike ihr hinterher: „Marie, also ich weiß nicht, der Bildschirm zeigt ein Foto von dir. Bist du sicher, dass es nicht dein Handy ist?“.
Marie erstarrte kurz und fragte nach: „Wie bitte? Was ist darauf zu sehen?“ Sie dachte sie hätte sich verhört, nein sie hoffte es.
„Na komm doch her und schau es dir an.“, forderte Mike sie auf.
Marie nahm das Smartphone in die Hand und drückte seitlich auf eine Taste. Sie riss die Augen auf, tatsächlich zeigte es ein Bild von ihr selbst wie sie im Fitnessstudio trainierte.
„Was ist nun damit?“, fragte der Trainer in genervtem Tonfall.
„Das ist wohl doch mein altes Handy, ist mir wahrscheinlich in die Tasche gerutscht.“ Sie war froh, dass ihr schnell eine Ausrede eingefallen war.
Mike verdrehte die Augen. „Wohl zu viel trainiert und zu wenig getrunken, ich würde mal sagen ab nach Hause mit dir.“
Marie nahm das unbekannte Handy an sich und ging zitternd zu ihrem Auto. Im Wagen musste sie erst einmal durchatmen, sie ließ das Seitenfenster hinunter. Sie traute sich kaum noch einmal das Foto auf dem Bildschirm anzuschauen. Das Handy hielt sie krampfhaft fest. Nach einigen Sekunden drückte sie darauf, es erschien wieder ihr Bild.
Sie war beim Langhanteltraining zu sehen. Die Aufnahme entstand seitlich von hinten. Aufgrund des Spiegels erkannte man Marie – ohne Zweifel. Anhand der Klamotten wusste sie, dass das Bild bei ihrem letzten Training vor ein paar Tagen entstanden sein musste, aber wer hatte es gemacht? Sie hatte nichts mitbekommen.
Das Bild sah sehr unvorteilhaft aus, ihr Shirt am Bauch war hochgerutscht und brachte ihren Hüftspeck zum Vorschein. Genau wegen der vorhandenen überflüssigen Pfunde ging Marie ins Fitnessstudio, erst seit zwei Monaten. Sie wollte etwas für ihren Körper tun. Vor einem Jahr hatte ihr Freund mit ihr Schluss gemacht. Aus Frust hatte sie danach zu viel gefuttert, es war an der Zeit sich wieder wohler zu fühlen.
Sie betrachtete das Handy genauer. Es schien von einer günstigen Marke zu sein und das Design erinnerte an ältere Modelle. Eine vierstellige Pin- Nummer diente als Sicherung. Was ihr aufgrund des Fotos nicht gleich aufgefallen war, auf dem Display stand: Anrufen unter 0153-15963574.
Ihr Herz sprang ihr fast aus der Brust, sie spürte jeden einzelnen Herzschlag mit voller Stärke. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, die sie nicht sortieren konnte. Sie hatte Angst vor dem Anruf. Aber sie hatte keine andere Wahl. Sie nahm ihr eigenes Smartphone und wählte die Nummer.
Lediglich eine Tonbandansage wurde abgespielt – die Stimme klang verzerrt: „ Vor 20 Jahren war ich dein Opfer, nun bist du meins! Die Pin sollte dir bekannt sein. Finde mich oder es geht weiter!“,
Marie schaute ungläubig und hörte sich die Ansage erneut an. Sie verstand nicht was hier los war. War sie in einem Albtraum gefangen?
Der erste und zunächst wichtigste Hinweis war die Pin-Nummer. Die Person hatte ihr Vorhängeschloss geöffnet. Es war ihr Geburtsdatum: der 15. Oktober, also 1510. Mit feuchten und unruhigen Fingern gab sie diese Pin ins gefundene Smartphone ein und es wurde tatsächlich entsperrt.
Nur die Galerie war auf dem Startbildschirm, alle anderen Apps waren anscheinend gelöscht.
Sie fürchtete sich, was darauf zu sehen war, denn was war vor 20 Jahren passiert? Wem hatte sie etwas angetan?
Sie hatte das Gefühl sie stand kurz vor einem Herzinfarkt. Außerdem sackte ihr Kreislauf ab, es wurde ihr immer wieder kurz schwarz vor Augen.
Aber sie überwand ihre Angst und öffnete die Galerie. Es waren zehn Fotos, sie schienen aus dem letzten Monat zu sein: Beim Döner essen auf der Straße mit Soße am Mund; im Supermarkt, wie sie sich in der zu engen Hose nach Chips streckte und wieder ihr Hüftgold herausschaute; mindestens noch drei unschöne aus dem Fitnessstudio und in anderen Alltagssituationen.
Es war schauerlich zu wissen, dass jemand sie die letzte Zeit beobachtet, scheinbar verfolgt und fotografiert hatte.
Beim Betrachten der Bilder dämmerte ihr langsam um was es hier ging. In der Oberstufenzeit hatte sie leider oft andere Menschen schlecht behandelt. Sie hatte unverschämte Sprüche über dickere Mitschüler gemacht oder über diejenigen, die nur Klamotten vom Discounter oder Second-Hand anhatten.
Manchmal hatte sie sich kleine Gemeinheiten ausgedacht. Einmal schnitt sie aus dem Schul-Jahrbuch das Gesicht eines übergewichtigen Mädchens aus, klebte es auf ein Poster von Miss Piggy und hängte es in den Aufenthaltsraum der Oberstufenschüler. Bei einem Jungen machte sie das Gleiche mit Jabba von Star Wars (einer Art fettem Riesenwurm).
Die meisten Mitschüler feierten sie für solche Aktionen und die Betroffenen hatten sich nie groß beschwert, zumindest nicht ihr gegenüber.
Sie selbst hatte Glück immer die neuesten Klamotten tragen zu können, meist von einer Marke oder zumindest brandneu und angesagt. Außerdem machte sie früher viel Sport, trainierte Leichtathletik im Verein, entsprechend schlank und trainiert war ihr Körper.
Sie war eines der hübschesten Mädchen der Schule, das wusste sie, vor allem weil die Mitschüler sie so behandelten.
Sie wollte damals von ihren eigenen Problemen ablenken.
Nur ihre besten Freunde wussten, dass Marie selbst sehr traurig und verletzt war. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen als sie 16 Jahre alt war. Die Trennung verlief mit viel Streit. Marie stand zwischen den Stühlen und fühlte sich als Einzelkind oft alleine. Ihre besten Freunde und ihr Sport gaben ihr Halt, leider bekamen die schwachen Mitschüler ihre Launen oft zu spüren. Ihre `Macht` als Schul-Liebling war enorm. Sie hatte ihr böses Verhalten vollkommen verdrängt, sie hasste ihr früheres Ich dafür.
Es brachte nichts noch länger auf dem Parkplatz vom Fitnessstudio zu stehen. Sie entschloss sich erst einmal nach Hause zu fahren und mit ihrer besten Freundin Emelie zu telefonieren, die beiden kannten sich seit der Grundschule.
Bereits auf dem Nachhauseweg hatte sie das Gefühl jemand hätte sich an ihre Fersen geheftet. Hoffentlich schaffte sie es schnell den Übeltäter zu stellen.
Endlich zu Hause fühlte sie sich weiterhin wie in einem Irrgarten der Gefühle aus dem sie den Weg nicht herausfand und dabei wurde sie auch noch verfolgt. Sie duschte sich im Eiltempo und hoffte ein wenig von dem seelischen Dreck von sich wischen zu können, aber es half nicht.
Sie zog sich ihren liebsten gemütlichen Look an. Mit dem Handtuch formte sie einen Turban um ihre langen dunklen Haare zu trocknen, die schon seit ihrer Kindheit zu ihrem Markenzeichen geworden waren.
Sie wählte Emelies Nummer.
„Hi Süße, ich hätte mich heute auch noch bei dir gemeldet.“ Emelie redete mal wieder direkt drauf los.
„Hi Liebes, warum wolltest du dich denn melden?“ Marie war froh nicht gleich von der Situation erzählen zu müssen.
„Jemand hat ein falsches Profil von dir auf Instagram erstellt, mit unschönen Fotos.“ In Emelies Stimme klang ihre Wut über diese Unverschämtheit mit, denn sie wusste, dass Marie bisher nicht dort angemeldet war.
Wieder pochte Maries Herz heftig vor Nervosität und Ungewissheit. Es ging wirklich weiter, das nennt man wohl modernes Mobbing.
Sie konnte kaum sprechen, sie hatte einen Kloß – gefühlt so groß wie das Matterhorn – im Hals. Erstmal musste sie sich räuspern. „Das überrascht mich nicht. Leider habe ich heute noch mehr erlebt.“, während sie sprach begann sie zu weinen und immer leiser zu werden.
„Um Himmels Willen mein Schatz, das klingt übel. Ich bin in zehn Minuten bei dir.“ Emelie spürte, dass Marie dringend ihre Nähe und Unterstützung brauchte. Die beiden Singles waren immer füreinander da.
„Das wär´ lieb.“, antwortete Marie schluchzend und legte auf.
Sie hatte mit weiteren `Attacken` gerechnet, aber nicht unmittelbar.
Da nahm es jemand richtig genau sie fertigzumachen und wusste, dass sie das massiv verletzte. Sie war eben nicht mehr die hübsche junge Frau, sondern eine reife Frau Ende dreißig – deutlich mit üppigen Formen und bei weitem nicht mehr so attraktiv wie früher. Sie selbst hatte damit zu kämpfen, aber dies nun präsentiert zu bekommen tat weh. Sie konnte sich nun hineinversetzen wie es ihren Mobbing-Opfern gegangen sein musste und überlegte weiter wer es von diesen auf sie abgesehen hatte.
Sie suchte die Jahrbücher von früher heraus um sie mit Emelie durchzuschauen, vielleicht fand sich dort die Person.
Schon kurze Zeit nach dem Telefonat klingelte es. Ihre Freundin war blitzschnell bei ihr.
„Gut, dass ich immer eine Flasche für Notfälle im Kühlschrank habe.“ Emelie hielt den Sekt ihrer beider Lieblingsmarke hoch und umarmte Marie zur Begrüßung.
Marie holte schnell die Sektgläser und die beiden machten es sich auf dem großen Kuschelsofa gemütlich.
„Nun aber mal raus mit der Sprache, du warst gar nicht überrascht von der Instagram-Geschichte.“ Emelie zeigte Marie auf ihrem Smartphone das Profil, das ihr vorhin direkt vorgeschlagen wurde.
Marie schenkte ihnen schnell den Sekt ein.
„Prost, das brauch ich jetzt.“, sprachs, hob das Glas symbolisch zum Anstoßen und trank erstmal einen großen Schluck bevor sie kurz über das Profil schaute.
Sie erzählte Emelie alles rund um den Fund des Handys und zeigte es ihr. Emelie war geschockt, versuchte dabei aber ruhig zu bleiben um Marie nicht noch mehr zu verunsichern.
Sie verglichen das Instagram-Profil und die Bilder auf dem Fitnessstudio-Handy. Auf Instagram waren erst drei der Bilder hochgeladen, es sollten also bestimmt mehr werden. Das Profil hatte den gehässigen Namen: Marie_Chérie_1982. 1982 war Maries Geburtsjahr.
„Es muss jemand von der Schule beziehungsweise von früher sein, der jetzt auch im Fitnessstudio ist.“, probierte Marie einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich hab auch schon die Jahrbücher von der Oberstufe rausgesucht, vielleicht hilft uns das weiter.“ Marie reichte Emelie dabei die drei Bücher und sie blätterten sie gemeinsam durch.
Die Schule machte jedes Jahr Bilder von allen Klassen und es kamen einige kleine Artikel dazu, was in dem Schuljahr passiert war. Marie wurde mit der Leichtathletik-Schulmannschaft oft erwähnt, auch mit Geburtsdatum.
Emelie grübelte laut vor sich hin, nachdem sie sich die Jahrbücher angesehen hatte. Sie war schon seit zwei Jahren in dem gleichen Fitnessstudio. „Ich hab im Studio noch nicht viele Leute aus der Schulzeit entdeckt. Viele sind umgezogen und du weißt, ich hab ein gutes Gesichtergedächtnis. Diejenigen, die mir einfallen, würden das nicht tun, sie hätten keinen Grund. Du konntest früher wirklich fies sein.“
Marie taten die harten aber wahren Worte aus dem Munde ihrer besten Freundin weh.
„Ich hatte mich manchmal geschämt. Aber ich wusste es geht dir nicht gut wegen der Scheidung. Ab und zu hab ich gesagt, dass du aufhören sollst, zum Beispiel nach der Miss Piggy-Aktion. Dann war es eine kurze Zeit besser, aber du hast weitergemacht. Ich war damals richtig froh, dass ich deine Freundin war und du nicht auch noch über mich gehetzt hast.“, Emelie schilderte ehrlich ihre damaligen Emotionen.
„War ich wirklich so schlimm?“, Marie ließ den Kopf hängen und ihr Gewissen drückte wie eine schwere Last auf ihre Schultern. Es war schlimm dies von ihrer besten Freundin zu hören.
Emelie nahm Marie in den Arm.
„Ich kannte dich und deine privaten Probleme, aber die anderen wussten es eben nicht. Und du weißt nun wie man sich als Mobbing-Opfer fühlt.“, Emelie gab Marie mitfühlend einen Kuss auf die Stirn.
„Aber jetzt ist es wichtig wie wir die Person finden, sonst werden wohl weitere Fotos von dir gemacht und auf Instagram hochgeladen.“ Emelie versuchte den Fokus zu setzen.
„Ich hab das Profil bei Instagram gemeldet, aber das bringt wohl erst was wenn viele Leute es tun. Sollen wir uns an die Polizei wenden?“, zog Emelie als Möglichkeit in Betracht.
„Polizei? Nein, das scheint mir momentan übertrieben, vielleicht später.“ Marie fürchtete, dass das nur der Anfang war. Außerdem hatte sie das Gefühl diesen virtuellen Angriff verdient zu haben. Sie schämte sich immer mehr für ihr damaliges Handeln nachdem Emelie davon erzählt hatte.
Marie saß weiter wie ein Häufchen Elend auf der Couch, im Arm von Emelie. Beide überdachten die gesamte Situation.
Auf einmal hatte Emelie eine Idee, wie man die Person vielleicht ermitteln konnte.
„Am besten gehst du morgen ins Fitnessstudio und sagst einfach was passiert ist. Die haben doch Kameras und wenn du ganz lieb fragst, dann schauen die in ihrer Kartei nach Leuten in unserem Alter.“ Emelie schaute ihre traurige Freundin dabei mit einem leichten Nicken an um das Positive daran hervorzuheben.
Marie schaute wenig überzeugt.
„Wenn das nicht klappt, dann überlegen wir uns eine neue Strategie.“ Emelie fand ihren Vorschlag gut.
Marie dachte darüber nach. Immerhin war es einen Versuch wert, sie selbst hatte derzeit überhaupt keine Idee. „Okay. Morgen ist Samstag, dann geh ich morgens gleich hin.“ Langsam hatte sie einen kleinen Funken Hoffnung.
„Kommst du mit oder musst du arbeiten?“ Marie hoffte, dass sie Unterstützung dabei bekam. Emelie arbeitete in einer Event-Firma, deshalb hatte sie oft am Wochenende zu tun.
„Wir haben morgen Abend eine größere Veranstaltung, da muss ich früh hin. Sorry. Aber du schaffst das! Wenn du willst kann ich zumindest heute Nacht hier schlafen.“, bot Emelie an.
Der Vorschlag ließ ein leichtes Lächeln über Maries Lippen zaubern. Die Ablenkung hatte sie nötig. Sie holte aus dem Wohnzimmerschrank eine DVD und hielt sie Emelie hin. Marie wollte sich nun endlich ablenken und nicht mehr an die Situation denken. Filme halfen ihr vom Stress abzuschalten.
„Notting Hill, gute Idee.“ Emelie musste schmunzeln, denn es war früher der absolute Lieblingsfilm der Freundinnen.
Sie schauten den Film, konnten ein wenig die Sorgen des bizarren Tages vergessen und schliefen dabei ein.
Am nächsten Morgen machte Marie noch ein kleines Frühstück bevor Emelie zu ihrem Auftrag fuhr.
Beim Abschied umarmten sie sich herzlich und Emelie flüsterte Marie ins Ohr: „Du schaffst das! Ich denk an dich.“ Und drückte ihr noch einen Schmatzer auf die Wange.
Marie war Emelie für die Unterstützung am gestrigen Abend dankbar. Sie konnte sich immer auf sie verlassen. Außerdem hatte es Emelie geschafft, dass sie sich etwas besser fühlte. Es gab nun einen vorläufigen Plan. Das Ziel, ihren Widersacher zu überführen, schien mittlerweile möglich zu sein. Sie verspürte zumindest einen Funken Hoffnung.
Marie machte sich schnellstmöglich auf den Weg zum nahegelegenen Fitnessstudio und hoffte etwas in Erfahrung bringen zu können.
Mike hatte wieder Dienst, wie sie beim Öffnen der großen Eingangstür feststellte.
„Hi Mike, du kannst dich doch bestimmt an das Handy von gestern erinnern. Ich wollte da nochmal mit dir drüber reden, ist ein wenig kompliziert.“, stotterte sie vor sich hin.
„Am besten gehst du hinten ins Büro, du weißt hinter der Rumpelkammer. Da können wir in Ruhe reden. Ich komm in ein paar Minuten, wenn ich hier fertig bin.“ Mike redete, aber Marie hörte nur halb zu. Sie sah sich um, ob sie ihren `Gegner` entdecken konnte.
„Gut, gut, kein Stress, ich warte.“ Marie lief dabei schon Richtung Büro und hielt Ausschau.
Sie nahm Platz in dem kleinen Raum, der hauptsächlich für die Trainer gedacht war, aber sie hatte hier auch ihren Vertrag unterschrieben.
Nach ein paar Minuten tauchte Mike abgehetzt auf.
„Sorry, mal wieder ein Probetraining.“, entschuldigte er sich.
„Kein Thema, die Arbeit geht vor.“ Marie versuchte nun besonders freundlich zu sein, damit sie auch an ihre gewünschten Informationen kam.
„Du kannst dich doch an das Handy von gestern erinnern?“, machte sie den Anfang.
Er schaute skeptisch und antwortete nur kurz: „Ja“.
„Also es war doch nicht meins. Ehrlich gesagt werde ich sozusagen erpresst mit hässlichen Bildern von mir. Es muss jemand aus dem Fitnessstudio sein und in meinem Alter. Könntest du vielleicht mal eine Ausnahme machen und in eurer Kartei nachschauen oder in den Videoaufnahmen von gestern?“ Sie wusste nicht wie sie es in wenigen Worten besser beschreiben und höflich fragen sollte.
„Marie, ich kann es nicht glauben.“ Mike wirkte sichtlich verärgert, wahrscheinlich hatte er Angst die Vorschriften zu brechen.
„Du meintest vorhin, dass du mit mir darüber reden willst. Und nun das!“ Mike wurde sichtlich immer wütender.
„Ich verstehe, wenn du jetzt nicht gleich nachschauen kannst oder erst bei der Studioleitung nachfragen musst.“, wollte Marie ihn besänftigen.
„Marie, du kapierst es nicht.“ Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich neben sie auf den anderen Stuhl.
Marie war mehr als verwirrt, sie wusste dass ihre Bitte unüblich war, aber auch nichts schlimmes. Sie drehte ihren Stuhl in seine Richtung um ihm wieder gegenüber zu sitzen.
„Du erkennst mich immer noch nicht.“ Sein Unverständnis war nun zu spüren, sein Blick durchbohrte sie. Er griff nach ihren Handgelenken und hielt sie fest. Automatisch kam sie ihm nahe und musste ihn erstmal ansehen, ob sie wollte oder nicht.
Marie war geschockt. „Du warst das alles? Aber kennen wir uns von früher?“ Angst stieg in ihr auf, denn sein Griff war schmerzhaft und sie merkte, dass sie sich nicht daraus lösen konnte. Schreien brachte auch nichts, das Büro war abgelegen und im Studio lief Radio und manche hatten Kopfhörer auf.
„Traurig, sehr traurig. Mike nenne ich mich erst seit ein paar Jahren, eigentlich heiße ich Michael.“ Mike war nun seine Abneigung ihr gegenüber deutlich anzusehen, zuvor war er immer freundlich zu Marie gewesen.
Sie überlegte woher sie ihn kannte, in der Schule war kein Michael an den sie sich erinnern konnte. „Mike, es tut mir leid. Ich komm nicht drauf woher wir uns kennen.“ Sie sprach mit ruhiger Stimme und versuchte die Situation dadurch zu entspannen, damit er endlich ihre Arme losließ.
„Ich geb dir einen Tipp, wir sind zusammen im Bus in die Schule gefahren.“, er redete in herablassendem Ton und zog fragend seine rechte Augenbraue hoch. Der freundliche `Trainer Mike` war verschwunden.
Sie schloss die Augen um sich besser konzentrieren und nachdenken zu können. Plötzlich fiel es ihr wieder ein.
Er hatte einen Ort weiter gewohnt und sie fuhren mit der gleichen Buslinie in die Schule. Irgendwann waren die beiden nachmittags allein hinten im Bus. Der mindestens drei Jahre jüngere Michael hatte sich ein Herz gefasst und fragte Marie, ob sie mal etwas mit ihm unternehmen würde. Sie hatte nur plump und verächtlich geantwortet: „Was willst du denn von mir, du kleiner dürrer Pimpf? Du meinst doch nicht etwa, dass ich mich mit dir abgeben würde.“
Außerdem hatte sie am nächsten Tag allen im Bus erzählt, dass der kleine Junge mit ihr ausgehen wollte. Sie hatte ihn tief verletzt, das war ihr nun klar.
„Oh, jetzt weiß ich es wieder.“ Sie senkte den Kopf. Ihr damaliges Verhalten war inakzeptabel. Sie hätte freundlich „nein danke“ sagen können.
Sie fand kaum Worte. „Aus dem Bus, du hattest mich angesprochen.“ Wie sollte sie sich entschuldigen?
„Du hattest mich zum Gespött im Bus gemacht! Ich konnte nur noch alleine hinter dem Busfahrer sitzen, weil alle sich über mich lustig gemacht hatten. Das ging über Monate. Ich hatte mich ewig nicht getraut wieder ein Mädchen anzusprechen.“
Marie hörte ihm aufmerksam zu, sie hatte das Gefühl er redete über eine andere Person, die ihm das angetan hatte. Ihr `altes Ich` war ihr unbekannt geworden und sie konnte es selbst nicht leiden.
„Dann spazierst du hier vor acht Wochen ins Fitnessstudio und ich denke, dass du mich bestimmt erkennst und dich entschuldigst. Aber nein, du bist immer noch so eingebildet wie früher. Erkennst mich nicht einmal!“ Mike schüttelte den Kopf dabei und seine Mimik verkrampfte, seine Wut und Enttäuschung waren greifbar.
„Es stimmt, ich habe dich nicht erkannt, du hast dich wirklich enorm verändert, sogar dein Name. Es klingt für dich bestimmt wie eine Ausrede, aber mir ging es damals wirklich schlecht, meine Eltern hatten sich getrennt und ich war nur noch von Streit umzingelt. Oft habe ich die Wut an meinen Mitmenschen ausgelassen. Leider auch an dir. “, sie hoffte, dass die Erklärung ihn besänftigen würde.
Aber Mike lachte verächtlich und auf eine Weise, die es ihr kalt den Rücken hinunterlaufen ließ.
„Das arme hübsche Mädchen durfte einfach alle wie Dreck behandeln, weil es ihr schlecht ging. Du meinst doch nicht, dass ich Mitleid mit dir habe?“ Mike hielt sie immer fester, aus ihrer Angst wurde nun Panik.
„Bitte Mike, wir können doch in Ruhe darüber reden.“, sie wusste nicht was sie noch sagen oder tun konnte um ihn zu beruhigen.
„Ach was, vergiss es einfach. Wer nicht hören will …“ und ließ den restlichen Satz offen im Raum stehen.
Dann ging es rasend schnell. Er packte sie und schleuderte sie auf den Schreibtisch. Ihr Kopf schlug mit voller Wucht auf. Sie lag mit dem halben Oberkörper und schräg mit dem Gesicht auf dem Tisch. Durch den Aufschlag war sie kurz bewusstlos.
Er stand direkt neben ihr und fixierte ihre Hände hinter ihrem Rücken mit Klebeband. Er hatte es sich anscheinend schon bereit gelegt, bevor er sich neben sie gesetzt hatte.
Was hatte er vor?
Marie kam nur langsam zu sich und realisierte kaum was passierte.
Er packte sie an ihrem Pferdeschwanz, sie war ihm ausgeliefert. Mike nahm eine Schere, die im Stiftehalter steckte und schnitt ihr die Haare oberhalb ihres Haargummis ab.
Er beförderte sie auf die Couch und wollte dort Bilder von ihr machen, mit ihrer neuen Optik. Marie merkte nur, dass sie nun auf dem Sofa lag und er über ihr stand.
Auf einmal war ein Klopfen an der Bürotür zu hören und der Griff wurde gedrückt. Mike antwortete natürlich nicht. Marie hatte das Klopfen nicht bemerkt.
„Marie, bist du da?”, rief eine vertraute Stimme.
Sie wollte gerade antworten, da hielt Mike ihr den Mund zu.
„Mike! Ich weiß, dass du sie erpresst. Lass sie in Ruhe!”
Emelie war an der Tür. Auf dem Weg zur Arbeit ging sie nochmal alle Personen im Fitnessstudio durch, sie hatte zuvor nicht über die Trainer nachgedacht. Aber dann fiel ihr der relativ neue Trainer Mike und der Vorfall im Bus ein. Sie fuhr damals ebenfalls mit dieser Buslinie.
Sie hatte sich gedacht, dass das Gespräch bestimmt im Büro stattfinden würde und an der Theke hörte sie, wie jemand Mike suchte. Also war sie schnellstmöglich ans Büro gerannt. Sie wollte keine Sekunde verschwenden und dachte leider nicht daran sich Verstärkung zu suchen. Sie hatte nicht erwartet, dass sie die Tür verschlossen vorfinden würde.
Mike war völlig perplex. Emelie hämmerte weiter an die Tür.
Er rannte zur Hintertür des Büros, die zum Parkplatz der Mitarbeiter führte und verschwand.
Marie versuchte dann so laut wie möglich zu sagen: „Er ist weg. Moment, ich komm.” Das Sprechen fiel ihr schwer.
Emelie war beruhigt.
Nachdem sich Marie aufraffen konnte ging sie zur Bürotür, der Schlüssel steckte noch. Mit letzter Kraft öffnete sie die Tür und sackte zusammen, halb in die Arme ihrer besten Freundin.
„Oh mein Schatz, alles wird gut.” Sie half Marie sich zurück auf die Couch zu legen.
Emelie setzte sich daneben und begann ihrer Freundin den Kopf zu streicheln, dabei bemerkte sie erst die raspelkurzen Haare.
Maries Markenzeichen war nicht mehr vorhanden, das gab Mike wahrscheinlich Genugtuung.
Die beiden Frauen standen unter Schock und konnten anfangs nicht miteinander reden.
Marie begriff nur langsam was ihr zugestoßen war, ihr Kopf dröhnte und pochte weiter vor Schmerz. Als sie dann den Zopf am Boden entdeckte fing sie an zu weinen. Eigentlich machte ihr das kurze Haare wenig aus. Sie war froh, dass Emelie sie gerettet hatte. Sie wollte sich nicht ausmalen, was sonst noch hätte passieren können.
„Ich denke, jetzt hast du nichts mehr dagegen, dass ich die Polizei rufe.”, sagte Emelie und hatte schon ihr Smartphone in der Hand.
Spannende und realistische Story !!
Danke 🙂
Schöne geschichte
Hab die Geschichte sogar mehrmals gelesen 😉
Danke dir 😉
Donnerwetter, nicht schlecht
Peter B
Dankeschön 😊
Schöne geschichte
Eine fesselnde Geschichte von einer talentierten Schreiberin!
Hallo Jana!
Tolle Geschichte, Parameter super umgesetzt! Hat mir wirklich gut gefallen!
LG, Florian
PS. Vlt hast du ja Zeit und Lust auch meine Geschichte zu lesen und sie evtl. kurz zu kommentieren. Feedback von außen ist immer aufschluss- und hilfreich.
https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/schach-matt
Moin Jana,
ne tolle Storie die du dir ausgedacht hast.
Mobbing ist bei vielen Geschichten hier als Thema vorhanden. Auch deine ist schön erzählt.
Das du deine Geschichte mit Liebe geschrieben hast, merkt man sofort.
Ich möchte nicht überheblich klingen, aber darf ich dir sagen was mir noch aufgefallen ist?
Dein Schreibstil: Du beschreibst eine Situation, stellst dann die Frage und anschließend kommt gleich die Antwort. Versuche etwas kreativer zu sein, lass deinen Lesern Raum für ihre eigenen Gedanken. Dann bleibt deine Geschichte spannend und man will unbedingt wissen wie es weitergeht.
Danke das du deine Geschichte mit uns geteilt hast.
Dafür das du an diesem Wettbewerb teilgenommen hast, erhältst Du von mir ein Like und ich wünsche dir alles Gute für‘s Voting.
LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)
Hallo und guten Tag
Deine Geschichte ist großartige Literatur.
Sie hat mich gefesselt und berührt.
Und sie hat mir gut gefallen.
Schade, dass du erst so wenige Herzen hast.
Ich lasse dir sehr gerne ein Like da.
Die Parameter sind gut umgesetzt worden, die Protagonisten klar und toll angelegt, die Spannung super gelungen und das Finale spannend und überraschend zugleich.
Du hast ein riesiges Erzähltalent.
Bitte gib niemals auf und kämpfe weiter.
Noch kannst du es definitiv ins EBook schaffen.
Ich sende dir kollegiale und liebe Grüße aus dem Münsterland.
Kämpfe weiter für deine Geschichte.
Sie hat es verdient.
Liebe Grüße und pass auf dich auf.
Swen Artmann (Artsneurosia)
Vielleicht hast du ja Lust und Zeit, auch meine Story zu lesen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir einen kleinen Kommentar zurück lassen würdest.
Meine Geschichte heißt:
“Die silberne Katze”
Ich danke dir von ganzem Herzen.
Swen
Hallo Jana,
ich fand deine Geschichte spannend, gut geschrieben und frage mich, ob die Handynummer echt ist 🙂
Gerne hinterlasse ich dir meinen Like.
LG
Patricia
(Vielleicht hast du Lust, meine Gesichte zu lesen: ANGERICHTET)