Franzi2002DER GAST AN TISCH SIEBEN

Prolog:

Er ging die Straße hinauf und schließlich sah er sie: Sie und ihr perfekter Freund: Sie gingen lachend Hand in Hand nach Hause, während er ihnen unauffällig folgte.

Er kannte und wusste alles über sie: Er wusste, wann sie Geburtstag hatte, er kannte ihr Lieblingsessen und ihre Lieblingsfarbe. Er wusste, was sie machte, wenn sie traurig war und er wusste, wie man sie wieder aufheitern konnte.

Und er kannte ihr Geheimnis. Ein Geheimnis gegen das er machtlos war. Doch das würde sich bald ändern: Denn er hatte ein Plan. Einen Plan, der seinen Rachedurst endgültig löschen würde.

 

1. Teil:

„Kannst du dich bitte ein wenig beeilen? Ich komme sonst zu spät“, drängelte Rachel und sah ihren Freund vorwurfsvoll an, der noch immer im Bett lag und keine Anstalten machte aufzustehen. Er sah von seinem Handy auf und als er den vorwurfsvollen Blick von seiner Freundin sah, quälte er sich aus dem Bett „Ist ja schon gut, ich komme.“, gab er nach und drei Minuten später verließen sie das Haus.

 „Das musst du das dir wirklich abgewöhnen“, befahl sie streng, während sie im Auto saß und ihren Lipgloss auftrug.
„Und du musst dir wirklich abgewöhnen, dich so viel zu schminken. Nachher denken die Typen noch, du wärst leicht zu haben“, erwiderte Lewis, doch Rachel winkte ab.

„Jetzt stell dich nicht so an. Ich arbeite in einer Kneipe, wo mir immer hunderte Typen hinter her pfeifen. Das bisschen Lipgloss macht da keinen großen Unterschied.“

Lewis sah seine Freundin an, die sich fertig geschminkt hatte und nun aus dem Fenster schaute. Er brauchte all seine Energie, um sich auf die Straße zu konzentrieren, denn ihre Schönheit haute ihn immer wieder um.

Als sie an einer roten Ampel stehen blieben, merkte Rachel, wie Lewis sie anschaute und sie lächelte verunsichert.

„Weißt du eigentlich, wie wunderschön du bist?“ Rachel sah ihn verwirrt an.

„Nein, aber ich weiß, dass die Ampel grün ist und hier gleich ein ordentliches Hupkonzert startet, wenn du jetzt nicht losfährst“, wich dabei auf seine Frage aus.

Lewis fuhr weiter und sah immer wieder zu seiner Freundin hinüber, die wieder aus ihrem Fenster schaute. Noch nie hatte sie Komplimente oder ähnliches annehmen können.

Noch nie hatte er mitbekommen, dass sie sich in irgendeiner Weise hübsch fand oder zufrieden mit sich war. Es war fast so, als hätte man ihr früher anderes beigebracht.

Generell hatte Lewis manchmal das Gefühl, dass sie ihm irgendetwas verheimlichte: Sie waren jetzt schon sehr lange zusammen, doch weder hatte Lewis ihre Eltern gesehen, noch hatte er andere Familienmitglieder von ihr kennen gelernt. Wenn er sie drauf angesprochen hatte, war sie ausgewichen oder hatte erst gar nicht geantwortet

„Verdammt“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und sah, wie sie hektisch in ihrer Handtasche wühlte.

„Was ist denn?“, fragte er verwirrt, während Rachel unbeirrt weiter fluchte.

„Ich hab mein Handy vergessen“, erklärte sie schließlich. Lewis zuckte nur mit den Schultern.

„Du brauchst es doch nicht…Ich meine, in der Kneipe wird es dir doch nur geklaut und ich hol dich pünktlich von deiner Schicht wieder ab.“

„Wahrscheinlich hast du recht“, seufzte sie, als sie angekommen waren. Sie gab ihm einen Abschiedskuss, stieg aus und lehnte sich anschließend ins Auto.

„Versprich mir, dass du nüchtern bist, wenn du mich abholst.“

Lewis sah sie an und lächelte. „Ich werde mein Bestes geben“, zwinkerte er, ehe er losfuhr. Rachel ging in die Kneipe und wurde von ihrem Chef begrüßt.

„Hey, Rachel, schön, dass du uns auch endlich mal besuchst“, stichelte er und Rachel errötete leicht.

„Tut mir leid für die Verspätung. Lewis ist mal wieder nicht aus dem Bett gekommen“, entschuldigte sie sich, doch Mike lachte.

„Ist schon gut. Noch ist ja nicht viel los. Aber stell dich mal drauf ein, dass das nicht so bleibt. Heute ist Samstag und noch dazu „Champions Leage-Finale. Die Bude wird voll“, erinnerte er sie, während sie sich ihre Schürze umband und seufzte.

 

Mikes Ahnung hatte sich bestätigt: Nach nicht mal einer Stunde war der Laden so voll, dass Rachel Mühe hatte, an die vollbesetzten Tische zu kommen.

Wie immer hörte sie die gierigen Pfiffe der notgeilen Männer, aber entweder nahm sie diese gar nicht mehr wahr, oder sie beachtete sie nicht. Hier und da spürte sie absichtliche Berührungen, doch auch das störte sie mittlerweile nicht mehr.

Solange die Typen sich zurückhielten, von ihrem Oberkörper fern blieben und ihre Grenze nicht überschritten, war es für sie okay.

Nebenbei bemerkt würde sich niemand trauen, sie anzufassen, denn alle hier kannten Mike und alle wussten, dass sie unter seinem Schutz stand. Und niemand hatte Lust, sich mit ihm anzulegen, denn Mike war ungefähr so breit, wie ihr Kleiderschrank und so stark wie ein Elefant. Dazu kam noch, dass viele hier Stammkunden waren und sich Rachel mit den meisten gut verstand.

„Hallo, Ralf. Was kann ich dir Gutes tun?“, fragte sie ihren Lieblingskunden, der fast jeden Abend hier war und sich immer wieder aufs Neue freute, wenn Rachel ihn begrüßte.

„Gib mir bitte noch ein Bier….aber ein alkoholfreies, bitte. Ich muss heute noch zurückfahren.“ Ralf war so ein lieber und netter Mann und trotzdem…Er war irgendwann irgendwie vom Weg abgekommen und obwohl Rachel hier und da mal von einer Frau gehört hatte, so hatte es doch nie lange gehalten.

Nachdem sie ihn mit einem alkoholfreien Bier glücklich gemacht hatte, kam Mike auf sie zu.

„Kannst du bitte mal Tisch sieben bedienen? Ich hab alle Hände voll und Lina ist in der Menge gerade nicht mehr aufzufinden.“

Rachel quetschte sich durch die Menge und als sie am Tisch angekommen war, wurde sie von oben bis unten gemustert. Sie schenkte diesen Blicken keine Beachtung, sondern konzentrierte sich auf den vierten Typen, der in der Ecke saß und eine schwarze Kapuze trug, sodass sie sein Gesicht nicht erkennen konnte. Aber er hatte irgendwas an sich, dass Rachel glaubte zu kennen.

„Ey, ich bin Single und da habe ich mich gefragt, ob deine Eltern Terroristen sind. Du siehst nämlich aus wie ne Bombe.“ Sie ließ den Blick von dem Kapuzen-Typen ab und konzentrierte sich auf den, der sie gerade angemacht hatte: Kurze blonde Haare, blaue Augen, freches Grinsen und ein leicht gehobener Alkoholspiegel.

Sie sah ihn eine Weile an, ehe sie lächelte und sich zu ihm hinunter beugte.

„Erstens: Ich bin vergeben. Und zweitens: Mit dem Spruch wirst du es auch noch lange Single bleiben.“ Während ihn seine Jungs auslachten, rührte sich der Kapuzen-Typ immer noch nicht. Erst als Rachel von dem Tisch wegging, um die Bestellung fertig zu machen, sah er ihr hinterher. Hätte Rachel sich in diesem Moment umgedreht, dann hätte sie vermutlich ihr Tablett fallen lassen. Doch sie war so mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie ihn im Laufe des Abends gar nicht mehr wahrnahm.

 

Dieser Abend war so ein anstrengender, wie sie ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte: Es kam ihr so vor, als wenn die Typen heute extra lange blieben, um sie auf den Beinen zu halten.

Als die letzten Gäste verschwunden waren, war es bereits drei Uhr. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr stehen zu können und die Kopfschmerzen durch die stickige Luft waren kaum noch auszuhalten.

Mike und die anderen räumten schnell noch auf, doch kurz bevor sie fertig waren, entdeckte Rachel ein Handy auf Tisch sieben.

„Mike?“, rief sie, griff nach dem Handy und machte es an, um Hinweise auf den Besitzer zu finden. Doch was sie sah, als das Display aufleuchte, ließ sie so zusammenzucken, dass sie das Handy fallen ließ. Sofort hob sie es auf. Sie sah sich das Bild noch mal an, konnte nicht glauben, was sie sah. Denn was ihr das Display zeigte, konnte schlicht und ergreifend nicht möglich sein. Doch bevor sie sich weiter Gedanken darüber machen konnte, kam auch schon Mike und sah sie fragend an.

„Was ist denn Rachel?“ Bevor er das Handy sehen konnte, versteckte sie es hinter ihrem Rücken.

„Nichts, alles gut…ich wollte nur fragen, ob es noch irgendwas zu tun gibt.“ Mike sah sie eine Weile an und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich denke nicht. Es war ein anstrengender Tag. Du kannst gehen.“ Rachel ließ das Handy unauffällig in ihre Gesäßtasche gleiten und lächelte.

„Okay. Dann bis morgen“, verabschiedete sie sich hastig, doch Mike rief sie zurück.

„Rachel?“
„Ja?“, drehte sich um.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so nervös.“

„Ja klar, alles gut. Ich bin nur müde und…es war ein wirklich anstrengender Abend.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und Mike sah ihr nachdenklich hinterher: Für ihn war Rachel noch immer ein Rätsel. Dieses Mädchen hatte ein großes Herz und war ohne Zweifel wunderschön, doch manchmal verfinsterte sich ihre Miene unwillkürlich und ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. Es war der Schatten ihrer Vergangenheit. Und Mike wusste, dass es noch viele Dinge in ihrem Kopf gab, über die sie nicht sprechen wollte.

 

 „Ich kann nicht mehr“, stöhnte sie, als sie endlich die Wohnungstür aufschloss und sie ihre Schuhe auszog.

„Was denn, so angespannt…Was hältst du denn von etwas….Entspannung?“ Rachel sah ihn an und lächelte.

„Entspannung, ja?“, wiederholte sie spielerisch. „Was genau stellst du dir darunter vor?“

Sie spürte, wie Lewis seine Hände an ihre Hüfte legte, bevor er stutzte.

„Ich dachte, du hättest dein Handy vergessen?“, fragte er, als er den Gegenstand in ihrer Gesäßtasche fühlte. Sie wandte sich ab. Lewis spürte, dass irgendwas ganz und gar nicht stimmte. Sie hatte auf der Fahrt schon kaum ein Wort geredet.

„Ja, das…das habe ich gefunden“, erklärte sie und sofort wurde er misstrauisch.

„Wo denn?“, erkundigte er sich.

„In…In der Kneipe. Ein Gast hat es vergessen.“

„Und da hast du es einfach mitgenommen?“

„Nein, ich…ich werde es morgen zurückbringen, ich dachte nur, ich…ich nehme es mal mit.“ Lewis beobachtete, wie sehr sie Blickkontakt vermied und nervös auf ihrer Unterlippe kaute.

„Rachel, alles in Ordnung?“, fragte er eindringlich und sie nickte, ohne ihn anzusehen.

„Ja…Ja klar. Entschuldige, ich muss…ich muss jetzt duschen“, wich sie ihm aus und ehe Lewis sie aufhalten konnte, war sie schon verschwunden.

Er sah ihr hinterher, ehe er sich auf das Sofa fallen ließ und ausatmete. Ganz offensichtlich war nichts in Ordnung und am liebsten hätte er sie sofort drauf angesprochen, doch er wusste, dass es heute Nacht keinen Sinn mehr hatte: Sie würde jetzt nicht mehr mit ihm reden.

Als sie schließlich aus der Dusche kam und sich zu Lewis ins Bett legte, war sie ihm dankbar, dass er keine weiteren Fragen stellte.

Sie schmiegte sich an seinen Oberkörper und spürte seine Wärme, doch ihm entging nicht, dass sie anfing zu zittern und sich in den Schlaf weinte.

Lewis beschloss, sie am nächsten Morgen darauf anzusprechen.

Mitten in der Nacht wachte Rachel auf, nahm sich das Handy und machte es erneut an: Sie sah sich selber, als Kind vor dem Haus, wo sie aufgewachsen war. Sofort bekam sie Panik, weil sie wusste, dass es ein paar Dinge gab, die niemand wissen sollte. Sie wusste auch, dass Lewis nicht locker lassen würde, doch…sie konnte es ihm nicht sagen.

Denn dann würde sie ihn wahrscheinlich verlieren.

 

Als Rachel am nächsten Morgen aufwachte, spürte sie, dass Lewis aufgestanden war und als sie sich umdrehte, saß Lewis neben ihr im Bett und sah sie vorwurfsvoll an.

„Na, bereit zu spielen?“, las er vor und erst jetzt sah Rachel das Handy in seiner Hand.

„Sag mal spinnst du?! Gib das wieder“, rief sie und wollte aufstehen, doch Lewis war schneller, stand auf und schüttelte den Kopf.

„Nein, vergiss es. Ich werde es dir nicht wiedergeben, bevor du mir erklärt hast, was es mit diesem Handy auf sich hat.“

„Lewis, bitte. Gib es wieder.“, flehte sie, stand ebenfalls auf und versuchte, es zu erreichen, doch Lewis hielt es so hoch, dass sie nicht dran kam.

„Erkläre es mir. Bitte.“ Rachel sah ihn eine Weile an, ehe sich ihre Augen mit Tränen füllten und sie den Kopf schüttelte.

„Ich kann nicht.“, flüsterte sie verzweifelt und hatte Mühe, auf ihren Beinen zu bleiben.

„Rachel…wer hat diese Nachricht geschrieben und warum….“. Doch weiter kam er nicht, denn das Handy piepte um eine weitere Nachricht anzuzeigen. Die beiden sahen sich an, ehe Lewis die Nachricht öffnete.

Er erstarrte und ihm wurde schwindelig.

„Was…aber…aber das sind wir…jetzt gerade…eben“, stammelte er und sofort rannte er zum Fenster, um nach dem Fotografen Ausschau zu halten, sodass Rachel ihm das Handy abnehmen und sich das Bild ebenfalls anschauen konnte: Auch sie bekam Gänsehaut, denn das Bild zeigte Lewis und sie, wie Rachel versucht hatte, nach dem Handy zu greifen. Und das war nun mal erst ein paar Sekunden her.

Wieder piepte das Handy und sie öffnete die Nachricht.

 

Ich bin enttäuscht, Rachel. Wieso bist du noch nicht hier? Du weißt doch was du tun musst, wenn ich dich anschreibe?! Und du weißt auch, was passiert, wenn du nicht entsprechend darauf reagierst…

 

Rachel starrte auf die Nachricht, ehe sie sich in Windeseile anzog und Lewis vom Fenster wegzerrte, der sie verwirrt ansah.

„Wir müssen sofort fahren. Jetzt“, rief sie, wollte Lewis zum Auto ziehen, doch dieser riss sich los.

„Was hey, Moment! Wohin denn und…vor allem, warum?“ Doch Rachel hörte ihm nicht mehr zu, nahm ihre Tasche und wollte aus der Tür gehen. Leider war Lewis schneller als sie, stellte sich vor die Tür und ließ sie nicht durch.

„Lewis, ich hab jetzt keine Zeit für so was.“ Er sah seine Freundin an und in ihren Augen lag so viel Verzweiflung, dass er Schwierigkeiten hatte, nicht von der Tür wegzugehen.

„Ich fahr dich nirgends hin, bevor du mir nicht ein paar Sachen erklärt hast.“ Rachel sah ihn an, nickte und zog ihm die Schlüssel aus der Hosentasche.

„Okay, wenn du nicht fahren willst…dann fahre ich“, beschloss sie, drehte sich um und ging durch die Hintertür hinaus.

„Was, aber…du hast doch gar keinen Führerschein“, protestierte Lewis und sie zuckte nur mit den Schultern, während sie entschlossen in Richtung Auto ging und es aufschloss.

„Das ist mir egal. Ich. Muss. Jetzt. Los.“, sagte sie mit so viel Nachdruck, dass Lewis fast schon Angst vor seiner Freundin hatte.

Sie ging zum Auto, stellte sich vor die Beifahrerseite und schaute Lewis herausfordernd an.

„Also, was ist jetzt? Fährst du, oder willst du riskieren, dass dein neues Auto ein paar Beulen bekommt?“ Lewis starrte sie mit offenem Mund an. Er hatte seine Freundin noch nie so…entschlossen gesehen.

„Also, schön, gib her“, gab er schließlich nach.

 

 „Rachel, du musst mir erklären, was das hier soll…Wohin fahren wir? Was hat das mit diesem fremden Handy zu tun? Was sind das für Bilder? Und wer hat uns heute beobachtet und ein Foto gemacht? Und was hat das mit diesen Nachrichten auf sich? Wer tut uns das an?“, fragte er hektisch.

„Ich weiß es nicht“, murmelte Rachel viel zu schnell und viel zu wenig überzeugend und Lewis schüttelte nur mit dem Kopf.

„Doch, Rachel, du weißt es.“, wiedersprach er ihr und an einer roten Ampel nahm er ihre Hände, wollte sie anschauen, doch sie zuckte zusammen und befreite sich aus seinem Griff.

„ICH WEIß ES NICHT, OKAY?“, schrie sie hysterisch und als Lewis in ihre Augen schaute, war jegliche Entschlossenheit aus diesen verschwunden. Jetzt war es einfach nur noch Panik, Angst und….Verletzlichkeit.

„Es ist grün.“ Sie starrte auf die Ampel und obwohl Lewis am liebsten stehen geblieben wäre, um weiter mit ihr zu diskutieren, zwang er sich, los zu fahren, um die anderen nicht zu verärgern. Trotzdem beobachtete er, wie sie nervös auf ihrer Lippe kaute, ihre Augen glänzten, wie sie am ganzen Körper zitterte und er sah auch ihre die zarte Hand, die sich verzweifelt so fest an den Türgriff klammerte, als wollte sie ihn abreißen.

Trotz ihres Zustands schaffte sie es, Lewis den Weg zu beschreiben.

Zwar beunruhigte ihn das Verhalten seiner Freundin, doch er hatte das Gefühl, ihrer geheimnisvollen und verborgenen Seite ein Stück näher zu kommen.

Als sie endlich da waren, parkte er das Auto und starrte auf das alte verkommene Haus. Er wusste, dass es das Haus war, welches er auf dem Sperrbildschirm des fremden Handys gesehen hatte.

„Was…wo sind wir hier?“, fragte er verwirrt, als er Rachel folgte, die sich bereits auf den Weg in Richtung Gebäude gemacht hatte.

„Darf ich vorstellen Lewis? Der Ort, an dem ich aufgewachsen bin“, lächelte sie kalt und ehe Lewis sie dran hindern konnte, stieß sie die alte Tür auf, die nicht mal abgeschlossen war.

 

2. Teil:

„Mensch…alles genau wie damals“, stellte sie fest, als sie in das Innere des Hauses vortraten und Lewis sie mit offenem Mund anstarrte.

„Was? Aber…? Hier bist du aufgewachsen?“, erwiderte er ungläubig und schaute sich um: Es roch nach vermoderten Wänden, an den Fenstern bildete sich Schimmel. Beim jedem Schritt knarrte der alte Holzboden.

„Was…Rachel, kannst du mir bitte mal erklären, was…?“. Er wurde unterbrochen durch Rachels erhobene Hand

„Hörst du das?“, flüsterte sie und als Lewis ebenfalls lauschte, hörte er Schritte. Es waren schwere und große Schritte. Es waren Schritte von draußen.

„Scheiße, er ist hier“, flüsterte sie verzweifelt und fing an, noch stärker zu zittern.
„Was, wer ist…?“. Doch weiter kam Lewis nicht, denn genau in dem Moment hörten sie die Haustür hinter sich zuknallen und als sich beide vor Schreck umdrehten, sahen sie einen Mann, der sie mit kalten Augen anstarrte.

„Wie schön, dass ihr Zeit hattet“, grinste er boshaft.

„Toby, bitte…“, flehte Rachel, doch noch bevor sie den Satz beenden konnte, kam er auf sie zu und schenkte ihr ein Lächeln, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Wenn Lewis gewusst hätte, was in den nächsten Momenten passiert wäre, dann hätte er sich vielleicht wehren können. Doch so sah er die Eisenstange nicht kommen, die seine Welt verdunkelte.

 

Als Lewis die Augen aufschlug, spürte er diese unfassbaren Schmerzen, die durch seinen Kopf strömten.

„Lewis? Lewis, geht es dir gut?“, hörte er Rachel irgendwo rufen, konnte aber noch nicht zuordnen, woher ihre Stimme kam.

 „Lewis, jetzt sag doch was“, rief sie aufgeregt und als Lewis die Orientierung wieder gefunden hatte und seine Hände bewegen wollte, musste er feststellen, dass sie hinter seinem Rücken zusammen gebunden worden waren. Er sah hinüber zu seiner Freundin, deren Haare vom getrockneten Blut verklebt waren. Auch sie war gefesselt. Sie sah ihn besorgt an und noch immer verstand Lewis nicht, was, wer, wie, warum und wo.

„Was…Rachel, wer…wer der Mann?.“ Ihm gingen so viele Fragen durch den Kopf.

„Das kann ich dir erklären“, ertönte eine fremde Stimme. Er schaute auf und sah den Mann, der auf einem umgedrehten Stuhl saß, sich lässig auf die Lehne stützte und ihn beobachtete.
„Ich dachte mir schon, dass Rachel nichts von mir erzählt hatte. Schade aber auch. Ich hätte den Freund meiner Schwester auch gerne auf anderen Wegen kennen gelernt, aber dann machen wir jetzt eben so die Bekanntschaft.“

Lewis glaubte, sich verhört zu haben und schüttelte nur den Kopf.

„Bruder?! Rachel, dass…das ist dein Bruder?!“, entfuhr es ihm und der Mann nickte.

„Kaum vorstellbar, oder? Ich, Toby, der Bruder von meiner unfassbar tollen und hübschen Schwester.“

„Aber, was…was…hat das alles zu bedeuten?“. Lewis Kopf dröhnte und seine Gedanken begangen sich zu drehen.

„Das werde ich dir jetzt erklären, Lewis…“

„Toby…nein, bitte…bitte tu das nicht“, flehte Rachel mit Tränen in den Augen und als Toby das sah, stand er auf, kniete sich vor seine Schwester und strich ihr schon fast sanft durchs Haar, während sie bei jeder Berührung zusammen zuckte.

„Ich muss es tun, Rachel. Du hast es doch nie getan. Und es wird Zeit, dass er erkennt, dass du gar nicht so unschuldig bist, wie du die letzten Jahre immer getan hast. Das verstehst du doch sicher?“ Er wischte ihr sanft eine Träne aus dem Gesicht und als Rachel seine Berührung spürte, ging ein Schauer durch ihren Körper. „Meine Güte, du bist noch schöner, als früher“, flüsterte er und Lewis verstand noch immer nichts.
„Hey, Finger weg von ihr“, rief er. Toby sah ihn an, stand auf, stellte sich vor ihn und grinste. „Meinst du wirklich, du bist in der Position, mir irgendwelche Befehle zu geben?“. Natürlich war Lewis das nicht, aber er wollte ihm keine Angst zeigen. Für einen kurzen Moment hatte er Panik, was Toby, als nächstes tun würde, doch zu seiner Erleichterung ließ er wieder von ihm ab und drehte den beiden den Rücken zu.

„Also, Lewis, ich werde dir jetzt erklären, was damals in unserer Kindheit alles passierte. Ich bitte dich, mich nicht zu unterbrechen. Aber ich verspreche dir, danach wirst du einiges verstehen.“ Er atmete einmal aus, ehe er anfing.

„Meine Eltern hatten damals dieses Haus hier gekauft und da sah es zugegebenermaßen noch einigermaßen gut aus. Mein Vater trank schon immer viel Alkohol, was mich aber nie sonderlich gestört hat. Ich persönlich fand ihn betrunken immer…angenehmer. Er war mein großes Vorbild, weil er wusste, wie man mit Frauen umzugehen hatte…“

„Sag mal spinnst du?! Er hat Mama und mich jahrelang misshandelt und sie dann anschließend im Suff totgeschlagen“, schrie Rachel verheult und Lewis hatte das Gefühl, sein Kopf würde jeden Moment explodieren. Toby drehte sich um und sah seine Schwester an.
„Ja, weil ihr beide es nicht anderes verdient hattet. Ihr habt doch auch immer gemeint, ihr könnt tun, was ihr wollt, nicht wahr?“, fragte er. Rachel schüttelte den Kopf.

„Aber das ist doch kein Grund, uns zu misshandeln“, erwiderte sie. Toby sah seine Schwester sanft an.

„Wir haben dich doch nicht misshandelt. Wir haben dir doch nur gezeigt, wie man sich richtig verhält…und jetzt lass mich bitte zu Ende erzählen.“

Lewis versuchte, seine Freundin anzuschauen, mit ihr Blickkontakt aufzunehmen, doch sie fokussierte nur den Boden und war nicht mehr in der Lage, ihn anzusehen.

„Wie auch immer…Ich habe alles von meinem Vater gelernt und glaub mir, er war der beste Lehrer, den man haben konnte und ich habe ihn verehrt. Ich habe ihn geliebt. UND DU HAST IHN MIR WEGGENOMMEN.“ Den letzten Teil schrie er so laut, dass beide zusammen zuckten.

„Ich hab ihn dir nicht weggenommen“, erwiderte Rachel, doch es war kein richtiger Satz mehr. Es war eher eine Art armseliges Wimmern und kaum hatte sie das gesagt, wurde Toby richtig wütend.

„DANN WILLST DU ALSO BESTREITEN, DASS DU ES WARST, DIE IHN ERTRÄNKT HAT; ALS ER ZU BETRUNKEN WAR, UM ZU SCHWIMMEN?“, schrie er wieder und Rachel schüttelte nur den Kopf, während Lewis die beiden mit offenem Mund anstarrte, ohne auch nur eine Silbe von dem, was er gerade gehört hatte, verstanden zu haben.

„Ja, Lewis, da siehst du mal, wie unschuldig deine „ach so tolle Freundin“ ist. Und soll ich dir was sagen? ICH war es, der Vater wieder aus dem Fluss heraus gefischt hat, um ihn zu retten. ICH war es, der ihn wiederbeleben wollte UND ICH WAR ES; DER SICH NACH SEINEM TOD UM ALLES GEKÜMMERT HAT.“ Er raufte sich die Haare, drehte sich um und atmete ein paar Mal aus, ehe er sich an Lewis richtete.

„Und drei Mal darfst du raten, lieber Lewis, was deine Freundin danach gemacht hat, als SIE ihren Vater umgebracht hatte.

Lewis wollte was sagen, er öffnete den Mund, doch kein einziges Wort kam heraus.

„Sie ist vor Schreck weggerannt und als man sie gefunden hat, hat sie erzählt, dass ICH es war, die unseren Vater ermordet hat. ICH HÄTTE MEINEM VATER NIE ETWAS ANGETAN“, schrie er erneut und Lewis konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen.

Nein, das konnte alles nicht wahr sein. Er…er musste einfach verrückt sein, das war es. Er…Er sah Gespenster.

„Weißt du, Lewis, um dir die Sache mit dem Handy noch zu erklären…Wie du ja schon erkannt hast, war auf dem Sperrbildschirm dieses Haus mit Rachel als junges Mädchen zu sehen. Das kleine Miststück trieb sich immer gerne in den Wäldern rum und immer wenn ich ihr eine Nachricht geschrieben habe, dann musste sie nach Hause kommen. Einmal war sie zu spät, da musste ich sie leider bestrafen und hab ihr Meerschweinchen ausgeweidet. Das alte Vieh ist mir eh auf den Sack gegangen.“ Weder Lewis noch Rachel trauten sich, etwas zu sagen.

„Jetzt entschuldigt mich, aber ich muss noch was holen, bin gleich wieder da.“ Er drehte sich um und sobald er an der Tür angekommen war…

„Was hast du jetzt vor, he? Willst du mich wieder vergewaltigen?“, rief Rachel ihm hinterher und er drehte sich um und lächelte fies.

„Zugegeben, es wäre eine äußert schöne Vorstellung, aber ich habe mir was viel besseres für dich ausgedacht. Du musst dich nur einen kurzen Moment gedulden.“

Sobald er den Raum verlassen hatte, wusste auch Rachel weder was sie sagen noch denken sollte.

„Rachel…bitte sag mir, dass das alles nicht wahr ist.“ Rachel sah ihn an und Lewis erkannte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten

„Ich…Ich war elf und wusste nicht, was ich tun sollte…Lewis, ich war ein verdammtes Kind. Und du kanntest meinen Vater nicht…er…er war einfach nur boshaft und schrecklich.“

Lewis starrte sie mit offenen Augen an und konnte nicht glauben, dass es wahr war. Er hatte schon immer gemerkt, dass sie irgendein Geheimnis hatte. Er hatte immer gedacht, sie hätte sich mit ihren Eltern gestritten oder vielleicht hätte sie Probleme mit ihren Geschwistern. Aber er konnte doch nicht ahnen…Woher sollte er denn wissen, dass sie umgeben von Psychopathen war und sich in ihrer Familie alle gegenseitig umbrachten?

Der Schock von Lewis saß immer noch so tief, dass er noch einen Moment brauchte, bevor er sich zusammenreißen konnte.

„Aber wieso…wieso hast du denn nie was gesagt? Ich meine, dass…das ist doch trotzdem ein Teil von dir.“ Rachel sah ihn ungläubig an und begann, zu lachen.

„Lewis, ich konnte es dir nicht  sagen. Wie…Wie hätte ich das auch tun sollen: Hey, Lewis wusstest du schon, dass mein Vater meine Mutter umgebracht hat und ich abwechselnd von meinem Vater und meinem Bruder misshandelt wurde?

Außerdem will ich nicht mehr, dass es ein Teil von mir ist, okay?“

„Das kann ich ja verstehen, aber…aber du hast das die letzten fünfzehn Jahre in dich reingefressen. Rachel, du belügst dich nur selbst…“

„Müssen wir das unbedingt jetzt besprechen?“, unterbrach sie ihn und Lewis sah sie an und nickte.

„Ja, müssen wir…denn dieses Mal kannst du nicht weglaufen.“

„Ich lauf doch gar nicht weg“, protestierte sie und Lewis schüttelte den Kopf.

„Doch, Rachel, genau das tust. Du läufst vor jeder Konversation und jeder Hilfe weg, die man dir anbieten will. Weil du Angst hast, dich mit deinem früheren Ich auseinanderzusetzen.“

„Lewis…“, wollte sie ansetzen, wurde aber unterbrochen durch Toby, der wieder in den Raum kam und einen Werkzeugkasten dabei hatte. Er fing an, ein paar Sachen aufzubauen und vorzubereiten, die Rachel noch nicht identifizieren konnte.

„Weißt du, Rachel, wie mein Leben geworden wäre, wenn die Polizei nicht nach mir suchen würde? Ich kann nirgends hingehen, aus Angst, dass mich jemand erkennt und die Bullen ruft. Du bist Schuld an dem Leben, das ich heute führe. Du bist schuld, an der Person, die ich jetzt bin. Und genau deswegen…wirst du dafür jetzt ordentlich bezahlen“, erklärte er, stand auf und kniete sich vor Rachel.

„Du wirst zur Polizei gehen und erzählen, wie es wirklich war. Aber vorher, wirst du genau das tun, was ich sage.“

Er kniete sich vor ihr nieder und fing an, sich an die Arbeit zu machen. „Ich werde dich jetzt verkabeln. Du wirst immer eine winzige Kamera tragen, damit ich sehe, wann du wo bist. Außerdem werde ich mit dir per Funk verbunden sein…Ich werde Lewis hierbehalten und du wirst das tun, was ich dir ins Ohr sage. Andernfalls werde ich mit deinem Freund ein wenig spielen und ihn anschließend auf qualvolle Art umbringen. Verstanden?“ Sie nickte nur, unfähig irgendwas zu erwidern.

 

„Wieso tust du das?“, fragte sie eine halbe Stunde später, als er sie zurückfuhr und ihre Gedanken immer wieder zu Lewis schweiften.
„Weil ich Gerechtigkeit verdient habe“, antwortete er und sie verstand, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren, da sich ihre Definitionen von „Gerechtigkeit“ zu sehr unterschieden. Sie überlegte fieberhaft, wie sie sich aus dieser Situation befreien konnte. Erst wollte sie ihm ins Lenkrad greifen, beschloss dann aber doch, es zu lassen: Entweder sie überlebten beide und er würde sich furchtbar rächen oder sie starben beide und Lewis würde da unten verdursten.

„Weißt du, ich hätte schon Lust, dich umzubringen“, plauderte er drauf los, als würden sie übers Wetter reden. „Gerade in den ersten Jahren habe ich mir immer und immer wieder vorgestellt, wie ich dir langsam und genüsslich den Hals aufschneide.

Meine Rachelust wurde so extrem, dass ich irgendwas tun musste, aber ich überzeugte mich selbst, dich nicht umzubringen. Denn, wenn du tot wärst, dann würde die Wahrheit mit dir sterben und ich könnte nie wieder ein freier Mann sein.

Danach war der Drang wieder unerträglich, deinen zarten Körper an meinem zu spüren. Und erst dann kam mir die unfassbar gute Idee, dich ein wenig als meine Marionette zu benutzen und Lewis als meine kleine Absicherung.“

„Du beobachtest uns schon länger, oder?“, fragte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst antworten sollte. Während er geredet hatte, hatte sie Gänsehaut bekommen und bei der Vorstellung, dass ihr Bruder sie nun schon länger verfolgte, musste sie sich schütteln.

„In der Tat. Es hat zwar eine Weile gedauert, bis ich dich gefunden habe und zuerst wollte ich sofort zuschlagen, doch dann habe ich mich zurückgehalten und angefangen, mir diesen Plan zu überlegen. Der wunderbar funktioniert…Ich bin ja nur froh, dass du so schnell auf die Nachricht reagiert hast, die ich dir geschrieben hatte. Wenn du innerhalb der nächsten drei Stunden nicht bei mir gewesen wärst, dann wäre ich zu euch gekommen.“

Rachel schluckte und ahnte, dass Lewis jetzt nicht mehr am Leben wäre, wenn sie nicht so schnell gehandelt hätte.

 „Also, du wirst gleich folgendes machen“, wurden ihre Gedanken durch Tobi unterbrochen.
„Du wirst duschen, dir das Blut aus den Haaren waschen und anschließend zur Kneipe gehen. Du hast genau sieben Minuten Zeit, zu duschen. Solltest du dich nach diesen sieben Minuten nicht mehr melden, dann werde ich anfangen, mit Lewis ein bisschen zu spielen. Verstanden?“

Rachel sah ihn an und konnte sie nichts erwidern, weil ihr gesamter Körper von Panik eingenommen war.

 

„Ist das nicht schön jemanden zu haben, der dich ab jetzt immer begleiten wird?“, fragte Toby, als sie sich auf den Weg in die Kneipe machte. Sie hatte erfolgreich geduscht und ihre Haare so hochgebunden, dass nichts mehr von ihrer Hinterkopfverletzung zu sehen war. Das änderte leider nichts an den furchtbaren Kopfschmerzen, die sich durch ihren ganzen Schädel zogen.

„Was wirst du gleich von mir verlangen?“. Sie kannte Toby und ahnte, dass er sie während der Arbeit nicht in Ruhe lassen würde. Sie war nervös, wie lange nicht mehr und wusste, dass er einen Plan schmiedete, der ihr ganz und gar nicht gefallen würde.

„Ach, das wirst du schon sehen. Ich rate dir nur, nicht zu wiedersprechen und dir nichts anmerken zu lassen. Wenn doch, dann werden die anderen es mitbekommen und dann muss ich deinen Freund leider umbringen. Und ich denke nicht, dass du es darauf anlegen möchtest, oder?“ Rachel musste die Tränen zurückhalten, denn allein die Vorstellung, Lewis zu verlieren, ließ sie durchdrehen: Er war der einzige Mensch in ihrem Leben, der sie aus diesem Loch herausziehen konnte. Bei ihm fühlte sie sich sicher und er gab ihr das Gefühl, einfach eine ganz normale junge Frau zu sein. Mit ihm konnte sie für einen Moment alles vergessen und so tun, als wäre nie was gewesen.

Sehr schön, du bist gleich da…Dann lass uns die Spiele beginnen.“

 

3. Teil

 „Hallo, Rachel, heute mal pünktlich?“, witzelte Mike, als sie eintrat, doch als er genauer hinsah, bemerkte er, wie erschöpft und fertig seine Mitarbeiterin aussah. „Alles gut bei dir?“, fragte er sofort und Rachel versuchte, ein so normal wie möglich zu wirken.

„Mach ihm klar, dass alles in Ordnung ist“, hörte sie Toby in ihrem Ohr und sie setzte ein wenig überzeugendes Lächeln auf.

„Ja klar“ erwiderte sie, ohne ihn dabei anzusehen. Mike erkannte, die großen Augenringe, die sie versucht hatte, durch Schminke zu überdecken.

„Hat Lewis dich nicht gebracht? Und seit wann trägst du deine Haare zusammen gebunden?“ Er kam hinter dem Tresen hervor, ging auf sie zu und ihm entging nicht, dass sie zurücktrat.

„Nein, Lewis hat heute keine Zeit, er…er ist beschäftigt…und ich wollte einfach mal was Neues ausprobieren“, erklärte sie schulterzuckend und gerade als Mike wieder ansetzen wollte, kam der erste Kunde herein und Rachel machte sich an die Arbeit.

Gegen neun Uhr war der Laden wieder voll bis unters Dach und Rachel hatte das Gefühl, es sei noch mehr los als gestern.

Sie ging hinter den Tresen und musste automatisch lächeln, als sie Ralf sah, dessen Augen leuchteten.

„Perfektes Timing“; hörte sie Toby in ihrem Ohr sagen.

„Hey, Ralf. Na, was kann ich dir heute bringen?“

„Ein Pils. Heute mit Alkohol. Es gibt was zu feiern!“, rief er und Rachel musste schlucken, weil sie wusste, dass Toby sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde.

„Na los, mach schon. Frag den Schlappschwanz, worüber er sich so freut!“

„Ach wirklich? Und…was ist es?“, fragte sie und brauchte alle Mühe, um ihre Selbstdisziplin zu wahren.

„Ich habe eine Frau kennen gelernt. Sie ist Lehrerin und wir verstehen uns super.“

„Der Typ und ne Frau? Entweder ist die blind oder sie hat einfach gar keinen Geschmack. Na los, mach schon, sag ihm, dass das nichts wird“, rief er fast schon gelangweilt und Rachel atmete aus.

„Und, bist du sicher, dass…dass sie die richtige ist?“, fragte sie schließlich während sie sein Bier zapfte.

„Och komm schon, Rachel, das kannst du besser. Ich gebe dir noch eine Chance, ansonsten kannst du bald die Einzelteile deines Freundes wieder zusammen nähen.“

„Was…? Wie meinst du das?“, fragte Ralf verwirrt und Rachel schloss die Augen, atmete aus und sah ihn an. Für Lewis:

„Na, weil noch nie was aus dir und ner Frau geworden ist. Jedes Mal kommst du an, erzählst mir, wie glücklich du bist und danach heulst du mir die Ohren voll, dass es doch wieder nicht geklappt hat. Denk doch einfach mal nach, ob du nicht mal lernen solltest, mit deiner Einsamkeit klar zu kommen, weil du niemals mit einer Frau glücklich sein wirst“. Ralf starrte sie an und noch ehe er etwas erwidern konnte, tat es Toby:

„Na also, geht doch. Das hast du sehr gut gemacht.“

„Rachel, sag mal spinnst du?!“, ertönte es neben ihr und als sie sich umdrehte, sah sie Mike, der sie entsetzt ansah. „Ralf, es tut mir so leid, sie ist…“

„Ach, lass gut sein, Mike. Vielleicht hat sie ja Recht. Danke für das Bier, aber, ich hab keinen Durst mehr.“ Er sah die beiden traurig an, legte das Geld auf den Tisch und verschwand.

„Rachel, sag mal spinnst du? Was fällt dir ein, so mit ihm zu reden?“, fragte Mike, doch Rachel zuckte nur mit den Schultern.
„Er hatte es nicht anders verdient“, erwiderte sie und wollte nichts lieber, als Ralf hinterher rennen und ihm zu sagen, dass sie sich unfassbar  für ihn freute.

„Du hast wahnsinnig großes Glück, dass der Laden jetzt so voll ist. Aber wir reden da nachher noch drüber“, drohte er und kopfschüttelnd ging er wieder an die Arbeit.

Rachel ging zu einem Tisch und begrüßte die Gäste.

„Hallo, guten Tag, was kann ich euch bringen?“, fragte sie freundlich.

„Erinnerst du dich noch, als du zu spät nach Hause gekommen bist und dein Meerschweinchen tot war? Meine Güte, hast du geflennt. Es war einfach nur zu lustig.“

„Für mich bitte ein Weizen“, bestellte der erste und Rachel hatte Mühe sich darauf zu konzentrieren.

„Aber das allerbeste war ja, dass du dachtest, wir beerdigen dieses dumme Vieh. Ha, wie bist du nur darauf gekommen? Weißt du noch, was damit gemacht wurde?“

„Für mich bitte ein Whiskey“, bestellte der zweite, doch mittlerweile hörte Rachel ihren Gästen nicht mehr zu.

„Ich hab es in den Fluss geschmissen, da wo es hingehört. Wahrscheinlich schwimmen die Knochen noch immer da drin. Es war so eine Geldverschwendung.“

„Ich nehme…“

„Jetzt halt doch endlich mal die Klappe“, rief Rachel mit Tränen in den Augen, ehe sie sich stoppen konnte und von ihren Gästen erstaunt angeschaut wurde. Sofort verstand sie, was sie getan hatte.

„Es tut mir so unendlich leid…ich meinte nicht euch, ich…es tut mir leid. Ich bringe euch sofort allen vieren ein Freigetränk.“ Sie drehte sich und hörte Toby in ihrem Ohr lachen.

„Verlierst du etwa langsam die Nerven, Rachel? Du hast noch ein paar sehr anstrengende Tage vor dir und wir stehen gerade erst am Anfang. Reiß dich zusammen. Und mach deinem Chef klar, dass alles gut ist.“

Rachel ging zurück zum Tresen, wo sie sofort von Mike abgefangen wurde.

„Rachel, was stimmt nicht mit dir? Du kannst doch nicht einfach die Kunden anschreien.“

„Ich weiß, es….es war ein Versehen.“

„Ein Versehen?! Aber…“

„Ich muss jetzt die Getränke bringen“, blockte sie ab und machte die Bestellung fertig, doch als sie auf dem Weg zum Tisch war….

„Heeeeeeeey, Rachel“ und kurz danach hörte sie ein unfassbar schrecklich schrilles Piepen in ihrem linken Ohr, sodass sie das volles Tablett fallen ließ, sich auf den Boden hockte und sich aus Reflex die Ohren zu hielt.

„Rachel…Rachel, was ist denn?“, fragte Mike und kniete sich neben sie.

„Ach, ich liebe es, die Sequenzen ein wenig zu stören.“

„Es…es geht schon. Ich…Ich hatte nur einen Krampf“, erklärte sie und während Mike ihr aufhalf, kümmerten sich die anderen um die Scherben.

„Vielleicht ist es besser, du gehst erstmal nach Hause“, schlug er vor.

„Nein, auf keinen Fall. Bring ihn davon ab.“
„Nein, es geht schon, wirklich. Ich komme klar.“ Und ohne ein weiteres Wort der Erklärung stand sie auf und ging wieder zurück hinter den Tresen.

„Siehst du die vier Jungs an Tisch sieben? Die waren gestern auch hier. Der blonde hat dich angemacht. Bediene sie.“

Rachel atmete aus, ging zu den Jungs und als der Blonde sie sah, pfiff er wieder durch die Zähne.

„Na, hast du heute einen anderen Spruch auf Lager?“, fragte sie ihn und der Blonde lächelte selbstsicher.

„Ich glaube, jemand hat die zwei schönsten Sterne vom Himmel geklaut, nur um sie in deine Augen zulegen.“

„Ich glaube du…“

„Na los, setz dich neben ihn. Flirte mit ihm. Mach ihn ein wenig happy.“

Rachel, starrte ihn an, wollte etwas erwidern, konnte aber nicht. Sie hatte keine Wahl. Sie dachte an Lewis, der immer noch in ihrem Haus saß und hoffentlich noch alle Körperteile besaß.

„…hast Recht. Vielleicht hat das ja wirklich jemand getan“, erwiderte sie also so verführerisch wie möglich, setzte sich neben ihn und führte eine Hand an seine Brust. Der wiederum konnte sein Glück kaum fassen und sah seine Freunde an.

„Ich wusste es doch. Niemand kann mir wiederstehen. Ich bin einfach…zu attraktiv.“

Innerlich wollte sich Rachel übergeben, hielt sich aber zurück.

„Sag ihm, er soll dich in einer viertel Stunde im Lager treffen. Komm schon Rachel, lass deinen Charme spielen.“

Rachel Schlucken und ausatmen, ehe sie lächelte.

„Oh ja, da hast du so was von recht. Und wenn du in einer viertel Stunde im Materialraum bist, dann zeige ich dir, wie attraktiv ich sein kann“, flüsterte sie, stand auf und als sie sich umdrehte, sah er ihr mit offenem Mund nach.

„Du kannst dich ja doch ganz gut beherrschen. Sehr gut. Aber ich hatte schon ein nettes Gespräch mit Lewis darüber, wie lange er wohl noch leben wird. Ich persönlich glaube, vielleicht noch ein, oder zwei Tage…aber wer weiß, vielleicht schaffst du ja auch noch mehr und überrascht mich.“

Bei seinen Worten kamen Rachel die Tränen, die sie tapfer wieder herunter schlucken musste. Sie hatte immer noch keine Zeit gehabt, zu überlegen, wie sie Lewis und sich befreien konnte, aber sie musste sich etwas einfallen lassen. Sie konnte Lewis nicht im Stich lassen.

Die nächste viertel Stunde verging viel zu schnell und Rachel ging mit Herzklopfen ins Lager. Sie hoffte einfach, er würde nicht kommen. Sie hoffte einfach, dass er nicht so ein Typ war, der….

Die Tür ging auf und der Blonde trat herein.

„Wow…das gibt’s nicht? Du hast das ernst gemeint?“, stieß er hervor und Rachel zwang sich zu einem Lächeln.

„Ehm…ja klar.“

„Jetzt steh da nicht so dämlich rum, sondern tu was. Drück ihn an die Wand, küss ihn, schlaf mit ihm, aber mach es heute noch.“

Rachel sah ihn an, wollte es nicht tun, doch hatte keine Wahl. Sie musste es tun. Für Lewis.

Sie ging auf ihn zu, zog ihn gegen die Wand und seine Augen begannen zu leuchten.

„Das ist so oberkrass. Du weißt also wirklich, was du willst.“

Rachel wollte das alles nicht, trotzdem beugte sie sich zu ihm vor.

Doch gerade als ihr Mund auf seinen traf, wurde die Tür aufgestoßen und Mike sah die beien an.

„Sag mal, was wird das denn hier?!“, donnerte er, packte den Blonden am Hemd und zerrte ihn gegen die Wand.

„Hast du sie angefasst?“, fragte er auf eine so bedrohliche Art, dass sogar Rachel Angst bekam.

„Nein, ich…ich schwöre…sie…sie hat…“

„Jetzt mach dass du hier raus kommst. Wenn ich dich noch einmal in meinem Laden sehen sollte, dann wirst du es bitter bitter bereuen…verstanden?“

„Ja….ja. klar…ich…ich verspreche es…“, stotterte er, ehe Mike ihn los lies und er wegrannte.

Rachel wollte ihm hinterher, doch Mike stellte sich vor die Tür.

„Ich sagte doch, wir reden später.“
„Aber…die Gäste…“

„…können auch mal ohne uns auskommen“, beendete er den Satz.

„Sorg dafür, dass er keinen Verdacht schöpft.“

„Also, was ist los mit dir?“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, log sie, ohne ihm dabei in die Augen zu schauen.

„Doch, das weißt du, Rachel. Du…du schreist meine Kunden an, du brichst zusammen und dann fängst du auch noch an, mit ihnen im Lager rum zu machen.“

„Ja und…?“

„Rachel…das bist nicht du.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte sie mit Tränen in den Augen, weil sie sich ja selbst nicht wiedererkannte. Wieso sollte es dann jemand anders tun?

„Weil ich dich kenne…du bist…du ein liebes und nettes und hübsches Mädchen. Alle Gäste lieben dich.“
„Dann tun sie es jetzt eben nicht mehr“, wiedersprach sie achselzuckend und hätte nichts lieber getan, als Mike zu umarmen.

„Okay, das macht jetzt keinen Sinn mehr. Ich werde dich jetzt nach Hause fahren und du wirst mir nicht wiedersprechen. Verstanden?“

Rachel nickte nur und mit hängendem Kopf trottete sie Mike hinterher.

 

„Wow, du kannst ja auch ne richtige Bitch sein“, lobte Toby sie, als sie wieder Zuhause angekommen war und endlich wieder frei sprechen konnte. Sie durfte sich nicht umziehen, also machte sie das Licht aus und legte sich ins Bett.
Das Bett war viel zu groß und wie gerne hätte sie sich jetzt an Lewis gekuschelt, der alleine in diesem dreckigen Haus saß und ihr vertrauen musste.

„Wie lange willst du das noch machen?“, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Solange, bis ich mich besser fühle“, antwortet er und Rachel unterdrückte ein Schluchzen.

„Und? Fühlst du schon besser?“

„Natürlich nicht. Rachel, ich musste mich über fünfzehn Jahre verstecken. Glaubst du etwa, ich fühle mich besser, nur weil ich einen Abend mit dir gespielt habe?

Rachel erschauderte. Sie wusste, dass es nicht nur heute Abend sein würde. Er würde es solange durchziehen, bis er keine Lust mehr hatte. Und aus eigener Erfahrung konnte sie sagen: Er hatte Ausdauer.

„Aber, selbst wenn ich doch irgendwann zur Polizei gehe….dann wird doch die ganze Wahrheit rauskommen. Nicht nur die Sache mit Vater…“

„Vertrau mir, das wird nicht passieren. Weil ich dafür sorgen werden…“
„Darf ich…darf ich bitte mal mit Lewis sprechen?“, flehte sie, doch er schüttelte den Kopf

Ich bin ja nicht doof. Außerdem ist er gerade zu beschäftigt mit seinen Schmerzen.“

„Schmerzen?! Was…was hast du mit ihm gemacht?“, fragte sie ängstlich und er lachte.

„Rachel, ich hab dir die Regeln erklärt. Wenn du mich nicht zufrieden stellst, dann werde ich ihn bestrafen. Und du hast mich heute öfter nicht zufrieden gestellt. Also muss er jetzt mit den Konsequenzen leben.“

„Was…Was hast du ihm angetan?“, flüsterte sie panisch, doch darauf gab er keine Antwort mehr.

 

Am nächsten Morgen wachte Rachel auf und hatte furchtbare Kopfschmerzen. Sie hatte die ganze Nacht kaum geschlafen und musste immer an Lewis denken, wie er unter den Schmerzen litt. Und das nur ihretwegen.

Auch Toby hatte sich seit gestern nicht mehr gemeldet und sie wusste nicht, ob das gut war.

„Ah, wie ich sehe, bist du aufgewacht. Sehr schön. Dann können wir ja weiter machen“, ertönte es in ihrem Ohr und sie erschrak.

„Wie…wie geht es Lewis?“ fragte sie aufgeregt, doch Toby lachte fies.

„Keine Ahnung, bin gerade nicht bei ihm.“

„Was….wo…wo bist du?“, fragte sie verwirrt und wieder lachte er.

„Ich bin dabei, die nächsten Wochen für dich vorzubereiten.“

Rachel schluckte. Wochen? Sollte das heiße, dass er dieses Spiel so lange durchziehen wollte? Rachel geriet in Panik bei dem Gedanken, dass es sich noch um Wochen handeln könnte.

„So ein Spaziergang ist wirklich ausgesprochen schön“, fuhr er das Gespräch fort, als wäre alles ganz normal. „Ich muss auch wirklich sagen, dass….“ Doch mitten im Satz hörte er auf zu reden. Rachel lauschte, doch hören konnte sie nichts.

„Toby?“ Sie wusste nicht, ob das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.

„Jetzt sei still“, befahl er und sofort wusste sie, dass irgendwas nicht stimmte.

Sie lauschte weiter, doch wieder hörte sie nichts.

Gerade als sie aufstand und sich fragte, was da los war, hörte sie ein lautes Geräusch und einen Schrei.

„Toby? Lewis? Was passiert da?“, fragte sie erneut, doch es blieb still.

Sie zog Schuhe und Jacke an und war drauf und dran, zu dem Haus zu laufen, als sie wieder Geräusche hörte, die sie nicht zuordnen konnte.

„Rachel? Mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut. Ich komme.“ Als sie Lewis Stimme hörte, hatte sie so viele Fragen, die sie ihm stellen wollte. Doch die Erleichterung darüber, dass es ihm gut ging, war überwältigend.

 

Als das Auto auf die Einfahrt fuhr, sprang Rachel aus dem Haus und fiel ihrem Freund in die Arme.

„Aber…ich dachte, er hätte dich…ich dachte…“, stammelte sie unter Tränen und Lewis schüttelte den Kopf.

„Nein, das hat er nur gesagt, damit du ein schlechtes Gewissen hat.“ Rachel fing erneut an zu weinen und kuschelte sich in die Arme ihres Freundes.
„Aber…wie…wie hast du dich befreit?“, fragte sie, nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte.

„Ich hatte etwas Hilfe.“ Und erst jetzt sah sie Mike auf der Fahrerseite aussteigen und sie anlächeln.

„Aber…“, wollte Rachel ansetzen, doch Mike hob die Hand.

„Ich hab doch gesagt, ich weiß, wer du bist, Rachel“, lächelte er und noch immer verstand sie kein Wort.

„Dein Bruder und ich waren früher befreundet. Nicht besonders lange, weil ich sehr schnell gemerkt habe, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Mir war schon klar, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, aber…ich hab dich damals ebenfalls gesehen. Ich stand im Wald und hab dich beobachtet, wie du…es getan hast. Ich erinnere mich noch genau, wie du weggerannt bist und ich dich gefunden habe. Ich wusste, was er mit dir gemacht hatte und als du erzählt hast, dass dein Bruder es war, habe ich nichts gesagt, weil er verdient hatte, beschuldigt zu werden.“

Rachels Gedanken drehten sich noch immer und sie musste sich an Lewis festhalten, damit sie nicht umfiel.

„Als du dich so komisch verhalten hast, wusste ich, dass da was nicht stimmte. Als du dir unbewusst das Haar hinter die Ohren gestrichen ist hast, habe ich den Sender in deinem Ohr gesehen. Ich ahnte was los war, bin sofort zu dem Haus gefahren und konnte ihn überraschen.“

Rachel schwirrte der Kopf: Es war Mike, der sie damals gefunden hatte? Aber wie war das möglich? Sie konnte sich nicht erinnern.

 „Das bedeutet…du kanntest mich, als du mich eingestellt hast?“, fragte sie erstaunt und Mike lächelte.
„Nicht sofort, aber…ja, irgendwann schon. Ich war einfach froh zu sehen, dass du dich so gut gefangen hattest. Nach all den Jahren in der Pflegefamilie.“ Rachel ging auf ihn zu und fiel ihm in die Arme.

„Ich bin dir so so dankbar, Mike. Du hast…Lewis wahrscheinlich das Leben gerettet.“

„Kein Problem, Rachel. Ich bin einfach froh, dass es Lewis und dir gut geht. Er ist ein guter Junge. Versprich mir, dass du ihn niemals gehen lassen wirst.“

 

Auf dem Polizeirevier erzählten Lewis und Rachel die ganze Geschichte, während der Kommissar sich alles fleißig notierte.

„Sie beide wissen ja bestimmt, dass wir ihn eigentlich wegen dem Mord an Ihrem Vater gesucht haben. Können Sie uns dazu noch mal irgendwelche Angaben machen?“, fragte er und nachdem Rachel kurz zu Lewis geschaut hatte, nickte sie.

„Ja, kann ich. Mein Bruder hat mein Vater vor fünfzehn Jahren ertränkt. Ich…Ich hab es gesehen.“

Der Polizist nickte und stellte noch einige Fragen, ehe sie gehen durften.

Als sie den Raum verließen, kam ihnen Toby in Handschellen entgegen, der von zwei Polizisten geführt wurde.

„Rachel, du musst ihnen sagen, dass ich das nicht wahr. ICH HÄTTE IHM NIE WAS ANGETAN“, schrie er und die beiden Polizisten hatten Mühe, ihn unter Kontrolle zu halten.

Rachel sah ihn einen Moment an, ehe sie nach Lewis Hand griff.

„Es tut mir leid, Toby, aber ich weiß nicht, wovon du redest.“ Mit diesen Worten drehten sich beide um und gingen Richtung Ausgang. Die Morddrohungen und Racheversprechen und Beleidigungen, die Toby ihnen hinterherschrie, bekamen sie nicht mehr mit.

Lewis sah Rachel an und konnte erleichtert ausatmen: Endlich wusste er, was seine Freundin ihm die ganze Zeit verschwiegen hatte. Endlich wusste er, wer sie wirklich war.

 

3 thoughts on “DER GAST AN TISCH SIEBEN

  1. Wow! Was für eine Wahnsinns Geschichte! Ich glaube das ist die erste Geschichte, die ein Herz von mir kassiert, trotz bzw mit Happy End 🙂
    Bin da eigentlich nicht so für, aber in deiner Variante gefällt mir sogar das auch gut!
    Dein Schreibstil ist fesselnd und die Story super spannend! Das macht wirklich Bock auf mehr! Weiter schreiben! 🙂
    Herzlich – Lia

  2. Hallo Franzi,

    Deine Geschichte habe ich mir gern durchgelesen. Deine Art, zu formulieren liest sich sehr angenehm und man merkt, dass Du Spaß am Schreiben hast!
    Schön auch, dass es ein Happy End gibt.
    Für eine Kurzgeschichte und um den Spannungsbogen zu verbessern, könntest Du sie noch kompakter gestalten.
    Wenn Du hier noch etwas feilst und die Flüchtigkeitsfehler beseitigst wie z.B. „Das musst du das dir wirklich abgewöhnen“ o.ä. wir es eine sehr spannende Kurzgeschichte.
    Viel Spaß weiterhin beim Schreiben.

    Ich würde mich freuen, wenn Du meine Geschichten liest und mir schreibst wie sie Dir gefallen haben:

    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/niemand
    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/maedchenmoerder

    Liebe Grüße
    Xanny

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