Marco DzebroDer Beweis

Ich bin in deinem Haus. Ich habe eine Axt!“ Die Botschaft hatte jemand in flatteriger Handschrift auf den kleinen Zettel geschrieben, der direkt neben dem fremden Handy lag, das der Bestseller-Autor Sebastian Fitzek auf seinem Küchentisch fand, als er gegen Mitternacht verschlafen zum Kühlschrank tapste, um ein Glas Milch zu trinken.

Sofort schoss ihm kreischende Panik durch den Körper und setzte Reflexe in Gang, die vollkommen apokalyptisch hätten enden können, wenn er ihnen nachgegangen wäre. Doch dazu kam es glücklicherweise nicht, denn plötzlich nahm er aus dem Augenwinkel eine Regung wahr, die ihn kurz darauf dazu brachte, einen Entschluss zu fassen, der unbedingt als vollkommen wahnsinnig zu bewerten ist. Anhand der Bewegung des Einbrechers konnte er ungefähr einschätzen, wie weit dieser von ihm entfernt stand. Sollte er tatsächlich eine Axt bei sich haben, dann würde er diese auf jeden Fall auch in Fitzek versenkt bekommen, egal in welche Richtung er zu fliehen versuchte. Die Stelle war gut gewählt. Fitzek wunderte sich, ob dies Zufall oder ob der Einbrecher bereits mehrfach in seinem Haus gewesen war und sich diese Ecke ganz gezielt und in Ruhe ausgesucht hatte. Diese Frage würde wohl vorerst ungeklärt bleiben. Was ihm jedoch noch um einiges mehr Kopfschmerzen bereitete, war die Tatsache, dass sich kein Gegenstand in seiner Nähe befand, den man eventuell als Waffe umfunktionieren könnte. Und selbst wenn: welches Küchenutensil sollte man denn schon benutzen, um sich gegen eine Axt zur Wehr zu setzen! Die Aussichtslosigkeit dieser Situation explodierte mit einem Mal unkontrolliert in seinen Gehirnwindungen, brannte alles nieder und spülte sie anschließend komplett frei. Tod und Jetzt und Endlichkeit waren die letzten klaren Gedanken, die er noch wahrnahm, bevor ihm schwarz vor dem geistigen Auge wurde, nur um kurz darauf eine Klarheit in ihm entstehen zu lassen, die wie eine Auferweckungsbotschaft funktionierte. Er hatte also doch noch eine Waffe gefunden: seinen Verstand! Im Gegensatz zu den meisten Menschen besaß Fitzek nämlich die Fähigkeit, Situationen in kleine Details aufzuschlüsseln und dabei einen Gesamtüberblick zu erstellen, der oft alle Fragen beantwortete. Und die Antwort, die er jetzt gerade fand, war niederschmetternd, aber gleichzeitig war sie auch eine Möglichkeit, um die scheinbar ausweglose Situation, in der er sich befand clever und mit dem kleinstmöglichen Schaden und einem größtmöglichen Lachen zu überstehen. Doch dazu blieb ihm nur eine Wahl: er musste alles auf eine Karte setzen, auch wenn er dabei Risiko ging, eine Wahrheit freizulegen, die vielen nicht gefallen wird. „Wenn du die Situation nicht kontrollieren kannst, dann ändere die Art, wie du darauf reagierst!“, dachte er sich, nahm all seinen Mut zusammen und das Smartphone in die Hand, das neben dem Zettel lag. Er hatte schon so eine leise Ahnung, was er darauf finden würde, wenn er erst mal den Sperrbildschirm entriegelt hatte, der aus einem Pincode bestand. „Das bekomme ich wohl gerade noch so hin!“, sagte er laut genug, dass der Einbrecher es hören musste und tippte den dreistelligen Code ein: 211. „Da wäre ja nun wirklich jeder drauf gekommen, der mal ein Buch von mir gelesen hat!“, spottete Fitzek und merkte noch im selben Moment, dass er vielleicht nicht gleich zu Anfang ganz so dick auftragen sollte. Während er an seinem Glas Milch nippte, schaute er die Bilder auf dem Handy durch und drehte sich langsam zur Küchenzeile. „Wollen Sie auch einen Kaffee?“, fragte er in Richtung des Einbrechers. „Ich trinke ja eigentlich lieber Tee, aber für Kaffee gibt es eine Maschine, beim Tee muss man ständig mit dem Beutel hantieren.“ Keine Reaktion. Auf dem Handy waren verschiedene Fotos von Fitzek selbst gespeichert. Bilder auf denen zu sehen war, wie er auf dem Wochenmarkt herumschlenderte; in einem Cafe saß; wie er Charlotte, David und Felix mit dem Auto durch die Gegend chauffierte; Bilder von ihm in einer Buchhandlung und … „Ach wie nett!“, sagte er. „Da ist ja sogar eins dabei, auf dem ich im Bett liege und schlafe!“ Der Einbrecher löste sich aus dem Schatten des Zimmers, in dem er Schutz gefunden hatte und trat ein paar Schritte in Sebastians Richtung. „Nett?“ Seine Stimme klang rau, kantig aber auch vollkommen überrumpelt. „Nett! Sagen Sie mal, ticken Sie noch ganz sauber? Das sind SIE! Heimlich beim Schlafen aufgenommen! Und das finden Sie … nett?“ Fitzek holte zwei saubere Tassen aus der Geschirrspülmaschine und setzte sie unter den Kaffeeautomaten. „Jetzt regen Sie sich doch mal nicht mehr auf, als ich es eigentlich müsste!“, lachte er und drehte sich zu dem Einbrecher um. Dessen Statur war sehr viel überschaubarer, als er vermutet hatte, ihm aber trotzdem noch um einiges überlegen. Wenn er es auf einen Kampf mit dem Einbrecher ankommen lassen würde, dann hätte ganz bestimmt er selbst zum Schluss den Zettel am großen Zeh hängen. „Milch? Zucker?“, fragte er ihn und ging ganz bewusst nicht auf dessen Fassungslosigkeit ein. „Milch oder was?“ Natürlich war die Frage nicht tatsächlich gemeint, aber auch das ließ Fitzek vorerst unter den Tisch fallen. „Zucker! Wollen Sie Milch oder Zucker zum Kaffee?“, antwortete er sehr viel frecher, als es der Situation angemessen war. Der Einbrecher schüttelte den Kopf und schnaufte auf eine Art und Weise aus, die ein wenig danach klang, als ob das Ganze nun wirklich nicht so verlief, wie er sich das erhofft hatte. „Stress im Büro?“, fragte Fitzek daraufhin und fand das eigentlich recht lustig. Er nahm die vollen Kaffeetassen aus dem Automaten, stellte Zucker und Milch auf den Tisch, die beiden Tassen daneben und setzte sich auf einen der schmalen Barhocker. Als ob es das Normalste der Welt sei, schob er dem Einbrecher die ihm zugedachte Tasse rüber, auf der gerade eben noch so ein verwaschenes Foto von Albert Einstein zu erkennen war und beschäftigte sich dann wieder mit dem Handy. Betont vorsichtig pustete er auf eine Art über den Rand der heißen Kaffeetasse, von der er ganz genau wusste, dass sie Leute in den Wahnsinn treiben konnte. „Ihr Schriftsteller habt doch alle einen an der Klatsche!“, fasste der Einbrecher die Situation zusammen und kletterte auf den Barhocker, der Fitzek am anderen Ende des hohen Bistrotisches genau gegenüber stand. „Ach, hier waren wir beim Minigolf!“, bemerkte der amüsiert und versuchte das Bild mit den Fingern zu vergrößern. „Wo haben Sie denn da gesessen, als Sie das Foto geschossen haben? Da sind doch überall stachelige Dornbüsche! Mein Gott, haben Sie sich etwa tatsächlich in einem von denen versteckt?“ Er hauchte erneut über den Tassenrand und ging sich selbst dabei schon ein wenig auf die Nerven. Dann legte er das Handy ab, um die Tasse mit beiden Händen greifen zu können. Er zog sie so nah es ging an seinen Mund und musste sein Pusten auf ein absolutes Minimum reduzieren, damit der Kaffee nicht überschwappte. „Schöne Fotos!“ Vorsichtig nahm er einen kleinen Schluck, stellte die Tasse wieder ab und schaute den Einbrecher danach wortlos an. Es vergingen ein paar Momente, bevor er neu ansetzte: „Die Idee mit dem Handy finde ich jetzt aber ein wenig … viel, wenn ich ganz ehrlich sein soll.“ „Viel?“ „Na ja, es sind ja eigentlich fast schon zwei Ideen. Die eine ist das fremde Handy, das man findet, auf dem Fotos von einem selbst zu sehen sind. Und das andere ist der Zettel, den man nachts auf dem Küchentisch entdeckt und der einem klarmacht, dass sich jemand im Haus befindet. Das eine hätte das andere gar nicht gebraucht. Beide Ideen für sich allein genommen sind ja total gruselig, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ „Was ich verstehe, ist, dass Sie nicht mal auch nur ansatzweise zu begreifen scheinen, dass das hier keine Situation ist, die zu einem gemütlichen Plausch bei Kaffee und Plätzchen einlädt!“ „Plätzchen hab ich leider gerade auch gar keine da!“ Fitzek drehte sich auf dem Barhocker um die eigene Achse und schaute suchend in der Küche umher. „Ich könnte uns eventuell eine Nutella-Stulle schmieren!“ „Nicht wirklich jetzt oder? Ich breche nachts in Ihr Haus ein! Gebe Ihnen ein Handy auf dem zu sehen ist, dass ich Sie bereits seit Tagen schon stalke! Bedrohe Sie mit einer Axt und Sie erzählen mir hier irgendwas von Nutella-Stullen?!“ Fitzek kratzte sich überlegend am Kinn, wie einer der schon so einiges wusste. „Wo ist denn eigentlich Ihre Axt?“ Der Einbrecher schnaufte genervt auf, wie es sonst nur Eltern tun, die ihrem Kind bereits zum zehnten Mal zu erklären versuchen, sich nicht irgendwelche Gegenstände in die Nase zu stecken. „Ach komm …“, setzte Fitzek nach. „Die haben Sie jetzt aber nicht wirklich im Auto vergessen oder?“ Er klopfte sich prustend auf den Oberschenkel. Der Einbrecher zog die Tasse näher, trank einen Schluck Kaffee, kippte Milch nach und fing an, den frisch Aufgebrühten umzurühren, wobei er in kleinen Bewegungen mit dem Kopf schüttelte. „Na los! Verraten Sie es mir“, quengelte Fitzek. „Und warum überhaupt eine Axt? Und was für eine ist es denn? Eine Axt wie sie Zimmerleute benutzen oder eher so eine mittelalterliche? Und mal ganz ehrlich: wer benutzt so was denn bei einem Einbruch?“ Der Unbekannte rührte weiter an seinem Kaffee und schaute Fitzek dabei direkt in die Augen. „Wer sagt denn, dass es sich hier um einen gewöhnlichen Einbruch handelt?“ „Uhhhh!“ Fitzeks Augen glänzten neugierig auf. „Worum denn dann? Nein: warten Sie, warten Sie! Sagen Sie es mir nicht!“ Er kniff die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und setzte Dampf in den Kombinationsmotor. „Für einen Überfall aus reiner Mordlust haben Sie schon viel zu viel Zeit in die Sache investiert. Ich meine, wenn ich mir die Bilder so ansehe, dann müssen Sie mich ja mindestens 2-3 Wochen heimlich beobachtet haben. So viel Mühe hätten Sie sich ja gar nicht geben müssen, wenn Sie mir einfach nur den Hals ein wenig anschleifen wollen.“ Der Einbrecher reagierte nicht und nippte kommentarlos an seinem Schwarzen. „Erpressung vielleicht? Dazu würden die heimlichen Bilder passen. Aber wieso sind Sie dann hier? Heute. Also jetzt, meine ich. Hier in meiner Küche? Erpressungen finden doch eher aus der sicheren Entfernung statt. Nein, nein, das muss was anderes sein!“ Fitzek tapste mit den Fingern scharf konzentriert auf dem marmorierten Bistrotisch herum. „Rache? Rache ist immer ein gutes Motiv!“ Der Einbrecher schleckte seinen Löffel ab und legte ihn neben die Tasse. „Aber wofür? Wooofür sollte sich jemand an mir rächen wollen?“ „Vielleicht weil ihm eines Ihrer Bücher nicht gefallen hat? Oder alle?“ „Und so ein Spruch, obwohl ich Ihnen gerade leckeren Kaffee durchgezogen habe!“, bemerkte Fitzek und grinste dem Einbrecher anerkennend für die kleine Spitzfindigkeit entgegen. Dann hielt er nochmal kurz inne, ergriff die gute Gelegenheit und beschloss seinen Plan langsam auf die Zielgrade zu bringen. „Aber …“, fuhr er fort, „… ich finde die Idee gar nicht mal so schlecht!“ „Welche denn jetzt?“ „Ein wenig Humor in die Sache zu bringen!“ „Die Sache?“ „Na, in die kleine Erzählung hier!“ Der Einbrecher setzte die Kaffeetasse ab und zog die Augenbrauen krumm. „Irgendwas sagt mir, dass mir die nächsten Sätze von Ihnen gleich tierisch auf die Nerven gehen werden!“ Fitzek kam in Fahrt, blieb in der Stimme aber ruhig und besonnen. „Ja, schauen Sie doch mal, zählen Sie alles zusammen: die Ausgangssituation! Der Zettel auf dem Küchentisch! Das fremde Handy mit den Fotos drauf! Und dieser vollkommen absurde Dialog hier zwischen uns beiden!“ „Und?“ „Und? Das ist doch ein perfektes Was-wäre-wenn-Szenario eines Romans!“ Etwas in Fitzek fand ein Ende und etwas einen Anfang. Der Einbrecher sah das jedoch nicht ganz so poetisch: „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst!“ „Doch. Das ist es! Mal ganz ehrlich: Sie glauben doch nicht wirklich, dass das hier auch nur ansatzweise eine realistische Situation darstellt oder dass Sebastian Fitzek tatsächlich so redet, wie ich es gerade tue! Ich bin in deinem Haus. Ich habe eine Axt? Grandiose Idee. Wirklich! Aber so etwas passiert einem doch nicht tatsächlich im normalen Leben!“ „Fitzek: Sie brauchen Medikamente. Ganz dringend!“ Beide griffen zeitgleich zu ihren Tassen und nahmen jeweils einen großen Schluck, der viel zu betont und viel zu abgestimmt wirkte. „Wissen Sie, was ich für ein gutes Lebensmotto halte?“, setzte Fitzek neu an. „Also im Moment denke ich, dass mir mit irgendwelchen schwachsinnigen Ideen auf den Keks zu gehen, Ihr Credo zu sein scheint.“ „Hm. So daneben ist das lustigerweise gar nicht! Nimm das, was du tust ernst, aber Dich selbst nicht so wichtig: daran habe ich mich immer schon zu halten versucht und ich glaube … nein ich bin mir sogar zu 100 Prozent sicher, dass genau das auch der Grund ist, weshalb wir zwei gerade hier sitzen!“ Kleiner Schluck Kaffee. „Ich glaube, dass in just diesem Moment irgendwo in Deutschland oder vielleicht ja sogar wer weiß wo auf der Welt, jemand mitten in der Nacht an einem Küchentisch sitzt, Apfeltee trinkt, viel zu gemütliche Schlabberhosen trägt, im Hintergrund Flatfoot-Musik laufen lässt und eine Kurzgeschichte zu schreiben versucht, in der wir beide vorkommen!“ „Kurzgeschichte jetzt also?“ „Na, für einen ganzen Roman gibt die Situation hier nicht genug her. Allein die Figuren sind nicht definiert genug und gehen auch nicht in die Tiefe, sondern treiben einfach nur die Geschichte auf eine pfiffige Auflösung zu, das ist mir inzwischen klar geworden. Und ich glaube auch, dass wir hier bestimmt bald zu genau diesem Ende kommen werden!“ „Das Einzige, was hier zum Ende kommt, ist meine Geduld! Ihr Versuch, mich mit so einer vollkommen bescheuerten Idee aus dem Konzept zu bringen oder Zeit rauszuschlagen, weil Sie eventuell heimlich einen Alarmknopf gedrückt haben, ist ja bemerkenswert, aber gleichzeitig mit das Bekloppteste, was ich je gehört habe!“ „Da gebe ich Ihnen nur teilweise recht! Wenn das hier tatsächlich real wäre …“ „Es IST real! Und Sie wissen auch ganz genau, weshalb ich hier bin! Dass es um Rache geht, ist Ihnen vorhin doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts eingefallen! Fitzek: wir saßen damals beide zusammen in dem völlig überfüllten Wartezimmer. Erinnern Sie sich? Und Sie wissen ganz genau, wer von uns beiden dann die Idee hatte. Sie wissen ganz genau, warum es Ihnen heute möglich ist, ein Leben zu führen, bei dem Sie unter der Woche gemütlich über den Markt spazieren gehen, in Cafés sitzen oder sich in Büchereien die Zeit vertreiben können, während der Rest von uns in irgendwelchen Scheißjobs verrottet! Und mit der Rest von uns meine ich MICH! Das wissen Sie ganz genau und besitzen trotzdem die Frechheit so zu tun, als ob Sie mich noch nie zuvor gesehen hätten und obendrein wollen Sie mir jetzt auch noch so eine vollkommen bescheuerte Idee drücken, dass ich nur die Figur in einer Ihrer Kurzgeschichten wäre!“ „Na, na, na: nicht in MEINER Kurzgeschichte. In EINER Kurzgeschichte!“ „Soll mich das jetzt irgendwie beruhigen, Fitzek?“ „Das nicht, aber Sie sollten verstehen, dass Fitzek mit der Sache gar nichts zu tun hat und die Geschichte hier auch nicht selbst schreibt, sondern irgendein anderer Autor! Also auch das, was Ihnen angetan wurde. Das, was Sie zu dem Entschluss gebracht hat, mir heute die Blutzufuhr kappen zu wollen. Ihr Rachemotiv ist nicht in der realen Welt von Sebastian Fitzek verwurzelt, sondern bloß Teil einer frei erfundenen Geschichte!“ Der Einbrecher schob die Kaffeetasse zur Seite, griff sich unter den Pulli und drückte die herausgezogene Pistole so hart ins Marmor des Tisches, dass der erste Risse bekam, so wie auch die Realität dieser außergewöhnlichen Situation: „Mir reicht es jetzt!“ Fitzek bemerkte eine Wut im Blick des Einbrechers, der nach Zweck aussah und nach Absicht. Er musste zu ihm durchdringen und dem Dämon einen Namen geben. „Lassen Sie mich Ihnen doch mal erklären, warum es klar auf der Hand liegt, dass hier gerade eine Kurzgeschichte erzählt wird!“ „Kein. Mensch. Schreibt hier eine Geschichte, verdammt!“ „Warten Sie mal ab. Den Moment werden Sie jetzt doch wohl noch haben, um Gottes willen!“ Der Einbrecher fing an, sich genervt die Schläfen zu massieren. „Die Pistole hier zum Beispiel! Stand auf dem Zettel nicht geschrieben, dass Sie eine Axt bei sich hätten? Wo denn? Ich sehe hier keine! Und ich sage Ihnen auch wieso: weil es viel langweiliger geklungen hätte! Ich bin in deinem Haus. Ich habe eine Pistole? Nee, nicht wirklich. Das weckt nicht mal ansatzweise so starke Bilder, die emotional besetzt sind, wie eine Axt. Eine Axt ist viel martialischer, die ist schwer und wuchtig. Eine Axt, die bekommt man nur selten zu sehen und wenn, dann nur in dem Moment, in dem sie irgendetwas zerschmettert! Eine Axt ist für den Autor der Geschichte hier eine sehr viel bessere Wahl, um beim Leser gleich zu Beginn Aufmerksamkeit zu erregen!“ „DAS soll die Erklärung für Ihre schwachsinnige Theorie sein? Kleiner Realitätscheck, Fitzek: die Axt habe ich deshalb gewählt, weil sie Möglichkeiten offen lässt und die stecke ich gerne ab, bevor ich Pläne in die Tat umsetze! Eine Axt kann jederzeit unter- oder überboten werden: wenn Sie einfach nur gelesen hätten, dass ich bewaffnet bin, dann wäre Ihr Fokus auf die Tatsache gesetzt, dass ich mich in Ihrem Haus befinde. Eine Axt jedoch, und da haben Sie tatsächlich mal richtig gelegen, eine Axt setzt ein klares Bild und danach werden Sie dann auch Ihre erste Reaktion ausrichten: wenn Sie selbst eine Waffe im Haus hätten, die man effektiv gegen eine Axt einsetzen kann, und da reden wir natürlich von Handfeuerwaffen, dann wären Sie sofort los gerannt, um sie zu holen. Das hätte mir gar nicht gefallen und ich wäre wieder abgehauen, denn zwei Männer mit zwei Knarren, sind gleich vier schlechte Entscheidungen!“ „Mhhh, toll formuliert, aber ich weiß nicht, ob das wirklich … also müsste es nicht heißen: sind gleich zwei schlechte Entscheidungen? Ich meine, ich verstehe ja, dass der Autor Ihnen hier gerade lieber die Sätze schreibt, die toll klingen, aber da muss man ein wenig aufpassen, weil die Leser …“ „Und wenn Sie keine Handfeuerwaffe im Haus haben …“, schnitt der Einbrecher Fitzek genervt das Wort ab, „… dann hätten Sie angefangen nervös in der Küche herumzusuchen und mir wäre klar geworden, dass ich safe bin. Gerade Sie, als ach so cleverer Bestseller-Autor, sollten das doch verstanden haben. Oder brauchen Sie erst wieder die Idee von jemand anderem, um auf den Punkt zu kommen?“ Die Argumente waren schlüssig, aber Fitzek ging gar nicht darauf ein. Er schaute stattdessen grübelnd in seinen inzwischen angekühlten Kaffee. „Jetzt haben wir ja fast schon alle Parameter zusammen!“ „Und was soll das jetzt schon wieder bedeuten?“ „Parameter. Die gibt es in jeder Geschichte und wenn ich mich nicht irre, dann haben wir unsere bald alle zusammen.“ Fitzeks letzter Kaffeeschluck war ein wenig zu groß, was einfach daher rührte, dass er sich immer aufgeregter in die Idee reinsteigerte. „Wir haben zum Beispiel die Ausgangssituation als einen Parameter: Was wäre, wenn ich zuhause ein fremdes Handy finde, auf dem Bilder von mir selbst zu sehen sind? So oder so ähnlich. Ich denke nicht, dass der Zettel auch irgendwas damit zu tun hat. Der war bestimmt nur Eye-Candy, um einen schmissigen Einstieg in die Geschichte zu finden. Ein bisschen reißerisch kommt schließlich immer gut! Da passt dann auch der Parameter des Motivs bestens rein: Rache. Die haben Sie vorhin mit Ihrer wilden Wartezimmer-Idee selbst gesetzt. Daraus ergibt sich dann auch der mich betreffende Parameter: Ich habe ein Geheimnis. Und zwar eines, das direkte Auswirkung auf Ihr Leben hatte, weshalb Sie ja erst auf den Rachegedanken gekommen sind.“ Fitzek bemerkte, dass er kurz davor war den Einbrecher und wer weiß, wen sonst noch, als aufmerksames Publikum zu verlieren. Es war zu viel theoretisches Gerede. Also stand er auf, lief zum dem Einbrecher rüber und baute sich unmittelbar vor ihm auf. „Sie wollen mir nicht glauben? Ich beweise es Ihnen! Wir bringen das jetzt zu Ende!“ Blitzschnell griff er zur Pistole. Doch sehr zur Verwunderung des Einbrechers, benutzte er sie nicht gegen ihn, sondern drückte sie ihm in die Hand. „Hier. Erschießen Sie mich!“ Der Einbrecher rutschte von seinem Barhocker und baute sich nur eine Armlänge entfernt vor Fitzek auf. „Ich soll Sie erschießen?“ „Ist doch ganz einfach: Sie behaupten, dass wir uns hier in einer realen Situation befinden und nicht in einer Kurzgeschichte. Richtig?“ „Richtig!“ „Gut. Dann wäre es witzlos, die Kurzgeschichte damit enden zu lassen, dass Sie mich tatsächlich erschießen, weil zu Anfang gesagt wurde, dass ich einen Weg gefunden habe, um die Situation hier auf clevere Art und Weise aufzulösen.“ „Und?“ „Wenn ich falsch und Sie richtig liegen, dann steht morgen früh eben in allen Zeitungen geschrieben, dass der Bestseller-Autor Sebastian Fitzek tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Erschossen. Wahrscheinlich von einem verrückten Fan oder einem Einbrecher. Wenn Sie diese Meldung morgen auf dem Frühstückstisch liegen haben, können Sie sich freuen: Sie hatten recht!“ „Und wenn nicht?“ „Ganz einfach“, sagte Fitzek, nahm die Hand des Einbrechers und führte sie nach oben. Den Lauf der Pistole setzte er sich direkt auf die Stirn. „Wenn ICH recht habe, dann endet das ganze Szenario hier damit, dass es als Kurzgeschichte in wahrscheinlich irgendeiner Anthologie landet!“ „Fitzek: Sie sind so bekloppt, dass ich Sie fast schon wieder sympathisch finden könnte!“ „Sie begreifen es immer noch nicht, oder?“, antwortete Fitzek und legte beide Hände um die Pistole, den Finger an den Abzug und presste sie sich fest aufs Fleisch. „Sie finden nicht MICH sympathisch, sondern denjenigen, der die Geschichte hier verfasst hat und dessen Namen irgendwo unter der Überschrift der Kurzgeschichte geschrieben steht! Und wissen Sie, was das Grandiose daran ist?“ „Sie werden es mir sicher gleich verraten!“ „Das Tolle ist, dass wir damit dann wahrscheinlich auch den fünften Parameter, nämlich das Thema der Kurzgeschichte, geklärt hätten: die Identität des Autors!“ „Das Thema wäre dann also Identität?“ „Sie lernen schnell, mein Freund!“ „Na ja, mit Auffassungsgabe hat das aber eher weniger zu tun, denn wenn es nach Ihrer Theorie geht, dann bin ich schließlich auch nur eine Idee des Autors, also irgendwie ja der Autor selbst, nicht wahr?“ „Jetzt haben Sie´s endlich!“, sagte Fitzek und drückte ab.

14 thoughts on “Der Beweis

  1. Hat mich tatsächlich grinsen und spätestens bei der Nutella-Stulle kichern lassen. Von daher: Mission erfüllt. Ich finde allerdings, dass die Geschichte sehr wohl – vielleicht sogar als Titelstory – gut ins Ebook passen würde, sie setzt den perfekten Rahmen für die Sammlung.

  2. Eine grinsend, kichernde Leserin erfüllt mein Herzchen natürlich mit Freude, nein wirklich! Fürs Ebook wird es aber nicht reichen, was ja die Vorauswahl schon gezeigt hat. Aber: es hat wirklich Spaß gemacht sie zu schreiben … auch wenn es für sie keine Zukunft gibt und Herr Fitzek sie leider noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hat. Deshalb freut es mich umso mehr, dass sie ihren Weg zu einer begeisterten Nutella-Stullen Leserin gefunden hat! Liebe Grüße, Marco. PS Falls dir einmal das Lesefutter ausgehen sollte: ich war ja fleißig und deshalb schlummern hier noch 2 weitere (traditionellere) Geschichten von mir rum … “Zwischen Hell und Dunkel” und “Waidmannsheil”

    1. Habe gerade zufällig diese Geschichte entdeckt und muss sagen, dass sie eine der besten und außergewöhnlichsten hier ist. Zumindest trifft die Art wie du schreibst und wie die Dialoge geführt werden total meinen Geschmack. Richtig schade (und für mich verwunderlich) dass die Geschichte es nicht in die Anthologie schafft. Wie ich Fitzek nach den ganzen Livestreams einschätze, würde er sie auch richtig cool finden. Wahrscheinlich hat er sie aber nicht gelesen (blödes Auswahlverfahren), anders kann ich mir nicht erklären, dass sie nicht weiter ist. Vielleicht schickst du sie ihm einfach mal per Mail als kleine Hommage an ihn und sein tolles Projekt. Ich denke er würde sich freuen!

    2. Woher willst Du wissen, dass er sie nicht zu Gesicht bekommen hat? Er hat doch gesagt, dass die meisten Jurymitglieder im Laufe des mehrschichtigen Auswahlverfahrens mehr als die letzten 32 Stories gelesen haben. Zumal er ja am Anfang mal gesagt hat, er wolle versuchen, alle zu lesen (und nach der ersten Woche, er habe bereits mehrere Dutzend gelesen). Bestimmt wird er irgendwann darüber stolpern! Danke für den Hinweis auf Deine anderen Stories.

  3. Moin Marco,

    was ist das denn bitte für ne geile Storie? So etwas originelles und dabei richtig gut umgesetzt, sucht hier seinesgleichen! Ich hatte das Gefühl Sebastian hätte das hier selbst geschrieben! Und zum Thema Nutella-Stulle fällt mir ein…

    „ ich schreibe hier jetzt einfach mal Nutella hin, bevor es alletuN“😉

    Ich musste zwei-drölf mal richtig schmunzeln. Das war eine der Geschichten die eigentlich in der Anthologie verewigt sein sollten. Hut ab vor so viel Kreativität und Wortwitz. Du benutzt einen richtig tollen Wortschatz und die Bilder die du damit aus Worten malst sind klasse!

    Mein Like lass ich dir gerne da und wünsche dir alles Gute für’s Voting!

    LG Frank aka leonjoestick ( Geschichte: Der Ponyjäger)

  4. Hallo Marco,
    ich hoffe wirklich sehr, dass du meinen Kommentar liest. Momentan habe ich wegen mehrfachem Beinbruch viel Zeit hier die Geschichten zu lesen. Nachdem ich bereits einige gelesen habe, möchte ich dir sagen, dass mir deine Geschichte wahnsinnig gut gefallen 👍🏻😊👍🏻hat. Vor allem zeigst du damit eine so kreative Idee! Ich hoffe sehr, dass Herr Fitzek sie tatsächlich liest. Ich würde dir gerne mehrere Likes dalassen, wenn ich könnte.
    Unbekannterweise alles Gute für dich!!!
    Grüße Jana („Strafe“)

  5. Hallo Marco,

    deine Geschichte ist großartig. Als ich den Namen des Protagonisten gelesen hab, dachte ich zuerst, das kann nur schief gehen. Aber du hast mich eines Besseren belehrt. Vielen Dank dafür 😎

    Ich finde deine Idee sensationell und musste mehrmals lachen. Toller Schreibstil, tolle Bilder, toller Humor. Von mir bekommst du auf jeden Fall ein Like.

    Liebe Grüße
    Sarah

    https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/rache-ist-suess

  6. Juhu, endlich kann auch Sebastian zeigen, was er als Thriller-Figur draufhat! 😀 Richtig lustig, wirklich, vor allem die ganzen wir-schreiben-zuhause-Insider.
    Finds schade, dass die Geschichte so wenig Likes hat, aber ich hoffe, dass der reale Sebastian Fitzek das trozdem entweder schon gelesen hat oder noch lesen wird. Ich geb dir auf jeden Fall ein lachendes Herzchen 🙂

    LG Ann-Kristin (“Nacht der Unschuld”)

  7. Lieber Marco

    Verdammt!

    Warum wurde mir deine Geschichte erst jetzt empfohlen?

    Und warum hast du so wenig Werbung gemacht?

    Deine Geschichte ist phantastisch.
    Einzigartig.
    Großartig.

    Du hast mich mit deiner Geschichte komplett geflasht und begeistert.
    Vom 3. Satz an.

    Gott, was hast du für einen genialen Schreibstil.
    Was hast du für einen feinen und ausgereiften Humor.

    Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung…… alles perfekt.

    Die Umsetzung der Parameter ist dir super gelungen.
    Absolut genial und kreativ.

    Ich bin sooo froh, diese Geschichte noch gelesen zu haben.

    Sie ist ein Juwel.
    Ein Diamant.

    Die Dialoge, genauer gesagt, der Dialog zwischen Fitzek und dem Einbrecher gehört auf die Theaterbühne.
    Das Finale …. ein literarischer Traum.

    Ich zolle dir den höchsten Respekt.

    Man spürt deutlich und bereits nach wenigen Sätzen, dass du ein absoluter Könner bist.
    Ein Meister des geschriebenen Wortes.

    Hättest du mehr Werbung gemacht, ich schwöre dir, du wärst jetzt unter den Top 20.

    Für mich persönlich ist deine Geschichte sogar unter meinen Top 10.
    Leider kann ich dir nur ein Like geben.
    Aber das gebe ich dir von ganzem Herzen.

    Du hast ein riesiges Potenzial.
    Und ich gönne es dir.
    Nutze es!!!

    Stell dein Licht nicht immer so unter den Scheffel.
    Steh zu deinen Geschichten.
    Zu deinem Talent.

    Und du wirst noch viele bezaubernde Leser erreichen.
    Und du wirst durch deine Kunst noch viele Menschen begeistern.

    Mich hast du begeistert.

    Ich sage dir was:
    Hättest du von vornherein die Werbetrommel “geschlagen”, du wärest jetzt der heimliche Star bei wirschreibenzuhause.
    Ohne Mist.

    Ich gratuliere dir.
    Und ich wünsche dir und deiner Geschichte alles Gute und viel Erfolg. Sie MUSS veröffentlicht werden.

    Wo auch immer.

    Geh deinen Weg als Autor.
    Und du findest dein Glück.

    Hochachtungsvolle und kollegiale Grüße,
    Swen Artmann (Artsneurosia)
    “Die silberne Katze”

    Ich wünsche dir und deinen Lieben das Beste der Welt.
    Swen

  8. Moin Marco, ich hatte es mir gerade mal mit Deiner Geschichte gemütlich gemacht 😉 Schade, dass ich das nicht schon am 30.09. getan habe, denn dann ich hätte ich alles und jeden angequatscht hier bei Dir einzukehren. Die Idee des Zwiegesprächs zwischen Fitzek und dem Einbrecher ist wirklich charmant und habe mehrmals geschmunzelt.

    Wie fallen einem solche Sätze ein? “Die Aussichtslosigkeit dieser Situation explodierte mit einem Mal unkontrolliert in seinen Gehirnwindungen, brannte alles nieder und spülte sie anschließend komplett frei.” 😉

    Erst dachte ich: Kritisiere doch einfach mal, dass die Geschichte dringend Absätze braucht. Den Gedanken habe ich dann aber auch schnell verworfen, weil ein Sebastian Fitzek genau so ohne Punkt und Komma quatschen würde, wo er ja die Redepausen nicht gerade erfunden hat. 😂

    Du siehst also schon, hier kommt nicht mehr viel was man Kritik nennen könnte. Vielleicht eher ein kleiner Rüffel… Wieso in Drei-Teufels-Namen hast Du dich nicht einmal im Monat hingesetzt und ein bisschen Werbung gemacht?

    Und als ich dein Profil sah… Meine Lieblingsstadt als Kinderbuch 😉 was meinst Du warum ich so gut gelaunt bin, bester Buli-Start seit 7 Jahren 😂
    You gotta fight for your right to Party 😉

    Sei stolz auf deine Geschichte, sie hätte wirklich eine ganz große werden können in diesem Wettbewerb 🙂 LG Melanie https://wirschreibenzuhause.de/geschichten/blaues-mondlicht

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